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Ausgabe Bern 56 August 2007 | 5. Jahrgang ensuite Nr. k u l t u r m a g a z i Uf dr Strass chasch nid bschiisse! Zwischen Puppen-Punk und kosmopolitischer Kleinkunst Seite 4 Hundstage mit Klee Magischer Akt der Beseelung Seite 10/35 Sommerclubbing Elektronische Spurenelemente mit Rumpelbeats Seite 13 Paul Senn Fotoreporter mit formal-ästhetischer Seite 34 Intensität n Der Vorverkauf läuf t! Sämtliche Starticket -Vorverkaufsstellen in der Schweiz Telefon 044 412 30 30 www.theaterspektak el.ch oder www.start icket.ch Bern, Allmend, 9. – 22. August Vorstellungen Montag bis Freitag Mittwoch und Samstag Sonntag 20h00 15h00 + 20h00 14h30 + 18h00 Zirkuszoo Donnerstag, 09.08. Täglich 14h00 – 19h30 09h00 – 19h30 Vorverkauf Ticketcorner, Tel. 0900 800 800, www.knie.ch und an der Zirkuskasse: Donnerstag, 09.08. 12h00 – 21h00 Montag – Samstag 10h00 – 21h00 Sonntag 10h00 – 19h00 Mittwoch, 22.08. 10h00 – 20h30 www.knie.ch Impressum Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion: Lukas Vogelsang (vl); Stephan Fuchs (sf); Anna Vershinova (av) // Claudia Badertscher (cb), Andrea Baumann (ab), Peter J. Betts (pjb), Jean-Luc Froidevaux (jlf), Till Hillbrecht (th), Michael Imoberdorf (mi), Sonja Koller (sk), Andy Limacher (al), Belinda Meier (bm), Monique Meyer (mm), Magdalena Nadolska (man), Eva Pfirter (ep), Nicolas Richard (nr), Caroline Ritz (cr), Benedikt Sartorius (bs), AnneSophie Scholl (ass), Karl Schüpbach (ks), Sarah Stähli (ss), Tabea Steiner (ts), Kathrina von Wartburg (kvw), Simone Wahli (sw), Sonja Wenger (sjw) Cartoon: Bruno Fauser, Bern; Telefon 031 312 64 76 Kulturagenda: kulturagenda.ch; ensuite - kulturmagazin, Bewegungsmelder AG, allevents, Biel; Abteilung für Kulturelles Biel, Abteilung für Kulturelles Thun, interwerk gmbh. Korrektorat: Monique Meyer (mm) Abonnemente: 58 Franken für ein Jahr / 11 Ausgaben. Abodienst: 031 318 60 50 ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich. Auflage: 10‘000 Anzeigenverkauf: anzeigen@ensuite.ch Layout: interwerk gmbh: Lukas Vogelsang Produktion & Druckvorstufe: interwerk gmbh, Bern Druck: Fischer AG für Data und Print Vertrieb: Gratisauflage an 350 Orten im Kanton Bern; passive attack, Telefon 031 398 38 66 Web: interwerk gmbh Hinweise für redaktionelle Themen (nicht Agendaeinträge!) erwünscht bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation entscheidet die Redaktion. Bildmaterial digital oder im Original beilegen. Agendahinweise bis spätestens am 18. des Vormonates. Redaktionsschluss der Ausgabe ist jeweils am 18. des Vormonates. (siehe auch www.ensuite.ch - menü: veranstalter) Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch, wirtschaftlich und ethisch unabhängig und selbständig. Die Texte repräsentieren die Meinungen der Autoren/innen, nicht jene der Redaktion. Copyrights für alle Informationen und Bilder liegen beim Verein WE ARE in Bern und der edition ■ ensuite. Redaktionsadresse: ensuite – kulturmagazin Sandrainstrasse 3 3007 Bern Telefon 031 318 6050 mail: redaktion@ensuite.ch www.ensuite.ch ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 Bild Titelseite und links: Paul Senn Fotoreporter Ausstellung im Kunstmuseum Bern Paul Senn, Strandleben, Coney Island, New York, 1946. FFV/KMB, Dep. GKS. © GKS. INHALT ensuite im August KULTUR & GESELLSCHAFT ■ Ein dringender Appell an die Evolution: Wir brauchen Schwimmhäute und Kiemen! So viel Wasser wie in diesem Sommer hält ja kein Mensch aus. Und wenn unsere StadtpolitikerInnen alles dransetzen, die BernerInnen mit Wellen und Stadtbächen aufzuheitern, ich glaube, sie setzen momentan einfach auf das falsche Pferd (oder besser Fisch). Dafür erhält der Bahnhofs-Baldachin in diesem Sommer seine fehlende Begründung geschenkt, wie ein Lottogewinn - nur ist anzunehmen, dass wir, wenn der Bau mal fertig gestellt ist, eine Hitzeperiode haben und wir uns unter dem Dach wie in einem Mikrowellenofen fühlen werden… So ist das Leben. Man wünscht sich was und man erhält es oder eben nicht – was soll’s. Aber Wünsche sind nötig. Sie kreieren neue Visionen und bringen Hoffnung ins Leben. Da stimmt es mich nachdenklich, wenn ich sehe, wie heute unsere Wünsche und Visionen von den Marketingfirmen kreiert und manipuliert werden. Wir werden getrimmt in Strom, Handy-Hülsen und iDings. Unsere Visionen gleichen unterdessen dem Notizbuch eines Lifestyle-Magazin-Redaktors und wir klonen uns täglich aufs Neue, erfinden uns kopierend neu – und vergessen dabei unsere eigene kleine, persönliche Geschichte. Doch dafür haben wir eine Häppi-Gesellschaft mit den Häppi-Festivals und alle sind so lustig und so party. Sie kippen zwar literweise Alkohol und schmeissen jegliche Chemie hinten nach – damit alles lustig bleibt. Denn ohne geht’s nicht. Man suggeriert uns Häppi-Live intravenös. Für die OrganisatorInnen und die Strom-Handy-iDings-Firmen ist das sicher lustig. Und die Masse verliert oder gewinnt eine neue Vision – je nachdem wie wir es betrachten – Hauptsache sie liefert Geld. Deswegen ist uns zu wünschen, dass wir noch weitere Baldachine, Stadtbäche und konfusmoderne Zentren erfinden. Die fördern wenigstens eine wahrhafte Kommunikation und damit wirkliche Visionen. Und damit wären dann auch diese blöden Baustellen in Bern einigermassen erträglich… Lukas Vogelsang Chefredaktor in anderem strassenzustand 4 | mode in afrika 6 | natürlich greift der stier die 32 LITERATUR richard ford, jonathan lethem, sjon 12 | filosofenecke 13 BÜHNE der bunte traum einer heissen sommernacht 9 | hundstage mit klee 10 | «unter künstlern gelten andere regeln als im büro» 11 | ausblick bühne 11 KINO / FILM 60 jahre filmfestival locarno 19 | la vraie vie est ailleurs 19 | ensemble, c‘est tout 20 | transformers 20 | el camino de san diego 21 | das andere kino 22 | der subversive blockbuster 25 MUSIK im klub 13 | donau abwärts - murten classics 14 | der beat-man-way 17 | konzert-rückblick 17 | ECM listening post 18 | cd-tipps 18 LIFESTYLE insomnia 26 | stadt und land: mit neuster tunneltechnik in die vorstellungswelt der «üsserschwiizer» gerückt: das wallis 30 | reiseziel hotel: mord und totschlag zwischen rindsfilet und crème caramel 31 DIVERSES tratschundlaber 21 | leserbriefe / forum 26 | von menschen und medien / fauser cartoon 27 | stadtläufer 28 | sommerversuch I & II 28 KULTUR-PUBLIREPORTAGE sommerakademie 2007 im zentrum paul klee 65 STADT THUN wie im film! copy paste im kuckucksnest 79 KULTURAGENDA kulturagenda bern 49 | biel 73 | thun 76 Kunstbeilage: artensuite ab Seite 33 3 fokus KULTUR & GESELLSCHAFT in anderem strassenzustand Von Jean-Luc Froidevaux - das 4. Buskers Bern ■ Ein charmantes Understatement, die Bezeichnung «Strassenmusik-Festival»; darunter stellt man sich alles andere vor, als drei Nächte lang äusserst abwechslungsreiche Musik, Theater und Artistik aus aller Welt. Die Organisatorinnen, Lisette und Christine Wyss, erfüllen einmal mehr den selbsterhobenen Anspruch, Acts auf die Strasse zu holen, über die man kaum je mit Einkaufstüten in der Hand auf dem Heimweg stolpert. Wenn die deutschen Gyp-Hopper «Ohrbooten» neben einer indischen Hochzeitskapelle und einer BalkanBrass-Brand spielen, auf die Appenzeller Streichmusik eine Puppen-Punk-Show folgt und danach der Ein-Mann-Loop-Jam, dann sinkt die Hemmschwelle vor Unbekanntem auf Randsteinhöhe, manch Innenhof wird zum Experimentierfeld. Wir umkreisen die Artisten bis die Anziehungskraft nachlässt und steuern dann unsere Bahn weiter hinein in den Kosmos der Kleinkunst. Der direkte Kontakt mit dem Publikum ist ein Härtetest. «Uf dr Strass chasch nid bschiisse!», damit meint Christine Wyss die fehlenden Möglichkeiten optischer und akustischer Kosmetik mittels Scheinwerfern und Abmischung. Zwar stellt sie eine technische Aufrüstung auch unter Buskern fest, das ausgeklügelte Rotationsprinzip der dreissig Standorte setzt aber das Mitschleppen und schnelle Aufbauen des Equipments voraus. Gefällt es den Zuschauern nicht, oder entsteht keine Interaktion, zeigen sie dies ebenso schnell unmittel4 Bild: zVg. bar und direkt. Wer läuft hingegen schon aus dem Auditorium Stravinski raus, wenn er über hundert Franken Eintritt bezahlt hat? - ausserdem würde die Künstlerin, geblendet vom Scheinwerferlicht, weit weg auf der Bühne, diesen Ausdruck der Missachtung kaum gebührend wahrnehmen. Street-Credibility Das Buskers kennt weder abgehobene Bühnen noch abgetrennte Zuschauerbereiche oder gar VIP-Lounges und ist daher auch für Sponsoren wenig interessant (eine spezielle Fernsehübertragung wird es dieses Jahr geben, Jugendliche können sich als BuskerTVMacher anmelden unter www.achsensprung.ch). Umso mehr sind die Organisatorinnen darauf angewiesen, dass die Zuschauer neben dem Hutgeld für die Artisten den minimalen Beitrag von zehn Franken für die drei Tage mit dem Kauf eines Bändelis abgelten. Dieses berechtigt zusätzlich zu einem vergünstigten Eintritt ins Buskerhaus, wo die Party (dieses Jahr erstmals mit zwei Freinächten) weitergeht, wenn Law-and-Order-PolitikerNachbarn ihre Nachtruhe einfordern. Woher wohl das für Bern einzigartige Phänomen stammt, dass Leute mitten in die Stadt ziehen, aber lieber nicht unter Menschen wären? Ganz so museal ist die zum mit Strassenmusik bespielen äussert geeignete UNESCO-Welterbe-Kulisse doch auch wieder nicht - nicht zu verwechseln mit dem «AMEXCO Gelderbe»-Gebiet oberhalb Zytglogge mit den standardisierten Mode- und Fastfoodketten, das ei- nige Leute auch noch zu Bern zählen, kulturell und vom sozialen Leben her mehrheitlich aber einem globalen potemkinschen Dorf gleicht. Gassenhauer und Strassenfeger Das Buskers konnte sich in den vier Jahren von einer vagen Idee zu einer festen Grösse entwickeln und wird von Bern Tourismus als Top Event beworben, zusammen mit dem Jazz-Festival und dem Grand-Prix wobei die Teilnehmer an Letzterem nicht bloss wesentlich weniger gut riechen, sondern auch nicht annähernd so gut tönen und nur die Kollapse, nicht die Kollekten freiwillig sind. Die anfängliche Skepsis der Behörden gegenüber Strassenkünstlern teilt jeder Berner: In meiner Jugend waren mir die Gaukler, Musiker und Feuerspeier Inbegriff einer urbanen Kultur, die ich von Interrail-Ferien kannte, da sich selten einer ins rurale Bern verirrte (ausser die heimischen Zampanoos natürlich), aber sogar auf den hundeverkotetsten Boulevards von Paris spielten - lag es an der irrigen Vorstellung, sie würden hier mit in der Hutkollekte nur mühsam unterzubringenden Goldbarren überschüttet, oder an der Angst vor den von den Wappentieren schwer zu unterscheidenden, brummenden, aber äusserst exzessiv grüssenden Eingeborenen? Später besuchten uns manchmal sogar richtige Musiker, wenn auch nicht gerade Bob Dylan oder Beck, die, wie viele andere, ihre Karriere auf der Strasse begannen. Aber ich erinnere mich an einen Schlagzeuger, der mit seiner virtuosen Trakensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 fokus die vorpremiere tierung eines einzelnen Snares meine Kultivierung an ebendiesem Instrument initiierte, und da gab es noch den Geigenwunderknaben, der von der Strasse entdeckt wurde. Darauf folgte die dunkle, aber lange Epoche wolldeckenbehangener Hochlandperuaner mit Bambusflöten, und heute erschüttert vielleicht mal ein kräftiger, russischer Bariton die Schaufensterscheiben. Ansonsten bremsen bloss noch dekorativ mit Akkordeon ausgetattete osteuropäische Bettler unsere Laufgeschwindigkeit unter den Lauben auf weltweit tiefstes Niveau herunter...da jetzt nachgewiesen wurde, dass wir auch mit dem Mundwerk in Sachen Geschwindigkeit nicht zur Weltspitze zählen, kriegen wir übrigens jetzt am Buskers Unterstützung von der stärksten Zunge, dem Weltmeister im Zungengewichtheben (dessen Schlange allerdings Visa-Probleme hatte, wie die angekündigten Sufi-Musiker aus Pakistan). Aber das ist bloss eine der vielen Skurrilitäten, die dieses Jahr noch um den Bizaar, der Plattform für Kunstschaffende, erweitert werden. 4. Buskers Bern Strassenmusik-Festival Do, 9. - Sa, 11. August 2007, 18:00–24:00 h, Altstadt Bern 30 Gruppen (Musik, Artistik, Comedy, Theater, Spektakel, Puppenshow) spielen auf rund 30 Plätzen nach Programm, total rund 250 Shows. Dieses Jahr neu mit Bizaar, dem kreativen Markt, BuskersTV, einer zweiten Jugendbühne, einem erweiterten Kinder- und Familienprogramm und zwei Freinächten im Buskershaus. Datum Zeit Ort Infos Donnerstag, 16. August 20:30 h CinéSplendid 2, Bern www.xenixfilm.ch oder www.lavraievie.lefilm.ch Gratis-Tickets www.ensuite.ch (Link folgen) oder Tel: 031 318 6050 Infos und Programm unter www.buskersbern.ch Vorverkauf im Tourist Center Bahnhof und Bärengraben, Bern Billet, Kulturbüro, Jugendamt und OLMO. ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 ■ Dieser Film erzählt eine Geschichte in drei Reisen. Jede dieser Reisen – nach Marseille, Neapel und Berlin bzw. Dortmund – hat Frédéric Choffat mit einem minimalen Team gedreht: Zwei Schauspieler, eine Kamerafrau, ein Toningenieur und eine Assistentin. Jede Teilgeschichte wurde chronologisch in einer Woche gedreht. Die Drehvorlage bestand lediglich aus einer detaillierten Beschreibung der Struktur des Films. Die einzelnen Szenen wie auch die Dialoge entwickelten sich jedoch erst während der Reise selber. Mehr auf Seite 19 in diesem Heft! ensuite 5 fokus KULTUR & GESELLSCHAFT mode in afrika Von Sonja Hugentobler Foto: Sonja Hugentobler ■ Im Rahmen des «Festival de la Mode Africaine» zeigt eine Ausstellung in den Räumen der Firma Zürcher und Stalder AG in Lyssach-Schachen BE, was die Mode über Afrikas Kultur erzählt. Der afrikanische Kostümfundus der deutschen Ethnologin Ilsemargret Luttmann öffnet dem Besucher ein Fenster zum sonnigen Afrika und gibt eine Vorahnung auf das sinnliche Erlebnis, das der Besuch eines afrikanischen Marktes unserem Auge bescheren kann. Bunte Stoffe in fröhlichen Farben wie wir sie aus Afrikareportagen oder dem eigenen Urlaub kennen, sprechen vom sonnigen Gemüt der Bewohner des schwarzen Kontinents und stehen ganz im Gegensatz zu den negativen und traurigen Nachrichten, die uns von dort meist erreichen. Die dreissig Damen- und fünf Männergewänder geben einen Überblick über die westafrikanische Mode der letzten dreissig Jahre, während derer sich als postkoloniales Produkt ein richtiger Modeboom entwickelt hat. Die Kleider zeigen, dass afrikanische Mode mühelos westliche Impulse aufsaugt, gleichzeitig aber der Tradition verbunden bleibt. Das Kleidungsstück hat eine Bedeutung für die Identität und die Kultur eines Menschen, während es im Westen zu einem reinen Konsumartikel geworden ist, der ersetzt wird, sobald der nächste Modetrend kommt. Da die Demokratisierung der Mode in unserem Sinn noch nicht stattgefunden hat, gibt Bekleidung Aufschluss über soziale Hierarchien, Zivil- oder Besitzstand. Anders als in der westlichen Welt, wo eine mittellose Studentin in der Kopie eines Gucci-Kleides von Zara für 60 Franken vornehmer aussehen kann als die arrivierte Dame im Original für mehrere tausend Franken, lässt Bekleidung in Afrika genuin Rückschlüsse auf den sozialen Status zu. Man trägt, was einem zusteht und greift nicht zu Mimikry und irreführenden Signalen. Trotzdem widerspiegelt die Mode kulturelle Phänomene. Statt wie bei uns die Statusangst, bringen AfrikanerInnen ihre Wunschträume zum Ausdruck. So wechseln die Moden von Druckdessins mit den soziokulturellen Werten, die sich heute auf technologische Errungenschaften wie Handys, Generatoren oder Ventilatoren konzentrieren. Für weniger Privilegierte sind sogar Petrollampen noch Objekte der Begierde. Da die Vermittlung von Mode nicht durch Werbung und Markennamen erfolgt, ist deren Inszenierung durch den eigenen Körper ein «Akt der Selbstvergewisserung und der Identitätskonstruktion, die in spannungsvollem Verhältnis zu der politischen Ohnmacht im öffentlichen Raum und zur wirtschaftlichen Misere steht», wie Dr. Luttmann in ihrem Aussstellungsprospekt ausführt. Traditionellerweise wird der Stoff für ein afrikanisches Gewand auf dem Markt gekauft und beim Schneider angefertigt. So entstehen handgefertig6 te Einzelstücke. Fremde Einflüsse werden integriert und zu afrikanischen Modellen umgearbeitet. Die afrikanische Antwort auf den westlichen BusinessAnzug zum Beispiel nennt sich abacost (Wortschöpfung aus à bas le costume, nieder mit dem Anzug), eine Art Hemdjacke zur Hose. Ebenso ist das afrikanische Damenkostüm taille-basse mit Wickelrock und genähter Bluse im viktorianischen Stil, mit ausgestelltem Schösschen zur Betonung der Hüften, eine Mischung aus traditionellen und westlichen Elementen. Wenn die Frau verheiratet ist, trägt sie das Kostüm als Dreiteiler, mit einem zusätzlich um die Hüften geschlungenen Tuch, meist ein BatikDruck. Die berühmten Batikstoffe, die unser Afrikabild so nachhaltig prägen, haben ihren Ursprung jedoch nicht in Afrika, sondern in Indonesien. Im 19. Jahrhundert haben Indonesiens holländische Kolonialherren damit begonnen, Kopien der balinesichen und javanischen Woodblock(Holzstempel)-Drucke in Holland industriell herzustellen. Die holländischen Drucke der Firma Vlisco aus Helmond kamen jedoch bei der indonesischen Bevölkerung nicht an. Durch westafrikanische Soldaten, die auf der Insel stationiert waren, um Aufstände in der Kolonie zu kontrollieren, brachten sie die Ware nach Ghana, Togo, in die Elfenbeinküste und Nigeria, wo sie reissenden Absatz fand und wo Vlisco heute noch eine Monopolstellung geniesst. Den «wax hollandais» können sich jedoch nur die reichen Afrikaner, vor allem Städter leisten. Es existieren heute sogennanten «fancies», billige Imitationen, die in afrikanischen Fabriken mit hohem ausländischem Kapitalanteil produziert werden, so dass der Profit auch hier leider nicht in afrikanische Taschen fliesst, wenn es nicht sogar chinesische und indische Billigprodukte sind, die mittlerweile die afrikanischen konkurrenzieren. Westliche Designer inspirieren sich von afrikanischer Kultur Kaum eine europäische Kunstsparte hat sich noch nicht von Afrika inspirieren lassen. Neben der bildenden Kunst und der Musik gilt das auch für die Modewelt. Wir sind angetan von der grafischen Sprache Afrikas, der Farbpalette der Savanne und den Motiven der afrikanischen Fauna und Flora. Ganz selbstverständlich umgeben wir uns mit Accessoires aus Holzkugeln, Basttaschen, Glasperlen, Sisalgürteln, und wir tragen mit regelmässig wiederkommenden Modetrends Stoffe, die von afrikanischen Mustern inspiriert sind. Ein afrikanischer Designer macht europäische Mode Der in Paris ansässige, malinesische Designer Lamine Kouyaté, ist seit Jahren international erfolgreich mit seinem Label Xuly Bët, das er in Paris präsentiert. Von der französischen Modemarke Naf Naf wurde Koujaté für deren nächste Winterkollektion verpflichtet. Kouyaté möchte nicht mit afrikanischer Ethno-Mode in Verbindung gebracht werden und produziert einen farbenfrohen StreetStyle im Grunge-Look, mit nach aussen gekehrten Nähten. Ein Look, der an jenes Recycling erinnert, wie er es jahrelang in seinem Heimatland erlebt hat, wenn sich Camionladungen von europäischen Altkleidern über die Marktstände ergossen, wo lokale Schneider die besten Stücke auswählten und sie auf afrikanische Bedürfnisse umfunktionierten. Recycling Einen Orden für echtes Recycling verdienen die Handwerkskünstler von Madagaskar. Dort ist Recycling kein Marketing-Gag, sondern eine aus der Not entstandene Tugend. Aus Mangel an Ressourcen greifen die Madegassen auf industrielles Verpackungsmaterial zurück und produzieren mit Fingerfertigkeit und Fantasie die unglaublichsten Accessoires wie Auto-Miniaturen und Aktenkoffer aus Milchpulverbüchsen, Hutschachteln und Überseekoffern aus Metall-Benzinkanistern oder Handtaschen aus Orangensaft-Tetrapak. Öffnungszeiten Mo-Sa 14:00–17:00 h oder für Schulklassen nach Voranmeldung 034 448 42 42 jeden Mittwoch 19:00 h Filmvorführung Mi 8.8. Vortrag Dr. Bernhard Gardi , Leiter Wissensch. Abtl. Afrika, Museum der Kulturen, Basel So 2.9., 14:00-17:00 h Führung, Finissage und Verkauf von Stoffen, Postkarten, Büchern etc. Wo man afrikanische Mode findet ■ In jeder grösseren Schweizer Stadt finden sich Afrika-Shops, die unter anderem Stoffe, Kleider und Schmuck verkaufen. Wir stellen vier vor: Bei La Perla findet die anspruchsvolle Schmuckliebhaberin authentisches afrikanisches Kunsthandwerk, vom Besitzer Robert Bruderer direkt aus Ostafrika importiert. www.ethnoschmuck.ch La Perla, Metzgergasse 12, 9000 St. Gallen Lea Kray verkauft in ihrer Boutique Joy Jewel Damenmode aus afrikanischen Stoffen in modischen, westlichen Schnitten, die sie in ghanesischen Schneiderateliers in Kleinserien anfertigen lässt. www.joyjewels.com Joy Jewel, St. Peterhofstadt 3, 8002 Zürich Boutique Mambo ist ein afrikanischer Kuriositätenladen, wo die Kongolesin Baheta Ba Sita nebst Nahrungsmitteln und touristischen Artikel auch Kleider und Metragen in authentischen Bogolanstoffen anbietet. Boutique Mambo, Chemin du Bourg 20, 2502 Biel Afro Shop Basel ist ein afrikanischer Kuriositätenladen. Man findet von Haar- und Kosmetikprodukten über CD bis zu Nahraungsmitteln alles, was das Herz begehrt. www.afro-shop.ch Afro Shop Basel, Gasstrasse 14, 4056 Basel ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 7 1 von 311 Haltestellen: Bahnhof. veranstaltungen BÜHNE der bunte traum einer heissen sommernacht Von Magdalena Nadolska – Shakespeares «Sommernachtstraum» auf Berndeutsch im Park des Burgerheims Bern ■ Diese Augen. Diese riesigen gelb-orangen Augen. Seit Juni starren sie mich an, von Plakatsäulen, an Bahnhöfen, im Bus, im Tram. Verfolgungswahn. Ich liess mich von den Uhuaugen hypnotisieren und musste den Sommernachtstraum sehen! Auf dem Theatergelände um das Burgerheim ist der Uhu wieder da und schaut die Theaterfreunde von Wegweisern, Speisekarten und Infotafeln an. Er sorgt für Ordnung und leitet das Publikum an den richtigen Ort. Doch die gute Organisation des Anlasses ist nicht lediglich auf den Uhu zurückzuführen. Die MitarbeiterInnen haben orange Staff-TShirts an und sind mit Walkie-Talkies ausgerüstet – das Gelände ist nun mal gross und die Kommunikation wird mit den technischen Hilfsmitteln gewährleistet. Mitten unter den Theaterbesuchern fällt ein Dreiergrüppchen auf. «Wie steht es mit dem Wetter? Werden wir abbrechen müssen?», fragt der Regisseur Rolf Schoch. Die Antwort bekommt er von der Heimleiterin des Burgerheims Marianne Reinhard und vom OK-Präsidenten Peter Küpfer. «Es wird eventuell gewittern.», «Für das Emmental gab es eine Hagelwarnung». «Wir bleiben in Kontakt», sagt der Regisseur und macht seinen letzten Kontrollgang, damit das Stück pünktlich beginnen kann. Bevor die ZuschauerInnen in den Rängen Platz nehmen, können sie das bereitstehende Mückenspray anwenden und sich eine Wolldecke gegen die Abendkälte mitnehmen. So werden die Tücken eines Freilichttheaters überspielt und das Publikum darf mit Spannung die Tribüne erobern. Doch bevor man sich auf seinen Stuhl setzt, gibt es ein Präsent: ein Zuckerbeutelchen zum 40. Jubiläum des Burgerheims – mit was wohl, ja natürlich ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 mit den Uhuaugen drauf! In das saftige Grün des Waldstücks und rund um einen Teich wurde das abstrakte Bühnenbild platziert. Der Bühnenbildner Dany Rhyner hat die weissen geometrischen Elemente als Kontrapunkt zu der üppigen Natur des Burgerheim Parks gewählt. Zwischen den Bäumen sind riesige Kugeln und ein Würfel aufgestellt. Dazu kommt ein Stangenwald und kleinere Sitzwürfel. Das Bild soll von den Figuren, von den Kostümen und vom Licht belebt werden. Die SchauspielerInnen bringen bereits in der ersten Szene viel Farbe auf die Bühne. «Von Anfang an sah ich die Figuren in einer ganz klaren Farbzuteilung, gegeben durch ihre Symbolik. Auch um den Zuschauenden das Wirrwarr der Gefühle, das temporeiche Hin und Her, das sich Verwirren und wieder Entwirren als buntes und trotzdem klares Bild zu präsentieren», so Eveline Rinaldi, die Kostümbildnerin. Recht hat sie, die Kostüme helfen. Die parallelen Handlungen in Shakespeares Stück werden dank ihnen geordnet und leicht zum Nachvollziehen dargeboten. Da sind zum einen die Athener BürgerInnen, mit dem Königspaar und den beiden Liebespaaren, die durcheinandergeraten. Dann wird man in die zauberhafte Feen- und Koboldwelt um das Herrscherpaar Oberon und Titania entführt. Ein schöner Regieeinfall ist dabei die Teilung des Waldgeistes Puck in eine weibliche und eine männliche Figur. Als dritten Handlungsstrang wird das humoristische Spiel im Spiel einer Handwerkertruppe verfolgt. Obwohl sie manchmal in Pathos ausufern, vermögen die Darstellenden in den tragenden Rollen das Publikum zu überzeugen. Sehr positiv fallen die Bild: zVg. beiden roten Pucks auf. Der männliche Puck, der an Mephisto erinnert und die weibliche Puck, die eher eine Bezaubernde Jinnie verkörpert, sind ständig in Bewegung, schwirren leicht über die Bühne und zeigen eine für Laien herausragende Bühnenpräsenz. Doch auch die Statisterie ist stets konzentriert und hält souverän den Blicken der Zuschauermenge Stand. Die kleinen Kinder als grüne Kobolde und gelbe Elfen sorgen für einen ausgiebigen Jöö-Effekt, doch die eindeutigen Publikumslieblinge sind die grauen Handwerker. Das Theater im Theater unterhält. Vor allem der als Thisbe verkleidete Flaut und Zettel, der mal als Esel mal als Pyramus agiert, bekommen Szenenapplaus und viele Lacher geschenkt. Wie dankbar das Stück für Laien ist, sieht man vor allem bei den Handwerkszenen. Das rund 50-köpfige Ensemble hat es geschafft einen Sommernachtstraum ohne unnötige Längen und mit fliessenden Übergängen auf die Bühne zu bringen. Gewöhnungsbedürftig war die berndeutsche Textfassung von Laurenz Suter. Shakespeares Sprache übersetzt in Worte wie «Meitschi», «Giele», «Müntschi» oder «i dräie düre» sorgt für den Lokalkolorit, den das Publikum jedoch offenbar zu schätzen weiss. Am meisten wird man aber von der Stimmung im Burgerheim verzaubert. Der Abend wird von Vogelgezwitscher begleitet, plötzlich taucht ein Fisch im Teich auf, sogar eine Fledermaus schwirrt herum. Die Natur spielt mit. In sie hinein passen Schochs Regieeinfälle wie riesige Seifenblasen als Begleiterinnen der Elfen. Unterdessen ist es dunkel geworden. Die Mitternachtsglocke im Stück erinnert an die Geisterstunde. Die BürgerInnen Athens kehren nach Hause und 9 veranstaltungen überlassen die Bühne den Waldgestalten. Erst da, in der Dunkelheit kommt das Bühnenlicht zur vollen Geltung und die rosa-grüne Traumwelt legt ihren letzten Zauber über das Publikum. Schade, dass mein Freund der Uhu nicht zur Vorstellung erschienen ist. Die Aufführungen finden bis 11. August im Park des Burgerheims Bern statt. Infos: info@einsommernachtstraum.ch www.einsommernachtstraum.ch www.burgerheim-bern.ch WIE KAM ES ZU DIESER INSZENIERUNG? BÜHNE ■ Das Burgerheim hatte vor vierzig Jahren die «revolutionäre Idee, dass man Wohnungen für autonomes Leben im Alter anbot, in welchen auch Pflegeleistungen möglich sind – eine Idee, welche damals europaweit einzigartig war!», erzählt der OK-Präsident Peter Küpfer im Programmheft. Die Direktion des Burgerheims hat beschlossen das Jubiläum mit einem Freilichttheater zu feiern. Das gibt den BewohnerInnen des Burgerheims die Möglichkeit an einem kulturellen Anlass teilzunehmen und bietet die Gelegenheit, Gäste aus der Stadt ins Burgerheim einzuladen. Kurzerhand wurde der Verein «Freilichttheater Burgerheim 2007» gegründet und ein Organisationskomitee mit der Durchführung des Theaters im Park beauftragt. Für das Leitungsteam der Inszenierung wurden Profis engagiert, der Rest des Ensembles, bis auf einen Profi-Schauspieler, bilden Laien. Am 10. Dezember 2006 fand das erste Treffen mit SchauspielerInnen und dem Regisseur statt. Nach Leseproben im Dezember hat das Ensemble dann im Januar «richtig» zu proben begonnen. Alles in allem wurde die Inszenierung in etwa 63 Proben erarbeitet. Der Anlass könnte ohne die freiwilligen HelferInnen niemals in diesem Rahmen stattfinden. Jeden Abend sind neben dem Ensemble über 30 Leute anwesend, die ohne Lohn ihre Arbeit im Dienste des Theaters verrichten. Die Veranstalter griffen auf die hausinterne Gastronomiemannschaft zurück und bieten dem Publikum nicht nur Theater-, sondern auch Verpflegungskunst. Ob Firmenanlass mit Kombination des Theaters mit einem Apéro, einem individuellen Nachtessen im Sinne eines Shakespearschen Gaumentraumes oder eines Cüplis an der TräumliBar, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Bei jedem Wetter gibt es einen Saal oder eine Wiese, die zum Restaurant umfunktioniert werden können. So zum Beispiel das Hochhausdach des Burgerheims, von wo man über das Theatergelände und die Stadt eine wunderbare Aussicht hat. Beratung und Reservation für Gastronomie: Telefon 031 307 66 80. 10 hundstage mit klee Von Michael Imoberdorf - Sonderausstellung «Überall Theater» mit Begleitprogramm im ZPK ■ Es ist Sommer und heiss. Ich will ins Marzili. Drückender als die Grosswetterlage ist aber der Redaktionsschluss. Statt passivem Aare-Abwärtstreiben steige ich die Nydegg-Treppe hoch. Oben angekommen klebt das T-Shirt an Rücken und Bauch. Der Zwölfi-Bus kommt nicht. «Sch... Bahnhofsumbau», brummt ein älterer Herr. Ich nicke. Dann kommt z’Zwölfi: aussen rot und innen heiss. «Zentrum Paul Klee». Ich steige aus und melde mich an der Rezeption. Zusammen mit dem Kurator Dr. Michael Baumgartner betrete ich den Ausstellungsraum. Mehrere Menschen lachen irgendwo im hinteren Ausstellungsbereich. «Die sind beim Chaplin.» Aha. Lachen aus einer ganz anderen Richtung. Ich bin irritiert. Ich glaubte, fröhliche Menschen seien an Hundstagen nur in Freibädern anzutreffen. Nach einer kurzen Einführung verabschiedet sich Dr. Baumgartner. Ich stehe verloren zwischen den Bildern, Videos usw. Wo soll man bloss anfangen? Auf gut Glück stelle ich mich vor einen Bildschirm. «Kasperletheater aus dem Jahr 1984.» Ich ziehe die Ohrhörer über und nehme mir vor, mich möglichst bald zu verdünnisieren (bevorzugt Richtung Marzili). Ich bin halt kein Museumsmensch, rede ich mir ein. Der Kasper legt los. Er ist grotesk-komisch, einfach zum Totlachen. Eine ältere Frau steht mit mir vor der Kiste. Wir können uns beide kaum halten vor Lachen. Urkomisch. Sowohl die Situation (im Kleezentrum mit einer älteren Dame vor einem Fernsehen sich einen ablachen) wie der Kasper (gefrässiges Krokodil frisst Kaspers Freund Fritz und einen Schirm). Und dann erlebe ich so etwas wie meine erste Museums-Katharsis. Wie ein Bienchen, dass auf einer Wiese von Blümchen zu Blümchen fliegt, springe ich von zeitgenössischer Videokunst zu Chaplin, von Chaplin zu Klees Handpuppen und von da zu dessen Bildern und wieder zurück. Begleitprogramm Die Programmverantwortliche für Theater, Ursula Frauchiger, hat das weit gefasste Themenfeld der Ausstellung («Überall Theater») für das Begleitprogramm eingegrenzt. Im Fokus des Begleitprogramms steht die Animation von Figuren, oder sakral ausgedrückt, der «magische Akt der Beseelung toter Materie». Das klingt ein bisschen wie Hokuspokus. Das Prinzip ist aber ziemlich alltäglich. Gegenstände werden im Alltag ständig sinnentleert und mit einer neuen Funktion versehen. Beispielsweise dieses ensuite-Heft. Im Moment ist es ein Magazin. Es kann zusammengerollt auch als Fliegenklappe genutzt werden. Oder man kann sich Notizen auf den Umschlag schreiben und es so als Notizheft brauchen. Dieses Phänomen ist ein wichtiges Prinzip des (klassischen) Theaters. Schauspieler Hans Muster ist auf der Bühne nicht Hans Muster. Während der Vorstellung ist seine Identität als Privatperson ausgelöscht. Er nimmt eine neue Identität, etwa jene von Hamlet, an. Im Fokus des Rahmenprogramms zu «Überall Theater» stehen aber nicht Schauspieler, sondern Gegenstände. Auch Kartoffeln, Puppen usw. können die Theaterfiguren verkörpern. Als Theaterzuschauer kennt man normalerweise lediglich die Aufführung, d. h. das fertige Produkt. Die Produktion selbst bleibt einem meist vorenthalten. Man sieht zwar das Sosein von Bühnenfiguren, aber nicht, wie sie geworden sind. Das Rahmenprogramm bietet Zuschauern die Möglichkeit, mitzuverfolgen wie Bühnenfiguren entstehen. Siehe Ausstellungskritik S. 35 im artensuite. Weitere Infos: www.zpk.org. Bild: Puppentheater mit zwei Kasperlefiguren: Der Teufel und Der Kasperl, 1916 (die Figuren wurden zusammen mit Rahmen und Dekoration 1945 bei einem Fliegerangriff zerstört), um 1924, Fotograf: Felix KleeZentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 veranstaltungen AUSBLICK BÜHNE ■ Wir stellen hier zwei Produktionen aus dem Begleitprogramm zur Sonderausstellung «Überall Theater» des Zentrums Paul Klee vor. Improvisationen sind vergleichbar mit öffentlichen Proben und bieten einen spannenden Einblicke in die Entstehungsgeschichte von Theaterproduktionen. Aus den Improvisationen heraus werden Stücke entwickelt, die später in ganzer Länge gezeigt werden. BÜHNE «unter künstlern gelten andere regeln als im büro» Theater Handgemenge und KASOKA, Berlin Maler Kasper Figurenstück mit nachgebauten Handpuppen von Paul Klee Von Claudia Badertscher - Interview mit Franziska Buser, Organisatorin des Festivals «Begegnung im Wartsaal 3» Bild: Claudia Badertscher ■ Hauptamtlich arbeitet Franziska Buser als Produktmanagerin einer grossen Schweizer Firma. Diesen Mai hat sie sich in die Terra incognita des Kulturmanagments schweizerischer Kleinkunst vorgewagt und in Eigenregie das Kulturfestival «Begegnung im Wartsaal 3» auf die Beine gestellt. Auf diverse Beine: Im Wartsaal am Helvetiaplatz begegnen sich vom 20. bis zum 25. August die Tänzerinnen Franziska Buser und Regula Zoll, der junge Zürcher Literat Matthias Amann, der Berner Singer und Songwriter Matt, die tanzende Querflötistin Isabel Lerchmüller und der Fotograf Martin Bichsel, der die Ausstellung «Bous al Mar» über das berühmte Stierfest im gleichnamigen spanischen Ort zeigt. Unterscheidet sich die Arbeit in der Bürowelt von derjenigen mit Künstlern? Die Mechanismen von Kultur- und Produktmanagment ähneln sich im Grunde stark, doch unter Künstlern gelten andere Regeln als im Büro. Beispielsweise sind die Leute schlechter erreichbar, und man trifft sich auch mal um elf Uhr abends, was im Büroalltag unvorstellbar ist. Tanz, Literatur, Fotografie und Musik unter einem Dach - ist das nicht zu viel des Guten? Ich hegte schon lange den Wunsch, ein Festival zu organisieren, bei dem sich verschiedene Formen der Kunst begegnen. Diese Begegnung soll Verbindungen zwischen den Künsten entdecken, aber auch Spannung erzeugen. Zudem kann so ein breiteres Publikum angesprochen werden. Für den Besucher hat dieses Konzept den Vorteil, dass er sich nicht entscheiden muss, ob er eine Ausstellung anschauen oder doch eher ein Konzert anhören will. Der Wartsaal erscheint gar klein für solch ein Projekt. Als ich den Wartsaal zum ersten Mal sah, dachte ich sofort: Hier könnte ich meine Idee eines Begegnungsfestivals umsetzen. Trotzdem zweifelte ich plötzlich, ob der Raum nicht doch zu ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 klein ist. Ich bin dann immer wieder vorbeispaziert und habe «ineglüsslet» und mich immer mehr in den Wartsaal verliebt. Wie viele Menschen unterschiedlichster Art sind sich hier schon begegnet? Unzählige flüchtige und sicherlich auch intensive Begegnungen haben diesen Ort geprägt. Daher verkörpert der Wartsaal das Begegnungskonzept des Festivals ideal. Zudem sehe ich die beschränkte Grösse nun eher als Vorteil: Auf engem Raum begegnet das Publikum den Künstlern unmittelbarer. Und wie «begegnen» sich die einzelnen Künste? Die Künstler begegnen sich einerseits örtlich: Die Wartsaalbank wird dabei vermittelnd wirken. Andererseits vereinen sich auch verschiedene Künste: Isabel Lerchmüller spielt in der «Chorea für eine tanzende Flötistin» von Christian Henking Querflöte, während sie tanzt; Regula Zoll und ich tanzen zu Texten von Matthias Amann. Tanzen zu Text? Genau. Text hat einen eigenen Rhythmus, einen Takt wie Musik. Wirst Du dem Berner Publikum zukünftig weitere Begegnungen mit Kunst ermöglichen? Mit der «Begegnung im Wartsaal 3» spreche ich die Besucher auf verschiedenen Sinnesebenen an. Ein Traum wäre, ein Festival zu organisieren, das gleichzeitig weitere Sinne einbezieht. Der Riechsinn könnte dabei mit Düften angeregt, der Tastsinn mit weichem Lehm, aus dem sich Statuen formen lassen, angespornt werden! Deine zukünftige Berufung scheint im Kulturmanagement zu liegen… …, was ich mir tatsächlich sehr gut vorstellen könnte. Mein Ziel wäre es dann, Veranstaltungen ohne staatliche Unterstützung auf die Beine zu stellen. Vielleicht könnte ich dazu ja sogar die Kontakte einsetzen, die ich momentan in der Wirtschaft knüpfen kann. ■ Ein Maler steht vor seiner Staffelei und wird ständig in der Arbeit unterbrochen. Besucher stellen sich ein: Muse, Zeitgeist, Kritiker, Epigone, Tod und Teufel. Alle kommen sie vorbei und verwickeln den Maler in ihre Geschichten, fordern ihn heraus oder verführen ihn. Der Maler ist in der Rolle des Kaspers gefangen, nur durch List gelingt es ihm, seine Haut zu retten. (mi) Improvisationen: 31. Juli bis 11. August (mit Museumsticket frei!) Aufführungen: 8., 10. und 11. August um 17:00 h sowie 9. August um 20:00 h im Seminar Nord II hermesdance, Bern In der grünen Ecke des Kreises Tanztheater mit Rekonstruktionsfragmenten aus der Bauhausepoche ■ Karin Hermes orientiert sich für ihre Tanztheaterproduktion «In der grünen Ecke des Kreises» am interdisziplinären Diskurs, wie er auch für das Bauhaus üblich war. Aus der Jetzt-Zeit und mit heutigen Mitteln werden Rekonstruktionsfragmente aus dem Triadischen Ballett (Choreografie Oskar Schlemmer), dem Solotanz von Gret Palucca, dem Stabtanz und dem Circus der Bauhausbühne entweder historisch authentisch integriert oder dekonstruiert. Die Rekonstruktionen basieren auf der Recherche von Dokumenten und Notationen aus dem Zentrum Paul Klee, der Akademie der Künste Berlin, der Universität Köln und aus den Tanzarchiven Leipzig und Köln. (mi) Improvisationen: 1. – 5. August zwischen 14:00 und 16:00 h im Forum (mit Museumsticket frei!) Uraufführung: 11. September um 20:00 h. Weitere Aufführungen: 12. und 13. September um 20:00 h Tickets unter www.kulturticket.ch oder an der Museumskasse 11 literatur Der Sommerhit 2007 Richard Ford: Die Lage des Landes. Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Plagiate und Liebe Jonathan Lethem: You Don’t Love Me Yet. Roman. Winterliche Jagd Sjon: Schattenfuchs. Roman. Aus dem Isländischen von Betty Wahl. ■ Was 2002 «Die Korrekturen» von Jonathan Franzen, 2003 «Middlesex» von Jeffrey Eugenides war, ist dieses Jahr «Die Lage des Landes» von Richard Ford, nämlich der literarische Sommerhit, der anders als der musikalische stets aus Übersee zu kommen scheint. Und wie bei seinen Vorgängern handelt es sich auch bei dem vorliegenden um einen höchst umfangreichen Roman, der nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deshalb den Weg an viele Strände und Badeanstalten finden wird. Ford, welcher mit «Die Lage des Landes» seine vor bald zwanzig Jahren begonnene Frank- Bascombe-Triologie («Der Sportreporter», «Unabhängigkeitstag») abschliesst, wird für sein neuestes Werk nicht nur mit Lorbeeren überschüttet. Von verschiedenen Seiten wird ihm Langatmigkeit, gar Ereignislosigkeit vorgeworfen. Und tatsächlich glänzt der Plot nicht eben mit Ereignissen. John Updikes «Rabbit» nicht unähnlich, wenn auch deutlich intellektueller, mimt Bascombe den Durchschnittsamerikaner, welcher es als Makler zu einem mehr als nur bescheidenen Erfolg gebracht hat. Nun, gezeichnet von Prostatakrebs, von seiner zweiten Ehefrau Sally nach Wiederauftauchen deren ersten, bereits für tot erklärten Ehemann Wally aufs Schmächlichste verlassen, gibt Frank nicht etwa klein bei, sondern stellt sich seinem Schicksal in Form des alltäglichen Lebens mit dessen ganz alltäglichen Aufgaben in den drei Tagen erzählter Zeit vor Thanksgiving. Sei es auf der Beerdigung eines Freundes, im Gespräch mit seiner Exfrau, in einer Lesbenbar oder in der Umklammerung seines Sohnes Paul, bei Verkaufsgesprächen mit potenziellen Käufern, in der Kontemplation mit seinem tibetischen Mitarbeiter Mike, es ist stets ein Vergnügen, Frank Bascombe zuzusehen. Und am Ende ereilt ihn sogar so etwas wie ein Happy End, wenn es auch zunächst ganz anders scheint. Wer Ford live erleben möchte hat am 11. sowie 14. August anlässlich der Salzburger Festspiele Gelegenheit dazu. (sw) ■ Der 1964 geborene Jonathan Lethem ist, wenn auch ein Grossteil seiner Romane in deutscher Übersetzung vorliegen, in Europa immer noch nicht hinlänglich bekannt. Um den Lesern Lethems Werk näherzubringen, scheint sein neuester Roman besonders geeignet, hier kehrt er zum Setting seiner frühen Werke zurück. Nicht das dunkle New York bietet den Rahmen für diesen wesentlich fröhlicheren Roman - im Vergleich etwa zu «Motherless Brooklyn» -, sondern die Sonnenstube Kalifornien. Lucinda und Matthew, beide Mitglieder einer namenlosen Band, verbindet eine amour fou, der sie sich beide zu entziehen versuchen. Als Lucinda im Kunstprojekt ihrer einstigen Collegeliebe Falmouth, wo sie Beschwerdeanrufe in einer möglichst neutralen Weise zu beantworten hat, auf Carlton Vogelsong trifft, erlebt nicht nur ihr persönliches, sondern auch das Schicksal der Band einen Wendepunkt. Sind es zunächst Vogelsongs Formulierungen, welche sie betören, ist es bald auch dessen Person selbst, die sie in ihren Bann schlägt. Sie wird zu seiner Bettgespielin, wo sie sich einerseits seiner oft herrischen Art unterwirft, andererseits seine magischen Worte an den schreibblockierten Songschreiber Bedwin Greenish der Band weiterleitet. Dieser kreiert daraus Songs, die der Band zumindest zu einem lokalen Erfolg verhelfen. Insbesondere der Song «Monster Eye» wird von der, wenn auch kleinen, so doch stetig wachsenden Fangemeinde positiv aufgenommen. Eine Referenz an seinen ersten Roman «Gun, with Occasional Music», mit welchem ihm seinerzeit der Durchbruch gelang, ist das Känguruh, welches der Leadsinger der Band, Matthew, der tagsüber in einem Zoo arbeitet, aus Mitleid für dessen offensichtliche Langeweile bei sich zu Hause in der Badewanne beherbergt. Nebst derart skurrilen Protagonisten ist der Roman aber vor allem eine herzerwärmende Liebesgeschichte. (sw) ■ Sjon, mit bürgerlichem Namen Sigurjon B. Sigurdsson, legte mit süssen fünfzehn Jahren seinen ersten Lyrikband vor und ist bis heute ein Tausendsassa geblieben, der nicht nur als Texter für Björk von sich reden macht, sondern auch für das Drehbuch von «Dancer in the Dark» von Lars von Trier mitverantwortlich zeichnet. 1987 legte er nach mehreren Lyrikbänden seinen ersten Roman vor. Das nun in Deutsch erschienene Werk «Schattenfuchs», welches bereits 2004 auf Isländisch erhältlich war, mag zwar ein dünner Band sein, verzaubert jedoch in seiner Mischung aus Prosa und Lyrik, der Verwebung von Mystischem und Realem. In einem kalten isländischen Winter Ende des 19. Jahrhunderts begibt sich ein Pastor namens Baldur auf die Fuchsjagd, während der er nicht nur den Naturgewalten zu trotzen hat, sondern auch einer listigen schwarzen Füchsin kaum beizukommen weiss. Zur selben Zeit bereitet Friorik für seine liebe Abba die letzte Reise vor. Abba, geistig behindert, wurde vor Jahren aus einem Schiffswrack geborgen und wurde zunächst wie ein Tier in einem Käfig gehalten, bis sie Friorik zu sich nach Hause nahm, in ihr den Menschen erkennend. Anders als Baldur, der sich als über der Natur stehend empfindet, ist Pflanzen-Friorik eins mit den Elementen, dessen Bewunderung für das Werk der Natur auch vor dessen Abnormitäten nicht halt macht. Sjons Wintergedicht mag etwas unpassend sein im Sommer, in Anbetracht der momentanen Wechselfälle des Wetters scheint jedoch auch ein plötzlicher Wintereinbruch nicht allzu fern. Seine Wortbilder, die uns die unendlichen Weiten des Inselstaates Island ahnen lassen, entführen uns in eine Welt fernab der Errungenschaften der Zivilisation und sind ganzjährig von besonderem Reiz. (sw) Ford, Richard: Die Lage des Landes. Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Berlin Verlag 2007. ISBN 978-3-8270-0065-1. 12 Lethem, Jonathan: You Don’t Love Me Yet. Roman. Faber and Faber. United Kingdom 2007. ISBN 9780-571-23562-9. Auf Deutsch ist der Roman unter dem Titel «Du liebst mich, du liebst mich nicht» beim Tropen Verlag Berlin erschienen. Sjon: Schattenfuchs. Roman. Aus dem Isländischen von Betty Wahl. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2007. ISBN 978-3-10-075120-1. ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 veranstaltungen FILOSOFENECKE Von Alther&Zingg «WIE SEHR WIR AUCH ALS NATURUND KULTURWESEN IN DIE UNABSEHBAREN PROZESSE DER WIRKLICHKEIT EINGEBUNDEN SIND: WIR HABEN DARIN DANN UNSERE FREIHEIT, WANN IMMER WIR ETWAS VON SELBST ANFANGEN.» Volker Gerhardt, 1999 SZENE im klub Von Benedikt Sartorius ■ Nachdem in den neunziger Jahren Bands und Projekte wie The Prodigy, The Chemical Brothers oder Daft Punk Massstäbe in massentauglicher elektronischer Musik setzten, dauerte es eine ganze Weile, bis der letzte Schrei wieder einmal im Computer-Lager gefunden wurde. 2007 ist nun dieser Moment, in dem eigentliche Undergroundphänomene wie das französische Label Ed Banger mit Produzentenduos wie Justice auch in der Tagespresse eine breite Plattform erhalten. Als Katalysator dienen zudem junge Rockbands, die elektronische Spurenelemente einsetzen und so den leuchtstäbeschwenkenden New Rave erfanden. New Rave soll Lifestyle sein, bei dem der Mut zur Hässlichkeit in Sachen Modefragen für Aussenstehende als treibende Kraft erscheint. Und es ist lustig, dass in diesem Kontext ein Abend des traditionellen Dampfzentrale-Sommerfoyers die zu Kindheitszeiten heissgeliebten NintendoCompüterli und andere trashige Arcade-Games aus der Versenkung holt: Die Teamtendo-Band aus Paris wird am 12. August zur Pixeljagd aufspielen, hofiert von den omnipräsenten Round Table Knights. Neben der Berne-Beats-Eröffnungsnacht mit der fast kompletten städtischen DJ-Prominenz treten im Sommerfoyer auch minimale TechnoProduzenten wie Agnès auf. Überraschend dürfte auch der Abend mit Kalabreses Rumpelorchester ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 werden. Der Zürcher Produzent, Clubbetreiber und Schlagzeuger Sacha Winkler alias Kalabrese wird sein vielgelobtes Album «Rumpelzirkus» (Stattmusik) mit Liveband umsetzen. Die Platte ist eine sorgfältig aufgebaute und geschlossene Liedersammlung, einsetzbar für die unterschiedlichsten (Club-)Stimmungen: Hier der klamaukige Beginn von «Öisi Zuekunft», der unmerklich in organischen Minimal-House-Funk umschlägt über das karge introvertierte «Heartbreak Hotel» bis hin zum ausgelassenen Bläsersatz von «Auf dem Hof». Kalabrese funktioniert Alltagsinstrumente zu Klangquellen um, zelebriert mit seinem Stimmeinsatz seine nicht vorhandenen Qualitäten als Sänger und zeigt, dass er sich selbst nicht zu ernst nimmt, wie auch der Track «Aufm Klo» unterstreicht. Der kontrolliert verspielte «Rumpelzirkus» des Kalabrese kommt ohne billige Effekthascherei, ohne grosse Gesten und ohne kurzlebige Trendhörigkeit aus – ein sehr cooles Album. Dampfzentrale: Sommerfoyer 9.8. – 18.8, u. a. mit Teamtendo (10.8.), Marco Repetto (15.8.) Agnès (16.8.), Kalabreses Rumpelorchester (17.8). Komplettes Programm: www.dampfzentrale.ch Sommerclubbing bietet auch das Wasserwerk mit Summer In The City bis am 18.8. Programm auf www.wasserwerkclub.ch ■ Die Wirklichkeit: Ein Begriff, der uns Menschen begleitet, definiert wird, revolutioniert wird, neu besetzt wird. Ob wir uns nun als Geschöpfe oder als Schöpfer verstehen und begreifen, die Wirklichkeit bleibt letztendlich vage und eine Frage des Moments, der Kultur und der eigenen Wahrnehmung. Ihretwillen sind Kriege geführt, Köpfe gerollt und Menschen in ihren elementaren Bedürfnissen eingeschränkt worden. Aber auch die Freiheit, die viel gelobte, zeigt sich in verschiedenen Facetten. Sei’s als Lebensgefühl der Unabhängigen, sei’s als politisches Gut der französisch oder sonst wie revolutionierten Gesellschaften. Filosofen setzen sich mit der Frage auseinander, was die Wirklichkeit und die Freiheit ausmachen, wie sie definiert werden. In der Meinung Gerhardts stellt die Wirklichkeit den Rahmen unseres Daseins dar. Die Freiheit hingegen ist das Produkt unserer selbst initiierten Handlungen. Dadurch werden wir zu freien Radikalen innerhalb des Rahmens Wirklichkeit, werden selbsterkennend über das Selbstbewusstsein zur Selbstverwirklichung finden. «Das Ich ist der Souverän seiner eigenen Akte», schreibt Gerhardt. Vernunftbegabung als Fetisch des modernen Menschen, kann man denken. Oder doch eher ein Appell an jeden Einzelnen von uns, sich seine Freiheiten, seine Wirklichkeit selber zu schaffen, sich aus der Umklammerung der Ideen, Instinkte und Triebe zu lösen? Was macht die individualisierte Gesellschaft aus? Gibt es Kategorien des Individualismus, beispielweise eine materielle, spirituelle oder intellektuelle? Fragen im Spannungsfeld von Wirklichkeit und Freiheit. Etwas anfangen heisst auch, Bestehendes und Bekanntes hinter sich zu lassen oder neu zu ordnen. Dies als Preis für die Freiheit. Die Selbstverwirklichung zu akzeptieren fällt nicht immer leicht, das Resultat der eigenen Selbstanfänge liegt oft im Dunkeln. Aber so kommt der Mensch als Individuum weiter im Leben, erfährt sein Selbst und seine Umwelt neu. In diesem Sinne: Nehmen Sie sich die Freiheit, fangen Sie etwas von selbst an und teilen Sie uns Ihre Gedanken zum Thema doch gleich mit! Sie können dies am Mittwoch, 29. August ab 19:00 Uhr im Tonus Musiklabor an der Kramgasse 10 tun. Alther&Zingg freuen sich auf Sie. 13 musik KLASSISCHE MUSIK donau abwärts Von Kaspar Zehnder - Zum Programm der Murten Classics (13. August – 2. September) Bild: zVg. ■ Das Programm auf einen Blick: Je ein Sinfoniekonzert für die Wiener Komponisten Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert und für die Wien nahe stehenden Deutschen Johannes Brahms und Richard Strauss sowie eine Walzergala zum K&KAbschluss. Wien bleibt aber nicht nur Wien. Der Auftakt kommt vom Ostrand der Donaumonarchie: Die Berner Gruppe Klezmer Pau Wau spielt sich mit Musik aus dem Ursprung Europas in die Herzen des Publikums (13./14./15.8., je 19:30 h). Offen für Neues Ebenfalls eine östliche Sprache reden die Konzerte Offen für Neues, einmal mit Werken von Bohuslav Martinu zu Texten von Kafka (18.8., 17:00 h), einmal mit neuerer serbischer Musik zu Texten von Ivo Andric und Miroslav Krleža (25.8., 17:00 h). Der Schauspieler Ulrich Beseler und der Flötist Kaspar Zehnder treten mit tschechischen (Jan Reznícek, Eduard Spácil) bzw. serbischen KollegInnen (Misa Stefanovic, Deana Patakovic) auf. Ein besonderes Spannungsfeld entsteht im Programm mit Maya Homburger (Barockvioline) und Barry Guy (Kontrabass), welches Ignaz Franz Bibers Rosenkranz-Sonaten, ein epochales Werk für Violine solo, in zeitgenössisch improvisierenden Kontext stellt (1.9., 17:00 h). Ein Familienkonzert am See (1.9., 15:00 h) folgt den Spuren Erich Kästners und Till Eulenspiegels, zwei unterschiedlichen Schelmen der Weltliteratur. Kammermusik Angeführt von einer prominent besetzten Aufführung von Franz Schuberts Oktett (Paetsch, Kolly, Magnenat, Demenga, Khatchatryan, Siegenthaler, Chenna und Darbellay 21.8., 20:00 h) lenken auch die Kammermusik-Konzerte den Blick immer wieder von Wien nach Osten: Unter dem Motto «Donau abwärts» bringen Ana 14 Ioana Oltean (Flöte) und Simon Bucher (Klavier) Werke von Beethoven, Bartók, Lipatti u. a. zur Aufführung (26.8., 17:00 h) und das Talich Quartett stellt Mozarts «Jagdquartett» Kammermusik von Kalliwoda und Dvorák gegenüber (2.9., 17:00 h). Wiederum Dvorák, diesmal aber in Kombination mit Brahms (Liebeslieder-Walzer) und seinem Schweizer Zeitgenossen Hans Huber ist im Vokalkonzert mit Maria C. Schmid, Liliane Zürcher, Jan Martin Mächler, René Perler sowie dem Klavierduo Dominique Derron und Pius Urech zu hören (19.8., 17:00 h). Artist in Residence: Nemanja Radulovic Mit Spannung erwartet werden die Konzerte des diesjährigen Artist in Residence. Das BeethovenKonzert ist bereits ausverkauft. Für seine fulminanten Auftritte wurde Nemanja Radulovic bereits mehrfach ausgezeichnet. Seit seinem Einspringer für Maxim Vengerov 2006 öffnen sich dem 1985 in Serbien geborenen Geiger alle Türen. (Rezital mit Laure Favre-Kahn 2.9., 11:00 h, Sommernachtskonzert mit Solowerken von Bach, Ysaye und Miletic 28.8., 21:45 h). Valiant Forum Die Förderung junger Talente hat an den Murten Classics Tradition: Das Orchestre des Jeunes de la Suisse Romande, das Jugendsinfonieorchester Aargau und der Jugendchor «molto cantabile» aus Luzern sind die diesjährigen Gewinner am Valiant Forum, um ihren definitiven Platz in der Rangliste spielen und singen sie anlässlich des Preisträgerkonzertes (28.8., 20:00 h). Mozart im Schlosshof Die Kulisse des mittelalterlichen Schlosses und der Blick auf See und Jura stehen seit den Anfängen der Sommerfestspiele Murten im Zentrum des Festivals und garantieren ein Fest für Ohr und Auge. Ebenfalls auf die Anfänge zurück geht die Idee der Mozartserenaden, welche in zwei Konzerten aufgegriffen wird. In beiden Programmen stehen Werke im Zentrum, welche Mozart in Wien geschrieben hat. Die Klavierkonzerte KV 413-415 (mit Andrea Bacchetti und der Cappella Istropolitana, 29.8., 20:00 h) und die «Gran Partita» für 12 Bläser und Kontrabass (mit der Sinfonietta Cracovia unter Kaspar Zehnder 22.8., 20:00 h). Sommernachtskonzerte Im Park des Hotel Vieux Manoir finden spätabends Sommernachtskonzerte statt. Michaela Paetsch Neftel / Wieslaw Pipczynski (29.8., 21:45 h) und Nemanja Radulovic (28.8., 21:45 h) verneigen sich je in einer Hommage vor Fritz Kreisler, das Klavierduo Soós-Haag führt im Wiener- und im Böhmerwald spazieren (21.8., 21:45 h), und Solisten der Sinfonietta Cracovia spielen «Eine kleine Nachtmusik» und die Serenata notturna von Mozart sowie Schönbergs «Verklärte Nacht» (22.8., 21:45 h). Und übrigens! Und vergessen wir nicht die Sinfoniekonzerte im Schlosshof, die bereits eingangs erwähnt wurden: z. B. Schubert mit Kaspar Zehnder, Brigitte Engerer (Klavier) und der Prague Philharmonia (16.8., 20:00 h). Oder das Oboenkonzert von Richard Strauss, 1945 für die Tonhalle Zürich geschrieben und von Thomas Fuchs, ihrem gegenwärtigen Solo-Oboisten, gespielt (18.8., 20:00 h). Oder Haydns «Jahreszeiten» mit Anne-Florence Marbot, Clemens Löschmann, Dominik Wörner und dem Schweizer Kammerchor (1.9., 19.00 h). Oder die Walzergala zum Schluss und zum Auftakt für «2008: 20 Jahre Murten Classics». (2.9., 20:00 h). Weitere Informationen zu genauen Aufführungsorten und Programmen sowie Reservationen unter www.murtenclassics.ch, Tel 0900 325 325, Infos auch unter 079 408 37 61. ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 musik ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 15 Kultur Casino Bern Mittwoch, 26. September 2007, 19.30 Uhr Montag, 28. Januar 2008, 19.30 Uhr Slowakische Philharmonie und Chor Residentie Orkest Den Haag Vladimir Valek, Leitung Bohuslav Martinu, Carl Orff Neeme Järvi, Leitung - Egils Silins, Bariton Wagner, R. Strauss Montag, 22. Oktober 2007, 19.30 Uhr Sonntag, 16. März 2008, 19.30 Uhr Nationale Philharmonie Russland Ural Philharmonic Orchestra V. Spivakov, Leitung - Nikolai Tokarev, Klavier Prokofjew, Schtschedrin, R. Strauss, Schostakowitsch Dmitrij Liss, Leitung - Lylia Zilberstein, Klavier Mussorgskij/Leopold Stokowski, Prokofjew Mittwoch, 28. November 2007, 19.30 Uhr Sonntag, 18. Mai 2008, 19.30 Uhr Orchestre Philharmonique de Liège St. Petersburger Philharmoniker Pascal Rophé, Leitung - Schweizer Klaviertrio Bizet, Daniel Schnyder (Uraufführung), Saint-Saëns Yuri Temirkanov, Leitung Schostakowitsch Abonnemente sind noch erhältlich bis 24. August. Preise: Fr. 102.-- bis 432.--. Auskunft über Tel. 031 859 77 43 oder e-mail: kulturprozent@gmaare.migros.ch. Konzept und Realisation Migros-Kulturprozent BERN • HANOI • LAOS • BERN • HANOI • LAOS • BERN • HANOI • LAOS • BERN IDEALE mode im Kellergeschäft Kramgasse 9, Bern April - August DI - FR 13.30 - 18.30 h SA 11.00 - 16.00 h T: 076 399 55 67 ideale@bluewin.ch www.ideale.biz IAL : SP E Z Ä C K E S F A L SCH SEIDE AU S 7Oå7ISSENåWIRKT å*AHREå"&( musik KONZERT-RÜCKBLICK Montreux Jazz Festival Das diesjährige 41. Montreux Jazz Festival fand vom 6. bis 21. Juli statt. SZENE der beat-man-way Von Benedikt Sartorius Bild: Daniel Desborough ■ Reverend Beat-Man, Gründer und Vorsteher des weit über die Landesgrenzen hinausausstrahlenden Labels Voodoo Rhythm, ist ein Adept der TrashKultur und destilliert seinen scharfen Brand aus BMovies, Wrestling, Science-Fiction, Rock’n’Roll und dem Wanderpredigertum. Er zelebriert den Dilettantismus, bezeichnet sich mit voller Überzeugung als «Nichtkönner» und entlarvt sich als Tief- oder eben doch als Hochstapler, der mit grossartigen Veröffentlichungen den rohen, primitiven Blues seit Jahren predigt – sei dies in seiner früheren Rolle als Lightning Beat Man, sei dies als Gitarrist und Sänger der irren The Monsters oder im Verbund mit der Industrial-Truppe Herpes Ö Deluxe. So überrascht es kaum, dass auch die neue Platte nur eines ist: umwerfend – und vielfältiger als je zuvor. «Surreal Folk Blues Gospel Trash Vol. 1» heisst diese, trägt der Einfachheit halber einzelne Komponenten des Beat-Man-Gegenuniversums gleich im Titel und führt musikalisch weiter als der brillante, weit rohere Vorgänger «Get On Your Knees». Verlassener Cowboy Das Album beginnt mit einem rollenden Delta-Blues: «The Clown Of The Town» bringt den klagenden Beat-Man im Trio mit Robert Butler an der Mundharmonika sowie den ExDead-Brother Delaney Davidson am Schlagzeug. Es folgt die erprobte Ein-Mann-Band-Inkarnation. Der Reverend stürzt sich in das arg verzerrte «I Belong To You» und dampft das Gebräu zum Schluss in eine reduzierte akustische Gitarre ein. Die WesternBalladen «I’m Happy» und «Coco Grace» präsentieren Beat-Man als verlassenen Cowboy im tränenreichen Niemandsland, ehe wiederum mit Band der rockende «Jesus Christ Twist» angestimmt wird. Bedrohlich grollend beschwört der besessene Prediger die Zuhörerschaft durch Lärmwände hindurch – der Teufelsritt dieser Platte. Eine Türe öffnet sich knarzend, säuselndes Pfeifen wartet im hawaiianisch angehauchten Paradies von «Our Girls», nur die Stimme kräht unnachahmensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 lich weiter in rudimentärem Englisch mit Akzent. Ein neues Leben soll begonnen, eine Familie gegründet werden. Die Frau seines Lebens findet sich schnell im beschwingten Surf-Gitarren-Saloon von «Another Day Another Live», der abrupte Abbruch des Optimismus folgt auf dem Fuss, ein lebenserfahrener und gebrochener Reverend hat in «No Hope» jegliche Hoffnung auf traute Zweisamkeit verloren. Legendenbildung «I Wanna Know» ist ein schön hinkender Rock’n’Roll-Kracher, neuerlich elegische Stimmungen werden daraufhin angestimmt im von einem Cello getragenen «One Fine Day»: Die unvergessene Verflossene wird besungen, irgendwann wird sie zurückkommen, hoffentlich. Bei «Meine kleine Russin» könnte der skurrile Finne M.A. Numminen Pate gestanden haben. Wie hier Beat-Man – sekundiert von einer traurigen Mandoline – Sätze wie «Lass uns Liebe machen am Strand und in dem See» lüstern langzieht, ist ein komischer Höhepunkt der Platte, der nur noch von seiner Lebensgeschichte zum Schluss übertrumpft wird. Der 40-jährige bricht im siebenminütigen JazzShuffle «The Beat-Man Way» selbstironisch seine eigene Legende, warnt vor Drogenmissbrauch, zeigt sich resistent gegen alle Autoritäten und garniert die rastlose Geschichte mit einem von amerikanischen Fernsehpredigern inspirierten Nahtoderlebnis. Natürlich wählt der Reverend weder Himmel noch Hölle, sondern antwortet kühl: «I don’t give a fuck, I just do it the Beat-Man-Way!» So geht die erste Folge der grossen, kontrastreichen und doch sturen Surreal-Folk-Blues-GospelTrash-Liederersammlung in der Bar zu Ende, die zweite Runde soll pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erscheinen. Was für ein Fest. Surreal Folk Blues Gospel Trash Vol. 1 (Voodoo Rhythm / RecRec) erscheint am 20. August. Plattentaufe: 24. August, Dachstock, Reitschule Bern. Wilco ■ Trotz widrigen Umständen – der Saal war bestuhlt und in ein Zweiklassensystem aufgeteilt, die Atmosphäre glich einer SamstagabendshowFernsehaufzeichnung – spielte die Chicagoer Band Wilco als «Opening Act» (!) für Tori Amos das vermeintliche Konzert des Jahres. Das Sextett rund um den Songwriter Jeff Tweedy, der bereits mit seiner alten Band Uncle Tupelo stilbildend für den sogenannten Alternative Country in Erscheinung trat, spielte sich durch ein Set, das den Schwerpunkt auf die neueste Veröffentlichung «Sky Blue Sky» legte. Diese für Wilco-Verhältnisse konventionelle Liedersammlung, die zunächst gar banal anmutet und erst beim wiederholten Hördurchgang ihre Feinheiten freilegt, besticht durch erhabene Schönheit, durch Spielfreude und raffinierte Einfachheit, hinter der sich das Komplexe verbirgt. Die Liedoberflächen befinden sich bei Wilco in ständigem Wandel. Ein Song wie «Via Chicago» erschien im Konzert zunächst als Ballade, ehe der Schlagzeuger Glenn Kotche und der Gitarrist Nels Cline konspirative Blicke austauschten und in ein wildes Noise-Inferno einstimmten, um wieder zur Stille zurückzufinden. Ein berührender Moment, der für immer bleiben wird, wie auch der repetitive Scheunenstürmer «Spiders (Kidsmoke)», der den 75-minütigen Auftritt beschloss und den Ausnahmestatus dieser einzigartigen Band nachhaltig unterstrich. (bs) CDs: Sky Blue Sky (Nonesuch / Warner) Kicking Television – Live In Chicago Rufus Wainwright ■ Spätestens die beiden grössenwahnsinnig orchestrierten und brillanten «Want»-Alben katapultierten den selbsternannten Gay Messiah an die Oberfläche einer jüngeren Songwriter-Generation, die zu unterschiedlich ist, um sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Der Opernliebhaber Rufus Wainwright betrat die kleine Montreux-Halle in bayrischen Lederhosen, die siebenköpfige Begleitband schmetterte das broadwayhafte Titelstück seiner jüngsten Platte «Release The Stars» in den Raum, das grosse Entertainment nahm seinen Lauf. Die Show – mit Selbstironie und dem Spiel mit schwulen Codes durchzogen – wechselte von stillen Judy-Garland-Interpretationen in musicalhaften Pomp über und gipfelte in einem dilettantischen Tanz, während sich der stimmlich verausgabte Wainwright in Frauenkleider kleidete und zum Schluss, genau, «Gay Messiah» anstimmte. (bs) CD: Release The Stars (Geffen/ Universal) 17 musik ECM listening post Von Lukas Vogelsang ■ Für einmal haben wir keine neue Vorstellung aus dem ECM-Label. Für einmal habe ich die erste ECM-CD hervorgeholt, die ich gekauft hatte. Das ist schon lange und doch erst 17 Jahre her – aber eine Würdigung ist schon lange fällig. Von 1983 bis 1989 spielte dieses Trio, Keith Jarrett (Piano), Gary Peacock (Bass) und Jack DeJohnette (Drums), eigentlich nur Jazzstandards. Das war Konzept. Mit «Changeless» probierte Keith Jarrett neue Wege. Die vier Stücke sind von ihm komponiert und wurden im Oktober 1987 an verschiedenen Konzerten live aufgenommen. Die CD kam dann erst 1989 heraus. Ich hatte damals noch keinen Bezug zum Jazz gefunden und stellte mich auch eher skeptisch. Noch hängte ich in psychedelischen Wolken der 70er oder intellektualisierte The Velvet Underground. Durch einen Freund stiess ich auf «Changeless» und damit begann meine kleine Jazzkarriere. Ich gestehe: Das nie endenwollende «Dancing» zu Beginn der CD hat mich zum Jazz bekehrt. Anders als das legendäre «Köln Concert» geht für mich diese Musik ein Stück tiefer und ist irgendwie kräftiger. Es ist die fast nach einem Ritual anmutende Perfektion des Trios, ineinander verwoben, wie ein eigenes Instrument und Klangkörper geformter Moment. Eine Reise am Existenzpunkt des Seins. Eigentlich ist alles komponiert und doch ist es Improvisation. Jeder Ton kann nicht anders, als in diesem Moment so gespielt werden. Damit ist «Changeless» mein persönlicher Grundstein für ein Kunstverständnis geworden. Aus dieser Musik entstand meine Arbeit der sogenannten «Philosik» (eine Musikphilosophie). Und damit wurde auch Manfred Eicher, als sensibler Toningenieur der Zeit, ein Teil dieses Prozesses. Changeless eben. Keith Jarrett Trio / Changeless ECM 1392 Sie wissen nicht wohin? abo@ensuite.ch 18 Im wunderschönen Monat Mai Editors – An end has a start ■ Diese CD ist so was von daneben, dass nur noch Kult übrig bleibt. Doch das ist richtig zu verstehen: Zum einen wäre da der Titel: «Im wunderschönen Mai – Dreimal sieben Lieder nach Schumann und Schubert» – die CD kam im Juni heraus und im August über diese CD zu berichten, hat was Groteskes. Aber was kann man bei der Music Edition «Winter & Winter» schon anderes erwarten – wobei wir schon bei der zweiten Groteske wären. Diese Edition hat schon viel von sich zu hören gegeben. Eigenwillig sind die «Winters» ja – vor allem im Sommer. Mit dem Mai-Werk geben sie eine Sammlung von herrlich schnulzigen Liedern von Robert Schumann und Franz Schubert heraus – doch die hat’s wirklich in sich. Barbara Sukowa (Gesang), Reinbert de Leeuw (Piano) und das Schönberg Ensemble haben ganze 21 Juwelen auf CD gebrannt. Kleine Kunstwerke, kleine Haar-zu-Berg-Steher. Und die klingen ganz gut – einen gewissen Glamour und Kitsch tut dem Wohnzimmer auf jeden Fall gut. (vl) ■ Ihr erstes Album «In The Dark Room» war eine Überraschung und die Band hatte damit sogar ein ebenso überraschendes Gastspiel in Bern. Mit «An End Has A Start» haben die vier Engländer Tom Smith (Vocals / Guitar), Chris Urganowicz (Guitar), Russel Leetch (Bass Guitar) und Ed Lay (Drums) ein fast ebenbürtiges Album nachgeworfen. Im direkten Vergleich muss man allerdings dem Vorgänger etwas mehr Charakter zubilligen. Dafür haben die Editors mit dem zweiten Wurf ihren Stil klarer herausgefiltert und an der Soundhandschrift gebastelt. Man muss sich an das Strickmuster jedoch noch etwas gewöhnen. Die Arrangements sind immer noch sehr gut, die melancholisch düstere Singröhre von Leadsänger Tom Smith - er hat einfach eine göttlich charismatische Stimme - durchdringen vor allem nach mehrmaligem Anhören des Albums. Es hat mehr Kanten und Kratzer als zuvor. Erstaunlich ist auch, dass einige Patzer auf der Aufnahme geblieben sind: So gibt’s manchmal kleine Unebenheiten in einigen Riffs, aber vor allem Tom Smith fällt in einer wunderbaren Ballade fein neben den Ton – und die Produzenten haben es belassen. Damit fallen die Editors um ein vieles persönlicher und nahbarer auf und der coole Chic von rebellischen Designgitarreros kommt auf den Boden. Der letzte Song «Well Worn Hand» entschuldigt übrigens jede aufkommende Mainstreamlangweile. Reinhören! (vl) www.winterandwinter.com Jenny Chi – ChiBossa ■ Jung ist sie, die Jenny, schön ist sie auch, kommt aus Zürich und eine Stimme hat sie– es ist eine wahre Freude. Produziert wurde die CD von Peter Bürli vom Radio DRS – Martin Pearson, der schon für Queen und den Ex-Pink-Floyd Roger Waters im Studio stand, übernahm die Tontechnik. Live - eben so, wie die meisten DRS-Aufnahmen hergestellt werden – sind 13 ältere Bossa-NovaStücke eingespielt worden. Der Sound ist brillant. Für ein Debüt-Album ist es meisterlich gelungen, das Konzept stimmt bis ins letzte Detail. Ruhig und unkitschig, mit einer feinen unschuldigen Unsicherheit, sensibel, ohne zerbrechlich zu scheinen – so präsentiert sich sonst nur ein Stern. Der kaum hörbare Akzent in Jennys Portugiesisch tut viel Gutes für den Bossa. Er hilft der Rhythmik und hält eine kühlwarme Distanz. Aber es ist nicht nur der Charme von Jenny Chi – die hochkarätigen Musiker, allen voran Ademir Candido (Gitarre) bringen sehr viel mit ein. Michael Zismann (Bandoneon) spielt bei einem Stück übrigens auch mit. Eine wunderschöne Entschuldigung für den kaltnassen Sommer. (vl) www.jennychi.ch www.editorsofficial.com Kleiner Tipp: Daliah ■ Wer nach dem Buskers-Festival von ihnen noch nicht genug hat oder zum neuen Fanclub von Daliah gehört, kann diese am 25. August am legendären Murifeldfest nochmals auf der Bühne erleben. Die sechs MusikerInnen haben sich im Spätsommer 2006 zusammengefunden und spielen seither ein musikalisches Potpourri zwischen Italien, Frankreich, Deutschland, Schweiz und Südamerika. Reggae und Chanson werden mit Soul und Funk gemischt, mit Blues- und Jazzteilen gewürzt. Der Sound ist unaufdringlich cool und klingt spannend - für eine so junge Band ist ein interessanter Mix entstanden, der diesem wässrigen Sommer mit ein paar Streicheleinheiten auf die Sprünge hilft. (vl) www.daliah.ch ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 cinéma SPOTLIGHT KINO LA VRAIE VIE EST AILLEURS FILM 60 jahre filmfestival locarno Von Sarah Stähli Bild: zVg. ■ Das Filmfestival Locarno feiert dieses Jahr vom 1. bis 11. August sein sechzigstes Jubiläum. 170 Filme wurden für den runden Geburtstag ausgewählt. Frédéric Maire, der das Festival dieses Jahr zum zweiten Mal leitet, kündet es als «Festival der Entdeckungen» und «Festival festive» an. Die Filmauswahl reflektiere den Zustand unserer Welt. Eine Welt, die sich im Krieg, in der sozialen und politischen Krise befindet. Filme aus über dreissig Ländern sind in der offiziellen Auswahl vertreten, darunter um die zwanzig Debütfilme und über zwanzig Filme von Regisseurinnen. Ein Schwerpunkt liege dieses Jahr auf dem amerikanischen und dem asiatischen Kino. Die Piazza Grande mischt wie gewohnt Hollywood-Blockbuster («The Bourne Ultimatum», «Hairspray») und kleinere Produktionen («Nichts als Gespenster», «The Drummer»). «1 Journée» von Jacob Berger und «Vogliamo anche le rose» der italienisch-schweizerischen Regisseurin Alina Marazzi sind die beiden Beiträge aus der Schweiz. Eröffnet wird das Piazza-Programm am 1. August mit dem japanischen Anime «Vexille». Der internationale Wettbewerb versammelt 19 Filme, die um den Goldenen Leoparden buhlen. Maire lobt die geografische Bandbreite der Filme, vertretene Länder sind unter anderen Argentinien («Las vidas posibles»), Südkorea («Boys of tomorrow»), Algerien («La maison jaune») und Kanada («Contre toute espérance»). Der Schauspieler Anthony Hopkins wird als Regisser in Locarno erwartet: Zusammen mit seinem Hauptdarsteller Christian Slater präsentiert er seinen Film «Slipstream». Aus der Schweiz ist Fulvio Bernasconi mit «Fuori dalle corde» dabei. Zur offiziellen Jury des internationalen Wettbewerbs 2007 gehört unter anderen die französische Schauspielerin Irène Jacob, der deutsche Regisseur Romuald Karmakar, und der chinesische Regisseur Jia Zhang-Ke. Schweizer Filme mit internationalem Potenzial In der Apellation Suisse hat die Organisation Swiss Films zehn Schweizer Kinofilme ausgewählt, ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 die sich durch «internationales Potenzial auszeichnen» und seit dem letzten Locarno Festival die Schweizer Kinolandschaft mitgeprägt haben. Gezeigt werden fünf Dokumentar- und fünf Spielfilme, unter ihnen «Comme des voleurs» von Lionel Baier und «Someone beside you» von Edgar Hagen. Am 7. August findet ausserdem zum zweiten Mal der «Journée du Cinéma Suisse» mit Filmvorführungen, Veranstaltungen, einer Masterclass für Schauspieler und einer DVD-Lancierung statt. Die Atelier-Ausstellung «Animated Switzerland», an der u. a. Sets der Grossproduktion «Max & Co» ausgestellt sind, beschäftigt sich mit der Schweizer Trickfilmszene. «Als Geburtstagsgeschenk» schenkt das Festival dem Publikum die reizvolle Retrospektive «Retour à Locarno». Diese widmet sich Regisseuren, die in Locarno «geboren», hier entdeckt wurden und ihren Durchbruch erlebt haben. Die Filmemacher werden in Locarno anwesend sein und ihre Filme präsentieren. Unter ihnen sind illustre Namen wie Claude Chabrol, Alain Tanner, Mike Leigh, Catherine Breillat, Raul Ruiz und István Szabó zu finden. Die Filmreihe «Signore & Signore» schliesslich ehrt die grossen Diven des italienischen Kinos: Anna Magnani («Bellissima»), Sofia Loren («La ciociara»), Asia Argento («Il fantasma dell’ opera») oder Gina Lollobrigida («Pane, amore e fantasia») und viele weitere. Zwanzig Filme, die zwischen 1941 und heute entstanden sind, widerspiegeln zugleich ein Stück italienische Kinogeschichte. Den Locarno Excellence Award erhält diesen Jahr der Schauspieler Michel Piccoli, ein Aushängeschild des französischen Autorenkinos. Den Ehrenleoparden wird dem taiwanesische Regisseur Hou Hsiao-hsien vergeben, dessen neustes Werk «Le voyage du ballon rouge», mit Juliette Binoche in der Hauptrolle, auf der Piazza Grande zu sehen sein wird. Film Festival Locarno 1. – 11. August, www.pardo.ch BILD: ZVG. ■ Wir kommen alle mal in Berührung damit: Irgendwann begegnen wir zum richtigen Zeitpunkt einem Menschen, der sich als Schlüsselfigur unauslöschbar in unser Leben einbrennt. Diese Begegnungen sind eigentlich Fragen unseres Unterbewusstseins. Die können auch mehrmals geschehen. Es sind Wegkreuzungen in unseren Leben, an denen wir entscheiden können oder gar müssen, wohin wir weitergehen. In diesen Bruchteilen von Momenten oder Stunden entstehen halbe Universen – in ein paar kleinen Bewegungen, Worten oder Berührungen. Die Antworten aus diesen Begegnungen können schwierig sein. Doch sie prägen uns sicher für den Rest der Zeit und wir werden sie nie vergessen können. In «La vraie vie est ailleurs» geht’s um drei Reisende, die, in Genf startend, in unterschiedliche Richtungen unterwegs sind. Ein Mann steigt in den Zug nach Berlin, um seinen kleinen Sohn kennenzulernen. Eine junge Italienerin zieht nach Neapel um und eine Wissenschafterin reist nach Marseille an eine Konferenz. Alle drei begegnen auf ihrer Nachtreise einer Person, die ihr Leben in Frage stellt. «Findet das wahre Leben anderswo statt?» Das Zitat stammt von Arthur Rimbaud und war Ausgangspunkt für den Film. Der junge Regisseur Frédéric Choffat beschäftigt sich in seinem Film mit der Frage: Wie kommen Menschen mit ihrem Leben zurecht? Mit ihrem Alltag? Ihren Wirklichkeiten? Der Doppelbürger und 1973 geborene Choffat hat bisher vor allem Dokumentations- und Kurzfilme gedreht. «La vraie vie es ailleurs» ist sein erster Spielfilm. Der Film überzeugt mit einer einfachen und stillen Erzählform. Die Schauspieler, die Schauplätze, alles ist einfach gehalten. Choffat gibt uns die Möglichkeit, ganz persönliche Momente dreier Menschen mitzuerleben. Momente, die wir nicht einmal uns selber erzählen könnten. Diese gewählte Nähe verleiht eine berührende Intimität. Ein stiller Film, der uns ein paar Fragen und Erinnerungen hinterlässt, die wir so rasch nicht wieder vergessen werden. (vl) Filmstart: Siehe Seite 5 in diesem Heft. 19 cinéma SPOTLIGHT KINO ENSEMBLE, C‘EST TOUT ■ Der neue Film von Regisseur und Drehbuchautor Claude Berri lässt viel Zeit und Raum für den knochenharten Realismus und die feingliedrige Poesie des Alltags. Mit «Ensemble, c‘est tout», nach dem gleichnamigen Roman von Anna Gavalda aus dem Jahr 2004, erzählt uns das französische Kino eine weitere warmherzige Geschichte über die kleinen Schwierigkeiten und grossen Schönheiten des Lebens. Die Handlung umspannt ein Jahr im Leben von vier Menschen, die sich alle auf verschlungenen Wegen in der viel zu grossen Pariser Altbauwohnung von Philibert (Laurent Stocker) zusammenfinden. Sie beginnt im Garten der alten Paulette (Françoise Bertin), die stürzt und sich zu ihrem Entsetzen im Spital wiederfindet. Ihr Enkel Franck (Guillaume Canet) kümmert sich als einziger der Familie um sie, auch wenn er bei seiner Arbeit als Koch kaum Zeit dafür findet. Nach Hause in sein Zimmer bei Philibert kommt er fast nur um zum Schlafen, von seinem Mitbewohner selbst hält er nicht allzu viel, und vor lauter Griesgram vergisst er beinahe, sich selbst zu mögen. Philibert ist aber viel zu wohlerzogen und schüchtern, um sich dagegen zu wehren. Eines Tages unterhält er sich vor der Türe kurz mit der introvertierten Camille (Audrey Tautou), die im Dachzimmer des Hauses vor sich hin vegetiert. Camille ist viel zu dünn und zerbrechlich, um dem Leben etwas entgegenzusetzen und als sie krank wird, nimmt Philibert sie zu sich in die Wohnung und päppelt sie wieder auf. Aus der anfänglichen Einsamkeit aller drei entsteht so Schritt für Schritt eine dicke Freundschaft, und aus der ablehnenden Haltung von Franck gegenüber Camille entwickelt sich Streit um Streit eine Liebesbeziehung. Doch erst als sie Paulette zu sich in die Wohnung holen und nochmals alle von vorne anfangen müssen, können sie ihre eigenen Ängste überwinden. «Ensemble, c‘est tout» handelt davon, was die Einsamkeit in Menschen anrichtet, und auch, wie sie aufblühen können, wenn sie diese erst überwunden haben. Mit subtilem Humor und feinen, achtsamen Dialogen zeigt der Film auch, wie viel Liebe und Freundschaft in jedem einzelnen steckt, wenn man plötzlich zur Selbstlosigkeit findet - ohne dabei die eigene Freiheit aufgeben zu müssen. (sjw) Der Film dauert 97 Minuten und kommt am 23.8. in die Kinos. 20 FILM transformers Von Sonja Wenger Bild: zVg. ■ Atemberaubende Actionszenen, gut erzählte Geschichten ohne viel Sinn, aber mit umso mehr Pathos, unterhaltsame, wilde Spässe im Kino: Das ist die Spezialität von Regisseur Michael Bay, und er wird dabei immer besser. Nach «The Rock», «Armageddon», «Pearl Harbour» und «The Island» wagte sich Bay nun an eine Verfilmung mit den Kultfiguren der Transformers. Diese lebenden, intelligenten Roboterwesen können sich, wie es der Name sagt, blitzschnell in andere Maschinen verwandeln - und sind seit Mitte der achtziger Jahre ein Verkaufshit des US-amerikanischen Spielzeugherstellers Hasbro. Und auch in Europa sind die Figuren bis heute in immer neuen Ausführungen in den Kinderzimmern beliebt, genauso wie die gleichnamige Animationsserie und Comicbücher. Doch nicht nur für die eingefleischte Fangemeinde - die noch vor Filmbeginn Zeter und Mordio geschrien hat - ist der Film «Transformers» ein martialisches Gaudi voller witziger Dialoge und Hollywood in Reinkultur. Selbst ohne Kenntnis der Vorgeschichte oder der einzelnen Charaktere ist «Transformers» ein Vergnügen. Er bietet im Bereich der Spezialeffekte bisher noch Ungesehenes, es gibt Gut und Böse und ein Happy End - und mit Shia LaBeouf als Sam Witwicky nach langer Zeit wieder einen jungen Schauspieler, dessen Talent nur noch von seinem Sympathiebonus übertroffen wird. Die Geschichte selbst ist einfach gestrickt. Es gibt die guten Transformers, die sogenannten Autobots, die das Leben respektieren und sich, wenn auch mit Waffen, eine friedliche Koexistenz aller wünschen. Ihr Anführer ist Optimus Prime, im Original gesprochen von Peter Cullen. Sein Gegenspieler bei den Bösen, den Decepticons, ist Megatron, mit der Stimme von «Matrix Agent Smith» Hugo Weaving, der sich das Universum untertan machen will und dabei alles auslöscht, was sich ihm in den Weg stellt. Beide Seiten sind auf der Suche nach dem Allspark, eine Art Meteor-Raumschiff, dass vor langer Zeit auf der Erde bruchgelandet und die Lebensquelle aller Maschinen ist. Nun will es das Schicksal, dass Sams Grossvater einst im Eismeer den Allspark entdeckte und dadurch seinen Enkel heute zum Ziel der Decepticons gemacht hat. Sam will nämlich die geheimnistragenden Erbstücke seines Opas verhökern, um sich endlich ein Auto leisten zu können, das ihn für sein Traumgirl Mikaela attraktiver machen soll. Dass der abgewetzte Camaro, den er sich nicht ganz freiwillig dafür aussucht, kein anderer als der gute Autobot Bumblebee ist, realisiert Sam erst, als er seinem eigenen Wagen nachrennt, weil er glaubt, dass ihm dieser gerade gestohlen wird. Schneller als ihnen lieb ist, finden sich Sam natürlich mit Mikaela mitten im Kampf der Transformers wieder. Dass die Decepticons mit ihren unzerstörbaren Waffen bereits damit begonnen haben, die USA anzugreifen, dass ihnen ein ganzer Geheimdienst auf den Fersen ist und Sams Eltern trotzdem von allem nichts erfahren dürfen, macht das Ganze nur noch komplizierter. Bevor sich am Ende alle miteinander vereinen, um gegen das Böse zu kämpfen, muss Sam mal kurz erwachsen werden und sich die US-Armee gegen Skorpionroboter und einen hinterhältigen Radioplayer wehren. Das Publikum seinerseits wird mit coolen Sprüchen, rasanten Transformationen, die man gar nicht oft genug sehen kann, und einem übellaunigen, um sich ballernden Nokia-Handy belohnt. Doch auch die menschlichen Nebenrollen haben es in sich: Zwar bleibt John Voight als ebenfalls um sich ballernder Verteidigungsminister eher schwach auf der Brust. Dafür kann sich kaum einer besser auf die Schippe nehmen als der wunderbare John Turturro. Der Film dauert 143 Minuten und ist seit dem 31.7. in den Kinos. ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 cinéma TRATSCHUNDLABER Von Sonja Wenger FILM el camino de san diego Von Sonja Wenger Bild: zVg. ■ Wenn einer eine Reise tut, da kann er was erleben – eine Weisheit, die so universell ist wie das Leben selbst. Wie bereits in früheren Werken hat der argentinische Regisseur Carlos Sorin auch in seinem neuen Film «El Camino de San Diego» hauptsächlich mit Laiendarstellern gearbeitet. Nach «Historias mínimas» aus dem Jahr 2002 und dem charmanten «Bombón, El perro» von 2004 setzt Sorin so einen erzählerischen Stil fort, der in jeder Szene die Authentizität durchschimmern lässt und jede Filmminute zum Genuss macht. Angesiedelt zwischen einer Semidokumentation und einem witzigen Road Movie erzählt «El Camino de San Diego» eine Geschichte, wie sie sich tatsächlich hätte zutragen können. Der Waldarbeiter Tati Benítez (Ignacio Benítez) ist ein glühender Anhänger des argentinischen Fussballheiligen Diego Maradona. Er weiss alles über sein Idol, trägt nur dessen hellblau-weisses T-Shirt mit der Nummer zehn und hat sich diese Nummer gar auf den Rücken tätowieren lassen. Sein uraltes Eintrittsbillett für ein Maradona-Spiel hütet er wie eine Reliquie. Für seine Freunde ist er ein sympathischer Spinner, aber ein anständiger Kerl, und heimlich beneiden sie ihn wohl auch ein bisschen um seine Leidenschaft. Doch das Leben meint es nicht nur gut mit Tati. Gerade als seine Frau (Paola Rotela, auch im echten Leben mit Benítez verheiratet) mit dem dritten Kind schwanger ist, verliert er seine Stelle. Als Hilfskraft für den alten Holzschnitzer Silva sucht er danach im Wald nach ausgefallenen Wurzeln und ungewöhnlichen Hölzern. Als er während eines Gewitters Unterschlupf sucht, glaubt er in einem Wurzelstrunk das Gesicht von Maradona zu erkennen. Danach beschäftigt ihn kaum noch eine andere Frage, als was er damit machen könnte. Genau zu jener Zeit wird Maradona mit einem Herzinfarkt in eine Klinik in Buenos Aires eingeliefert - die Medien berichten tagelang über nichts anderes, vor der Klinik versamensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 meln sich Tausende seiner Anhänger. Für Tati ist dieses Ereignis nicht nur ein Schock, sondern auch ein Wink Gottes. Er selbst muss die Wurzel zu seinem Idol in die Hauptstadt bringen, damit sie ihm Glück und Gesundheit bringt. Auch wenn das Geld hinten und vorne nicht reicht, Tati lässt sich durch nichts mehr von seinem Vorhaben abbringen. Was sich danach dem Publikum eröffnet, ist eine Reise von der nördlichen Region Misiones in Richtung Süden, die in vielerlei Hinsicht den Charakter einer Wallfahrt trägt. Durch sein ruhiges, offenes Wesen begegnet Tati allerlei Charakterköpfen, die ihm immer zur rechten Zeit das Richtige bieten können. Mal kann er in einem Ambulanzwagen zusteigen, mal auf einem Laster reisen, dann wieder in einem Bus voller fröhlicher Pilgerreisender. Schliesslich nimmt ihn der brasilianische Lastwagenfahrer Waguinho (Carlos Wagner La Bella) mit, auch wenn er sich eine Spitze gegen Maradona und für Pelé nicht verkneifen kann. Mit Waguinhos unerschütterlichem Humor und erfrischenden Gutmütigkeit schafft es Tati tatsächlich bis in die Hauptstadt. Doch die Odyssee ist noch lange nicht zu Ende. Bis Tati mit all den Begegnungen im Herzen zurückreisen kann, gilt es noch ein paar Hindernisse mehr zu überwinden. Geschickt hat der Regisseur eine Vielzahl von Ereignissen miteinander verwoben. Schon die kleinsten Auftritte der Nebendarsteller lassen ganze Welten und Lebensgeschichten entstehen. Sorin zeigt zudem ein vollkommen unpathetisches Bild der streckenweise öden Landschaft Argentiniens, nur um mit wenigen Sätzen, reduzierten Musikklängen oder echten Gesichtern gleichzeitig eine Liebeserklärung dafür zu verkünden. Mit all diesen Elementen versprüht «El Camino de San Diego» dann auch einen ansteckenden Optimismus und ist ein wohltuendes Plädoyer für das Reisen. Der Film dauert 98 Minuten und kommt am 6.9. in die Kinos. ■ Da ist man mal einen Monat weg und schon verliert man die Übersicht. Also da war doch die Hilton erst drin, dann draussen, dann wieder rein und das Paris jetzt frei ist, hatte vor sechzig Jahren auch noch einen anderen Beiklang als vor sechzig Tagen. Vor kurzem konnte man nun bei der britischen BBC lesen, dass die US-Behörden herausfinden wollen, ob die Hilton im Gefängnis besser behandelt wurde als andere – also muss sie vielleicht sogar wieder rein. Gleichzeitig beklagte sich Victoria Beckham nach ihrer Ankunft in Los Angeles allen Ernstes, dass ihr Promileben schon sehr anstrengend sei. Ständig rein in die Zeitungen, dann wieder raus aus dem Fernsehen. Umbarmherzig wurde ja ihre Ich-komme-in-Amerika-an-und-gebe-viel-Geldaus-Dokuserie auf eine Stunde gekürzt, worauf die «New York Post» den Becks trotzdem noch eine «Orgie der Genusssucht» vorgeworfen hatte - also wieder rein. Definitiv raus aus allem ist wohl der ehemalige «Lüthi & Blanc»-Darsteller Hans Schenker, nachdem er im «Blick» Anfang Juni die Schweizer Promis «alle fertig» gemacht hatte. Eigentlich schade. Da ist Stoff drin für fetzende Drehbücher, denn in Schenkers Wortwitz sind durchaus Qualitäten zu finden - ganz im Gegensatz zu den verschnupften Retourkutschen in derselben «Blick»Ausgabe. Da meinte der «350-Tage-Fasnächtler» Victor Giacobbo (seines Zeichens immerhin Komiker und Satiriker): «Schenker ist ein tragischer Soap-Darsteller.» Wie garstig - und definitiv out! Neuerdings ist ja «grün sein» bei den Promis super in, also grün im ökologischen Sinne, nicht als Metapher vom Obst. So weiss das «In Style» genau, was die Promis denn alles für die Natur tun: Courtney Love beispielsweise braucht nur Recycling-Toilettenpapier, «auch wenn es nicht das Weichste ist». Die Brosnans benutzen «ein geschlossenes Wassersystem für die Toilette» - ausserdem setzen sie nützliche Links auf ihre Webseite. Und Alicia Silverstone hängt ihre Wäsche zum Trocken im Freien auf - auch sie also raus! Damit man sicher drin bleiben kann, macht es «Wii» nun möglich, von der Couch aus Holz zu hacken und Tennis zu spielen. Zumindest in der Werbung finden das alle lustig. Der letzte Schrei des Monats findet sich allerdings auf www.littlelily.com. Dort kann man sich die «Oscar»-Outfits der Stars für Hunde bestellen: Red-carpet-Collection für Diva-Dogs, besonders gut kommt der Smoking von Leonardo DiCaprio. Vielleicht ist das was für Tinkerbell Hilton, zur Feier, wenn Frauchen das nächste Mal raus kommt? 21 das andere kino www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546 ■ Es gehörte zu den Sommerferien wie Sonne, Badi und Glacé: Das Sommerwunschprogramm im Schweizer Fernsehen. Wenn die televisionären Balken in die Länge wuchsen, die anzeigten, für welchen Film sich das Publikum entschieden hatte, war die Spannung gross – ob Spaghettiwestern oder Liebesschnulze, Klassiker oder B-Movie: Der Filmgenuss war ein anderer, wenn er in einer demokratischen Wahl zustandekam. Nach dem tollen Publikumsecho im vergangenen Jahr liessen wir Ihnen auch in diesem Jahr die Wahl. Über 160 Personen haben im Internet ihre Lieblingsfilme ausgewählt und damit ihr ganz persönliches Cinématte-Sommerwunschprogramm zusammengestellt. Wir dürfen Ihnen zu einer exzellenten Wahl gratulieren – zu einer attraktiven Mischung aus Alt und Neu, aus Klassikern und Kultfilmen, aus Ernstem und Heiterem: Eine liebevoll gezeichnete Dorfchronik ist Jour de Fête, in dem Jacques Tati als staksiger Briefträger vergeblich versucht, die Post in seinem Dorf zu modernisieren. Le Grand Bleu erzählt die Geschichte der Freitaucher Jaques Mayol und Enzo Molinari, die eine gemeinsame Leidenschaft teilen – die Liebe zum Meer, zur Tiefe und zum Tauchen. Eine poetisch-melodramatische Erzählung mit faszinierenden Bildern und einem brillianten Soundtrack. Als typisches Beispiel für die «Nouvelle Vague» gilt die Gangster-Love-Story A Bout de Souffle von Jean-Luc Godard mit Jean-Paul Belmondo. Der Musikfilm The Wall erzählt seine Geschichte vom Krieg, von der Isolation und den Drogen fast ausschliesslich in Bildern und Musik. 1965 mit drei Oscars ausgezeichnet wurde Zorba the Greek, in dem Anthony Quinn als Alexis Zorba brilliert. In Dead Poets Society versucht der neue Englischlehrer eines konservativen Eliteinternats, seine Schüler mit originellen Lehrmethoden zu eigenständig und kreativ denkenden Menschen zu erziehen und ihnen seine Leidenschaft für Poesie weiterzugeben. Neu präsentiert in diesem Jahr das LesbischSchwule Filmfestival Queersicht mit Fresa y Chocolate und Priscilla, Queen of the Desert zwei Klassiker im Rahmen des Sommerwunschprogramms. 22 www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05 ■ JE VAIS BIEN, NE T‘EN FAIS PAS (Von Philippe Lioret, Frankreich 2006, 96‘, Französisch/d, Spielfilm) Nach ihrer Rückkehr aus den Sommerferien erfährt Lili, dass ihr Zwillingsbruder nach einem heftigen Streit mit dem Vater das Elternhaus verlassen hat. Wochen vergehen ohne ein Lebenszeichen von Loïc. Lili befürchtet das Schlimmste. Nach Monaten erhält sie überraschend eine Ansichtskarte von ihrem Bruder, bald darauf eine weitere, dann noch eine. Lili begibt sich auf die Suche nach dem Verschwundenen und kommt dabei einem Familiengeheimnis auf die Spur... Im Zentrum von JE VAIS BIEN NE T‘EN FAIS PAS steht ein rätselhaftes Familiengeheimnis, das auf den ersten Blick recht harmlos erscheint, aber im Laufe des Films erschreckende Dimensionen annimmt. Treffend im Ton und voller Emotion erzählt der Film von Zusammenhalt, Vertrauen, Schutz und Intimität innerhalb der Familie. Erleben Sie Frankreichs Shooting Star Mélanie Laurent in einem intelligenten Gefühlsthriller von Regieausnahmetalent Philipp Lioret. IRON ISLAND (Von Mohammad Rasoulof, Iran 2005, 90‘, Originalversion/d/f, Spielfilm) Ein schrottreifer Tanker, der im Persischen Golf ankert, eine Handvoll prägnanter Darsteller und eine originelle Drehbuchidee: Mehr braucht der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof nicht, um einen Mikrokosmos seiner Gesellschaft auf dem Seelenverkäufer lebendig werden zu lassen. An Bord leben die Bewohner in winzigen Parzellen. Trotzdem halten sie auf dem rostigen Kahn auch noch Tiere. Es wird gestritten, geliebt, gespielt und auch gestorben – das alles unter dem strengen Regiment von Kapitän Nemat, der aus den armen und naiven Bewohnern eine straff reglementierte Gesellschaft macht, in der alles seinen Platz hat – sogar der Schulunterricht. Aber die Tage der «Eisernen Insel» sind gezählt: Das Schiff sinkt langsam. Kein Wunder, denn es wird Stück für Stück demontiert, um das Altmetall zu verscherbeln. Die Bewohner wissen nicht, welchem Schicksal sie der Kapitän ausliefern will. Die Spieldaten entnehmen Sie bitte unserer Homepage www.kellerkino.ch. www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99 ■ SAISONSTART: 1. SEPTEMBER Ab 1. September stellen wir in der Reihe Filmemacher heute den Regisseur Tony Catlif vor. Mit Gadjo dilo gelang Catlif 1997 der internationale Durchbruch. Als Berner Premiere zeigen wir u. a. seinen neusten Film Transylvania. Kunst und Film: Ab 1. September mit der dänischen Künstlerin Simone Aaberg Kærn, welche vom 31. August bis zum 6. Oktober in der Berner Galerie MADONNA#FUST zu sehen ist. Zwei Dokumentarfilme über Markus Raetz und Hans Josephson stehen ab 9., bzw. 15. September auf dem Programm. Mit seinen verblüffenden und poetischen Installationen und Skulpturen hat der Berner Raetz längst den internationalen Durchbruch geschafft, während der 87-jährige Zürcher Josephson erst seit ein paar Jahren als einer der bedeutendsten Bildhauer unseres Landes gehandelt wird. Bollywood & Beyond: In Ergänzung zur Ausstellung «Horn Please. Erzählen in der zeitgenössischen indischen Kunst» (Kunstmuseum Bern, 21. September 2007 – 6. Januar 2008) untersucht das ergänzende Filmprogramm Erzählstrukturen im indischen Mainstream- und Studiofilm. Ab 22. September. Theater und Film: In einer Zusammenarbeit mit dem Stadttheater Bern präsentieren wir zu ausgesuchten Bühnenproduktionen Filme, u. a. Federico Fellinis Prova d’orchestra. Ab 9. September. Filmgeschichte: Ab Oktober bieten die Kinemathek Lichtspiel und das Kino Kunstmuseum gemeinsam eine fortlaufende, filmgeschichtliche Reihe an. Sie zeigt chronologisch, anhand von rund 50 Filmbeispielen, die Entwicklung des Kinofilms von ihren Anfängen bis zum Ende des letzten Jahrtausends auf. FREUNDE PROFITIEREN! Werden Sie FreundIn des Kino Kunstmuseum und profitieren Sie während der Kinosaison 07/08 von den Vorteilen: - Freunde erhalten für einmalige Fr. 40.— eine Ermässigung von 25 % - FreundePlus erhalten für einmalige Fr. 200.— freien Eintritt - FreundeSuperPlus erhalten für einmalige Fr. 350.— freien Eintritt mit einer Begleitperson Infos: 031 311 60 06 oder info@kinokunstmuseum.ch ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 Für das Tagesprogramm die Tageszeitung oder das Internet www.bernerkino.ch K IN O i n d e r R e i t s c h u l e www.reitschule.ch / Telefon 031 306 69 69 Im Juli und August macht das Kino in der Reitschule Sommerpause In der 2. Septemberwoche geht’s wieder los.... Vorschau auf das Herbst/Winter-Programm: September: Stummfilme mit Live Musik in der Grossen Halle der Reitschule Oktober: Auftakt zum 20-jährigen Jubiläum der Reitschule: Das Kino wird vom Oktober bis in den März hinein Programmthemen aufnehmen, die in den letzten 20 Jahren für das politische, gesellschaftliche und kulturelle Selbstverständnis der Kinogruppe massgebend waren: Auf- und Widerstände, Soziale Bewegungen, Kino von Frauen, Lesbisch-schwules Kino, Kinoland Schweiz, Globalisierung. 8. bis 11. November: Lesbisch-Schwules Filmfestival QUEERSICHT 29. November bis 22. Dezember: Naher Osten - Was vermag das Kino? Filmreihe zu Palästina - Israel Ab September wieder jeden 2. Donnerstag: UNCUT - Warme Filme am Donnerstag ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 LICHTSPIEL www.lichtspiel.ch / Telefon 031 381 15 05 ■ Wir waren die Swissair. Piloten schauen zurück. (Buchvernissage) Denis Hänzi präsentiert das Resultat seiner kultursoziologisch angelegten Studie, die die beruflichen Selbstbilder von vier ehemaligen Swissairpiloten nachzeichnet. In den 1970er Jahren haben sie sich der Fliegerei verschrieben – jener von Fortschrittsoptimismus geprägten Zeit also, als die Swissair den Ruf der weltbesten Airline genoss und eine stolze, unabhängige Schweiz verkörperte. Wie sehen die Berufspiloten rückblickend «ihre» Airline? Wie denken sie über den Untergang unserer einst so stolzen nationalen Fluggesellschaft? Das Lichtspiel serviert dazu Swissair- und Piloten-Filme aus dem hauseigenen Archiv. (Mo 13.8., 21:00 h) Wiederum gibt es wunderbare deutsche Schlagerfilme aus den Fünfziger-und Sechzigerjahren (wieder)zuentdecken: so Fritz Umgelters Wenn die Conny mit dem Peter mit dem legendären Traumpaar Conny Froebes und Peter Krause (Mi 15.8., 21:00 h). In La Paloma von Paul Martin konkurrieren sich zwei Berliner Variétébühnen, indem sie versuchen, sich gegenseitig die Stars auszuspannen (Mi 22.8., 21:00 h), schöne Melodien und flammende Herzen sorgen in der turbulenten Komödie Davon träumen alle Mädchen von Thomas Engel für beste Unterhaltung. (Mi 29.8., 21:00 h) Sortie du Labo: Mit S’Vreneli am Thunersee (1936) erzählt Paul Schmid eine Geschichte von unmöglicher Liebe im Jahre 1866. Der Dichter Ott liebt die Dorfschönheit Vreneli. Vreneli jedoch liebt den Jäger Hans. Hans liebt Vreneli, doch muss er – zu Unrecht des Mordes beschuldigt – in die Fremde ziehen. So simpel und reaktionär die politische Aussage der Geschichte auch daherkommt, die Equipe war bunt gemischt: So wurde neben der Hauptdarstellerin Lotti Geisler der intellektuelle Willy Roettges, ein Mitglied der Basler Bohème, als künstlerischer Berater beauftragt. Dieser holte seine Kollegen aus dem avantgardistischen «Club 33» sowie dem antifaschistischen Kabarett «Resslirytti» ins Boot. Eine durchaus spannende Vorstellung, wie vor den Augen erklärter Feinde des Establishments ein traditioneller «Trachtenfilm» produziert wurde. (Mo 20.8., 21:00 h). www.pasquart.ch / Telefon 032 322 71 01 ■ Original und Remake Wenn die Temperaturen hochklettern und der Bielersee mit erfrischender Abkühlung lockt, ist es Zeit für den legendären Open-Air-Zyklus des Filmpodiums. Dieses Jahr gibt es unter dem Titel Original und Remake besondere Leckerbissen zu sehen, die abends unter freiem Himmel über die Leinwand flimmern. Originalfilme haben den Ruf besser zu sein als die neueren Versionen. Ob sie es tatsächlich sind oder ob die Neuverfilmungen, die häufig mit mehr Spannung und Action auftrumpfen, oben aus schwingen, darüber können die Zuschauer jeweils am Freitag- und am Samstagabend rätseln. Der direkte Vergleich offenbart Unterschiede und Besonderheiten, aber lässt trotzdem jeden Film für sich stehen. Die meisten der ausgewählten Remakes sind Verfilmungen eines literarischen Werkes und stehen als Neuadaptionen im Bezug zum Originalfilm und zur Buchvorlage. Die Frage nach Echtheit, danach, was das Original und was die Kopie ist, bildet das Grundthema des Zyklus. Gezeigt werden u. a. Es geschah am helllichten Tag, ein Schweizer Film aus dem Jahre 1958, der sich stark an einen Roman von Dürrenmatt anlehnt. Der Krimi, der im Gedächtnis bleibt wie klebriger Honig an den Händen, überzeugt durch die beiden Hauptdarsteller Heinz Rühmann und den späteren James-Bond-Bösewicht Gerd Fröbe. Schokotrüffel und eine Zeichnung mit einem Riesen spielen bei der Auflösung des Mordfalles an einem kleinen Mädchen eine zentrale Rolle. Spannungsgeladen ist auch The Pledge (2001), das US-amerikanische Pendant mit Jack Nicholson in der Rolle des Detektiven Jerry Black, dem ein ungelöster Mordfall und ein Gelübde an die Hinterbliebenen des Opfers am Tag seiner Pensionierung zum Verhängnis wird. In den weiten Nevadas, leer und trostlos, kämpft er gegen die Einsamkeit und dafür, dass er sein Versprechen einhalten kann. King Kong, den berühmtesten Gorilla der Filmgeschichte in zwei Versionen; Lolita, beide Verfilmungen des Skandalromans von Vladimir Nabokov, der in seinem Buch das Tabuthema Pädophilie unter dem Teppich hervorkehrte. Und: Shall we Dance, The Ladykillers und Solaris. 23 Alther&Zingg Wir machen Ein filosofisches Gespräch: aus Gedanken Druck(kult)sachen. «WIE SEHR WIR AUCH ALS NATURUND KULTURWESEN IN DIE UNABSEHBAREN PROZESSE DER WIRKLICHKEIT EINGEBUNDEN SIND: WIR HABEN DARIN DANN UNSERE FREIHEIT, WANN IMMER WIR ETWAS VON SELBST ANFANGEN.» Volker Gerhardt, 1999 telefon 031 720 51 11 www.fischerprint.ch Mittwoch, 19. August 2007 // 19:00 h tonus-labor, Kramgasse 10 Mitbringen: Ideen, Stimme, Instrumente oder so... Kino am Fluss - Ihr Sommerwunschprogramm Donnerstag, 16. und Samstag, 18. August, 21.00h A Bout De Souffle Regie: Jean-Luc Godard; mit: Jean-Paul Belmondo, Jean Seaberg; F/1960, OV mit d UT, 88 Min. Gangster-Love-Story. Jean Seberg legt den verliebten Jean-Paul Belmondo herein. Jean-Luc Godards Regiedebüt gilt als typisches Beispiel der "Nouvelle Vague". Ab Ende der 50er revolutionierte Frankreichs "Neue Welle" das Kino mit ruckartigen Schnitten, Handkamerabildern und Verzicht auf Studioaufnahmen. Das Skript schrieb Godard mit Freund François Truffaut: eine leicht spöttische Hommage an die amerikanischen Noir-Thriller. Wasserwerkgasse 7, Bern Reservationen 031 312 45 46 oder www.cinematte.ch cinéma FILM der subversive blockbuster Von Benedikt Sartorius Bild: zVg. ■ Gleich am Ende der atemberaubenden «Itchy & Scratchy»-Trickfilm-im-Trickfilmeingangssequenz, in der das Atomwaffenarsenal der US-Armee zum Einsatz kommt, stellt Homer Simpson, Vorsteher der bekanntesten animierten Familie der Welt, die entscheidende Frage: «Wie kann man nur so blöd sein, im Kino für etwas zu zahlen, das man im Fernsehen umsonst bekommt!» Der lang erwartete «The Simpsons Movie» stellt so unmissverständlich seine Zeichenhaftigkeit und die eigenen Produktionsbedingungen ins Zentrum und verarbeitet alle popkulturellen Versatzstücke, die in der wildgewordenen Medienwelt umherfliegen. Die Kinder spielen Shootergames, Bart Simpson muss hundertmal an die Wandtafel schreiben, dass er diesen Film nicht downloaden darf und verteilt lustige Seitenhiebe Richtung Disney, die Leinwand wird durch eine Werbung der SimpsonsProduktionsfirma Fox in Beschlag genommen und immer wieder ertönt der Ruf nach einem Sequel. Grenzenloses Phänomen Diese selbstreflexive und ironische Ebene ist eine Erklärung für die immense Bedeutung der seit achtzehn Jahren bestehenden Trickfilmserie und es ist diese Ebene, die die Simpsons zu einem gern untersuchten und ergiebigen Sujet für die Sozial- und Kulturwissenschaften macht. Fast noch wichtiger für den immensen Erfolg der über 400 Folgen à 22 Minuten, die bei mehrmaligem Schauen immer mehr Facetten freilegen, ist die Durchschnittlichkeit der gelben Familie und den dargestellten Lebenswelten. Jede und jeder darf sich einen Teil des grenzenlosen Phänomens abschneiden und amüsiert sich auf seine Weise, sofern man nicht mit Sittenwächtern und Regierungen vom Schlage der Bush-senior-Administration sympathisiert, die in den Simpsons ein die ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 Gesellschaft korrumpierendes Element sahen. Die Handlung des Kinodebüts ist simpel: Springfield – dieser universale Nicht-Ort der US-amerikanischen Durchschnittsgesellschaft – ist in Gefahr. Die Natur steht am Rande des Kollapses, der See ist längst verätzt und natürlich will niemand, ausser der engagierten Lisa Simpson, auch nur etwas von einer drohenden Katastrophe wissen. Schon gar nicht Homer, der durch seine Donutsucht die von Grampa Simpson im religiösen Delirium beschworene Apokalypse auslöst. Die Folgen sind ein vieläugiges Mutantenhörnchen, das nach dem Passieren einer augenscannenden Sicherheitsschleuse dem dossierunkundigen Präsidenten Schwarzenegger («I’m elected to lead, not to read») vorgeführt wird und ein Glasdom, der gleich einer Käseglocke die Stadt hermetisch von der Aussenwelt abriegelt – wäre da nicht ein kleines Schlupfloch, das der fünfköpfigen Familie die Flucht vor dem wütenden Lynchmob ermöglicht. Die Flüchtlinge reisen nach Alaska, das zunächst als paradiesische Anderswelt erscheint, sich durch Ölbohrungen und Details wie der «Eskimoe’s Tavern» aber immer mehr als Spiegelbild der Heimatstadt entpuppt. Springfield mutiert in Abwesenheit der Simpsons zur vor sich hin vegetierenden anarchischen Geisterstadt mit marodierenden Bewohnern, die dem Erdboden gleichgemacht werden soll. Selbstredend kann es nur einen geben, der Springfield vor dem Untergang retten kann: Homer Simpson, dieser unverantwortliche, tollpatschige und doch so liebenswürdige Vielfrass. Hochkomisches Actionkino Dem «Simpsons Movie» gelingt es, die Möglichkeiten der grossen Leinwand mit liebenswürdigen Details und virtuos inszenierten Szenen auszuschöpfen. Barts Nu- disten-Skateboardfahrt ist rasendes Actionkino in 2D, der selbstmörderische Bombenentschärfungsroboter schönster Verweis auf einen anderen Monolithen der Hochkomik und wie in Homers Mund – inspiriert durch sein wandelbares Hausschwein – das Spiderman-Thema zum Spiderpigsong wird, ist schlicht herzerwärmend komisch. In den traditionellen Starauftrittszenen parodiert Tom Hanks sein Image als Gutmensch, der die Glaubwürdigkeit der Regierung hochhalten muss und Green Day, die millionenschwere Fun-Protest-Band, ertrinkt gnadenlos im Lake Springfield. Weniger überzeugend ist die Darstellung und Einbindung der zahlreichen Nebenfiguren: Dem jähzornigen Erzchristen Ned Flanders gelingt es entgegen der Serietradition beinahe, sich als perfekter Vater zu inszenieren und Russ Cargill – der neuen Figur in der Simpsons-Welt – geht die Vielschichtigkeit von anderen zwielichtigen Seriengestalten wie dem Energiemogul Mr. Burns oder SideshowBob ab. Speziell in den Flanders-Szenen schielt das hochkarätige Autorenteam um den SimpsonsErfinder Matt Groening zu stark Richtung Konsens und vergisst für kurze Zeit die subversive Kraft des gelben, unerschöpflichen Paralleluniversums, in dem feinsäuberlich und nahezu permanent die Alltagsmythen der globalen Gesellschaften zerpflückt werden. Überdies gilt: Kein grosser Prophet ist, wer diesem Film mehr Wirkung als Al Gores Klimafilm «An Inconvenient Truth» zuspricht, auch wenn die Hebebühne bei Lisas Präsentation erheblich klemmt. «The Simpsons Movie» läuft seit dem 27. Juli im Kino. www.simpsonsmovie.com 25 magazin INSOMNIA LESERBRIEFE / FORUM leserbrief@ensuite.ch HEIMAT? Von Eva Pfirter ■ Mitternacht auf meinem Berner Balkon. Es ist still. Grillen zirpen leise, irgendwo raschelt ein Tier im Garten unter mir, ab und zu fährt ein Auto vorbei – langsam, zivilisiert, ohne viel Gas zu geben. Und dann ist’s wieder still Die Mittellinie der Strasse leuchtet grellweiss ins schwarze Nichts. Ein Glas Rotwein steht auf dem Tisch, das Kräutergärtchen gedeiht, die Wäsche an der Leine duftet frisch. Die Luft ist wunderbar; kühl und vollgesogen mit Feuchtigkeit und dem leichten Duft verspäteten Frühlings. Über dem Gurten hängt eine graue Wolke. Ein altes Velo quietscht in der Kurve. Der Nachbar nebenan hustet und rückt einen Stuhl zurecht. Die Nachbarin über mir lacht am Telefon. Teenager schlendern vorbei, lachend, rauchend, flirtend. Dann sind sie weg und es ist wieder ruhig. Die Nacht strahlt alles aus, was die Schweiz ausmacht: Wohlbefinden, Sicherheit, Raum für mich. Raum, den niemand antastet. Ich könnte ewig sitzen bleiben, ins Dunkel hinausschauen und wohlig vor mich hin schlummern. Ich könnte schlafen. Wunderbar schlafen. Doch ich kann nicht. Mitternacht auf meinem Römer Balkon. Die Luft ist schwer und warm. Der laue Wind streicht über mein Gesicht. Er duftet nach Aufwachen, Leben, junger Nacht. Eine Autotür knallt und eine zweite. Stöckelschuhe tänzeln über den Asphalt und jemand ruft «Aspetta!». In der Strasse unter meinem Balkon sitzt eine Gruppe Studenten auf Automotorhauben, lachend, diskutierend, in der einen Hand den Aperitivo haltend. Der letzte Bus brummt vorbei, laut und schwer wie ein alter Walfisch. Meine Mitbewohnerin rennt zur Tür, begrüsst eine Freundin und rauscht hinaus, eine Duftwolke zurücklassend. Der Martini auf der staubigen Balkonbrüstung ist schon fast zu warm. In der Küche klappert Emma mit Töpfen vom Nachtessen. Zwischendurch klingelt eines ihrer beiden Handys. An meinen Schuhen hängt noch etwas Sandstaub. Ich könnte ewig so stehen bleiben. An meiner Balkonbrüstung. Aufs Kino hinabschauend, das Leben ist. Die warme Luft ist alles, was mir Italien bedeutet: Lebenshunger, Überschwang, Leichtigkeit. Süss und gleichzeitig schwer. Es ist zu laut zum Schlafen. Es ist beinahe zu hell, auch wenn es eigentlich dunkel ist. Ich könnte bleiben. Ewig bleiben. Doch ich kann nicht. 26 Thema: L‘ Aubier - Oase der Sinne ensuite, Juni 54/55, S. 34 ■ Ich bin zwar Abonnent, weiss aber nicht, ob Ihr so eine Leserseite habt - habe bis an noch nicht darauf geachtet, ausser auf Eure so genialen Artikel (wie den letzten mit dem Stadttheater) ... bin jetzt aber schon ein paar Seiten weiter und beim Artikel «l´aubier - oase der sinne» stecken geblieben. Als langjähriger Ökofutterer (nicht erst seit es in Hollywood in ist) hatte ich mich wie doll darauf gefreut, dass erstens meine Frau und ich von Freunden in das Hotel «Le café Hotel» (gehört zusammen mit dem in Montezillon) eingeladen wurden und dass on top of it ich noch von meiner Frau ins Les Murailles 5 zum Znacht eingeladen wurde. Das Hotel in Neuchâtel ist sehr schön, die Zimmer herrlich einladend und die Ambiance in den Stockwerken einmalig. Die Leute lieb! Einzig beim Frühstück vermisste ich ein wenig Musik und die Verbindung zum Bauernhof ... es war da nicht viel zu spüren von einem Unterschied (ich bin ca. 150 bis 200 Nächte pro Jahr in Hotels). Aber das mit dem l´aubier! Am Abend, nach einer Entdeckungstour durch Neuchâtel, ging‘s los. Man kommt auch mit dem Zug dorthin! Das Herantreten ist super... diese Aussicht! Wahnsinn... und der herzig einladende kleine Garten vor dem Haus. Aber, wie Sie erkannt haben (oder Andrea Baumann), musste man aber sofort die Kamera zücken, weil dies die einzig wertvolle Ansicht von der Liegenschaft ist. Ein hässlicher Wintergartenanbau zerstört schnell die innere Ruhe des Gebäudes. Weder modern noch romantisch. Weder cool noch warm! Chance verpasst. Die Einrichtung könnte von einen billigen Möbelhaus, welche es entlang der A1 zu Massen gibt, stammen. IKEA hätte da Wärmeres und Moderneres zu bieten. Wenn schon bei IKEA ... überall stehen, hängen oder liegen Gegenstände oder Möbel herum, die eine Ambiance vorspielen sollen. Weil sie aber ganz offensichtlich nicht gebraucht werden, auch die Schränke nicht, strahlen sie soviel Charme aus, wie die hohlen Bücher in den Ausstellungswohnwänden bei Hubacher. Und so geht es weiter mit dem Essen dann. BIO muss doch nicht einfallslos sein! Auch nicht grau! Wie Vegi auch nicht mehr nur Bohnen und Braun ist! Wo ist das Gefühl, der Bauernhof sei grad nebenan? Warum habe ich Salate auf dem Teller, die sicher nicht von dem Hof sind, sondern wahrscheinlich von einem Bio-Bauern in Kenia? Bio heisst auch Saison ... ok, ich hatte auch Spargeln, aber auch den Verdacht, dass die aus einen BioGlas kommen. Ok, vielleicht bin ich ein zu extremer Gourmet - darum gehe ich halt auf den Berner Markt (der beim Münster) und mache meine Freuden für uns und Freunde selber. Kochen kann ich. Und Lust für Bio habe ich auch - weil dies ein Motivator ist, die volle Natur auf dem Gaumen zu spüren und das mit gutem Gewissen. Also, ein paar weniger Auszeichnungen und aber viel mehr Gefühl und LUST - bitte! Auf ein andermal - früher waren die Bio-Weine ja auch alle schlecht, so als Erkennungszeichen. Und heute von Weinliebhabern aber ganz an die Spitze gebracht. Das dauerte, aber es lohnt sich. In diesem Sinne ... ich freue mich auf die Geniesser in der BIO-Gastro-Branche ;-) Es gibt solche ... habe ich auch schon entdeckt! Thomas Kaupert; Bern Kultur geht uns alle was an! abo@ensuite.ch Leserbriefe Wir freuen uns über Ihre Zuschriften. Je kürzer ein Brief, umso grösser ist die Möglichkeit für eine Veröffentlichung. Es ist nicht nötig, dass der Inhalt sich nur auf Artikel bezieht, welche im ensuite - kulturmagazin erschienen sind - aber es wird die Veröffentlichung fördern. Die Redaktion behält sich vor, Artikel zu kürzen. Es werden nur Zuschriften publiziert, welche mit Name und Wohnort versehen sind. Einsendungen an: ensuite - kulturmagazin, Leserdienst, Sandrainstrasse 3, 3007 Bern oder per Email: leserbrief@ensuite.ch ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 magazin CARTOON www.fauser.ch VON MENSCHEN UND MEDIEN biedere, gemütliche neidhammel Von Lukas Vogelsang ■ Der Möchtegernsommer ist für Medien sicher nicht einfach. Da die Nachrichtenagenturen ferienbedingt, ebenfalls reduziert, wichtige und unwichtige Agenturmeldungen verbreiten, müssen unsere JournalistInnen selber ans Werk. Das kann übel sein – vor allem wenn diese aus der Übung gekommen sind - und man wünscht sich zuweilen die verflucht langweiligen Agenturen wieder zurück an den Arbeitsplatz. So hat «Der kleine Bund» vom 14. Juli eine wunderbare Sommerfüllidee gehabt und füllte die Beilage mit dem Thema: «Unsere kleine Stadt». Und natürlich ist damit Bern gemeint und natürlich dreht sich alles um den Vergleich mit Zürich. Aber dem nicht genug: Die Diskussion ist vom Chefredaktor Arthur K. Vogel sogar selber angezettelt und geschrieben worden – einem Luzerner, der seit Anfang dieses Jahres in Bern wohnt. Einer eben, der das Duell der Berner gegen die Zürcher noch nicht miterlebt hat oder eben dann nur am Rande. Was er sicher mitbekam, ist, dass die Reaktionen Bern-Zürich und dann retour Zürich-Bern ganz gut für Diskussionsstoff sorgen. Einzig, der Rückschlag aus Zürich ist meistens um ein Höllisches tiefer unter der Gürtellinie – und niemand wagt sich dagegenzstellen, wohlweislich, dass der Funken Wahrheit eine Flamme ist und es besser ist, ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 zu schweigen… Bern ist unverbesserlich selbstbesessen. Neidisch sind wir, weil uns die lockere Art der Zürcher nicht bekommt, neidisch sind wir, weil die Welt in Zürich stattfindet und nicht hier in unserem ach so gemütlichen Nest. Der Tod von Bern heisst Kleindenken, Politik und Medien. Wir sind (und das ohne Wertung) eine Beamtenstadt und keine Firmenhochburg. Wer in Bern etwas sein will, muss erst die gnadenlose Attacke von geltungssüchtigen Karrierebeamten überleben oder aber mit den Medienhäuser verbandelt sein – denn in unserem Zürcher Medienhaus wird nur über «Gekauftes» geschrieben. Tja, was für ein Vogel also. Unklarer wird das Ziel von «Unsere kleine Stadt». Soll es eine Plattform für lechzende Zürcher Journalisten sein? Ist es die Einladung, uns im August in Olten zum Kantönliduell zu treffen? Oder sollte es tatsächlich die Berner motivieren, stolz über ihre verfilzte Baugrube zu sein? Der Chefredaktor Vogel stüpft sich gleich selber ins Luzerner Füdli, wenn er Jean-Martin Büttner (vom «Tagesanzeiger») neben seinem Artikel schreiben lässt: «Von den Zürchern sind solche Abfälligkeiten selten zu hören – aus dem einfachen Grund, dass sich diese gar nicht für Bern interessieren.» Man könnte frivol anhängen: Den Berner interessiert es auch nicht. Die Kommune Bern wird Vogel mit diesem Artikel kaum gewinnen können. Denn irgendwann – bestens bemüht, das Sandsteinlager in einem guten Licht erscheinen zu lassen – verfällt er selber in einen Anti-Berner-Släng, redet von «gestörtem Verhältnis», wenn’s um den Verkehr geht, dass es «ihm den Hut lüpft», dem Berner, und dass diese «rätselhaft» über das Roadpricing nachdenken. Da redet der Chefredaktor vom «Bund» über Abfälle und Strassenpoller und meint wohl, damit einen Zürcher beeindrucken zu können oder dem Berner die Brusthaare zu polieren. Ich kann mir auch schlecht vorstellen, dass man sich in Zürich dafür interessiert, ob wir in der Buslinie 11 und 21 Platz haben oder nicht. Vielleicht täten die von Vogel abgewerteten Zürcher «Privatisierungsfetischisten» Bern ganz gut. Je mehr man seinen Artikel liest, umso klarer wird einem, dass der Arthur K. Vogel Bern nicht gern hat. Er lebt hier wegen der Arbeit – eine Art Zwangsgemeinschaft -, aber mehr hat er hier nicht verloren. Oder wie einst ein Militäroffizier vor meinem Rauswurf der grünen Institution beizubringen versuchte: «Du bist keiner von uns und wirst es nie werden!» Ich war dankbar und stolz darauf – es scheint, der Vogel auch. 27 magazin STADTLÄUFER Von Andy Limacher ■ nr. 33 // badespass. Regelmässige Leser dieser Kolumne wissen mittlerweile, dass ich im Weissenbühl wohne. Geografisch nahe liegend für den Badespass wären für mich also vor allem Eichholz und Marzili, und allenfalls Weyermannshaus und Ka-We-De. Aber in keinem dieser Bäder lasse ich mich sehen. Am liebsten kämpfe ich mich an denjenigen Sonntagen, an denen der Asphalt brodelt, nämlich quer durch die Stadt: Zuerst die Monbijoustrasse hinauf, dann quer über die Grossbaustelle und anschliessend den Killerhügel des Nordrings hoch. Wenn mir dann der Schweiss in Strömen aus den Poren dringt, weiss ich, dass ich mir den Besuch im Wylerbad verdient habe. An dieser Stelle hätte ich jetzt gerne einen Stadtläufer-typischen Abschnitt mit Fakten platziert. Zum Beispiel: Beim Wyler wurde schon Ende des 18. Jahrhunderts gebadet. Oder: Das Wylerbad ist das einzige Bad in Bern, bei dem das Wasser nicht chemisch aufbereitet wird. Diese beiden Fakten treffen aber leider auf das Marzili beziehungsweise das Lorrainebad zu. Im Gegensatz dazu ist das Wylerbad völlig faktenfrei, was bedeutet, dass Sie mit meiner persönlichen Wahrnehmung vorlieb nehmen müssen. Nun, selbst bei grossem Andrang findet sich im Schwimmbecken immer ein Plätzchen. Auch einen Schattenplatz muss ich jeweils nicht lange suchen. Die grosse Sportwiese ist definitiv ein Plus, und die Pommes sind immer frisch und knackig. Darüber hinaus schätze ich die Lage: Schweizer Qualitäts-Bio-Glacé bekomme ich im Luna Llena gleich um die Ecke, und auf dem Nachhauseweg stehen mir für ein kühles Blondes optional Kairo, Brass und Du Nord offen. Nicht dass sie mich jetzt für einen halten, der nie in die Aare steigt. Aber wenn schon, dann ohne die Fleischbeschauung im Marzili. Sie finden mich auf der kleinen Wiese unterhalb der Lorraine – unweit des Wylerbads. www.ensuite.ch Wissen was im nächsten Monat läuft. SOMMERVERSUCH I SOMMERVERSUCH II ■ Kluge Köpfe schützen sich – vor der Sonne. Am Besten, man cremt sich das Gesicht und die Haare ein, und frau trägt einen Tschador, belehrt mich ein Freund. Ich gucke mich im Restaurant um und frage mich, von welcher Gefahr er wohl spricht. Weit und breit nur käsebleiche Wintergesichter. Dasselbe Bild bietet sich auf Berns Strassen: Die reinste Milchschwemme, und das ohne Subventionen. Dabei ist schon Ende Juli. Auch um mich steht’s nicht besser: Aus dem Spiegel linst mir ein weisses Antlitz entgegen. Im Gegensatz zu den japanischen Touristinnen vor dem Zyglogge, die ihr Sonnenschirmchen flugs in einen Regenschirm umfunktioniert haben, freue ich mich darüber aber gar nicht. Was soll nur aus all den Kleidern in kräftigen Farben werden, die mir «InStyle» wärmstens zur «knackig braunen Haut» empfohlen hat, und die nun im Schrank den Motten harren? Insgeheim keimen in meinem Kopf frevlerische Fragen: Wo ist die Klimaerwärmung, wenn man sie braucht? Haben sich die Grünen zu früh gefreut? Ich entschliesse, dieser Misère nicht mehr länger tatenlos zuzusehen. Wie in allen schwierigen Lebenslagen stöbere ich in einem original indianischen Wiki. Unter dem Stichwort «Wetter» finde ich aber nur Hinweise zu Thomas «der aus grossen roten Knöpfen weissagt» Bucheli und Anleitungen zu Regen-, nicht aber zu Sonnentänzen. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als auf eine Errungenschaft der modernen Zivilisation zurückzugreifen: Die Sonnenbank! Stracks marschiere ich zur nächstgelegenen Bank-Filiale und starre in die Röhre, was meinem Teint jedoch nicht die erhoffte Farbe verleiht. Enttäuscht gehe ich weiter, überhole auf dem Bundesplatz backbord die Alinghi, die nun – was der weissen Tücher wegen erst wenige wissen - dort anstelle des Bundeshauses steht, und finde mich vor der Auslage einer Apotheke wieder: Im Handumdrehen ruckzuck braun werden! Mit diversen Tuben und Sprays bewaffnet mache ich mich auf den Heimweg. Angekommen teste ich die Wundermittelchen sogleich allesamt an meinen Beinen, und siehe da - es wirkt! Schon nach wenigen Minuten nimmt meine Haut den auf der Packungsbeilage versprochenen «ausgewogenen sun touch» an. Erfreut stürze ich mich in ein Röckchen und betrachte das Ergebnis im Spiegel - doch, o weh! - Für Momente wähne ich ein Zebra in meinem Zimmer. Bald aber realisiere ich, dass es meine Beine sind, die mir da in tiefbraunweisser Safaribettwäscheoptik entgegenblinken. Zum Glück regnet’s heftig ans Fenster, und Meteo-Wetterfrosch Bucheli bestätigt: Es soll noch lange weiterregnen! Das erste Mal diesen Sommer bin ich ihm für diese Nachricht dankbar. (cb) ■ Der Sommer will nicht und alle Versuche, Stimmung zu erzeugen, sind im Juli verwässert. Nehmen wir ein Heim-Beispiel: Das Gurtenfestival, ein Anlass, der vorwiegend Teenies anspricht. Der missglückte Versuch eines Sommerfestivals mit guter Musik und Sonnenbrand zeichnet der betörend stinkende Morastboden und die tonnenschweren Abfallberge. Die Organisatoren reiben sich natürlich immer noch die Hände: Das Festival macht schätzungsweise 8 bis 10 Millionen Franken Umsatz auf dem Hausberg. Da sind 80‘000 Franken für die Bodensanierung nur lächerlich. TeleBärn hat sich zumindest um eine gute Reportage bemüht und fragte die betrunkenen Besucherkinder, an welche Bandnamen sie sich denn von den 54 Artistengruppen erinnern könnten. Mehr als sechs schaffte niemand. Die Kinder waren zu betrunken, zum anderen waren sie an diesem Festival nicht wegen der Musik. Warum dann? Sex, Drugs und Alkohol. Unser Jugend ersäuft sich selbst. Um mehr geht’s nicht mehr. «Hinten knutscht ein Pärchen hemmungslos herum. Bis er kurz abbricht, den Kopf dreht und kotzt. Dann küssen sie weiter.» Dies rapportierte Marina Bolzli am 23. Juli auf espace.ch. Am Festival-Eingang wurden «Notfallpäckli» ausgehändigt mit Kondomen. Welch ein Versprechen. Das Festivalzeltlager oder eben «die grösste Jugendherberge der Welt» wurde im Vorfeld als Tummelplatz für den Beischlaf propagiert. In Artikeln wurde belustigend gewarnt, nicht zu erschrecken, wer oder was am Morgen neben sich aufzufinden sei… Da beruhigen auch die Worte der Festivalpromotoren nicht, die öffentlich sich loben, «auf dem Gurten seien schon Kinder gezeugt worden!». Wow. In den 68ern wurde dazu wenigstens noch philosophiert... Zwischenflash: Das «Sunday Times Magazine» zeigte in der Ausgabe vom 22. Juli (also zeitparallel zum Gurtenfestival) vom einen Artikel über junge Mütter. Also eigentlich Kinder, die im Alter von 14 oder 15 bereits geschwängert sind und Kinder gebären. Auf der Titelseite baucht die nackte 15jährige Aimee, im achten Monat schwanger. Kein Einzelfall unter Minderjährigen, sondern gemäss der «Sunday Times» eine «epidemische» Entwicklung. Das emotionale Unverständnis ist medial gross vorbereitet. Es riecht nach Skandal – und ist es eigentlich auch. Nur fragt sich, in welche Richtung der Skandal zeigt. Wo ist der moralische Zeigefinger? Warum sagt niemand was? Ganz einfach: Wer sollte denn? Die Medien sind Parter der Organisatoren, die Sponsoren können sich nicht negativ outen und das Publikum hat vergessen, dass es dabei war... (vl) Ein Abo macht Sinn. 28 ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 magazin KULTUR & GESELLSCHAFT natürlich greift der stier die Von Peter J. Betts ■ Natürlich greift der Stier die Muleta an, mit der ihn die1 Frau oder der Mann während der «suerte de muerte» reizt und ermüdet, bevor sie oder er ihn mit einem Degenstich zwischen die Schulterblätter tötet. Die Muleta: für den Stier ein «rotes Tuch»? Ich denke, der gequälte, wütende Stier würde mit Tötungsabsicht jede von einem Menschen provokativ gemachte Bewegung angreifen, weil er sie mit Mensch gleichsetzt und das wiederum mit der Ursache seiner Qual. Dies, nachdem ihn der Picador während der «suerte de varas» mit seiner Lanze vom hohen Ross herab immer wieder in den Nacken gestochen hat und nachdem, während der zweiten Phase der Agonie, der «suerte de banderillas», ihm einige Paare mit Bändern umwickelter und Widerhaken versehener Stäbe in den Widerrist gesteckt worden sind. Man schreibt des Stiers Jagd mit Tötungsdrang dem «roten Tuch» (nicht dem rot-grünen Baldachin) zu. Zwar ist die Muleta durchaus ein rotes, durch einen Stock versteiftes Tuch – aber: man sagt heute, der Stier sei farbenblind. Er urteilt ohne Farbsinn über das «rote Tuch». Man sagt, eine aus dem Nest gefallene kleine Meise soll bitte ja nie ins Nest zurückgebracht werden, weil das Vögelein den Geruch des (diesmal) rettenden Menschen annähme und die Eltern es verständlicherweise (s. oben) des menschlichen Geruches wegen ablehnen würden, damit wäre dann die Rettungsabsicht zur Tötung, vielleicht gar der ganzen Brut, mutiert. Meisen haben keinen Geruchssinn. Haben kommunale Exekutivbehörden einen Kultursinn? Hat das Kollektiv des Gemeinderates gar Kunstsinn, wenn es über die Qualität eines Kunstprojektes oder eines Kunstwerkes befindet? Es kursiert die Anekdote, dass der Gemeinderat (damals gab es noch keine Gemeinderätinnen, trotzdem habe der Gemeinderat schon damals Kunst im öffentlichen Raum gebührend ernstgenommen) bei der Besichtigung einer Auftragsplastik von Max Fueter feststellte, der Flötenspieler habe eindeutig einen zu kleinen Geschlechtsteil. Der Künstler habe seiner Figur dann gehorsamst nach bestem Wissen und Gewissen einen stadtwürdigeren verpasst. Angeschraubt? Angeschweisst? (Kann man Bronze schweissen, löten?) Der Gemeinderat, seiner Pflicht zu nachhaltiger Verantwortung bewusst, sei höchst befriedigt ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 gewesen. Se non è vero, è ben trovato. Im Sitzungszimmer des Gemeinderates im Erlacherhof ist auf Ofenkacheln die eindrückliche Szene gemalt, wie ein Architekt(?) auf seinen Knien den Gnädigen ein prestigeträchtiges, städtebauliches Modell zur Begutachtung präsentiert – so mag das Weltkulturerbe seinen Anfang genommen haben: nicht sichtbar vom hohen Ross herunter, mit, trotz eindrücklicher Schwerter, Wohlwollen ausstrahlenden bärtigen Männern und einem knienden Phantasten. Plus ça change... Wunderbar, falls der Gemeinderat künftig seine eigenen Richtlinien (kennt er sie überhaupt?) bezüglich Kunst im öffentlichen Raum verbessern will. Ein Masterplan muss her? Im Wettbewerb für den neu zu gestaltenden Berner Bahnhofplatz hatte er, vielleicht unbewusst, bereits in der Praxis eine Neuigkeit nicht verhindert: Wer sich am Architekturwettbewerb beteiligen wollte, musste bereits für das Wettbewerbsprojekt mit einer externen Künstlerin oder einem Künstler zusammenarbeiten, die/der dann bis zur endgültigen Realisation des erkorenen Projektes als Teammitglied mit den Architekten zusammenarbeiten sollte; als Kunst erkennbare Kunst war dabei nur Teil der Aufgabe des exotischen Teammitgliedes: Ansonsten – und das war als wichtigster Teil erachtet worden - sollte dessen Kreativität, als Blick von aussen die Gesamtentwicklung, die Gesamtrealisation in den verschiedensten Bereichen mitbestimmen. Mit der Wahl des Architekturbüros durch die Jury war also auch die Künstlerin oder der Künstler gesetzt und der im Rahmen der gesamten Baukosten budgetierte Betrag für konkret sicht- oder fühlbare Kunst festgelegt. Weder Kunstkommission, noch Abteilung Kulturelles, noch Gemeinde- oder Stadtrat würden künftig etwas dazu zu sagen haben. Die Jury, mit einer Vertretung von Kunstsachverständigen und vom Gemeinderat, wählte endgültig, ausgenommen, natürlich, von rechtlich bewilligungspflichtigen Vorhaben. So hatte man gemeint. Damit hätte der Gemeinderat erstmals seinen in eigenen Richtlinien festgehaltenen Absichten mutig Vorschub geleistet: für das Lösen von öffentlichen Aufgaben Kulturschaffende zusätzlich zu Fach- und Politvertretungen beizuziehen und damit den schöpferisch anderen oder unvoreingenommenen Blick von aussen gestalterisch im Interesse der Öffentlichkeit zu nutzen. Auch wenn Kulturschaffende und Politschaffende wenig Verständnis füreinander zu haben pflegen. Das war natürlich lange bevor man beschlossen hatte, das Forum für Gestaltung im Kornhaus eingehen zu lassen. Wird der Gemeinderat jemals Sinn dafür entwickeln, dass jene Menschen, deren einziges Kapital, der einzige Werkstoff, das einzige Werkzeug von entscheidender Bedeutung die Phantasie ist, Wesentliches dazu beitragen könn(t)en, Probleme des Alltags nachhaltig anzugehen? Natürlich passt der gemeinderätliche KiöR-Entscheid beim Bahnhofplatz zur zunehmend gängigen Praxis, dass Investoren Generalunternehmungen beauftragen, mit prestigeträchtigen Stars der Architektur städtebaulich «bedeutende» Bauvolumina zu realisieren: mit offener, d. h. beliebiger Nutzung (egal, ob Kaserne oder Schulhaus oder Bürogebäude oder???), solange die horrenden Mietzinse bezahlt werden können. Natürlich passt es zum Trend, wunderbare Verpackungen zu «designen», die dazu gehörenden Verpackungsautomaten zu bauen und sich erst dann zu überlegen, ob es überhaupt einen passenden Inhalt gäbe, oder ob die Werbebranche erst noch beauftragt werden muss, ein entsprechendes Bedürfnis zu schaffen, das man dann schon irgendwie gewinnbringend erfüllen können wird. Aber eben: Stiere jagen das «rote Tuch», ob farbenblind oder nicht. Meisen ohne Geruchsinn lassen die von Menschen gerettete Brut wegen ihres angenommenen menschlichen Geruchs eingehen. Und der Gemeinderat befindet über die Qualität künstlerischer Projekte. Mit welchen offiziellen Begründungen auch immer. Es wird keine wahrnehmbare Kunst beim neu gestalteten Bahnhof geben. 1 «Der kleine Bund», 7. Juli 07, letzte Seite: vielleicht ist Ana Infante jetzt tatsächlich als offiziell geprüfter Matador eine der wenigen Stierkämpferinnen Spaniens, und ihr Traum hat sich erfüllt. 29 magazin STADT UND LAND mit neuster tunneltechnik in die vorstellungswelt der «üsserschwiizer» gerückt: das wallis Von Anne-Sophie Scholl Bild: zVg. ■ Goethe mochte es nicht, das Wallis. Er schimpfte über das Unwetter, das ihn am Furkapass fast zur Umkehr gezwungen hatte. Schlechter Laune hatte er sich auch dazu verleiten lassen, über die Leute im Land herzuziehen. Er wetterte gegen deren «Menschenwerk». Sion zum Beispiel gefiel ihm gar nicht: «so ein Schindel- und Steinhaufen, mitten in der grossen herrlichen Natur.» Seine zweite Schweizer Reise hatte ihn 1779 von Genf her über den Umweg zum Fuss des Montblanc und den Col de Forclaz nach Martigny und das Rhonetal hinauf geführt. Sein Reisebericht ist in Briefform stilisiert. November war es: Hüfthoch im Schnee einsinkend, durch dichtes Schneetreiben und ohne Sicht unter drohenden Lawinenniedergängen verschaffte Goethe sich die gesuchte Grenzerfahrung in der Natur. Rilke liebte das Land. Er machte das Wallis zu seiner letzten Heimat und liess sich bei der Kirche von Raron seine Grabstätte errichten. «Wie redet und wirkt und handelt diese Landschaft zu mir!», schreibt er überschwänglich. «Sie ist herrlich hart und gross, und ... mitten im Garten beinahe zärtlich.» Das Zusammenkommen von Härte und Sanftheit ist es, was Rilke immer wieder anzog in dieser Landschaft. Widersprüche prägen auch heute das Bild der «Üsserschwiizer» von dem breiten Südtal: Charmant der Dialekt, für viele allerdings oft schwer verständlich. Schön und stolz die kräftigen schwarzen Kampfkühe. Hässlich die Industrie im kahlen unteren Teil des Haupttals. Sonnigwarm die mediterran anmutenden Südhänge. Einengend der sture, schwere Katholizismus. 30 Mutige Aufbrüche Stur mögen manche Walliser sein. Oder eigensinnig. So zum Beispiel auch Adeline Favre aus dem Eifischtal, dem Val d’Anniviers. Es war ein Ereignis, als sie 1938 mit dreissig Jahren die Fahrzeugprüfung ablegte: «Bei Marius Zufferey, einem Neffen von mir, habe ich meine ersten Fahrstunden genommen. Als wir nach Venthôme kamen und ich eine Kurve nehmen sollte, wusste ich plötzlich weder ein noch aus. Ich klammerte mich ans Lenkrad und drückte mit aller Kraft aufs Gaspedal. Marius zog die Handbremse, aber ich blieb mit dem Fuss auf dem Gaspedal. Wir fuhren eine Böschung hinauf, hinunter in einen Garten, verwüsteten ein Beet, wo Gurken und Mais angepflanzt waren, und landeten vor einem Zwetschgenbaum, ohne ihn jedoch zu berühren.» Aufs Gaspedal drückte Adeline auch sonst in ihrem Leben. Als Zweitgeborene war sie nach Genf gegangen, um den Beruf der Hebamme zu lernen und blieb dort, als mit dem Tod der älteren Schwester die Pflicht sie eigentlich zurückgerufen hätte an den Hof der Eltern. Als ausgebildete Hebamme ging sie schliesslich doch zurück ins heimische Tal und brachte kühne neue Ideen mit sich. Sie war die einzige Hebamme, die ein Auto besass und praktische Überlegungen waren es auch, die sie in ihrer täglichen Arbeit leiteten. Bei Adeline wurde die Nabelschnur der Neugeborenen kurz nach der Geburt abgeschnitten und die Plazenta verbrannt. Sie, eine stämmige Frau, die 125 Kilo auf die Waage brachte, verwarf die Tracht und kleidete sich in modische Kostüme. Sie machte sich stark für ein neues Verständnis für die Lebenswelt der Frauen und gewann damit nach und nach das Vertrauen der Taleinwohnerinnen. 8000 Kinder hat sie in dem weit verzweigten Tal auf die Welt gebracht. Ihr Leben ist eindrücklich dokumentiert in dem von ihr verfassten Lebensbericht «Ich, Adeline, Hebamme aus dem Val d’Anniviers». Besuchenden präsentiert sich das Val d’Anniviers heute als wildromantisches Tal. Und wenn man tagsüber in den Ortschaften nur wenigen Kindern begegnet, liegt das daran, dass heute im Tal in Vissoie eine Tagesschule eingerichtet ist, die einzige im Wallis. Ein Bruch mit der Tradition und dennoch ein Geschenk, ermöglicht die Schule doch den Eltern in den entlegenen Siedlungen eine Arbeit ausser Haus anzunehmen. In Sprache gezeichnet Unvermutete Seiten sind im Wallis zu entdecken. Der Blick von fremden und heimischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zeigt Wege in die Geschichte und in die Gegenwart des Tals. Fiktiver Reisebericht, poetischer Vierzeiler, glühender Kitschroman, dramatischer Comic oder schlicht gute und hierzulande wenig bekannte Literatur – in deutscher, französischer und englischer Sprache legt sich die literarische Topografie des Wallis über die Landschaft des Rhonetals. Eine literarische Landkarte, die neue Zugänge erschliesst in eine Landschaft, die hinter den Bergen ganz nah liegt. Das Buch: Michael T. Ganz, Dominique Strebel (Hrsg.): Dies Land ist masslos und ist sanft. Literarische Wanderungen im Wallis. Rotpunktverlag 2006. ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 magazin REISEZIEL HOTEL mord und totschlag zwischen rindsfilet und crème caramel Von Andrea Baumann (auf dem Bild: Peter Denlo als Herr Bühler) ■ Tina, eine attraktive, junge Frau bahnt sich hastig einen Weg zwischen Tischen und speisenden Gästen und spricht eine ebenso attraktive, junge, selbstbewusste Frau in Trenchcoat und sportlicher Mütze an: Frau Kommissarin! Ich möchte endlich gehen! Ich bin am Ende mit meinen Nerven! Kommissarin Caprez antwortet gelassen: Noch ein paar Minuten! Tina reagiert verärgert auf soviel Coolness: Aber verstehen Sie doch! Ich habe meinen Vater und meine beste Freundin verloren! Und meine Mutter liegt mit Schussverletzungen und einem Schock im Spital! Caprez kontert scharfzüngig: Wir spielen hier nicht Shakespeare, Frau Tamburic. Lassen sie die Dramatik weg! Kein Fernseh-Krimi, kein klassisches Bühnenstück – nein, DinnerKrimi nennt sich diese Theaterform. Unterhaltung in Form von Krimis kombiniert mit kulinarischen Höchstgenüssen ist kein neues Rezept. Aber Achtung - sowie Suppenhuhn nicht gleich Suppenhuhn ist, ist DinnerKrimi nicht gleich DinnerKrimi. Es kommt auf die Ingredienzen und die Dosierung an. Die Krimiliteratur bietet zwar eine eindrückliche Sammlung an Kriminalgeschichten sowie eine Reihe von illustren Kommissaren, Inspektoren und Detektivinnen, die sich als Vorlage fast aufdrängen, so etwa Miss Marple, Hercule Poirot, Mankell, Wachmeister Studer, Colombo, um nur einige aufzuzählen. Für den Initianten Peter Denlo war jedoch von Anfang an klar, seine DinnerKrimis sollen keine Historienkrimis werden. Wie soll denn dies auch gehen? Die Gäste schlemmen in Jeans, Poloshirt und Sneakers und sollen gleichzeitig einen aktiven schauspielerischen Part bei der Auflösung auf Schloss Eilean Donan in Schottland im Jahr 1389 übernehmen! Vielmehr setzt der junge Autor und Schauspieler Denlo auf eine vielschichtige, zeitgenössische Story, die genauso zum Schmunzeln wie Miträtseln animiert. Das Erstlingsstück «Zum Hauptgang: Mord» feierte seine Premiere am 24. Mai 2007 im Hotel Uto Kulm auf dem Üetliberg in Zürich und fand während der Tournee durch die Deutschschweiz rasch ein breites Publikum. In Bern ist DinnerKrimi jeweils im Landensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 gasthof Sternen in Muri zu sehen. Nach der Castingphase und kurz vor Probenbeginn des zweiten Stücks traf sich ensuite – kulturmagazin mit dem Initianten Peter Denlo. Was hat Dich interessiert, DinnerKrimi in der Schweiz zu lancieren? Aus der Not heraus kriegt der Mensch Ideen. Als Schauspieler ist man immer auf der Suche nach Arbeit. Ein eigenes Projekt macht immer Sinn, braucht jedoch Mut und Zeit. Die Idee von DinnerKrimi kam mir in Deutschland, da diese Art von Theater in unserem Nachbarland seit Jahrzehnten ein breites Publikum findet. Und so dachte ich, dass dies bei uns auch funktionieren könnte. Ausserdem reizte es mich, Hotelräume zu Bühnen umzufunktionieren, vor allem in der Schweiz, wo die Hotellerie eine von Tradition gezeichnete Geschichte kennt. Welche Hotels hast Du angefragt? Mir war von Anfang an wichtig, Hotels und Restaurants, die eine hohe Qualität bieten, mit dabei zu haben. Das Essen muss munden, das Ambiente soll stimmen und zusammen mit dem Krimi soll ein besonderer Abend entstehen. Klare Richtlinien sind neben der Küche auch die Grösse der Räumlichkeiten und die Qualität des Services. Die Resonanz der Hotels war so gut, und als Häuser wie das Romantikhotel Wilden Mann in Luzern, das Schlossrestaurant Rapperswil oder das Hotel Uto Kulm auf dem Üetliberg spontan zugesagt hatten, wusste ich, dass mein Konzept aufgeht. Wie läuft Dein DinnerKrimi ab? Bei der Ankunft erhält der Gast einen Apéro. Danach gibt es drei oder vier Gänge. Wir spielen zwischen den Menüfolgen, damit sich der Gast aufs Essen und dann wieder aufs Theater konzentrieren kann. Aber der Gast darf niemandem trauen, sein Tischnachbar bei der Vorspeise könnte bereits ein Schauspieler sein und so gibt es durch das Stück Mord und Totschlag, viele Verdächtige und ein Detektiv. Aber keine Sorge, niemand wird in Ohnmacht fallen und es spritzt auch kein Blut. DinnerKrimi sorgt für Unterhaltung und Spannung. Zu viert spielen wir über zehn Rollen, was für viel Abwechslung und gute Lacher sorgt. Nach welchen Gesichtpunkten hast Du die Story «Zum Hauptgang: Morde» geschrieben? Das Stück ist ein Vierakter, in dem es gleich zum Anfang einen Toten gibt und danach alle auf der Suche nach dem Mörder oder Verdächtigen sind. Der Fall wird übrigens von einer Frau aufgelöst, denn ich habe mich bewusst für eine Kommissarin entschieden, um dem Klischee von Colombo und Derrick nicht zu entsprechen. Die Handlung durfte nicht zu kompliziert werden, da man ja immer wieder durch das köstliche Essen abgelenkt wird. Gute Witze und komische Situationen sind mir genauso wichtig, wie eine gesunde Portion Interaktion mit dem Publikum. Wenn ein Gast einen sachdienlichen Hinweis hat, darf er diesen gerne laut einbringen. Somit entsteht für uns Schauspieler Improvisation, die jede Vorstellung von DinnerKrimi einmalig macht. Wie viele Morde planst Du pro Stück ein? Das verrate ich nicht. Kommt es Euch selber ansehen und haltet die Augen offen, denn es kann immer und überall etwas passieren. Was serviert DinnerKrimi als nächstes? Von Frauenfeld bis Interlaken, vom Kanton Basel-Stadt bis Nidwalden spielen wir von September bis Dezember in insgesamt zehn Hotels. Das neue Stück heisst «Gabel. Messer. Mord.» und wir werden es uns nicht nehmen lassen, den bevorstehenden Schweizer Wahlherbst durch den Kakao zu ziehen. Somit ist diesmal nicht unsere Kommissarin gefragt den Fall zu lösen, sondern Agent Kunz vom Schweizer Geheimdienst. Premiere von «Gabel. Messer. Mord.»: Uto Kulm, Üetliberg, Zürich am 2. September 2007 Landgasthof Sternen, Muri Bern: 29.9./13.10./24.11.2007 Hotel Freienhof, Thun: 28.9./19.10./11.11.2007 Hotel Metropole, Interlaken: 15.9./6.10./1.12.2007 Kurhaus Weissenstein (Solothurn): 8./9./10.11.2007 Infos und weitere Locations: www.dinnerkrimi.ch 31 werbung KLEINANZEIGEN SINNIGES Kunst der Sinne Geniessen Sie Sinnlichkeit und Kunst mal anders, persönlich mit dem gewissen Etwas.. www.artofsenses.ch KULTUR / MUSIK Firmen-, Hochzeits- oder Sommerfest mit tropisch heisser Stimmung? MC und DJ bringt Musik vom Äquator, Fanfaren des Ostens, Oldies, Black Music, Funk, Hits und Swing! Lieferung mit oder ohne drum und dran, überall hin: DJ Ben E: +41 76 574 24 10. ben.e-production@hispeed.ch Kleinanzeigen: Über unsere Webseite können die Kleinanzeigen für nur Fr. 45.00 pro Monat (!) aufgegeben werden. Dazu müssen Sie auf INSERIEREN und die Seite nach unten bewegen. Alles Weitere steht da geschrieben... ensuite k u l t u r m a g a z i n im ABONNEMENT 08/07 Sie wissen nicht wohin? ensuite - kulturmagazin lässt Sie Monat für Monat die Stadt Bern und den Kanton neu entdecken. Und: Ein Abonnement unterstützt unsere Arbeit! ❑ ❑ ❑ ❑ ❑ Abonnement Fr. 58.00 Abo für Studierende / AHV / IV Fr. 32.00 Ich möchte GönnerIn werden (ab Fr. 300.00) ...im ensuite - kulturmagazin inserieren Ich möchte ein Abo verschenken. Hier mein Name, Adresse und Wohnort: Vorname Name Adresse PLZ / Ort E-Mail DENN BERN IST ÜBERALL! 32 Datum / Ort / Unterschrift Ein Abonnement ist ab Rechnungsdatum für ein Jahr gültig. Ohne Kündigung wird es automatisch um ein Jahr verlängert. Bitte beachten: Kündigungsfrist ist 2 Monate vor Ablauf des Abonnements. Ausschneiden und Einsenden an: ensuite - kulturmagazin // Sandrainstrasse 3 // 3007 Bern // Tel. 031 318 60 50 - www.ensuite.ch ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 arttensuite ar nr. 08 / 2007 Titelseite: Paul Klee Marionetten (bunt auf schwarz), 1930, Ölfarbe auf Karton, 32 x 30,5 cm, Kunsthaus Zürich, Schenkung Erna und Curt Burgauer / weiter Seite 33 Paul Senn - revidiert präsentiert 34 | Mienen, Masken, Possenspiel - Paul Klee und das Theater 35 | Kunst im Buch 37 | Galerienseiten 38/39 | In die Röhre gucken 41 | Fragen und Entdecken um des Spielens willen 42 | Berner Galerien 43 | Augenspiel 46 | Impressum 46 | Berner Museen Bern / Biel / Thun 47 artensuite 34 Mittagessen in der Bergschule, Adelboden, Berner Oberland, 1935. FFV/KMB, Dep. GKS. © GKS. Flüchtlingskind im Lager von Rivesaltes, Frankreich, 1942. FFV/KMB, Dep. GKS. © GKS. Paul Senn - revidiert präsentiert Paul Senn Fotoreporter Kunstmuseum Bern, Hodlerstrasse 12, Bern. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag 10:0017:00 h, Dienstag 10:00-21:00 h. Bis 2. September. ■ «Diese groben, fast trotzig hingezeichneten Linien! Alles schien mir so eindeutig auf diesen Bildern von arbeitenden und fleissigen Schweizern. Da werden keine Fragen gestellt, nichts wird angezweifelt. Ein Optimismus wird da verbreitet, der einen Heutigen krank machen kann.» Mit diesen harschen Worten beschreibt Bernhard Giger 1982 den Eindruck, Monika Schäfer Paul Senn. Farbfotografien 1946 - 1951 Schule für Gestaltung Bern und Biel, Foyer, Schänzlihalde 31, Bern. Geöffnet Montag bis Freitag 08:00-21:00 h, Samstag 08:0012:00 h. 13. August bis 22. September. Eröffnung 16. August, 17:00 h. der eine erste Sichtung des Fotoarchivs Paul Senns in ihm hinterlassen hat – Worte, die in Anbetracht von Senns immensem und vielfältigem Werk nur im Kontext der in den 1980er Jahren einsetzenden kritischen Aufarbeitung der Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg nachvollzogen werden können. Tatsächlich hatte Paul Senn (1901-1953) mit den siebzig Fotografien des 1943 erschienen Bildbandes «Bauer und Arbeiter» einen Beitrag für die geistige Landesverteidigung geleistet. Die jahrzehntelange Rezeption Senns als Schilderer des einfachen Schweizer Lebens wird dem vielgereisten und durchaus gesellschaftskritischen Berner Fotografen aber in keiner Weise gerecht. Im Rahmen des Paul-Senn-Projekts sind nun seit 2004 die Aufarbeitung des umfangreichen Nachlasses und die Revision der Rezeption Senns im Gange. Bei der vertieften Sichtung des Fotoarchivs und der Restaurierung und zeitlichen Einordnung der einzelnen Bilder und Negative ist sowohl in Vergessenheit geratenes als auch unbekanntes Material zum Vorschein gekommen. In der aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Bern, die gewissermassen als krönender Abschluss des Paul-Senn-Projekts gelten kann, werden unter anderem die zahlreichen Bildreportagen Senns in Erinnerung gerufen. So hat dieser der politisch links stehenden Illustrierten «Aufstieg» Fotografien für über 500 Reportagen geliefert. Darunter befinden sich etliche sozialkritische Beiträge, so zum Beispiel die Bildreportage Senns über die Ausbeutung von Kindern in der Schwefelmine im sizilianischen Villarosa. Interessant ist in diesem Zusammenhang Senns Arbeit für «Die Nation» unter der Leitung Peter Suravas. Die Kombination von Senns Bildern und Suravas eindringlichen Texten ist nicht nur bei der Leserschaft auf grosse Resonanz gestossen. So hat die erste gemeinsame Reportage «Kein Lohn – ein Hohn», ein Bericht über die erbärmliche Lohnsituation von Emmentaler Heimarbeiterinnen, eine gesamtschweizerische Diskussion über diese und ähnliche Missstände ausgelöst und schliesslich für die Emmentalerinnen zu einer Lohnerhöhung geführt. Paul Senn aufgrund solcher sozialkritischer Arbeiten als «concerned photographer» zu bezeichnen, greift jedoch zu kurz. Zu vielseitig ist sein Gesamtwerk, als dass man es nur einem Schlagwort zuordnen könnte. Dies wird anhand der Fotografien aus den krisengeschüttelten 1930er Jahren deutlich: Einerseits thematisiert Senn Arbeitslosigkeit, Altersarmut und spanische Flüchtlingsströme, andererseits schiesst er Bilder vom Schweizer Grand-Prix, Bergwinter und Simmentaler Fleckvieh. In der Berner Aus- stellung ist auch Paul Senns in der bisherigen Rezeption vernachlässigter Leidenschaft fürs Reisen viel Platz gewidmet. Er besuchte unter anderem Spanien, Italien, Amerika und Kanada und brachte jeweils umfangreiches Bildmaterial mit nach Hause. Besonderes Anliegen bei seinen AmerikaReisen waren ihm die Lebenssituation der Afroamerikaner und die Gemeinschaften ausgewanderter Schweizer. Eine Sensation stellen die im Archiv entdeckten über tausend, teilweise noch unbekannten Farbfotografien dar – Paul Senns Werk erhält dadurch einen besonderen Stellenwert in der Geschichte der Schweizer Farbfotografie. Einerseits setzte Senn die Farbe ein, um die Lebendigkeit der Menschenmassen am Strand von Coney Island zusätzlich zu betonen, andererseits gelangen ihm mit den beiden Touristinnen vor dem Grand Canyon und dem venezianischen Fischerboot mit gelben Segeln Bilder von grosser formal-ästhetischer Intensität. Die Frage nach dem künstlerischen Wert der oftmals im Auftrag von Zeitschriften für Fotoreportagen geschossenen Bilder stellt sich auch bei Paul Senn. Die Ausstellung im Berner Kunstmuseum, die die Arbeiten Senns aus ihrem publizistischen Zusammenhang herauslöst und zu Einzelbildern ästhetisiert, kann durchaus als Beitrag verstanden werden, Paul Senn nicht nur als Reporter, sondern auch als Künstler zu begreifen. Bernhard Gigers Aussage kontrastierend möchte ich sagen, dass die «Heutigen» an Paul Senns Fotografien sehr wohl ihre wahre Freude haben werden. artensuite August 08 | 07 artensuite 35 Paul Klee, komische Figur aus einem bayrischen Volksstück, 1924, 170, Feder und Aquarell auf Papier auf Karton, 22,7 x 20,3 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Leihgabe aus Privatbesitz Mienen, Masken, Possenspiel – Paul Klee und das Theater ■ Das menschliche Gesicht wurde vom Naturwissenschafter und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg einst als die «unterhaltsamste Fläche auf Gottes Erdboden» bezeichnet. Das Spiel seiner Züge verrät gleichermassen Emotionen, wie es sie zu wecken vermag. Insbesondere für Schauspieler ist die Mimik ein Ausdrucksinstrument, mit dessen Hilfe sie Nicola Schröder Stimmungen erzeugen und transportieren. Welch grosse Faszination das Schau- und mit ihm das Mienenspiel auf Paul Klee ausübte, zeigen viele seiner Arbeiten. In ihnen erscheinen menschliche Antlitze in den verschiedensten Spielarten. Klee setzte sich unter anderem mit der Varianz von Möglichkeiten auseinander, die eine einzelne Physiognomie bietet, indem er an ihr eine ganze Reihe von Empfindungen erprobte. So finden sich artensuite August 08 | 07 in einer Abfolge von Ölpausen auf Karton von 1919 die Darstellungen «Formender Künstler», «Empfindender Künstler» und «Abwägender Künstler» neben einem «Denkenden Künstler», die derzeit in der Ausstellung «Überall Theater» des Zentrums Paul Klee in Bern zu sehen sind. Die Gruppe veranschaulicht eine Auseinandersetzung mit dem darstellenden Potenzial von Gesichtszügen und zeigt gleichzeitig eine Reflexion der Künstlerfigur. In anderen Arbeiten studiert Klee die Schönheit in ihren Nuancen an verschiedenen Köpfen. In ihrer dominanten Rolle innerhalb der Ausstellung bilden Gesichter auch einen der Hauptanknüpfungspunkte für das begleitende Videoprogramm, das die künstlerische Bedeutung des Themas bis in die aktuelle Gegenwart belegen soll. Die Inhalte der Videos, die teils auf Bildschirmen, teils auf einer Grossbildprojektion zu sehen sind, werden in einer Reihe von Ge- sprächen auf der Ausstellungsbühne mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Museums, Gästen und dem Publikum diskutiert. Auf diesem Weg steigt der Zuschauer in den Prozess der Reflexion, der die gesamte Ausstellung durchscheint, mit ein: Schauspieler waren für Klee nicht nur Akteure auf der Bühne, sondern auch alltägliche Dinge und Personen. Er konnte sich zuweilen mehr über die Zuschauer der Vorstellungen amüsieren, namentlich «Stadträthe, Vereinspräsidenten, Bundesbeamte und Grossmetzger mit geputztem Anhang» als über die Vorstellung selbst. Deshalb bevölkern neben zahlreichen Theaterfiguren und -grössen so viele Gesichtsdarstellungen die Werke Klees, dessen ausgesprochenes Interesse für das Schauspiel in einer chronologischen Dokumentation als Rahmen der Ausstellung nachvollzogen wird. Klee war ein grosser Liebhaber des Theaters, was ebenso die Kleinkunst und das artensuite 36 Paul Klee, Ad Parnassum, 1932, 274, Ölfarbe und Kaseinfarbe auf Leinwand, 100 x 126 cm, Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe des Vereins der Freunde Kunstmuseum Bern Musiktheater einschloss. Klee griff FiPaul Klee. guren und Motive des Theaters auf, Überall Theater um sie in eigenen bildnerischen WerBis 14. Oktober ken in reflektorischer Art wiederzugeben. Auf der anderen Seite entwarf er Ad Parnassum. selbst Puppen und Kunstfiguren, mit Die Ausstellung denen er sich spielerisch ausdrückte. rund um das So gehen in seinem Werk Illusion Meisterwerk und Realität im Schaffensprozess inZentrum Paul nerhalb der Kreativität miteinander Klee, Monument auf. Die Ausstellung «Überall Theater» im Fruchtland 3. zeigt mit einer grossen Auswahl von Geöffnet Diens- Arbeiten, die sich über Zeichnungen, tag bis Sonntag Gemälde und experimentelle Blätter 10:00-17:00 h, in Mischtechniken – darunter auch Donnerstag zahlreiche Leihgaben aus Privat- und 10:00-21:00 h. Bis Museumsbesitz – bis hin zur vollstän6. Januar 2008. dig versammelten Gruppe der Kleeschen Handpuppen erstreckt, das vielschichtige Wechselspiel zwischen Eingang und Wiedergabe von Inspiration. Gegen Ende seines Lebens werden Klees Kunstfiguren gar zu Metaphern des eigenen Verfalls und verschmelzen mit seiner persönlichen Geschichte. Die Gegenüberstellung von Werken Klees mit Dokumenten zur Schauspielkultur seiner Zeit, die durch Bild- und Tondokumente vervollständigt wird, macht deutlich, dass es sich um eine aussergewöhnliche Verflechtung von Leben und Kunst handelt, bei der die Grenzen nur schwer zu ziehen sind. In vielen Blättern spiegelt sich der aufkommende Starkult der zwanziger Jahre genauso wie der Wandel der Theater-, Varieté-, und Zirkuswelt. Mit einem breiten Rahmenprogramm trägt das Zentrum Paul Klee der Idee von der Verflechtung aus Leben und Spiel Rechnung und bereichert die Ausstellung mit Darbietungen aus Tanz, Theater und Musik. Der Besucher soll eintauchen in die Welt der Gesten, Posen, Mienenspiele und Masken, wie Klee sie vorfand und kreierte. Puppenspielerinnen und Tänzerinnen vermitteln neben Sängern und Musikern einen emotional spürbaren Eindruck von der Vielfalt, die der Kunst Klees innewohnt. Diese Vielfalt unterstreicht das Zentrum neben der gegenwärtigen Wechselausstellung mit einer neuen Präsentation seiner Sammlungsbestände unter dem Titel «Ad Parnassum». Den roten Faden dieser Ausstellung bilden die beiden verwobenen Stränge des «Ad Parnassum»-Motivs und der Werke der Sonderklasse, die Klee mit seinem Siegel, das der Unverkäuflichkeit gleichbedeutend war, für seinen Nachlass reservierte. Das titelgebende Schlüsselwerk der aktuellen Werkschau ist ein konservatorisches Sensibelchen, das die Ausstellungsmacher vor eine grosse Herausforderung stellte. Um die Leihgabe des Vereins der Freunde des Kunstmuseums Bern von der Innenstadt zum wenige Kilometer entfernten KleeZentrum transportieren zu können, wurde ein aufwendiger Versuchslauf gestartet. In einem klimatisierten und luftgefederten Spezialtransporter wurde ein «Testbild» in einer gepolsterten Klimakiste mit Wärmedämmung auf die Strecke geschickt, um mit Hilfe von spezieller Messtechnik die reale Belastung des Bildes bei seinem Umzug ermitteln zu können. Der Testlauf ergab, dass man die für die spröde gewordene Farbschicht so gefährlichen Erschütterungen und Temperaturschwankungen auf ein vertretbares Mass eindämmen konnte. Also durfte auch das Original seine Reise antreten. Umrahmt von weiteren Werken der «Sonderklasse», der höchsten Stufe im selbst erstellten Klassifikationssystem Klees für seine farbigen Arbeiten, demonstriert das Bild nun im Zentrum Paul Klee seine Ausnahmestellung. Das 1932 entstandene Werk in pointilistischem Duktus steht zentral für das immer wiederkehrende Motiv des Berges und der verwandten Pyramide, das sich durch die gesamte Schaffenszeit Klees zieht. Einige seiner frühesten Werke mit realistischen Landschaftsdarstellungen eröffnen die Reihe chronologisch, die sich über seinen Karrieresprung in Zeiten des Blauen Reiters in München, seine Arbeit im Umfeld des Bauhauses während der zwanziger Jahre und die Akademiephase in Düsseldorf bis hin zu seinem produktiven Spätwerk nachvollziehen lässt. Der Parnass als Götterthron und Sitz der Musen ist eines der meist verbreiteten Motive der Kunstgeschichte und steht damit nicht zuletzt für die ausgeprägte Auseinandersetzung Klees mit den Traditionen der bildenden Kunst. Der aufgeworfene Kontext gibt demnach einen subtilen Einblick in das Gebilde von Anspruch und Erfolg aus der Perspektive des Künstlers. Indem er Werke als gelungen markierte, gestand er sich die erfolgreiche Besteigung des Parnass – im übertragenen Sinne die Aneignung der künstlerischen Sprache zu. Mehr dazu siehe Seite 10. artensuite August 08 | 07 Kunst im Buch Albtraum Bumblebee Hitliste ■ Angst und Schrecken, wenn nicht sogar schiere Panik scheint Hieronymus Bosch verbreiten zu wollen. Pessimistisch und auf Furcht erregende Art und Weise hielt Bosch (um 1450-1516) seinen Zeitgenossen – und ebenso uns Gegenwärtigen – ihre Sünden vor Augen, prangert diese an und verweist vor allem mit ungewöhnlicher Ausdrucks- und Schöpferkraft auf die Folgen eines sündigen Lebens: Detailreich zeigt Bosch qualvolle Folterungen der sündigen Seelen in Hölle und Vorhölle, dass dem Betrachter Hören und vor allem Sehen vergeht. Immer wieder sind es Torheit und die Angst vor dem Teufel und der Hölle, die thematisiert sind. Sicher ist darin ein Zeichen der Zeit zu sehen, denn gerade am Ende des 15. Jahrhunderts schienen Dämonen, Teufel und Hexen äusserst real und greifbar – so entstand der berüchtigte «Hexenhammer» mit dem die Hexenverfolgung einen Höhepunkt erreichte. Kaum mehr als drei Dutzend Gemälde und eine handvoll Zeichnungen sind von Hieronymus Bosch überliefert. Nichtsdestotrotz ist er einer der bekanntes und beliebtesten Künstler der gesamten westlichen Kunstgeschichte. Seine Bildwelten und vor allem seine Fantasie gerade in der Erschaffung von Dämonen, Monstern und teuflischen Wesen fasziniert auch heute noch. Und sie werfen die Frage auf: Wieso? Wie konnte er eine derartig beunruhigende Welt erschaffen? Larry Silver (Professor für Kunstgeschichte an der Universität von Pennsylvania) führt kenntnisreich durch Boschs Werk: ausgehend vom wohl bekanntesten Gemälde Boschs, dem «Garten der Lüste», über seine Wurzeln bis hin zu Nachfolgern des Künstlers wie Joachim Patinier oder Pieter Bruegel. Der vierhundert Seiten starke Wälzer besticht durch die zahlreichen hervorragenden Abbildungen, eine grosser Teil davon Details, wie sie gerade bei Bosch ungemein hilfreich sind. (di) ■ Bunt und mehr chaotisch als überschaubar kommen die Arbeiten von Christine Streuli daher. Schicht um Schicht baut sie ihre dichten Werke auf: in Acrylfarbe und Pinsel, mit Spray und Lack, im Abklatschverfahren oder mit Schablonen. Oberflächlicher Kitsch? Nur dekoratives Ornament? So einfach kann man Streulis Malerei nicht abhandeln (schliesslich bespielt sie momentan gemeinsam mit Ives Netzhammer den Schweizer Pavillon an der Biennale in Venedig). «Sampling» könnte man Streulis Methode nennen. Denn was sie benutzt, kennt man: Es sind mittelalterliche Teppiche, Arabesken, Ornamente, Teppichstoffe, Blumenmuster, Rosetten, Rorschachtests, die einfallen. Nichts Neues! Aber Streuli verbindet Nichtzusammengehörendes auf geschickte Art und Weise und kreiert so ihre Bildwelten, die nicht so einfach in aktuelle Malereirichtungen einzuordnen sind. Irgendwo zwischen Abstraktion und Figuration schweben Streulis Werke. Es sind zwar allenthalben Figuren, Schmetterlinge, Blumen und Arabesken auszumachen, aber sie sind immer Täuschung, sind Konstruktion. Passend dazu entstehen die Arbeiten intuitiv und spontan: «So empfinde ich jedenfalls, wenn ich Farbtuben, Papier, Karton, Spraydosen, Holz oder Sonstiges um mich herumstehen sehe: Alles schreit nach Einsatz, nach Aktion oder Reaktion, nach Bewegung.» Die erste umfassende Publikation zu Streulis Werk, sehr passend «bumblebee» (Hummel) betitelt, wartet mit kurzen Texten zu Themen wie Symmetrie oder Stillleben auf und gibt einen guten Einblick in Streulis ausgesprochen sinnliche Reizüberflutung. «Nichts ist tiefer als die Oberfläche», wie es Karl Kraus treffend ausdrückte. (di) ■ Von A wie «Annabelle» über B wie «Bilanz» bis zu C wie «Capital», alle publizieren sie meist kurz vor dem Start der Art Basel ihre Kunst-Hitlisten: Welches sind die besten Künstler und Künstlerinnen? Welches sind die wichtigsten Kunstschaffenden auf dem globalen Kunstmarkt oder in der Schweiz? Welches sind Auf- und AbsteigerInnen dieses Jahres? Wie alles andere auf dieser Welt – vom Buchmarkt, über die Filmindustrie bis zur Musikbranche – wird bereits seit Jahr und Tag gelistet und juriert was das Zeug hält; es wird gemessen, berechnet, befragt und ermittelt, alles in Zahlen umgerechnet und mundgerecht in kleine gut verdauliche Bissen zugeschnitten, die als Fastfood in Sekundenschnelle verzehrt werden können. Und wie ist das in der Kunstszene? Ist diese messbar? Kann Kreativität berechnet werden? In einem schmalen Büchlein von Jörg Becher sind nun auch «Die 50 wichtigsten Künstler der Schweiz» (wo bleiben die Künstlerinnen?) festgehalten. Bechers Hitliste beruht auf einer Anfang 2007 von «Bilanz» ausgeführten Umfrage unter 51 Kunstsachverständigen. Im Vergleich zu dieser Methode erarbeitet das Magazin «Capital» seit 1970 seinen Kunstkompass anhand von Ausstellungs- und Publikationserfolgen. Wer ausstellt, muss gut oder zumindest wichtig sein! Zu jedem der 50 Kunstschaffenden gibt es in Bechers Publikation einen kurzen Text, ein Werkbeispiel und ein Porträtfoto. Gerade die Fotos von Tom Haller vermögen zu überzeugen. Jedes Porträt ist anders und dem Künstler angepasst. Die Texte sind etwas kurz, so erlauben sie nur einen kleinen Einblick in das Werk der verschiedenen Künstler von Emmanuelle Antille bis Andro Wekua. (di) Larry Silver, Hieronymus Bosch, Hirmer, 2006, 424 Seiten, Fr. 214.00. artensuite August 08 | 07 Christine Streuli. bumblebee, Verlag Jörg Becher, Die 50 wichtigsten Künstfür moderne Kunst, 2006, 112 Seiten, ler der Schweiz, Echtzeit Verlag, 2007, Fr. 43.90. 224 Seiten, Fr. 38.00. artensuite 37 artensuite 38 artensuite August 08 | 07 ■ Sie wuseln wieder rum, die schrullig liebenswerten Charaktere, die im Eröffnungs-Video des Kulturraums der «Valiart» im vergangenen Sommer die Wände unsicher gemacht haben. Beherzt hat damals die gebrechliche Oma mit einem gezielten Schlag den Bankräuber zur Strecke gebracht. Der neuste Streich aus dem Hause «Pixelfarm», Tom Hänni, Simon Küffer und Reno Bertolotti, zeigt nicht etwa die Fortsetzung der Geschichte, sondern das Prequel vor dem grossen Raub, die Vorgeschichte, die den Hintergrund der Protagonisten beleuchtet. In stringenter Schwarzweissästhetik umspielen animierte Video-Einstellungen die fünf rauchenden und trin- kenden Pokerfaces, die sich in der Mitte des Raumes als skulpturale Runde versammelt haben. Auf drei Wänden wird jeweils gleichzeitig die Herkunft und Vergangenheit, die Rolle im geplanten Raub sowie die Zukunft, Erwartungen und Wünsche eines jeden Protagonisten dargelegt, den der Betrachter über ein Schaltpult per Knopfdruck ins Zentrum des Interesses rücken kann. Da sitzt beispielsweise der breitschultrige, gutmütige Gorilla – ein belesener Schöngeist – während sich die Gangsterlady beseelt vom Helfersyndrom und aus Liebe zum starken Helden als Politesse in den Raub mit reinziehen lässt. Die Idee, den sozialen Hintergrund und die individuellen Beweggründe zu erörtern, aus denen schliesslich kriminelle Handlungen erwachsen können, ist vielversprechend. Sie greift aber einerseits in der allzu klischeehaften Beschreibung der Einzelpersonen etwas zu kurz, als eine wirkliche, sozialkritische Aussage gemacht werden könnte und wirkt andererseits zu melancholisch ernsthaft, damit man sie als überspitzte Parodie entlarven könnte. Sie stellen eher romantisierte Vorstellungen dar, wie man sich als Durchschnittsnormalo in einen spektakulären Bankraub phantasieren kann, über den dann in der Zeitung zu lesen wäre: «Grosser Coup geglückt». (sm) Chantal Michels von Foto zu Foto mitzuverfolgen, wissend, dass sich hinter der Kostümierung und der Gesichtsbemalung immer die Künstlerin selbst verbirgt. Wenn die hyperrealistische, fotografische Abbildung auf die malerisch applizierte Farbe auf dem Gesicht der Künstlerin trifft, entsteht ein irritierender Effekt, der die Spannung der Bilder zwischen Anwesenheit und Abwesenheit der «Unwiderruflichen» ausmacht. Chantal Michel hat gemeinsam mit dem Kuratorinnen-Team Caroline Nicod und Valentine Reymond ein Gesamtkunstwerk geschaffen. Wenn sich die Fotografien gleichen Formats freskengleich und wie Grabplatten in die unterste Zone der Kirchenwand einfügen, dann werden in der Hängung die Bedingungen des besonderen Ausstellungsraums nicht nur berücksichtigt, sondern harmonisch in das Gesamtkonzept der Kirche eingebunden. Es ist der Dialog mit dem Ort, der den besonderen Reiz der Ausstellung ausmacht. Das durchdachte Hängekonzept, das auf die kirchliche Liturgie abgestimmt ist, sakraler Gesang, der den Besucher schon an der Pforte empfängt und ihn durch den Besuch begleitet sowie die Werke selbst verleihen dem bedeutungsvollen Kirchenraum noch zusätzlich eine stimmige Atmosphäre zu einem Kunstgenuss der aussergewöhnlichen Art. (sm) Der grosse Coup Valiart Kulturraum, Theaterplatz 7, Bern. Geöffnet täglich 9:0018:30 h, Donnerstag bis 21:00 h, Samstag 9:00-16:00 h. Bis 25. August. Barocke Magie ■ Unumstösslich in der Vergangenheit entschwunden und doch auf seltsame Art präsent wirken die Gesichter in Chantal Michels neuster Werkserie, die in der barocken Abteikirche in Bellelay zu sehen ist. Es sind Kopien nach grossen Meistern des Künstlers Hermann Gerber, die Michel in ihren Fotografien nachstellt, womit sie einen zusätzlichen Schritt vom eigentlichen Original weg, hin zu einer eigenen Umsetzung geht. Als Hommagen an berühmte Vorbilder wie Paul Klee oder Ferdinand Hodler stellen Michels Bilder Fragen nach dem einzigartigen, originalen Werk und seines Stellenwerts in der Geschichte der Kunst. Es ist erstaunlich, die Wandelbarkeit Chantal Michel, Die Unwiederruflichen Abtei von Bellelay, bei Tavannes, Delémont. Bus auf Reservierung ab Tavannes: 0800 55 3000. Geöffnet täglich 10:00-12:00 h, 14:00:18:00 h. Bis 16. September. Psychedelische Erlösungsphantasien ■ Seit Mai dieses Jahres hat die Galerie «Milieu» an der Münstergasse 6 ihr Ausstellungsprogramm aufgenommen. Die stets offene Tür möchte auch flanierende Passanten einladen, einen Blick in den Kunstraum zu werfen. «Wir wollen primär junge Kunstinteressierte, aber auch Menschen ansprechen, die vielleicht noch nie im Leben eine Galerie betreten haben», sagt Rémy Pia, einer der vier Galeristen, und vermutet, dass gerade Bern für eine junge Galerie mit dem Fokus auf internationale Newcomer ein ideales, noch unbespieltes Pflaster bietet. Neben Rémy Pia stehen Arci Friede, Dave Marshal und Nicola Enrico Stäubli als Betreiber hinter der Galerie, die als artensuite August 08 | 07 gemeinschaftliches Projekt geleitet wird. Zum Konzept gehört beispielsweise, dass bisher in jeder Ausstellung mindestens ein Werk bereits unter 100 Franken zu erwerben war, so dass der Besitz von Kunst keiner kaufkräftigen Elite vorbehalten sein muss. Zurzeit zieren überaus bunte Gemälde des Amerikaners Kelsey Brookes die weissen Wände, wobei er das Gemäuer – inspiriert durch die Gewölbemalerei von Niklaus Manuel im Berner Münster – als gestalterisches Element ins Hängekonzept mit einbezogen hat. Der Künstler trägt die ornamentalen Strukturen, die er mit feinster Pinselarbeit auf die Leinwände appliziert, über deren Ränder hinaus und verwandelt den gesamten Raum in ein psychedelisches Liniengewirr. Seine vielarmigen, indischen Gottheiten wissen den Betrachter in allen erdenklichen Farbkombinationen zu betören, doch zugleich irritiert hier eine verrenkte Hip-Hop-Attitüde, dort ein Pin-up-Girl in eindeutiger Pose oder gar das kuschelige Gesicht einer Disney-Figur. So kreuzen sich die anbetungswürdigen Götzen der westlichen Konsumwelt mit den sagenumwobenen Heilsbringern des Orients zu ungewöhnlichen, grotesk witzigen und zugleich merkwürdig abstossenden Collagen – universelle Bilder der Erlösung in Sex, Konsum und globalisierten Identitäten. (sm) Kelsey Brookes Milieu, Galerie / Artspace, Münstergasse 6, Bern. Geöffnet Donnerstag 13:30-19:00 h, Freitag 13:30-19:00 h, Samstag 12:00-17:00 h. Bis 25. August. artensuite 39 Der grosse Coup In die Röhre gucken ■ Als die amerikanische Künstlerikone Robert Smithson 1970 seine berühmte Schuttmole «The Spiraly Jetty» im Salt Lake in Utah auslegte, konzipierte er direkt neben seinem Land Art Werk ein Kino, in dem der künstlerische Entstehungsfilm zur Monumentalskulptur hätte gezeigt werden sollen, und zwar unter Tags. Eine spiralförmige Wendeltreppe sollte Sylvia Mutti den Besucher in einen Vorführraum im Untergeschoss geleiten, in dem man wortwörtlich – und nicht ohne ironisches Augenzwinkern – einen Underground-Film zu sehen bekommen hätte. Errichtet wurde das Kino im Untergrund nie und auch die spiralförmige Mole war während Jahren in den Tiefen des Sees versunken. Nun holt das Haus für Kunst Uri Verborgenes ans Tageslicht, aus der Unterwelt an die Erdoberfläche: «Im Untergrund / Below ground level» ist eine abwechslungsreiche, internationale Show zeitgenössischer Werke, die sich unter anderem dem Phänomen des Tunnels verschrieben haben. Zwischen hell und dunkel, oben und unten, klaustrophobischer Enge und weit verzweigten Kanalsystemen zeigen fünfzehn Kunstschaffende Arbeiten, die sich sowohl geografisch als auch metaphorisch mit dem Thema beschäftigen. Der Standort Uri, ganz in der Nähe des Gotthards, bietet sich für diesen Gegenstand in idealer Weise an, so dass die Ausstellung zum Jubiläum «125 Jahre Gotthardbahn» konzipiert wurde. Die Kuratorin der Ausstellung, Sylvia Rüttimann, hat gemeinsam mit Monika Hardmeier einen als Lesebuch konzipierten Katalog herausgegeben. Zehn Autorinnen und Autoren beleuchten den Tunnel aus kunsthistorischer, geschichtlicher, philosophischer, künstlerischer, literaturund filmwissenschaftlicher Sicht und bringen mit ihren Beiträgen Licht ins Dunkel. Als hätte der Rasen vor dem artensuite August 08 | 07 Kunsthaus eine Lunge, bemerkt der aufmerksame Besucher beim Eintreten wie sich das Grün rhythmisch hebt und senkt. Hat sich hier etwa ein Murmeltier oder ein Krümelmonster unter dem Gebäude eine Schlafhöhle gegraben? Mit «Wenn es hier wäre» hat Eva Baumann die äusseren Anzeichen von unsichtbarem Leben geschaffen, das als Mysterium unter der Erdoberfläche haust. Oberfläche gegen Untergrund, dunkel versus hell, schwarz gegen weiss: Hiervon zeugt ein besonderes Bijou der Ausstellung, eine Videoarbeit des Südafrikaners William Kentridge. In seinem als animierte Kohlezeichnung gestalteten Film «Mine», konstruiert sich der materielle Reichtum des weissen Patrons buchstäblich aus den Höhlensystemen seiner Bergwerke, in denen schwarze Arbeiter schuften. Die englische Doppelbedeutung des Titels, «Bergbaumine» und das Possessivpronomen «mein» reflektiert die ungleichen Besitzverhältnisse sowie die soziale Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsschicht zur Zeit des Apartheidregimes. Dem unwirtlichen Arbeitsumfeld unter Tage hat auch Milo Keller in seinen ästhetischen Fotoarbeiten ein Denkmal gesetzt. Wie der weit aufgerissene Schlund eines Brontosaurus ragt ein geöffnetes Rohr aus dem Tunnel heraus, vergleichbar mit einem skulpturalen Readymade. Die Fotos inszenieren die gewaltige Arbeitskonstruktion im künstlichen Licht der Neonröhren, was ihnen etwas Ungetümes, Ursprüngliches und zugleich märchenhaft Unwirkliches verleiht. Inmitten der natürlichen Erde entsteht eine völlig technisierte Welt von eigenartig kühler Schönheit. Viel weniger spektakulär und auf das Wesentliche reduziert, fliesst das «Kanalvideo» von Peter Fischli und David Weiss rund eine Stunde lang dahin. Während eine Kamera sich von sphärischen Klängen begleitet durch eine enge Röhre vorwärts bewegt, wechselt das Bild vom Hell ins Dunkel und wieder zurück zu Hell. Wie leuchtende Halos kommen die Schnittstellen der Rohre auf einen zu und umgeben das schwarze Loch in der Mitte mit schimmerndem Schein, wobei eine immerwährende Sonnenfinsternis entsteht und vergeht. Der Untergrund bietet für zahlreiche literarische Arbeiten Inspiration. Er gewährt zum einen Schutz und Geborgenheit oder ist zum anderen Halbwelt, Ort des Illegalen, Erschreckenden. Taucht der Zug in Friedrich Dürrenmatts beängstigender Kurzgeschichte «Der Tunnel» nie mehr aus der Röhre auf und rast in einem höllischen Tempo ins Verderben, so lässt auch Claudio Fähs Kurzfilm seine Protagonistin bei «Kilometer 11» im Gotthard herumirren. In leicht trashiger Manier gedreht und mit spannungsreicher Bombastmusik unterlegt, manifestiert sich hier der Underground im Genre des Films. Die tröstliche, erlösende Aussicht dagegen, dass einen das Licht am Ende des Tunnels empfängt, führt uns Rudolf Steiner in einem Videobeitrag vor Augen, die einer Nahtoderfahrung gleichkommt: Ein tanzender schwarzer Punkt hüpft zunächst auf hellem Hintergrund über den Monitor, wird immer grösser und entpuppt sich schliesslich als Ausgang eines Tunnels, dem der Künstler mit der Kamera in der Hand entlangging. Der Lichtpunkt nimmt mit zunehmender Dauer überhand, bevor sich der Schwarzweisskontrast völlig umdreht und die Szenerie in gleissendes Hell taucht – mit den Worten Falcos: «Out of the dark, into the light.» Dem Himmel so nahe, dies könnte auch das Motto Sandro Steudlers «L-Beam» sein. Um dies zu erfahren, muss man allerdings zuerst in die Knie gehen: Auf Bodenhöhe blickt der Betrachter in einen Schacht, der über eine verwinkelte Spiegelkonstruktion direkt in den Himmel führt, als hätte sich das Oben an das Unten angenähert, als stünde man unmittelbar an einem Abgrund, an dessen Ende die unendliche Freiheit, das Licht am Ende des Tunnels wartet. Im Untergrund / Below Ground Level Haus für Kunst Uri, Herrengasse 2, Altdorf. Geöffnet Donnerstag und Freitag 15:00-19:00 h, Samstag und Sonnag 12:0017:00 h. Bis 2. September. artensuite 41 artensuite 42 Peter Fischli / David Weiss, Mick Jagger und Brian Jones befriedigt auf dem Heimweg, nachdem sie ‚I Can‘t Get No Satisfaction‘ komponiert haben, aus der Serie «Plötzlich diese Übersicht», 1981, Ungebrannter Ton. © 2007 Peter Fischli / David Weiss Fragen und Entdecken um des Spielens willen Peter Fischli und David Weiss. Fragen & Blumen Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1. Geöffnet Dienstag bis Donnerstag, 10:00-21:00 h, Freitag bis Sonntag 10:0017:00 h. Bis 9. September. ■ Sie sind die Meister des skurrilen, ironischen Humors, der kunstgewordenen Banalität und poetischen Geste mit Fragezeichen – und dies schon seit 1979. Damals entschlossen sich Peter Fischli und David Weiss von nun an zu zweit ihre weitere künstlerische Karriere zu verfolgen. Was sie mit grossem Erfolg tun: Beliebt bei Kunstkritik wie Publikum sind Sylvia Rüttimann ihre Werke in vielen wichtigen Ausstellungen zu sehen, nicht zuletzt an der Biennale Venedig und der documenta in Kassel, wo ihr Film «Der Lauf der Dinge» 1987 grosse Aufmerksamkeit erregte, die beiden an die Spitze der Schweizer Kunst der Gegenwart katapultierte und international bekannt machte. Fast dreissig Jahre Arbeit, da ist schon einiges zusammengekommen. Zeit für eine Retrospektive. Und so ist es nun also auch geschehen: Kuratoren Bice Curiger und Vicente Todoli haben zusammen mit den Künstlern eine Schau eingerichtet, die zuerst in der Londoner Tate Modern und noch bis September dieses Jahres im Zürcher Kunsthaus zu sehen ist. Es ist ein Werk, dessen Einzelteile reichlich bekannt sind, von dem man aber auch nach mehrmaliger Betrachtung immer wieder von neuem begeistert ist. Nur schon «Der Lauf der Dinge». Berechtigterweise ist er in die Geschichte erfolgreicher Künstlerfilme eingegangen. Einerseits unverschämt einfach, kommt er doch mit fast keinen Filmschnitten und kleinstmöglicher Handlung aus – Ursache und Wirkung –, fesselt er trotzdem durch seine Komplexität (immerhin geht es nach Wikipedia um die «Ausnutzung der Schwerkraft, der Zentripetalkraft, des Trägheitsmoments, des 3. Axioms, des Hebelgesetzes u. a.») und unbezahlbare Komik. Faszinierend wie Fischli/Weiss es schafften, mit unglaublicher Unpräzision die Dinge ins Rollen zu bringen. So ungeschickt und tölpelhaft und doch genau und wirkungsvoll hat kaum jemand alte Reifen, Flaschen, Kübel, Leitern, Müllsäcke und ähnliche Alltagsgegenstände in Bewegung gebracht, so dass der eine den anderen wiederum in Fahrt bringt. Um was genau auszudrücken? Man weiss es nicht so genau, sicherlich kann das Ganze philosophisch aufgeladen werden, aber das Wichtigste ist und bleibt der Humor, der Spass am physikalischen Ernst. Der Film kann noch so oft angesehen werden, das Schmunzeln bleibt eigentlich nie aus. Das zeigen auch die Reaktionen der immer sehr zahlreich vor der grossformatigen Projektion sitzenden Zuschauer im Kunsthaus. Einen «childlike spirit of discovery» hat die Tate den beiden denn auch attestiert. Was die Vorgehensweise der Künstler tatsächlich ganz gut beschreibt. Schon die frühe «Wurstserie», aber auch die Filme «Der geringste Widerstand» und «Der rechte Weg» waren diesem Konzept verpflichtet, und hier wiederum spielt der Weg eine wichtige Rolle: Die Künstler treten verkleidet in den bizarren Rollen als Ratte und Bär auf und begeben sich auf eine Reise zum Leben, machen Entdeckungen und erleben Enttäuschungen, untersuchen überkommene Sicherheiten, versuchen die Welt zu erklären, ein Modell zu finden, und finden sich öfters im Scheitern. Als einen Versuch enzyklopädischer Welterfassung, gespickt mit Humor und Bastlertrieb, erweist sich die mehrteilige Arbeit aus ungebranntem Ton «Und plötzlich diese Übersicht». Liebenswerte und wortspielerische Szenen, die die Zuschauer einmal grinsen, dann lauthals lachen lassen. Und so kann man sich durch die Abteilungen des Bürkli-Saales seinen Weg entlang dem Fischli/Weiss‘schen Universum medialer Vielfältigkeit bahnen, vorbei an den spektakulär unspektakulären Flughäfen, Blumen, Würsten, Fragen, Tonfiguren, Videos und Skulpturen, die manchmal so aussehen als wären sie gar keine. Baumstämme liegen da rum, ein Lederhocker, auf den man sich besser nicht setzen sollte, da er ein aus Polyuhrethan abgeformtes Kunstwerk ist. Sogar ihr eigenes Atelier haben die Künstler so gefälscht und ins Kunsthaus geschafft, samt leerer Pizzaverpackung. Das ist lustig, aber auch ein wenig befremdend, ging es doch den beiden Künstlern eigentlich nie um die eigene Person des Künstlers. Selbstironie? artensuite August 08 | 07 artensuite 43 BERNER GALERIEN Galerieneintrag: Auf den Seiten «Galerien in Bern» werden nur noch Galerien publiziert, welche unsere jährliche Publikationsgebühr bezahlt haben. Wer sich hier eintragen lassen möchte, melde sich bei der Redaktion: Telefon 031 318 6050 oder redaktion@ensuite.ch. Bernhard Huwiler, Devils Tower, Kaltnadel auf Rives Bütten bis 11.08.07 Galerie Bernhard Bischoff Altes Schlachthaus Metzgergasse 15, Burgdorf T 034 422 97 86 Sa & So jeweils 11:00-17:00 h Jwan Luginbühl zeigt bewegliche Eisenfiguren. Jeden zweiten Sonntag mit ShuttleBus zum Skulpturenpark von Bernhard Luginbühl bis 4.11. annex14 - Galerie für zeitgenössische Kunst Junkerngasse 14, 3011 Bern T 031 311 97 04 / www.annex14.ch Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder nach Vereinbarung Hochschule der Künste Bern Mit Werken von: Constance Allen, Nino Baumgartner, Mohéna Kühni, Daniela Markovic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga Steffens Eröffnung Di, 21.8., ab 18:00 h Mi, 22. - Sa, 25.8. Art-House Mittlere Strasse 3A, 3600 Thun T 033 222 93 74 7 www.art-house.ch Mi&Fr 14:00-17:30 h / Do 16:00-19:30 h / Sa 11:00-16:00 h und nach Vereinbarung Barbara Schultz Malerei- Pinselzeichnungen Vernissage: 11.8., ab 17:00 h Finissage: 8.9., ab 14:00 h Art + Vision Junkerngasse 34, 3011 Bern T 031 311 31 91 Di-Fr 14:00-19:00 h / Do 14:00-21:00 h / Sa & So 11:00-16:00 h artensuite August 08 | 07 Bärtschihus Gümligen Dorfstrasse 14, 3073 Gümligen Mary Poppins! superkalifragilistigexpialigetisch Fri-Art 22 Petites Rames, 1700 Fribourg T 026 323 23 51 / www.fri-art.ch Di-Fr 14-18:00 h / Sa&So 14:00-17:00 h Exposition 4a emotional landscapes i bis 19.8. bk Galerie Bernhard Bischoff & Partner Speichergasse 8, 3011 Bern T 031 312 06 66 www.bernhardbischoff.ch Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder nach Absprache Landscapes Reloaded Katia Bourdarel, Raffaella Chiara, Rainer Eisch, Bernhard Huwiler, Christian Indermühle, Reto Leibundgut bis 11.8. (nur nach Voranmeldung geöffnet) Diplomausstellung des Studiengangs Kunst in den Berner Galerien «The Students are alright» Mit Werken von: Constance Allen, Nino Baumgartner, Mohéna Kühni, Daniela Markovic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga Steffens Mi, 22. - Sa, 25.8. Galerie 25 Regina Larsson 2577 Siselen / T 032 396 20 71 www.galerie25.ch Fr-So 14:00-19:00 h oder nach tel. Vereinbarung «Zeichnungen» Peter Engl, Berlin D, Lilly Keller, Cudrefin, Brigitte Konrad, Berlin D, Oliver Maurer, Neuchâtel NE , Erica Pedretti, La Neuveville BE, Ezra Pirk, Ebikon LU, Renate Salzmann, Schwarzenegg BE, Fernand Schmutz, Bülach ZH, Anja Storz, Bern BE, Sylvia Vananderoye, Uettligen BE Vernissage: So, 26.8., ab 14:00 h 26.8. - 23.9. Galerie 67 Belpstrasse 67, 3007 Bern / T 031 371 95 71 www.galerie67.ch Mo 14:00-18:30 h / Di-Fr 9:00-12:00 h & 14:00-18:00 h / Sa 10:00-12:00 h Galerie Artdirekt Herrengasse 4, 3011 Bern / T 031 312 05 67 www.artdirekt.ch Südsicht O7 Ausstellung in der Klinik Südhang Klinik für Suchttherapien, Südhang 1, 3038 Kirchlindach. Öffnungszeiten: Mi-Fr 17:0020:00 h / Sa & So 14:00-18:00 h Vera Goulart (Brasilien-Worb), Werner Neuhaus (Moosegg), Kathrin Racz (Bern), Nick Röllin (Bern), Anna Schmid (Spiez), Nikola Zaric (Lausanne) Galerie bis Heute Amtshausgasse 22, 3011 Bern T 031-311 78 77 / www.galerie-bisheute.ch Do-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h & nach Vereinbarung Die Galerie bleibt bis 23. August geschlossen. Nächste Vernissage: Ronald Kodritsch One more wastes sunsets, please! 8.9. - 6.10. Galerie Beatrice Brunner Nydeggstalden 26, 3011 Bern T 031 312 40 12 / www.beatricebrunner.ch Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h artensuite 44 Christina Priska Oldani, Bilder und Zeichnungen bis 18.08.07 Galerie Rigassi Rainer Eisch, mr_broum bis 11.08.07 Galerie Bernhard Bischoff Galerie Bärtschi Nydeggstalden 32, 3011 Bern T 031 311 61 15 www.art-baertschi.ch Do-Fr 14:00-18:30 h & Sa 10:00-16:00 h Galerie Christine Brügger Kramgasse 31, 3011 Bern T 031 311 90 21 Mi-Fr 14:00-18:30 h & Sa 11:00-16:00 Uwe Gräbner, Alex Zürcher, Peter Pernath Galerie Duflon & Racz Gerechtigkeitsgasse 40, 3011 Bern T 031 311 42 62 Do 14:00-19:00 h, Fr 16:00-19:00 h & Sa 12:00-17:00 h oder nach tel. Vereinbarung. Pierre Bonard Gouachen bis 4.8. Franz Roth Malerei Vernissage: 10.8, ab 18:00 h 11.8 - 29.9. Galerie Henze & Ketterer Kirchstrasse 26, 3114 Wichtrach T 031 781 06 01 / www.henze-ketterer.ch Di-Fr 10:00-13:00 h & 14:00-18:00 h / Sa 10:00-16:00 h Galerie im Graben Waldeckstrasse 12, 3052 Zollikofen T 031 911 96 06 Fr 17:00-19:00 h / Sa 16:00-19:00 h & So 11:00-17:00 h Galerie Madonna#Fust Rathausgasse 14, 3011 Bern T/F 031 311 28 18 / www.madonnafust.ch Mi/Fr 12:30-18:00 h / Do 12:30-20:00 / Sa 10:00-16:00 h und auf Anfrage Simone Aaberg Kaern, Petre Elena Köhle und Nicolas Vermot Petit-Outhenin Vernissage: 31.8., 17:30-20:00 h Galerie Margit Haldemann Brunngasse 14, Brunngasshalde 31 T 031 311 56 56 / margithaldemann@bluewin.ch, www.galeriehaldemann.ch Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h Bis Mitte August ist die Galerie nur nach Vereinbarung geöffnet! Barbara Ellmerer Waldstücke und Bildnisse Vernissage: Mi, 22.8., 18:00-20:00 h 22.8. - 22.9. Soirée des Vereins Berner Galerien: Fr, 14.8., Galerien bis 23:00 h offen Galerie Martin Krebs Münstergasse 43, 3011 Bern T 031 311 73 70 / www.krebs.artgalleries.ch/ Di-Fr 14:30-18:30 h / Sa 10:00-14:00 h Hannes Egli «Das Berner Münster» «La Strada» Vernissage: Mi, 15.8, 18:00-20:00 h Kurzausstellung auch am So 10:00-14:00 h geöffnet! Thomas Baumgärtel «Landschaft» Vernissage: Mi, 22.8, 18:00-20:00 h 22.8. - 29.9. Galerie Kornfeld Laupenstrasse 41, 3001 Bern T 031 381 46 73 / www.kornfeld.ch Mo-Fr 14:00-17:00 h Galerie Ramseyer & Kaelin Junkerngasse 1, 3011 Bern T 031 311 41 72 Mi-Fr 16:00-19:00h / Sa 13:00-16:00h Galerie Rigassi Münstergasse 62, 3011 Bern T 031 311 69 64 / www.swissart.net/rigassi Di-Fr 11:30-13:30 h & 15:30-19:00 h / Sa 10:30-16:00 h oder nach tel. Vereinbarung Christina Priska Oldani - Bilder und Zeichnungen Michael Ball - Skulpturen bis 18.8. Provisorium. Galerie im Atelier – Atelier in der Galerie Ein Ausstellungsprojekt von Selma Käppeli und Nicola Müllerschön Vernissage: Di, 21.8., 19:00 h 22.8.- 15.9. Galerie Rosengarten Thun Haus Immer, Bälliz 35, Thun T 033 223 12 42 / www.galerie-rosengarten.ch Di-Fr 14:00-17:00 h & Sa 10:00-16:00 h Fritz Rieder 4.8 - 25.8. Galerie Silvia Steiner Seevorstadt 57, 2502 Biel / T 032 323 46 56 / www.silviasteinergalerie.ch Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 14:00-17:00 h oder nach Vereinbarung Galerie Tom Blaess Uferweg 10b, 3013 Bern / T 079 222 46 61 www.tomblaess.ch Galerie Toni Müller Herzogstrasse 3, 3014 Bern www.galerie-toni-mueller.ch Mi-Fr 15:00-18:30 / Sa 11:00-14:30 oder nach Vereinbarung Karin Frank Verbindungen / Verbindlichkeiten Acrylbilder bis 11.8. artensuite August 08 | 07 Martina Lauinger, Klone Chromosomen 4.08.-28.09.07. Klinik Bethesda Tschugg Kabinett Bern Gerechtigkeitsgasse 72-74, 3011 Bern T 031 312 35 01 / www.kabinett.ch Do & Fr 14:00-19:00 h / Sa 11:00-16:00 h Markus Raetz Werke aus der Sammlung Toni Gerber bis 18.8. Diplomausstellung des Studiengangs Kunst in den Berner Galerien «The Students are alright» Mit Werken von: Constance Allen, Nino Baumgartner, Mohéna Kühni, Daniela Markovic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga Steffens ab 20:00 h Apéro bei der Galerie Stage Mi, 22.8. - Sa, 25.8. Klinik Bethesda Tschugg 3233 Tschugg BE / T 032 338 4 444 www.klinik-bethesda.ch täglich 8:00-19:00 h Patente Gene Martina Lauinger Apéro vor dem Weinkeller, Rundgang mit der Künstlerin: 4.8., 11:00-13:00 h, bis 28.9. Kornhausforum Forum für Medien und Gestaltung Kornhausplatz 18, 3011 Bern T 031 312 91 10 / www.kornhausforum.ch Di-Fr 10:00-19:00 h / Do 10:00-20:00 h / Sa 10:00-16:00 h Sexarbeit bis 1.8. pong. mythos Vernissage: 19.8., 18:00 h ab 16.8. Facing Peace - Face à la Paix Vernissage: 22.8., 19:00 h 22.8. - 1.9. artensuite August 08 | 07 Ruth Burri, Malerei & Objekte von 24.08.-14.09.07 raum Corina Steiner & Elke Lehrenkrauss, Portrait bis 31.8. ONO, Bern Kunstraum Oktogon Aarstrasse 96, 3005 Bern Fr 16:00-19:00 h / Sa 11:00-15:00 h Kunst in den Berner Galerien «The Students are alright» Mit Werken von: Constance Allen, Nino Baumgartner, Mohéna Kühni, Daniela Markovic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga Steffens ab 20:00 h Apéro bei der Galerie Stage Mi, 22. - Sa, 25.8. Kunstreich Gerechtigkeitsgasse 76, 3011 Bern T 031 311 48 49 / www.kunstreich.ch Mo-Fr 9:00-18:30 h / Do 9:00-20:00 h / Sa 9:00-16:00 h Yatchi Itho Suishu Tomoko 23.8. - 29.9. Milieu Galerie/Artspace Münstergasse 6, 3000 Bern www.milieu-digital.com Do&Fr 13:30-19:00 h / Sa 12:00-17:00 h Kelsey Brookes Supernumerary New paintings and prints ONO Bühne Galerie Bar Kramgasse 6, 3011 Bern T 031 312 73 10 / www.onobern.ch Nachtgalerie Fr&Sa 22:00-24:00 h oder nach tel. Vereinbarung Corina Steiner und Elke Lehrenkrauss Fotografie bis 31.8. peripherie arts Im Stufenbau, Pulverstrasse 8, 3063 Ittigen Tel 076 325 19 11 / www.peripherie-arts.ch Di&Mi 18:00-20:00 h (oder nach tel. Vereinbarung) PROGR Zentrum für Kulturproduktion Speichergasse 4, 3011 Bern / www.progr.ch «Unknown Pleasures» bis 10.8. Di 14:00-20:00 h & Mi-Sa 14:00-17:00 h Diplomausstellung des Studiengangs RAUM Militärstrasse 60, 3014 Bern www.kulturraum.ch Mi-Fr 16:00-19:00 h / Sa 12:00-16:00 h r a u m SommerSchaufenster mit Reto Steiners Klon VI (Kreis) 2005 Gips (Besichtigung: durch das Schaufenster oder klingeln oder vereinbaren 079 307 31 42.) bis 12.8. Frauen mit Köpfchen Ausstellung Ruth Burri Bilder und Objekte Vernissage: Fr, 24.8., 18:00-20:00 h 24.8. - 14.9. SELZ art contemporain Clos du Tacon 20 A; 2742 Perrefitte www.selz.ch T 079 779 56 27 SLM Kunstausstellung Dorfplatz 5, 3110 Münsingen T 031 724 11 11 Mo-Do 8:00-12:00 h & 13:30-17:00h / Fr 8:00-12:00 h & 13:30-18:00 h Stadtgalerie Speichergasse 4, 3001 Bern T 031 311 43 35 7 / www.stadtgalerie.ch Di 14:00-20:00 h & Mi-Fr 14:00-17:00 h «Unknown Pleasures» Thomas Bayrle, Pierre Bismuth, Wim Delvoye, Cyprien Gaillard, Doug Fishbone, Shih artensuite 45 artensuite 46 Augenspiel Von Dominik Imhof Impressum ■ Da man uns Berner Kunstliebhabern und Augenmenschen die Kunst im öffentlichen Bahnhofsraum – d. h. die einzigen Lichtblicke rund um den Bahnhofsplatz – aufs Hinterlistigste, wenn nicht sogar aufs GrobFahrlässigste geraubt hat und uns dem lärmenden, chaotischen und schwer zu überwindenden Baustellenzirkus überlassen hat, wo wir doch klimatisierte, menschenleere und folglich erholsame museale Räumlichkeiten gewohnt sind, da dachte man sich wohl in irgendeiner mehr oder weniger hohen Behördenstelle, es muss Ersatz in ebenso skulptural-objekthafter Weise an anderer Stelle geschaffen werden. So findet man seit geraumer Zeit eine neue Einrichtung auf dem Kornhausplatz, die ganz unheilvoll auf den braven Kindlifrässerbrunnen blickt, mit dem sie ja so gar nichts verbindet. Ein riesiger Betonsockel, dem man den Versuch jegliche Vandalenakte bereits im Vorfeld durch enormes Gewicht im Keime zu ersticken von weiter Ferne bereits ansieht – selbst mit einem geschlossenen Auge. Darüber erstreckt sich ein Stahlungetüm in die Höhe, 5,5 Meter sind es, das seiner boden- haftenden Halterung alle Ehre macht. EuroCountdown-Uhr nennt man so etwas. Gott sei Dank, wissen wir doch jetzt bei jeder Kornhausplatz-Traversierung wie lange wir noch auf den nächstjährigen Fussballzauber warten müssen. Übrigens gibt es derartige Uhren auch an den anderen Austragungsorten der Euro 08. Dort sind sie auch nicht schöner. Wer aber rasche Erholung von diesem sechs Tonnen Ungetüm braucht, dem sei hier ein Tipp mit auf den Weg gegeben: Gehen Sie nur wenige Schritte weiter ins Postgässlein. Da hat der im November 2005 verstorbene Künstler Carlo E. Lischetti den oberen Postgassbrunnen aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts unter dem Titel «Keine Brunnenfigur» 1991 umgestaltet – hier kann man wirklich von Gestaltung sprechen. Unscheinbar, scheinbar funktional führt zum Sockel neben dem eigentlichen Brunnenbecken eine Treppe mit Geländer hinauf. Wie der Titel bereits klar macht, gibt es oben nichts: die Brunnenfigur fehlt. Jeder kann selber zum Denkmal werden. Schlicht, einfach, aber umso präziser ist Lischettis Denkmal. artensuite erscheint monatlich als Beilage im ensuite - kulturmagazin. Herausgeber: edition ■ ensuite, Bern Redaktion: Dominik Imhof (di); Monique Meyer (mm), Sylvia Mutti (sm), Nicola Schröder (ns), Sylvia Rüttimann (sr), Monika Schäfer (ms) Chieh Huang, Alevtina Kakhidze, Lang/ Baumann, Elodie Pong, Boy & Erik Stappaerts, Aaron Schuster bis 10.8. in der Stadt Bern zwischen 1937 und 1988 bis 31.8. Heiliggeistkirche Bern Der geschlossene öffentliche Raum / Grenzen Eine szenische Installation ab 12:00 h bis 9.8. DENN BERN IST ÜBERALL! VALIART KulturRaum Bundesgasse 26, 3001 Bern Täglich 9:00-18:30 h / Do bis 21:00 h / Sa bis 16:00 h Der grosse Coup Pixelfarm (Tom Hänni, Simon Küffer, Reno Bertolotti) Sound: Fabian Friedli Ein Projekt der Serie Hands up! rund um den Mythos Bankraub im digitalen Zeitalter. bis 25.8. Wartsaal 3 Helvetiaplatz 3, 3005 Bern T 031 351 33 21 / www.wartsaal3.ch täglich 11:00-19:00 h Temporäre Austellungen Stadtarchiv Bern Erlacherhof, Junkerngasse 47 Mo-Fr 8:00-12:00 h, 13:30-17:00 h Wenn alles wahr wäre ... Wahlpropaganda zu den Gemeindewahlen Diplomausstellung des Studiengangs Bildnerisches Gestalten HKB, Vestibül, Fellerstrasse 11, 3027 Bern Diplomausstellung des Studiengangs Bildnerisches Gestalten Mit Werken von Estelle Currat, Sandro Galli, Florian Glanzmann, Dominic Gyger, Thomas Kägi, Sarah Kaufmann, Yves Lavoyer, Patricio Perez, Rebecca Siegfried, Nadja Spalinger, Julia Steiner Vernissage: Fr, 24.8., 18:00 h, 25.-29.8. Die Redaktion artensuite ist politisch, wirtschaftlich und ethisch unabhängig und selbständig. Die Texte repräsentieren die Meinungen der Autoren/innen, nicht jene der Redaktion. Copyrights für alle Informationen und Bilder liegen beim Verein WE ARE in Bern und der edition ■ ensuite. Redaktionsadresse: artensuite Sandrainstrasse 3 3007 Bern Telefon 031 318 6050 Mail: art@ensuite.ch www.artensuite.ch www.ensuite.ch Wenn alles wahr wäre ... bis 31.8. Stadtarchiv Bern Alterswohnheim Steingrüebli Schiessplatzweg 36, 3072 Ostermundigen Mo&Di 10:00-17:00 h / Mi-So 10:00-19:00 h Agathe Zinsstag Skulpturen Bruno Unterrassner Fotografien artensuite August 08 | 07 BERNER MUSEEN BERN / BIEL / THUN Abegg-Stiftung Werner Abegg-Strasse 67, 3132 Riggisberg täglich 14:00-17:30 h Sonderausstellung 2007 Drachen aus Seide, Blumen aus Gold. Textile Schätze der chinesischen LiaoDynastie (907-1125) bis 11.11. Antikensammlung Bern Hallerstrasse 12, 3012 Bern Mi 18:00-20:00 h Die Antikensammlung beherbergt nebst den Abgüssen (rund 230 Exponate antiker Skulpturen von den Anfängen der griechischen Archaik bis zur römischen Spätantike) auch eine kleine Sammlung mit originalen Fundstücken aus der griechisch-römischen Antike. Bernisches Historisches Museum Helvetiaplatz 5, 3005 Bern Di-So 10:00-17:00 h Berns Weg in die Moderne Warum ist die Gegenwart so geworden wie sie heute ist? Die Sonderausstellung lädt ein zu einem Gang durch die Schweizer Verfassungsgeschichte und die Geschichte Berns im 19. und 20. Jahrhundert. bis 6.1.2008 Erlebnispark Physik Bildungsvergnügen für die ganze Familie bis 14.10. Centre Dürrenmatt Chemin du Pertuis-du-Sault 74, 2000 Neuchâtel Mi-So 11:00-17:00 h Am Rande der Sprache bis 26.8. Einstein-Haus Kramgasse 49, 3011 Bern 1.10.-16.12., Di-Fr 10:00-17:00 h / Sa 10:0016:00 h Führungen jederzeit nach Absprache Heilsarmeemuseum Laupenstrasse 5, 3001 Bern Di-Do 9:00-12:00 h & 14:00-17:00 h Dokumente, Zeitschriften, Bilder, Fotos, Grammophonplatten, Kassetten, Musikinstrumente und andere Sammelobjekte. artensuite August 08 | 07 Institut für Archäologie der Universität Bern Länggassstrasse 10, 3012 Bern T 031 631 89 92 Mo-Fr, 8:00-17:00 h Kunsthaus Centre Pasqu’art Seevorstadt 71-75, 2502 Biel Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa&So 11:00-18:00 h Out of Art Vernissage: 2.6, 17:00 h bis 5.8. Gian Pedretti - Der Maler / Le peintre Einzelausstellung Vernissage: 2.6., 17:00 h bis 5.8. SURREALITES - Aspekte des Surrealen in der zeitgenössischen Kunst Vernissage: Sa 18.8, 17:00 h 19.8. - 21.10. Photoforum Pasquart Jacob Holdt - United States 1970-1975 bis 12.8. Kunsthalle Bern Helvetiaplatz 1, 3005 Bern Mi-So 10:00-17:00 h / Di 10:00-19:00 h Allan Kaprow Kunst als Leben - Art as Life bis 26.8. Kunstmuseum Bern Hodlerstrasse 8-12, 3007 Bern Di 10:00-21:00 h / Mi-So 10:00-17:00 h Serge Spitzer – Installation Re/Search (Alchemy and/or Question Marks with Swiss Air)», 1996-2002 bis Ende 2007 Expressionismus aus den Bergen Kirchner, Bauknecht, Wiegers und die Gruppe Rot-Blau bis 19.8. Ueli Berger: Alles in Allem - Arbeiten auf Papier 1967-2007 bis 5.8. Im Kabinett: Lascivie e santità - Druckgraphik der Carracci bis 5.8. «Verfluchter Kerl!» Karl Stauffer-Bern: Maler, Radierer, Plastiker 17.8. - 2.12. Kunsthaus Langenthal Marktgasse 13, 4900 Langenthal Mi & Do 14:00-17:00, Fr 14:00-19:00 h, Sa& So 10:00-17:00 h Kunstmuseum Thun Hofstettenstrasse 14, 3602 Thun Di-So 10:00-17:00 h / Mi 10:00-21:00 h Simon Dybbroe Møller Like Origami Gone Wrong bis 19.8. Pamela Rosenkranz bis 19.8. 360° Thun - Marquard Wocher und das Panorama in Thun bis 28.10. museum franz gertsch Platanenstrasse 3, 3401 Burgdorf Di-Fr 10:00-18:00 h / Mi 10:00-19:00 h / Sa&So 10:00-17:00 h frisch gestrichen Vernissage: 3.8., 18:30 h 4.8. - 28.10. Max Roth - Monolothische Skulpturen bis 28.10. Museum für Kommunikation Helvetiastrasse 16, 3000 Bern Di, Do-So 10:00-17:00 h & Mi 10:00-19:00 h «nah und fern: Menschen und ihre Medien» Dauerausstellung As Time Goes Byte Neue Dauerausstellung zur Computergeschichte und digitalen Kultur Bilder, die haften Neue Dauerausstellung zu den Briefmarken instant city Ein elektronischer Musik Bau Spiel Automat «instant city» steht in der Ausstellung «As Time Goes Byte» und ist vieles zugleich: interaktives Computergame, unberechenbares Musikinstrument, theaterales Gesellschaftsspiel und Leuchtkörper. bis 12.8. Museum Neuhaus Biel Schüsselpromenade 26, 2501 Biel Di-So 11:00-17:00 h / Mi 11:00-19:00 h Bürgerlicher Lebensstil im 19. Jahrhundert: Wohnen und Haushalten artensuite 47 artensuite 48 Die Stiftung Sammlung Robert präsentiert eine neu gestaltete permanente Ausstellung im Museum Neuhaus. Historische Umzüge und Narrentreiben Die Bieler Fasnachtstradition 1896-2007 16.8. - 11.11. Kinosammlung William Piasio: Archäologie des Kinos Museum Schwab / Museum für Archäologie Seevorstadt 50, 2502 Biel Di-Sa 14:00-18:00 h / So 11:00-18:00 h Das archäologische Fenster der Region Permanente Ausstellung Keltenjahr 2007 La Tène. Die Untersuchung. Die Fragen. Die Antworten. bis 24.2. Naturhistorisches Museum der Burgergemeinde Bern Bernastrasse 15, 3005 Bern Mo 14:00-17:00 h / Di/Do/Fr 9:00-17:00 h Mi 9:00-18:00 h, Sa&So 10:00-17:00 h Anpasser und Alleskönner - Tiere in der Stadt Dauerausstellung Psychiatrie Museum Bern Bolligenstrasse 111, 3060 Bern Mi 14:00-16:00 h Neben historisch wichtigen Gegenständen und Dokumenten beherbergt das Museum auch eine Sammlung bildnerischer Patientenarbeiten, die mehrheitlich auf jener Morgenthalers beruht. Sie umfasst über 2500 Bilder (Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder und Collagen), rund 1500 Textblätter sowie viele Stoffarbeiten, Objekte aus Holz, Ton, Keramik und anderen Materialien. Schloss Landshut Schweizer Museum für Wild & Jagd 3427 Utzenstorf Di-Sa 14:00-17:00 h «abnorm? Vom Kopfschmuck bei Reh und Steinbock» bis 21.10. Abendführungen 2007 auf Schloss Landshut Jeweils am letzten Donnerstag der Monate Mai bis September, in der Regel von 19:30 – ca. 20:30 h Schloss Münsingen Schlossstrasse 13, 3110 Münsingen jeweils am Sonntag, 14:00-17:00 h oder nach Vereinbarung Schlossmuseum Thun Schlossberg 1, 3600 Thun 10:00-16:00 h Das historische Museum mit einmaliger Aussicht auf Stadt, See und Alpen. Töpferwerkstadt Typische Heimberger Keramik Werkstatt des 19. Jahrhunderts Teil der Dauerausstellung Schweizerische Nationalbibliothek Hallwylstrasse 15, 3003 Bern Mo-Fr 9:00-18:00 h / Mi 9:00-20:00 h / Sa 9:00-16:00 h / So 12:00-17:00 h Das neue Bild der Schweiz Eine Ausstellung des ETH-Studio Basel – Institut Stadt der Gegenwart bis 1.9. Schweizerisches Alpines Museum Helvetiaplatz 4, 3005 Bern Mo 14:00-17:00 h / Di-So 10:00-17:30 h Berge bauen Auf rund 220m2 sehen Sie die Sonderausstellungen zu Themen der Bergwelt im 2. Stock des Schweizerischen Alpinen Museums. bis 10.2.2008 Unsere öffentlich zugängliche Infothek bietet Ihnen u. a. folgende Dienstleistungen an: regelmässige Publikation ausgewählter Neuerscheinungen. Beratung in Dokumentationsfragen und bei Recherchen. Leseplätze mit Internetarbeitsplatz, Lexika usw. Konsultationsmöglichkeit für aktuelle Zeitschriften, Wörterbücher, Nachschlagewerke und aktuelle Fahrpläne ausländischer Bahnunternehmungen. Zentrum Paul Klee Monument im Fruchtland 3, 3001 Bern Di-So 10:00-17:00 h / Do 10:00-21:00 h Kindermuseum Creaviva 10:00-17:00 h, Do bis 21:00 h Paul Klee – Ad Parnassum bis 14.10. Paul Klee – Überall Theater bis 14.10. Theaterwelten Interaktive Stationen für Kinder Maske, Garderobe, Bühne, Geräusche, Schattentheater. Für Kinder und Erwachsene bis 25.11. Führungen und Aktivitäten finden Sie in der ensuite - kulturmagazin-agenda und unter www.zpk.org Schweizerisches Schützenmuseum Bern Bernastrasse 5, 3005 Bern Di-Sa 14:00-17:00 h / So 10:00-12:00 h & 14:00-17:00 h Das 13. Sternzeichen – Der Armbrustschütze bis 2.12. Universitätsbibliothek Bern Münstergasse 61-63, 3011 Bern Mo-Fr 8:00-19:00 h / Sa 8:00-12:00 h Musik in Bern zwischen spätmittelalter und Reformation bis 14.10. Stiftung Historisches Erbe SBB Bollwerk 12, 3000 Bern 65 Mo-Fr 9:00-12:00 h & 13:30-17:00 h Die Infothek der Schweizer Bahngeschichte zum Nachlesen und Ansehen. artensuite August 08 | 07