AdVoice 02/2012 - Forum Junge Anwaltschaft

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AdVoice 02/2012 - Forum Junge Anwaltschaft
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Anwalt der Anwälte
G 48742
02/12
FORUM Junge Anwaltschaft im DeutschenAnwaltverein
Thema:
Sucht
DAT 2012
BERICHTE UND BILDER
Sucht - ein Abdruck im Gehirn
Welche Drogen wirklich helfen
Sucht in Serie - Hype um US-Fernsehserien
Recht unsicher - Attentate auf Juristen
Anwalt als Führungskraft
forum Junge Anwaltschaft
w w w. d a v f o r u m . d e
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Editorial
Sucht ist nicht das Problem der anderen
AdVoice
Redaktionsteam
Eigentlich geht es uns doch ganz prächtig. Wir
dürfen uns als privilegiert bezeichnen, weil wir
einen Job haben, der uns die rechtlichen Interessen der Bürger unseres Landes vertreten lässt.
Wir hoffen zudem darauf, dass, sollten wir eines
Tages altersbedingt den Ruhestand erreichen, etwas im Rententopf übrig ist, damit wir in Würde
den Lebensabend genießen können. Zugegeben
sind das Worte, die am Beginn unserer Karrieren
wie hohle Phrasen klingen.
Und ganz nah am Herzen dran, so entschieden wir
in der Redaktionskonferenz einhellig, ist das Thema
„Sucht“. Sie kann zum ständigen Begleiter auch im
anwaltlichen Alltag und für manche riskante Gratwanderung zwischen Traum und Realität werden.
Oftmals wird sie zum Tabu erklärt, denn wer gibt
schon frank und frei zu, „süchtig“, ja krank, zu sein?
Wir haben nach Formen der Sucht und nach passenden Definitionen geforscht, ohne hierbei betroffene Menschen zu beurteilen oder zu verurteilen.
Dass aus diesen leeren Worten rasch Realität werden kann, das müssen aktuell unsere europäischen
Nachbarn wie Griechenland und Spanien erfahren,
die um ihr Sozialwesen bangen. Während im April
2012 Griechenland eine Arbeitslosenquote von
21,7 Prozent verzeichnete, kam Spanien gar auf
24,3 Prozent. Der Durchschnitt der Euro-Länder lag
bei 11 Prozent, Deutschland bei 5,4 Prozent (Quelle:
Eurostat). Trotz der europaweit herrschenden Finanzkrise mag sich die Bundesrepublik noch wacker
halten. Nach der Lehman-Pleite und teuren Bankenrettungen ist sogar ein gefühlter Aufschwung da.
Kleine und mittlere Unternehmen investieren wieder in ihre Firmen. Sie investieren auch in Rechtsberatung, was wir merken. Das ist gut fürs Geschäft
und gut für die Volkswirtschaft.
Die Abhängigkeit hat viele Gesichter und kann aus
einer zunächst harmlosen Begeisterung für eine
Sache (Stichwort Computerspiel- oder Internetsucht) entstehen. Die Übergänge sind fließend, was
wir nach ausgiebiger Auseinandersetzung mit der
Materie nun umso eindrücklicher wissen. Wer sich
nach der Lektüre dieser Ausgabe selbst betroffen
fühlt, den wollen wir ermutigen, aus dem Deckungsgraben der Isolation, des Selbstbetrugs hervorzutreten und Hilfsangebote anzunehmen. Sucht ist
nicht nur, ähnlich wie die eingangs erwähnten
Arbeitslosenquoten, das Problem der anderen. Je
offener und weniger reserviert wir mit dieser Problematik umgehen lernen, desto positiver kann sich
dies in der Mandatsarbeit, aber auch letztlich in der
Suchtprävention und -politik auswirken.
AdVoice muss angenehmerweise jedoch keine Wirtschaftsarithmetik betreiben und „Rettungsschirme“
für angeschlagene Euroländer verhandeln. Wir widmen uns stattdessen unserer Kernkompetenz und
legen Themen frei, die uns „ParagraphenreiterInnen“
unmittelbar am Herzen liegen.
Wenn AdVoice in der Anwaltschaft diesen Diskurs
fördern hilft, freut sich das gesamte Redaktionsteam. Beim Lesen insbesondere der suchtbefreiten
weiteren Beiträge im Heft wünschen wir viel Freude.
Euer RA Patrick Ruppert
Tobias Sommer, Berlin
Rechtsanwalt
Chefredakteur
Patrick Ruppert, Köln
Rechtsanwalt
Redaktion und Autor
Matthias Dantlgraber, Berlin
Ass. iur.
Redaktion und Autor
Stefanie Salzmann, Eschwege
Journalistin
Zentralredaktion
Jens Jenau
Rechtsanwalt
Schloß Holte-Stukenbrock
Bücherforum
Andrea Vollmer, Berlin
Fotografin und Bildredaktion
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Inhalt
Thema: Sucht
Magazin
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Ein Abdruck im Gehirn
Ein Suchterklärungsmodell
18
Zahlensucht
Eine Statistik
26
Ich führe, du folgst
Der Anwalt als Führungskraft
6
Von Drogensucht bis Arbeitssucht
Die Welt der Sucht
19
Passion des Begehrens
Steve McQueens „Shame“
28
Vom Geheimtipp zum Trend
Lohnt sich ein Groupon-Angebot?
10
Über den Wellen der Müdigkeit
Wenn der Job das Leben bestimmt
20
Sucht in Serie
Der Hype um Fernsehserien
30
Alles was Recht ist
Das chinesisch-deutsche
Institut in Peking
12
Kündigung für Alkoholkranke
Negative Prognosen reichen aus
21
Kippenzählen auf dem Spielplatz
Sucht mit Mitteln
des Rechts bekämpfen
32
Gericht des Monats
Amtsgericht Eschwege
34
Recht unsicher
Juristen leben auch gefährlich
36
Gedicht des Monats
von Friedrich von Logau
37
Entschleunigung der Anwaltschaft
Die Berufsgruppe wächst,
aber langsamer
38
Belastungsstörung
Schmerzensgeld wegen falscher
Beratung
39
News
Push the button
40
Zielgruppenorientiertes Networking
Anwaltsmarketing
13
Rasen im Rausch
Reglementierung bei
Alkohol und Drogen
15
Welche Drogen helfen wirklich?
Examenskandidat
als bedrängte Kreatur
16
Blauer Dunst für alle?
Deutschland und
der Nichtraucherschutz
2
ADVOICE 02/12
22
„Ich vertrete Junkies“
Die Arbeit mit drogenabhängigen
Mandanten
Fotos Inhaltsverzeichnis v.l.n.r.: Guerino Falone_pixelio.de / Foto: © 2011 PROKINO Filmverleih GmbH /
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Inhalt
DAT
42
44
46
47
OLG-Richter trifft Jura-Hirschhausen
DAT für Einsteiger
Bücherforum
58
Recht der elektronischen Medien
Beck’sches Mandatshandbuch IT-Recht
Anfangs schweißgebadet
Über die Kunst, Anwalt zu werden
Computer- und Internetstrafrecht
Verhandeln nach Drehbuch
Mit Hollywood siegen lernen
Handbuch des Fachanwalts Strafrecht
Silber und Gold
Reden und Schweigen im Zivilprozess
Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen
Bürgerliches Gesetzbuch
Gesamtes Medizinrecht
Straßenverkehrsrecht
Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht
Reiserecht
Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht
in der anwaltlichen Praxis
51
Durchstarten und gewinnen
Soldan lobt Gründerpreis aus
Betriebsverfassungsgesetz
Personalbuch 2012
51
Mitgliederversammlung FORUM
53
International in der ewigen Stadt
EYBA-Konferenz in Rom
63
Autorenverzeichnis
64
Das letzte Wort
64
Impressum
Strafgesetzbuch und Nebengesetze
Betäubungsmittelgesetz
Euer FORUM
Info + Service
Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren
RVG für Anfänger
Y
54
Vorteile der FORUMs-Mitgliedschaft
DAT 2012
55
RB-Treffen
BERICHTE UND BILDER
56
FORUM international
Länderbeauftragte für
Dänemark und Schweden
Lasse Schuldt / Christian Grünberg / Petra Bork_pixelio.de
AnwaltKommentar RVG
Mehr Informationen ab Seite 42!
ADVOICE 02/12
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Thema
Abdruck im Hirn
Ein Suchterklärungsmodell
In unserer Kindheit und Jugend vermeldete die
Tagesschau fast täglich die Zahl der Drogentoten
in Deutschland. Grausige Bilder ausgemergelter
minderjähriger Gestalten, deren Füße unter den
Türen ekliger Bahnhofstoiletten rausragen, Fotos
zerstochener und eitriger Armbeugen, dreckige
Spritzen auf ebenso dreckigen Spielplätzen. 14jährige Stricherinnen, die sich den „Goldenen
Schuss“ gesetzt hatten oder einfach an den Folgen des Heroins und Alkohols schlicht verreckt
waren. Daneben auf dem Bildschirm das stets
ernst und betroffene Gesicht des Nachrichtensprechers. Christiane F. und mit ihr die Kinder
vom Bahnhof Zoo waren der Inbegriff der Süchtigen, der Verlorenen. Zu finden in jeder deutschen Großstadt, in Berlin, Frankfurt, Hamburg,
München, Köln.
Heute, 30 Jahre später, ist der Begriff Sucht zum
einen in unserem Sprachgebrauch schon eine fast
inflationär verbreitete Terminologie, zum anderen
aber auch aus medizinischer und gesellschaftlicher
Perspektive ein ständig wachsendes Feld. Und obwohl Umgangssprache und Medizin und Wissenschaft zunächst wenige Gemeinsamkeiten vermuten
lassen, besteht doch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen allem.
Schnell sprechen wir von der Sucht nach Sport, nach
Arbeit, nach Sex, nach Spielen, von Sucht nach
Essen, nach Schokolade, der Sucht nach Facebook
oder der Kommunikation per SMS, von Sucht nach
Bestätigung. Deutlich verhaltener und weniger offen
sprechen wir von Süchten nach Alkohol, Zigaretten,
Tabletten, nach der Vielzahl synthetischer Drogen,
von Sucht nach Computer und Internet. Doch wo
liegt die Grenze zwischen schlechter Angewohnheit
und Sucht, zwischen Leidenschaft und Erkrankung?
Sucht als Krankheit
In den vierziger und fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch galt Sucht nicht als Erkrankung, sondern als Charakterschwäche. Erst die
moderne Medizin definierte Suchtverhalten als
Krankheit. Der Umkehrschluss war, wenn Sucht eine
Erkrankung ist, dann hat diese eine Ursache und
kann behandelt werden.
„Die Ursache liegt häufig in einer Depression oder
Angststörung“, sagt Prof. Dr. med. Martin Ohlmeier,
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Ludwig-Noll-Krankenhauses in Kassel.
4
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Thema
Deshalb, so Ohlmeier, sucht man bei den Behandlungskonzepten nach der Primärerkrankung. „Die
Patienten entwickeln sekundär ein Suchtverhalten,
leiden aber primär an einer anderen Erkrankung.“ Er
schildert ein typisches Beispiel. Ein Mann ist 30 Jahre
verheiratet und verliert plötzlich seine Partnerin. Er
findet sich allein gelassen in der Welt nicht mehr
zurecht, vereinsamt, wird depressiv und zeigt damit
eine pathologische Trauerreaktion. Irgendwann beginnt er, vorm Fernseher sitzend zu trinken. „Wenn
jemand mit 50 plötzlich anfängt zu trinken, ist das
sehr untypisch und dann steht da in aller Regel ein
sogenannter Live-Event dahinter“, so Ohlmeier. Der
von ihm geschilderte Fall ist in gewisser Weise alltäglich und illustriert einen Teil der gesellschaftlichen Schieflage, in der soziale Systeme zerfallen und
das viel gepriesene starke Individium schnell zum
Vereinsamten wird. Das Muster, das Suchtverhalten
letztendlich begünstigt und hervorruft, ist bei jeder
Altersgruppe in Wesentlichen identisch.
Jugendliche sind per se anfälliger für Süchte als Erwachsene. Ihnen fehlt es an Reife in ihrer Persönlichkeitsstruktur, was ihre Bereitschaft erhöht, auch gefährliche Suchtstoffe zu probieren. Das ist häufig
mit einem wenig ausgeprägten Selbstwertgefühl gepaart, was durch beispielsweise Alkohol kompensiert wird. Und, es ist nicht zuletzt die Modellfunktion
des Elternhauses, die eine entscheidende Rolle spielt.
Doch nicht nur Jugendliche und ältere Menschen
sind suchtgefährdet. Gerade Menschen, die fest im
Leben stehen, Verantwortung für Beruf und Familie
tragen, wandern häufig auf dem schmalen Grat
zwischen Missbrauch und Abhängigkeit. Betroffen
sind vor allem Menschen, die in besonders „stressigen“ Berufen arbeiten, die mit hoher psychischer
und physischer Belastung verbunden sind. Sie können häufig abends nicht abschalten und greifen zu
Alkohol, um runterzukommen und überhaupt schlafen zu können. Hierbei unterscheidet der Psychiater
allerdings zwischen dem sogenannten „missbräuchlichen Konsum“ und „Abhängigkeit“.
den nucleus accumbens. Dort findet die Stimulation
durch das Hormon Dopamin statt, dort wird das
Suchtverlangen sozusagen hergestellt. Und das gilt
nicht nur für die sogenannten stoffgebundenen
Süchte wie beispielsweise Nikotin und Alkohol, sondern auch für unstoffliche Süchte wie zum Beispiel
Spielsucht oder Sexsucht. Hinzu kommt, dass man
beim Gehirn von einem Suchtgedächtnis ausgeht.
„Das ist wie ein Abdruck im Gehirn“, so Ohlmeier. Ein
Alkoholiker wird immer nur ein trockener Alkoholiker
sein. „Wenn er jemals wieder Alkohol zu sich nimmt,
ist das, als ob eine Tür geöffnet wird für eine Fortsetzung seiner Sucht.“ Auch bei den nichtstofflichen
Süchten greifen die selben Mechanismen im Gehirn
wie bei stoffgebundenen Süchten.
Gleiches gilt beispielsweise für die Sucht nach Tabletten. Schmerz- und Schlafmittel werden zu Hauf
und schnell verordnet. Selten machen sich Hausärzte tatsächlich die Mühe, die Ursachen solcher
Symptome wie Schmerzen und Schlaflosigkeit zu
ergründen. Stattdessen werden sie mit Analgetika
und Opiaten einfach unterdrückt. Wenn die Patienten die Medikamente nach einem bestimmten Zeitraum absetzen, treten typische Entzugssymptome
wie Schwitzen, Unruhe und Zittrigkeit auf. Denn
auch hier schalten die im Gehirn vorhandenen Opiatrezeptoren auf körperliche Fehlfunktion bis hin zur
vegetativen Entgleisung, was im schlimmsten Fall
zum Delirium tremens führt.
Massenproblem Alkohol
Das Delirium tremens ist nicht das traurige Schicksal heroinabhängiger Junkies, sondern vor allem
häufige Todesursache von Alkoholikern, die, so Ohlmeier, „nicht selten unter schlimmsten Bedingungen
verrecken“. Alkoholismus verursacht schwere neuropsychiatrische Folgezustände wie das komplexe Mittelhirnsyndrom oder die alkoholbedingte Demenz
(auch bekannt unter dem Korsakow-Syndrom), in der
der Schauspieler Harald Junke seine letzten Lebensjahre verdämmerte, bis er mit einem praktisch vollständig aufgelöstem Gehirn starb.
Das Gehirn ist der Schlüssel
Doch was macht Sucht? Ohlmeier erklärt, dass bestimmte Menschen auf Grund eines genetischen
Musters eine erhöhtes Risiko besitzen, an einer
Sucht zu erkranken. „Manche sind empfänglicher
auf Grund ihrer genetischen Prädisposition.“ Dass
Frauen suchtanfälliger sind als Männer, sei ein Irrglaube. Allerdings würden Männer eher trinken,
Frauen seien anfälliger für Tablettensucht. Dabei
sind gesellschaftliche Konventionen bis heute relevant, wonach es für Frauen immer noch höchst unschicklich ist, sich öffentlich zu betrinken.
Das aber für alle gültige neurobiologische Erklärungsmodell basiert auf einem Belohnungssystem:
Im menschlichen Gehirn gibt es ein Suchtzentrum,
„Das eigentliche Drogenproblem ist der Alkohol“,
sagt Ohlmeier und verweist dabei auf eine Statistik,
die besagt, dass es in Deutschland zirka 2,5 Millionen
Alkoholabhängige gibt, die Dunkelziffer dürfte dop pelt so hoch sein. 40.000 Menschen sterben jährlich
an den Folgen der Krankheit. „Heroin ist ein Witz
dagegen“, sagt er Psychiater. Alkoholismus werde
gesellschaftlich verleugnet, weil Alkohol eine anerkannte Droge ist. Eine gesellschaftliche Wende ist,
anders als beim Thema Rauchen und Nichtraucherschutz, nicht in Sicht. Und dass beim Thema Alkohol
auch staatliche Sanktionen und Reglementierung
wenig helfen, zeigt das Beispiel Skandinavien, wo
Alkohol schon seit vielen Jahren extrem teuer ist, der
Konsum dennoch weder sinkt noch das Trinken gesellschaftliche Ächtung erfährt.
Erst vergleichsweise kurz auf dem Markt der Süchte und Abhängigkeiten ist Computer- und Internetsucht, sie rangiert aber in Häufigkeit und Ausprägung gleich nach dem Alkoholismus. Auch hier
sieht Ohlmeier eine enge Verbindung zu einer depressiven Erkrankung. Das Leben in virtuelle Welten zu verlegen, wo ebenso virtuelle Gemeinschaften weniger Einsamkeit oder Isolation vorgaukeln.
Oft geht es zudem um Aggression und das Ausleben
dissozialer Phantasien. Auch viele Kinder und Jugendliche, von denen die meisten inzwischen freien
und wenig kontrollierten Zugriff auf Computer
haben, bietet das Medium eine Rückzugsmöglichkeit vor Konflikten im Alltag, mit denen sie nicht in
der Lage sind, sich konstruktiv auseinanderzusetzen.
Phänomen Arbeitssucht
Die oft bemühte Arbeitssucht taucht bisher im medizinischen Diagnosekatalog nicht auf, wobei Mediziner sich stark damit beschäftigen. Es geht unter
anderem darum, ob es sich nicht um ein Burnout
handelt, von dem meist beruflich sehr engagierte
Menschen betroffen sind, die letztendlich an ihrem
beruflichen Engagement scheitern. Die Diskussion
dreht sich dabei vor allem um die Entwicklung der
Arbeit in unserer Gesellschaft, wo maximale Leistungsorientierung gefordert wird. „Arbeitssucht gilt
als gesellschaftliche Phänomen“, so Ohlmeier.
Merkmale echter Sucht
Woran kann man erkennen, dass man die Grenze
zwischen Missbrauch und Abhängigkeit überschritten hat? Der Süchtige kann Beginn, Länge und Ende
des Drogenkonsums nicht mehr kontrollieren. Die
Drogendosis, wobei dabei gleich ist, ob es sich um
eine stoffliche oder nichtstoffliche Sucht handelt,
steigt ständig. Ein weiteres alarmierendes und deutliches Symptom sind die Vernachlässigung anderer
Interessen und die wachsende und ausschließliche
Fokussierung auf den Substanzgebrauch. Und obwohl sich die meisten Betroffen darüber bewusst
sind, wie schwer die Folgen der Sucht sind, müssen
sie weiter konsumieren.
Man muss nicht gleich Rennen fahren, um mit einem Mountainbike sportlich unterwegs zu sein. Ganz
gleich ob Single-Trail, Alpenquerung oder Downhillparkour, mit grobstolligen 26ern durch das Gelände
zu fahren, zu springen, macht den Kopf garantiert frei.
Stefanie Salzmann, Eschwege
> Eine Übersicht der häufigsten
Süchte findet Ihr auf den
nächsten Seiten.
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Thema
hat bereits im Jahr 1994 das Bundesverfassungsgericht im „Cannabis-Beschluss“ deutlich gemacht
(BVerfGE 90, 145). Befürworter einer offenen Drogenpolitik vergessen, dass die Kriminalisierung nur
ein Argument ist. Dass vor allen Dingen sogenannte
harte Drogen ihre Konsumenten nicht nur wegen
der illegalen Beschaffung unter Druck setzen, sondern binnen kurzer Zeit in eine körperliche wie psychische Abhängigkeit mit erheblichen gesundheitlichen Störungen führen, wird gern unterschlagen.
Heroin, Crack und Kokain mögen dabei nur die
Spitze des Eisbergs sein. Tatsächlich wird in Drogenküchen an neuen, noch wirkungsvolleren Mixturen
gearbeitet, die erkennbar rascher wirken und noch
pat
schneller süchtig machen.
Essstörungen
Magersucht (Anorexie) und Fress- bzw. Esssucht sind
nur zwei der bekannten Formen von Essstörungen.
Darüber hinaus werden laut Wikipedia u. a. die EssBrech-Sucht, das Binge Eating (Essattacken bei Heißhungergefühlen) oder das krankhafte Gesund-Essen
(Orthorexia nervosa) in diese Kategorie eingeordnet.
Zentral bei all diesen Störungen und Süchten ist die
ständige gedankliche und emotionale Beschäftigung
mit dem Thema „Essen“. Es geht dann vorwiegend
um die Beschaffung von Nahrung, deren Zubereitung sowie deren Verzehr oder um deren Verweigerung. Grund sind psychosoziale Störungen und die
Einstellung zum eigenen Körper. Behandelt werden
diese Krankheiten meist mittels Psychotherapie, ein
erster Schritt ist ein Ernährungsprotokoll. Einen
informativen Selbsttest zu Essstörungen gibt es hier:
http://www.hypnopraxis.net/essen_fragebogen.htm.
Allen anderen sei der Film „Das große Fressen“ emtobi
pfohlen oder Kafkas „Ein Hungerkünstler“.
Alles rein. Dann alles wieder raus. Kreislauf Essstörungen.
Alkohol
Was ist schon dabei? Saufen, bis der Arzt kommt.
Flatrate- oder Komatrinken gehören in einigen Regionen dieser Erde immer noch zum guten Ton, ist
Zeichen von nachgewiesener Männlichkeit und besonderer Gastfreundschaft. Wer nicht trinkt, gilt
rasch als Spaßbremse. Dass Alkohol, besonders in
so hohen Dosen genossen, neben der Zigarette zum
Hauptsuchtstoff unserer Gesellschaft gehört, verdrängen viele. Wann Alkoholmissbrauch beginnt,
war lange Zeit nicht klar. Fest steht aber inzwischen,
dass die schrittweise Gewöhnung an Ethanol, insbesondere die Steigerung der Trinkmenge, in die
Abhängigkeit führen können. Es ist nicht erst der
regelmäßige Vollrausch, der den typischen Alkoholkranken kennzeichnet. Es sind weitaus geringere
Dosen, die wegen ihrer Regelmäßigkeit auf ein Alkoholproblem hindeuten. Wer immer häufiger immer
mehr trinkt, nicht nur in Gesellschaft, der sollte
Obacht geben. Hoher Alkoholkonsum verursacht
massive Schädigungen der neuronalen Netze, der
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inneren Organe (Leber) und des Herz-KreislaufSystems. Hinzukommen kann die alkoholbedingte
Demenz. Auch bei mäßigem Konsum gelten Hinweise wie „ein Glas Wein ist gut für die Blutgefäße“
wegen der erheblichen Gefahren als überholt. pat
Drogen
Das Wort Droge wird zumeist im gängigen Sprachverständnis mit natürlichen und synthetisch gewonnenen Substanzen in Verbindung gebracht, die den
menschlichen Seinszustand verändern. Die Erweiterung des psychischen Horizontes, göttliche Kräfte,
sprudelnde Kreativität, leuchtende Farben und die
Wahrnehmung von ansonsten nicht hörbaren Klängen sind nur einige Aspekte, von denen die „User“
berichten. Die Produktion von Rauschmitteln müsste
staatlich kontrolliert, die Abgabe legalisiert, jedem
Bürger somit sein „Recht auf Rausch“ zugebilligt
werden, sagen sie. Dass zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft kein solches Grundrecht zählt,
Bewusstseinserweiterung oder Untergang?
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Thema
Kaufsucht
Wenn (Ehe)-Männer, die sonst nie einkaufen gehen,
gleich mit fünf großen Tüten von ihrer jährlichen
Einkauftour zurückkommen, war das allenfalls ein
Kaufrausch. Die Oniomanie (griech. onios = zu
kaufen), welche medizinisch als Zwangsstörung
kategorisiert wird, ist jedoch durch ein zwanghaftes
Kaufen von Waren gekennzeichnet. Eine beliebte
Warengruppe sind Schuhe. Dabei steht nicht mehr
der Besitz der Güter im Vordergrund, es geht vielmehr darum, sich von einem Drang durch die Kaufhandlung selbst zu befreien. Es geht also um eine
Befriedigung durch Kaufen. Die Produkte selbst
werden oft nicht einmal ausgepackt. Ein weiteres
Merkmal sind Entzugserscheinungen, welche bei
Kaufsüchtigen auftreten, wenn sie an der Kaufhandlung gehindert werden. In der Regel äußert sich
tobi
das als ein vegetativer Erregungszustand.
seits wird weithin angenommen, dass es Onlinesucht gibt. Andererseits ist wissenschaftlich bisher
nicht endgültig geklärt, was genau darunter zu
verstehen ist. Die Grenzlinie zur Sucht dürfte auch
dort zu ziehen sein, wo der Internetnutzer beginnt,
mat
sich selbst und andere zu schädigen.
Arbeitssüchtig ist, wer zwanghaft viel und immer
mehr arbeitet, sein privates Umfeld und sonstige
Pflichten vernachlässigt und sein gesamtes Selbstbewusstsein aus Qualität und Quantität der Arbeit
zieht. Unter den Juristensüchten ist die Arbeitssucht ein Klassiker, von ein paar arbeitsberuhigten
Zonen im öffentlichen Dienst mal abgesehen. Den
„9-to-5-job“ gibt es kaum mehr. In kleinen wie
großen Kanzleien sind Nachtschichten keine Seltenheit. Bis zum Morgengrauen werden Klageschriften verfasst oder „calls“, „deals“ und „due diligences“
abgewickelt. Exzessive Arbeitszeiten drohen immer
dort, wo nicht ein Zeit-, sondern ein Aufgabenpensum erfüllt werden muss. Tritt zum Druck von außen
noch der selbstgemachte Druck eines übertriebenen
Perfektionismus hinzu, ist die Gefahr der Arbeitssucht besonders groß. Man muss sich aber davor
hüten, jeden Workaholic als arbeitssüchtig zu bezeichnen. Ein wirklich Arbeitssüchtiger ist krank und
bedarf der Behandlung. Ohne eine solche drohen
schwere Folgeerkrankungen wie Burnout, Depresmat
sionen oder ein früher Herztod.
2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholsüchtig.
Fotos: Andrea Vollmer
Arbeitssucht
Nikotin
Die Zigarette gehörte einst zum Coolsein zwingend
dazu. Wir erinnern uns an Leinwandhelden wie
James Dean, Alan Delon oder Marlene Dietrich, die
lässig an ihren Glimmstengeln zu ziehen wussten.
Oftmals geht es auf den Pausenhöfen mit zirka 14
Jahren als eine Art Mutprobe los, um auch so locker
zu sein wie die Großen. Jahre später wünschten
sich allerdings nicht wenige, diesem Initiationsritus
nicht gefolgt zu sein, denn das Aufhören fällt nicht
leicht. Nach Berechnungen der Deutschen Krebsgesellschaft sterben in Deutschland jährlich mehr
als 110.000 Menschen an den unmittelbaren Folgen
des Gebrauchs von Tabak. Die Zahlen, die in den
EU-Nachbarländern kaum anders ausfallen, haben
zu einem gesellschaftlichen Umdenken geführt.
Das Rauchen wird immer stärker reglementiert und
Schritt für Schritt mit strengen Nichtraucherschutzregeln aus dem öffentlichen Raum verbannt. pat
Onlinesucht
Einen leichten Schatten hat jeder. Nirgendwo gilt
das mehr als im Bereich des exzessiven Internetkonsums. Die virtuelle Welt breitet sich aus, die reale
wird zurückgedrängt. Im Internet wird kommuni ziert, gearbeitet, gespielt, geliebt … Praktisch alle
menschlichen Bedürfnisse lassen sich online jeden falls ersatzbefriedigen. Kein Wunder, dass der Computer in vielen Haushalten kaum mehr ausgeschaltet wird. Unterwegs sorgen Smartphone & Co. für
den ununterbrochenen Zugang zum Stoff. Ist eine
ganze Gesellschaft pathologisch und reif für den
Seelenklempner? Dramatisierungen sind fehl am
Platz. Mit zunehmender Verbreitung wird das Un normale zur Normalität, die man kaum mehr als
behandlungsbedürftig bezeichnen kann. Die allge meine Verbreitung des Phänomens ist auch der
Grund für einen merkwürdigen Widerspruch. Einer-
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Thema
Sexsucht
Wenn man häufig nur an „das eine“ denken muss,
dann ist das für sich genommen noch kein Warnhinweis, dass eine krankhafte Störung der Sexualität, sogenannten Sexsucht, vorliegt. Eine regelmäßige erotische Betätigung, am besten mit dem
Partner, bedeuten indes Harmonie und Stabilität.
Wenn jedoch der Drang, Sexualität zu leben, alltagsbestimmend wird, der oder die Betroffene sich
vom Trieb dominiert fühlt, dann kann von einer
pathologischen Veränderung gesprochen werden.
Als Gründe, warum es zur Sexsucht kommt, werden
in der Wissenschaft verschiedene Aspekte beleuchtet. Zum einen werden erlittene seelische Beschädigungen aus der Kindheit, die aus sexuellem Missbrauch herrühren können, für ursächlich angesehen. Zum anderen werden sowohl eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, möglicherweise eine
genetische Prädisposition als auch die ständige Ver-
fügbarkeit von Sex über die Medien als kausal bewertet, wenn die unstillbare Lust zum Leid wird. Im
täglichen Miteinander kann sich Sexsucht vielgestaltig äußern und zu ganz erheblichen Problemen führen. Stehen Straftäter von Sexualdelikten
vor Gericht, lautet die Diagnose der Gutachter nicht
selten Sexsucht. Vermeintliche Sexsucht ist allerdings nicht geeignet, um einen Mietvertrag zu beenden. Das entschied bereits vor geraumer Zeit das
Amtsgericht Köln (Az: 211 C 256/01). Moralische
Vorlieben des Vermieters nämlich sind in einem
pat
solchen Vertragsverhältnis unbeachtlich.
Spielsucht
Beim pathologischen Spielen oder zwanghaften
Spielen können Betroffene dem Impuls zum Glücks spiel oder zu Wetten nicht widerstehen, selbst wenn
dies gravierende finanzielle Folgen im persönlichen,
Am blauen Dunst scheiden sich die Geister. Es bleibt eine Sucht mit schweren Folgeerkrankungen.
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familiären oder beruflichen Umfeld nach sich zieht.
Männer sollen häufiger spielsüchtig sein als Frauen,
nach Schätzungen soll es in Deutschland zwischen
100.000 und 290.000 Spielsüchtige geben. Medizinisch wird pathologisches Spielen zusammen mit
Kleptomanie oder Pyromanie als abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle eingeordnet.
Nicht als Spielsucht angesehen wird das exzessive
Spielen während manischer Episoden. Unterschieden werden die Gewinnphase, bei der immer höhere
Beträge gesetzt werden, die Verlustphase, wo mit
Gewinnen geprahlt wird, aber auch Schulden zur
Finanzierung des Spielens gemacht werden, sowie
die Verzweiflungsphase, in welcher auch ungesetzliche Geldbeschaffung erfolgt und die Persönlichkeitsstruktur sich verändert. Unter anderem können
Reizbarkeit, Irritationen, Ruhelosigkeit, Schlafstö tobi
rungen auftreten.
> http://www.sucht.de/
Foto: Andrea Vollmer
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Telefon privat/beruflich
*) Gemäß § 4 Abs. 2 AVB-G: Im Gegensatz zur Einzelversicherung kann der Versicherer aufgrund des bestehenden
Gruppenversicherungsvertrages einzelne Personen gesetzlich nicht von der Versicherbarkeit ausschließen. Bei risikoerheblichen Vorerkrankungen kann der Versicherer den Versicherungsumfang einschränken oder ggf. einen nennenswerten, medizinisch bedingten Beitragszuschlag erheben.
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Unterschrift
angestellt
selbstständig
AV-0212
Ich vertrau der DKV
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Thema
Über den Wellen der Müdigkeit
Wenn nur noch der Job das Leben bestimmt – ein Portrait
Was ist das eigentlich für ein Leben, werden sich
viele fragen, das zu fast hundert Prozent von der
Arbeit bestimmt wird? Wie muss man beschaffen
sein, um das durchstehen zu können? Reichlich
Klischees versperren den Blick auf eine Realität,
die rein gar nichts mit glamourös gezeichneten
Vorabendserien zu tun hat, die in US-amerikanischen Nobelkanzleien irgendwo zwischen Golfplatz und Champagner-Loge spielen.
Zeit ist die allumfassende Variabel, an der sich der
Arbeitsalltag in den großen Law Firms ausrichtet. Die
sogenannten Billables (billable hours), zu deutsch die
Stunden, die den Mandanten in Rechnung gestellt
werden können, stehen hierbei im Mittelpunkt jedweden Interesses. So wie dem professionellen Marathonläufer die Zeit um 2,15 Stunden eine magische
Zielmarke ist, so werden in Großkanzleien internationalen Zuschnitts zwischen inoffiziell 1.800 und
2.200 Billables als die zu erreichende Größe von den
angestellten Rechtsanwälten erwartet. Inoffiziell
deshalb, weil es nur in einigen Großkanzleien offen
gegenüber den Anwälten kommuniziert wird.
Selbst in den Einstellungsgesprächen zeigen die
Human-Ressource-Manager höfliche Zurückhaltung,
was die Arbeitsbelastung angeht. Das mag auch
daher rühren, dass die Work-Life-Balance auch für
besonders qualifizierte Absolventen immer wichtiger
wird und man diese nicht gleich verschrecken will.
Dessen ungeachtet, erwartet den frisch Eingestellten
der Corps-Geist der Law Firm, also der Arbeit erste
Priorität einzuräumen und zum Wohle des Unternehmens alles zu geben. Alles geben heißt, die Marke
der zu erwartenden Billables zu erreichen.
»Den unbedingten Gehorsam
gegenüber der „Firma“ lassen sich
diese Kanzleien einiges kosten.«
Wer die Messlatte nicht schafft, dessen Arbeitsvertrag ist in Gefahr. Diesem Druck beugen sich die
meist jungen Kolleginnen und Kollegen bereitwillig,
die schon im Studium dem Büffeln mehr Priorität
für das „Prädikat“ einräumten als ihre Kommilitonen. Es ist die Mischung aus der Angst, den erwarteten Anforderungen nicht zu entsprechen, und
dem Faszinosum, an den ganz großen Entscheidungsprozessen der Wirtschaft mitzuwirken, beschreibt Sylvia Schulz (Name von der Redaktion
geändert) die Motivation, sich dem „System Großkanzlei“ zu unterwerfen. Schulz ist seit über zehn
Jahren als Rechtsanwältin zugelassen. In ihrer be-
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ADVOICE 02/12
ruflichen Karriere verlief alles nach Plan, exzellente
Examina, die Promotion eine logische Konsequenz,
der LLM mit Stipendium an einer US-amerikanischen Elitehochschule und der Einstieg in eine
wirtschaftsrechtlich ausgerichtete Großkanzlei mit
Niederlassungen in der ganzen Welt. Sie findet
rasch Gefallen an diesem juristischen Universum,
das in Sachen Berufsstolz Maßstäbe setzt. Die
Leistung als Team, wie sie sagt, spielt eine hervorgehobene Rolle. Für jedes juristische Problem
steht ein hoch qualifizierter Sachbearbeiter bereit,
der auf Kommando seltene Rechtsprechung ausgräbt oder Vertragsdokumente unterschriftsreif vorbereitet. Es ist das Gefühl, mit Gleichgesinnten als
Einheit den juristischen Unwägbarkeiten gleich
welcher Art zu trotzen, was nach außen hin das
Image zeichnet, in jeder Übernahmeschlacht von
Unternehmen eine elegante Figur abzugeben. Den
unbedingten Gehorsam gegenüber der „Firma“ lassen sich diese Kanzleien einiges kosten. Einstiegsgehälter für Junior Associates liegen zwischen 70.000
und 100.000 Euro (Quelle: azur-online). Spesen wer den ohne Gezeter übernommen und Flugreisen auf
Businessclass gebucht.
Etliche Annehmlichkeiten wie ein Dienstwagen, Nutzung des Jobhandys auch für private Gespräche
oder ein 24-Stunden-Catering-Service, wenn es daheim zum Kochen nicht mehr reicht, sollen die Mitarbeiter bei Laune halten.
„Man schmeichelt dir mit einem unglaublichen
Service und signalisiert dir, wie sehr man um dein
Wohlergehen am Arbeitsplatz interessiert ist“, schildert Schulz gegenüber AdVoice.
»Ich habe viele Familienfeiern am
Telefon verbracht oder ganz abgesagt.«
Diese Goodies sind auch nötig, denn für anderes bleibt
kaum oder gar kein Raum. „In den Zeiten, wo ich
wirklich viel gearbeitet habe, wusste ich von vornherein, dass regelmäßige Aktivitäten wie etwa Vereinssport nicht funktionieren werden“, so Schulz. „Ich
habe mal an einem Abend einen Volkshochschulkurs
besucht, es aber an keinem weiteren geschafft. Es
gibt natürlich auch ruhigere Phasen, sicher auch jetzt
in der wirtschaftlichen Situation mehr als noch vor
Jahren. In den heißen Arbeitsphasen gab es Wochen,
wo ich ernsthaft darüber nachgedacht habe, ob ich
daheim noch etwas essen oder lieber eine Stunde
länger schlafen soll. Da war nichts anderes mehr.
Man versucht sich natürlich die Wochenenden frei
zu halten. Das gelingt aber nicht immer. Ich habe
viele Familienfeiern am Telefon verbracht oder ganz
abgesagt. Das muss einem aber klar sein.“
Es ist eine Alltagsrealität, die in diesem Umfeld nur
als völlig normal erlebt wird. Außerhalb aber stößt
dieser volle Jobeinsatz nicht immer auf Gegenliebe.
Tatsächlich, und das erlebte Schulz über die Jahre
als ganz gravierende Belastung, kommen nur wenige Freunde und Verwandte mit diesem Berufsethos klar. „Freunde wenden sich“, so sagt sie, „in
gewisser Weise ab, rufen nicht mehr so oft an. Die
denken: Die hat ja eh keine Zeit. In der Familie oder
auch in zurückliegenden Beziehungen ist mir aufgefallen, dass ein großes Unverständnis darüber
herrscht. Da habe ich öfters Ärger bekommen, getreu dem Motto, das kann doch nicht sein, du musst
dich doch mal abgrenzen können und klar NEIN!
sagen. Wer das Metier kennt, weiß, dass 'Neinsagen'
nicht funktioniert. Entweder du machst den Job
ganz oder gar nicht. Wenn man eine bestimmte Position, Stärke erreicht hat, dann mag das so sein,
dass man sich ein etwas entspannteres Leben einrichten kann. Das geht aber in keinem Fall am Anfang
oder wenn man an wichtigen Karrieresprüngen steht.“
»Diese Begeisterung, wie viel man aus
sich herausholen kann, trägt einen
auch über die Wellen der Müdigkeit.«
Antriebsfeder, um jeden Tag auch für Überstunden
bereit zu sein, ist nicht nur negativer Druck, wirft
Schulz ein. Das dürfe man keinesfalls falsch verstehen. Wenn man in Teams arbeite, könne man zwar
oftmals nicht anders, als einfach mitzumachen, sich
dem Rest der Gruppe anzupassen. „Irgendwann beginnen die Dinge, richtig gut zu laufen und du merkst,
du hast Erfolg, dann ist das ein sehr positives Erlebnis. Schnell sagst du, ich arbeite eine Nacht durch,
wir ziehen alle an einem Strang und dann sind wir
erfolgreich. Das geht sogar so weit, dass du dir sagst,
du schläfst gar nicht mehr und kannst viel mehr
leisten als alle deine Freunde. Diese Begeisterung,
wie viel man aus sich herausholen kann, trägt einen
auch über die Wellen der Müdigkeit.“
Selbstdisziplin und Überwindung, so sagt die junge
Juristin, gehörten dazu, um spät abends noch ein
neues Thema anzufangen. „Wenn man nicht in Übung
ist, schafft man es nicht, die Konzentration hierfür
aufzubringen. Wenn man es aber gewohnt ist, wenn
man es jeden Tag so macht, dann ist es überhaupt
nichts Eigentümliches, nachts um eins noch einen
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Thema
Vertrag zu lesen und sich auf etwas ganz neues einzulassen.“ Zwischen den Anwälten existiere ein regelrechter Wettstreit, „wer am tollsten ist und wer
am unentbehrlichsten zu sein scheint“, betont Schulz.
Arbeit wird so zum Hochleistungssport, darf aus ihren
Worten zwangfrei gefolgert werden. Der menschliche Organismus wird geradewegs getaktet, gewöhnt sich, so seltsam das klingen mag, an die
Unbill der enormen Arbeitslast.
So ist es beinah logisch, dass Schulz den Erholungs urlaub bisher als echte Herausforderung verstand:
„Im Urlaub bin ich öfters mal krank geworden. Ich
erinnere mich an meine erste kurze Auszeit. Da verbrachte ich von den zehn Tagen, die ich nahm, die
größte Zeit mit Migräne im Bett.“ Ein Manko sei es
aber vor allem, so Schulz, „dass man heutzutage
selbst im Urlaub dank Handy immer erreichbar ist
und von überall auch seine E-Mails empfangen kann.
Das wird von einem letztlich erwartet. Mandanten
rufen ohnehin immer häufiger auf dem Mobiltelefon
an, anstatt es in der Kanzlei zu versuchen. Daher“,
sagt sie, „war es in der Vergangenheit immer so, dass
man den Urlaub komplett in seine normale Arbeit
eingereiht hat.“ Es seien aber in erster Linie die Mandanten, die das forderten, erklärt Schulz, und nicht
die Sozien der Kanzlei.
Obschon die karriereorientierte Rechtsanwältin sehr
an ihrer Arbeit hängt und einräumt, ein echtes „Arbeitstier“ zu sein, gelangte sie an einen Punkt, der
ein Nachdenken, vielleicht auch Umdenken verlangte.
Sie bekam nämlich erst kürzlich ein Kind und bemerkte trotz ihrer Begeisterung für den Anwaltsberuf, welche schönen anderen Seiten das Leben in
sich birgt, und dass nicht alles voll durchgetaktet
abläuft. Sie ist eine glückliche Mutter, die in ihrer
neuen Rolle voll aufgeht. Gleichwohl, und darauf
legt sie Wert, möchte sie alsbald nach einer kurzen
Unterbrechung wieder voll einsteigen.
RA Patrick Ruppert, Köln
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Thema
Kündigung für Alkoholkranke?
Negative Prognosen und Belastungen für Kollegen reichen aus
33). Durch eine nachträglich signalisierte Therapiebereitschaft kann die negative Prognose laut
dem BAG-Urteil aus dem Jahr 1987 nicht rückwirkend beeinflusst werden.
STUFE 2
Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
Alkoholsucht ist nicht nur nach medizinischen
Maßstäben, sondern auch nach der Rechtsprechung des BAG eine Krankheit. Nach dem BAG
gelten daher die gleichen Grundsätze wie für
krankheitsbedingte Kündigungen. Ein grundlegendes Urteil zu Alkoholismus hat das höchste deutsche Arbeitsgericht im Jahr 1987 gefällt
(Urteil vom 9.4.1987, Az.: 2 AZR 210/86, NJW
1987, 2956). Dort heißt es:
„1. Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer
wegen Trunksucht, richtet sich die Beurteilung der
Kündigung grundsätzlich nach den Rechtssätzen,
die das BAG für die krankheitsbedingte Kündigung
aufgestellt hat. Aus den Besonderheiten der Trunksucht kann sich aber die Notwendigkeit ergeben,
an die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Alkoholabhängigkeit geringere Anforderungen zu stellen.
2. Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung nicht therapiebereit, kann davon ausgegangen
werden, dass er von dieser Krankheit in absehbarer
Zeit nicht geheilt wird. Eine von ihm nach Ausspruch
der Kündigung durchgeführte Therapie und ihr Ergebnis können daher nicht zur Korrektur der Prognose herangezogen werden.“
Der Kläger war seit 1963 bei dem Unternehmen
beschäftigt und seit 1976 immer wieder wegen
starken Alkoholgenusses bei der Arbeit aufgefallen.
Im Jahre 1981 sprach die Arbeitgeberin einen „Verweis“ aus und drohte für den Wiederholungsfall
mit Disziplinarmaßnahmen. 1984 erfolgte eine letzt malige Abmahnung. Der Kläger war jedoch zum
Kündigungszeitpunkt unstreitig nicht therapiebereit. Alle Instanzen hielten die Kündigung für sozial
gerechtfertigt.
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Alkoholismus liege nach dem BAG vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz
besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert
werden könne. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung sei die physische oder psychische Abhängigkeit
vom Alkohol. Sie äußere sich vor allem im Verlust der
Selbstkontrolle. Der Alkoholiker könne, wenn er zu
trinken beginne, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören.
Dazu komme die Unfähigkeit zur Abstinenz, der Alkoholiker könne auf Alkohol nicht mehr verzichten. Die
Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung
habe in folgenden drei Stufen zu erfolgen:
Die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten
müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der
betrieblichen Interessen führen. Die Darlegungsund Beweislast liegt beim Kläger. An erster Stelle
zu nennen sind die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten. Sowohl Störungen im Betriebsablauf als auch wirtschaftliche Belastungen wie
Entgeltfortzahlungskosten und Mehrkosten für eine
Ersatzkraft sind anerkannt. Die Entgeltfortzahlungen
müssen nach einer Entscheidung des BAG jedoch
jährlich für einen Zeitraum von mehr mindestens
sechs Wochen anfallen (Urteil vom 29.7.1993, NZA
1994, 67). Bei Betriebsablaufstörungen, für die es
keine 6-Wochen-Untergrenze, aber eine Erheblichkeitsschwelle gibt, kommen u. a. Produktionsausfälle
oder Terminüberschreitungen, der Stillstand von
Maschinen oder nachweisbare Rückgang der Produktion wegen einzuarbeitendem Ersatzpersonal,
aber auch der Überlastung des verbliebenen Personals oder dem Abzug von Personal aus anderen Arbeitsbereichen in Betracht.
STUFE 1
Negative Prognose
STUFE 3
Interessenabwägung
Eine sozial gerechtfertigte Kündigung setze zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des
voraussichtlichen weiteren Gesundheitszustandes
voraus. Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird vertreten, dass der Arbeitgeber dem
Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung zur
Durchführung einer Entziehungskur Gelegenheit
geben muss. Teilweise wird sogar gefordert, dass
der Arbeitgeber sogar den Arbeitnehmer zu einer
Kur auffordern muss (vgl. z.B. LAG Frankfurt/M.,
Urteil vom 26.6.1986, DB 1986, 2608 = BB 1986,
2201; ArbG Düsseldorf, Urteil vom 13.3.1990, DB
1990, 1387). Diese Ansicht ist aufgrund der mäßigen Erfolgsaussichten von Entziehungskuren jedoch fraglich, die Rückfallquote soll bei weit über
50 Prozent liegen. Zudem dauern Entziehungskuren regelmäßig mehrere Monate. Verweigert der
Arbeitnehmer eine Therapie, ist eine Heilung nicht
zu erwarten. Die Voraussetzungen für eine negative
Gesundheitsprognose sind dann erfüllt (vgl. BAG,
Urteil vom 13.12.1990, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr.
In der dritten Stufe ist eine Interessenabwägung
durchzuführen. Zu prüfen ist, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer
unzumutbaren Belastung führt. Dabei ist zu beachten, dass Alkoholismus in der Regel auf eigenem
Fehlverhalten des Arbeitnehmers basiert. Nach einer
älteren BAG-Rechtsprechung ist bei der Abwägung
auf den Zeitpunkt des Beginns des Alkoholmissbrauchs abzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 7.12.1972,
DB 1973, 579 = AP Nr. 26 zu § 1 LFZG sowie Urteil
vom 22.3.1973, DB 1973, 1179 = AP Nr. 31 zu § 1
LFZG). Später hat das BAG jedoch entschieden, dass
es keinen Erfahrungssatz geben soll, dass eine Alkoholsucht in aller Regel selbst verschuldet sei (Urteil
vom 1.6.1983, DB 1983, 1315). Dennoch sei dann
eine Kündigung nicht ausgeschlossen. Denn bei personenbedingten Kündigungen müsse ein schuldhafter Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten
nicht notwendigerweise vorliegen.
RA Tobias Sommer, Berlin
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Thema
Rasen im Rausch
Über den reglementierten Umgang mit Alkohol und Drogen
In der anwaltlichen Praxis haben vor allen Dingen
StrafverteidigerInnen mit den Auswirkungen von
Alkohol- und Drogemissbrauch zu tun. Der teilweise in der Bevölkerung propagierte freie Umgang mit Rauschmitteln führt in einigen Lebensbereichen zu gravierenden Folgen, die hinlänglich
bekannt sind. Welches Maß an Reglementierung
von Alkohol- und Rauschwaren indes vernünftig
erscheint, um Gefahren von der Gesellschaft abzuhalten, bleibt weiterhin ein kontroverses Diskussionsthema. AdVoice hat drei relevante Beispiele zusammengestellt, die die Problematik der
staatlichen „Rauschkontrolle“ aufzeigen.
Vollrausch, § 323a StGB
Um in den Zustand des Vollrauschs zu gelangen,
muss man sich schon eine erhebliche Menge an
Alkohol oder anderer berauschender Mittel zuführen. Gemeint sind Zustände, bei denen tagsdrauf
mindestens der berühmte „Filmriss“, Erinnerungslücken vom Exzess, steht. Bei welcher Menge an
Alkohol beziehungsweise Rauschmitteln ein Vollrausch festzustellen ist, lässt die Rechtsprechung
grundsätzlich offen. Dies ist im Besonderen davon
abhängig, welches Geschlecht der Täter besitzt und
welche Konstitution ihm zugeschrieben wird. Auch
spielen das Alter und die Gewöhnung an den Alkohol beziehungsweise an das Rauschmittel eine
nicht unerhebliche Rolle. Im Haftpflichtrecht sind
derlei Fragestellungen regelmäßig Gegenstand juristischer Prüfungen. Der Bundesgerichtshof hat in
einem richtungsweisenden Urteil befunden, „dass
der in den Allgemeinen Vermietungsbedingungen
für den Fall grober Fahrlässigkeit vorgesehene undifferenzierte Haftungsvorbehalt zwar unwirksam
ist, dies aber nicht unbedingt dazu führt, dass nur
die Selbstbeteiligung zu zahlen ist. Vielmehr tritt
an die Stelle der unwirksamen Klausel über den
Haftungsvorbehalt der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung des §81 Abs. 2 VVG, die u. a. für die
Kaskoversicherung maßgeblich ist.“ (Quelle: Pressemitteilung, BGH, Urteil vom 11.10.2011, Az. VI ZR
46/10). In dem zu entscheidenden Fall hatte der
Beklagte nach einem Streit mit seiner Ehefrau und
einem Kneipenbesuch sehr stark alkoholisiert den
Mietwagen der Klägerin mit überhöhter Geschwindigkeit an einem Baum total zerstört. In zweiter
Instanz wurde der Beklagte nur zur Zahlung der in
der Kfz-Versicherung vorgesehenen Selbstbeteiligung in Höhe von 700 Euro verurteilt. Die vereinbarte Haftungsbeschränkung, die bei groben Vertragsverletzungen, hier der Vollrausch, von der Klä gerin ausgeschlossen war, sei zu unbestimmt ge-
wesen, so die Richter. Obschon der BGH dem zustimmte, sei die Rechtsfolge aber eine andere. Er
verwies auf § 81 Abs. 2 VVG: „Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig
herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung
in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu
kürzen.“ Die Sache wurde zur Entscheidung zurück
an die Berufungsinstanz verwiesen.
Geringe Menge, § 31a BtMG
Die Höhe der „geringen Menge“ an Rauschmitteln
zum sogenannten Eigenkonsum ist deutschlandweit nicht einheitlich geregelt und unterliegt unzweifelhaft der politischen beziehungsweise gesellschaftlichen Bewertung. In Nordrheinwestfalen
beispielsweise ist in einem Runderlass des Justizministeriums für die Staatsanwaltschaften bindend
festgelegt worden, dass kein öffentliches Interesse
an der Strafverfolgung besteht, wenn beim Täter
folgende maximalen Drogenmengen gefunden werden: Haschisch oder Marihuana (10 Gramm), Heroin
(0,5 Gramm), Kokain (0,5 Gramm), Amphetamin
(0,5 Gramm). Im Vergleich dazu sieht die Justiz in
Bayern die Eigenbedarfsgrenze bei Cannabisprodukten bei maximal 6 Gramm (3 Konsumeinheiten
je 2 Gramm, jedoch ohne Fremdgefährdung). (Quelle:
www.alternative-drogenpolitik.de, www.datenbanken.
justiz.nrw.de)
Selbstgebrannter
Dort, wo Alkohol unter weitgehender staatlicher
Prohibition steht, oder dort, wo sich viele Menschen
keine alkoholischen Getränke leisten können, schießen Schwarzbrennereien wie Pilze aus dem Boden,
ist „Selbstgebrannter“ hoch im Kurs. In den illegal
betriebenen Destillerien wird aus allen möglichen
Stoffen Alkohol gewonnen, nur dass der nicht immer
reiner Trinkalkohol, sprich Ethanol, sondern giftiger
Methylalkohol ist. Methanol sorgt bereits in geringster Dosis für Lähmungserscheinungen und kann die
Sehfähigkeit erheblich beeinträchtigen (Blindmacher).
Erst im vergangenen Winter wurden in der Türkei
zwei Alkoholpanscher zu hohen Haftstrafen verurteilt, weil sie irregulär hergestellten Schnaps mit
Methanol in den Verkehr brachten, an dem drei
deutsche Touristen starben. In Deutschland wird die
Herstellung von Alkohol von der Bundesmonopolverwaltung kontrolliert. Das einschlägige Gesetz ist
das Branntweinmonopolgesetz (BranntwMonG).
Unter sehr engen Voraussetzungen ist der Betrieb
einer eigenen Brennerei möglich. Unter anderem darf
die Menge reinen Alkohols, der hergestellt wird, 50
Liter im Betriebsjahr nicht übersteigen. In einer staatlich zugelassenen „Abfindungsbrennerei“ dürfen nur
selbstgewonnene Obststoffe genutzt werden. Allerdings ist die Zahl der Brennereien begrenzt.
Ein Vollrausch kann gravierendere Folgen haben als nur einen Filmriss.
RA Patrick Ruppert, Köln
Foto: Andrea Vollmer
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Thema
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Von Kokain vor der Prüfung raten Experten ab. Es macht zu übermütig.
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Thema
Welche Drogen helfen wirklich?
Der Examenskandidat als bedrängte Kreatur – ein Special
Disclaimer: Bei der Lektüre dieses Artikels kann
sich vereinzelt der Eindruck einstellen, die Autoren riefen zu Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz auf. Dieser Eindruck soll hier
ausdrücklich zerstreut werden. Anliegen dieses
Beitrages ist es vielmehr, Drogenkonsum zu verharmlosen und zu bagatellisieren.
„Bald stehen wieder Examensprüfungen vor der Tür“
– mit dem Satz liegt man immer richtig, schließlich
wird stets irgendwo irgendein armer Kandidat zur
Schlachtbank geführt. Und ob erste oder zweite
Prüfung, ob Gutachten- oder Urteilsstil, ob Abstraktionsprinzip oder aufschiebende Wirkung, alle Prüflinge stehen vor derselben Herausforderung: Wie
halte ich das aus? Schuldrecht, Sachenrecht, Strafrecht, Staatsorganisationsrecht … und wenn sie nicht
gestorben sind ... Jedenfalls lässt sich das enorme
Pensum, welches den Kandidaten Kampagne für
Kampagne aufgebürdet wird, nüchtern schwerlich
bewältigen.
Doch Gottseidank gibt es Dinge, die unser tristes
Dasein aufwerten: Harte und weiche Drogen! Was
hat es mit diesen Wundermitteln auf sich und was
sind Drogen eigentlich? Die lexikalische Antwort:
Stark wirksame psychotrope Substanzen, die unser
Bewusstsein und unsere Wahrnehmung verändern.
Die uns glauben machen, wir könnten den Erdball
auf unserer Zeigefingerspitze rotieren lassen. Die
uns die vollkommene Sinnlosigkeit unseres Daseins
für einen kurzen Kick lang vergessen lassen. Drogen streichen das Jammertal des täglichen Lebens
derart schön und bunt an, dass der Konsument in
grundloses Gelächter ausbricht und in unzusammenhängenden Wortkaskaden daherbarambasiert.
„Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur,
das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist
geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“
Im Marxschen Erklärungsmodell vom Stoßseufzer
der bedrängten Kreatur gleichen sich Religion und
Drogen wie folgt: Der Mensch ist, durch äußere Umstände bedingt, aus sich heraus nicht in der Lage, sich
zu beglücken. Nun holt er sich von außen, was er bei
sich nicht finden kann. Dass sich dieser Zustand
unter anderen Vorzeichen einmal ändern könnte, soll
hier weder bestritten noch erörtert werden.
Den Bedrängten stelle man sich nun, der Einfach heit halber, als Jurastudenten oder als Referendar
vor. Da der Prüfling nun die absurde und verhängnisvolle Entscheidung getroffen hat, Jura zu studieren, und er zudem nach sechs bis zwanzig Jah-
ren auch noch einen Abschluss erreichen möchte,
ist er ist von Prüfungsstoff und -stress derart überfordert, dass er fremde Hilfe in Anspruch nimmt: in
Form von Flüssigkeiten, Pillen oder Pulvern. Doch
welche Drogen bieten sich an?
ALKOHOL Dass Alkohol entspannt und lockert,
wissen wir nicht erst seit Weizen-Waldi und Rudi
Völlers berühmter Wutrede („Du hast doch schon
drei Weizen drin!“). In mündlichen Prüfungen sollte
ein beherztes und im Fußballstadionstil intoniertes
Schalalalaaa unmittelbar das Eis brechen und ein
gesundes Selbstbewusstsein vermitteln. Wichtig ist
die Wahl des richtigen Getränks. Man sollte sich
stilsicher an den althergebrachten Grundsatz „in
dubio Prosecco“ halten. Wirklich harte Sachen sind
zu vermeiden. Denn übermäßiger Alkoholkonsum
bleibt letztlich nicht unerkannt. Der erfolgreiche Prüfling dreht zwar gerne mal sein Fähnchen nach dem
Wind. Eine Alkoholfahne wird in diesem Zusammenhang aber immer noch kritisch gesehen.
HEROIN Da wäre ferner das hochwirksame Heroin.
Dieses ist in erster Linie aus optischen Gründen zu
empfehlen. Dunkle Augenringe, eingefallene Wangen,
hervorstehende Rippen – der Heroin-Look ist auf den
Laufstegen der Welt Kult, seit Kate Moss Mitte der
neunziger Jahre ihren Siegeszug antrat. Eine moderne Juristin kann durch den gezielten Einsatz dieses
Looks zeigen, dass sie nicht zum Perlenhuhn-Einheitsbrei gehört. Auch beim Heroineinsatz gilt jedoch
das Übermaßverbot. Abgefaulte Zähne sind dann
doch uncool. Man sollte nie so scheiße aussehen,
dass man schon wieder scheiße aussieht. AdVoiceTipp daher: Nicht zu früh, sondern erst in der heißen
Examensphase mit dem Fixen beginnen. Die Junkieexzesse lassen sich dann wunderbar in die postexaminatorische Selbstfindungs- und Selbstverwirklichungsphase integrieren. Zu beachten ist ferner,
schon aus BtMG-Gründen: Der Heroinkonsum sollte
geheim bleiben. Wer es sich am Klausurtag nach dem
Morgenmüsli noch rasch in die bald vernarbte Vene
zu spritzen gedenkt, sollte tunlichst darauf achten,
ein langes Hemd anzuziehen. Auf der sicheren Seite
ist, wer Heroin raucht oder snieft.
KOKAIN Stichwort Sniefen: Dringend raten wir
davon ab, sich vor der mündlichen Prüfung Kokain
zuzuführen, denn diese Droge macht übermütig, wie
man spätestens seit der Affäre um Christoph Daums
Beinahe-Bundestrainerschaft weiß. Zudem erwecken
Sie den Eindruck schlechter Manieren. In der mündlichen Prüfung unablässig die Nase hochzuziehen
und sich weißes Pulver abzuwischen, kommt nicht
gut an. Bevor Sie also dem skeptischen Prüfungsvorsitzenden so freiwillig wie fahrlässig einen spontanen Haartest anbieten („weil ich ein absolut reines
Gewissen habe“), greifen Sie lieber zu anderen Mitteln.
CANNABIS „Gras“ mag dagegen in manchen Si tuationen auf Heißsporne entspannend wirken.
Doch lassen Sie auch hier Vorsicht walten: Besonders im schriftlichen Examen kann Kiffen zu verständlichem, aber verhängnisvollem Müßiggang
verleiten. In den berüchtigten Rennfahrerklausuren
des Strafrechts wird man da gerne mal überrollt.
Cannabis hilft dann allerdings wieder dabei, solche
Niederlagen mit Fassung zu tragen („gaaanz entspannt, Digger“).
LSD Ein Sonderfall ist LSD. Diese Droge empfiehlt
sich für alle, denen Jura immer schon zu abstrakt
war. Unter ihrem Einfluss hört man die Bienenschwärme des BGB summen, während die Rechtsfähigkeit mit einem herzzerreißenden Babyschrei
beginnt. Vor dem inneren Auge ziehen Stellvertreter mit gebundener Marschroute vorbei. Verbraucher rauchen Verben. Früchte glänzen in allen
Farben, Formen und Größen. Wer sich die forderungsentkleidete Hypothek noch nie schöntrinken
konnte, sollte es mal mit LSD versuchen. Allerdings:
Die vielbeschworene Schwerpunktsetzung, auf die
es in Klausuren nach herrschender Lösungsskizzenmeinung ankommt, fällt schwerer, wenn man gerade auf der Reise zum Mond ist.
ZIGARETTEN Der Konsum theoretisch noch immer
legaler Zigaretten wird in Zeiten immer rigiderer
Nichtraucherschutzgesetze praktisch unmöglich
gemacht. Eine Diskussion der Vor- und Nachteile
dieses Rauschmittels wäre daher rein akademisch
und hat in der AdVoice nichts zu suchen.
KAFFEE UND COLA Bleiben schließlich noch
die gängigen Aufputschmittel wie Kaffee, EnergyDrinks oder Cola: Im Einzelfall nicht uneffektiv,
doch insgesamt nicht der ganz große Wurf – legal,
aber langweilig.
Was Ihnen wirklich hilft, ist natürlich Ihre persönliche Entscheidung. Wenn Sie aber harte Drogen
verwenden, achten Sie aber darauf, nichts im Prüfungsraum liegen zu lassen. Das könnte Sie verraten.
Denn es gilt bekanntlich die alte Binsenweisheit:
„Only users lose drugs“.
Ass. iur. Arne Koltermann, München
Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin
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Thema
Blauer Dunst für alle?
Deutschland und der föderale Nichtraucherschutz
Eigentlich können wir Deutschen mit Fug und
Recht behaupten, dass wir eine praktisch gut
funktionierende Demokratie sowie Administration haben. Natürlich, es gibt hier und da Lücken,
auch zuweilen Intransparenz von behördlichen
Vorgängen. Aber wir Deutschen haben im innereuropäischen Vergleich den Ruf zu verteidigen,
gründlich zu sein und bei Unzulänglichkeiten beherzt einzugreifen! Wirklich?!?
Die Gründlichkeit hat ihren Preis. Sie kostet erheblich Zeit. Zeit, die sich andere Demokratien für Maßnahmen unterschiedlichster Art nicht geben. Blicken
wir beispielsweise nach Japan und dessen beinahe
über Nacht umgesetzten temporären Atomausstieg.
So manch deutscher Öko-Aktivist dürfte mit den
Ohren geschlackert haben ob der rasanten Durchführung. Hierzulande wird heftig debattiert, das Für
und Wider, Chancen und Risiken abgewogen. Verfahren dauern eben lang. So rumort es auch an den
Stammtischen. Dort bestimmt ein Thema seit rund
vier Jahren hochemotionalisiert die Gesprächsrunden. Es ist die subtilste aller Süchte, die viele bereits
im Kindesalter heimsucht und der viele Konsumenten am liebsten so wie früher weiter frönen wollen
– draußen so wie drinnen.
Es geht um das Rauchen in der Gastronomie. Erbittert kämpfen die Tabakindustrie und der deutsche
Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Seit an Seit
um die Meinungshoheit. Rauchen gehöre zu einem
Kneipenbesuch nun mal dazu wie das Vaterunser in
den Gottesdienst, heißt es. Die Fraktion des „Weiter
so!“ beschwört den Untergang der Ausgehkultur und
orakelt: Rauchverbot führt zu Kneipentod – markige
Sätze, die über das WWW in allen Abwandlungen
verbreitet werden.
Dagegen geben sich die Gesundheitsorganisationen
geradezu bieder, indem sie schlicht mit Zahlen und
Kausalitätsketten auf die Gefährlichkeit des Zigarettenkonsums, vor allen Dingen auf das Risiko des
Passivrauchens hinweisen. Jährlich mehr als 3.000
Tote, so rechnet die Deutsche Krebshilfe vor, sterben
an den Folgen des Passivrauchens. Alles Lüge, kontern die Befürworter des frei gewählten Nikotinkonsums. Wer recht hat oder nicht, sagt uns gleich
das Licht – wäre in der hitzigen Debatte durchaus
angenehm.
Tatsächlich stehen sich die Lager der Interessengruppen unversöhnlich gegenüber und bezichtigen
sich gegenseitig der Unwahrheit.
Am blauen Dunst scheiden sich die Geister. Aber die Gesetze werden strenger.
Foto: Andrea Vollmer
Medizinische Forschungsergebnisse werden per se
als von der „Pharma-Lobby“ gekauft und somit unseriös gebrandmarkt, ohne allerdings den Beweis
dafür zu liefern, welchen Nutzen die Pharmaindustrie daran haben könnte, dass möglichst viele
Menschen gesünder lebten. Mit ähnlicher Schärfe
weisen andererseits Gesundheitsbekenner statistische Befragungen von Kneipenwirten zur Umsatzentwicklung nach der Einführung von Rauchverboten zurück, weil die Umfragen von der Getränkewirtschaft finanziert würden. Es ist längst
ein Glaubenskrieg, der die Republik entzweit, was
unter anderem auch daran liegt, dass der Bund
seine Verantwortung nicht sieht und auf die föderale Entscheidungsfreiheit baut. Jedes Bundesland
macht im Zweifel das, was es für richtig hält.
Gesundheitsschutz ist Ländersache. Und nur so ist
es überhaupt möglich, dass in Bayern null Toleranz
selbst in Oktoberfestbierzelten gilt, während im
Malocherland Nordrhein-Westfalen beinah weiter
gemacht wird wie bisher. Touristen aus Ländern
wie England oder den USA sind verblüfft, wenn sie
beispielsweise in Düsseldorf sogenannte Einraumkneipen unter 75 Quadratmeter betreten und ihnen
blauer Dunst ins Gesicht weht. Deren Erstaunen
verwundert nicht, leben gerade die US-Amerikaner
schon seit vielen Jahren mit scharfen Anti-Rauchgesetzen, die zum Teil sogar Rauchen in der freien
Öffentlichkeit mit drastischen Bußgeldern sanktionieren – Rauchen in New Yorks Central Park etwa
kostet bis zu 250 US-Dollar. Doch wie ist der gegenwärtige Stand in der föderalen Bundesrepublik?
Was sagen die Gesetze, was die Gerichte, und wo hin geht der Trend?
BAYERN
Am 4.7.2010 entschieden die Bayern in einem bisher einzigartigen Volksentscheid, sämtliche Ausnahmeregeln im Nichtraucherschutz zu streichen. Das
neue Gesundheitsschutzgesetz (GSG) ist strikt und
verlangt nach Art. 2 Nr. 8: „In den Innenräumen
aller Gaststätten gilt nunmehr ein absolutes Rauchverbot.“ Eine Ausnahme gewährt allerdings auch
das GSG für die echten geschlossenen Gesellschaften. Von solchen ist nur dann auszugehen, wenn
die Zahl der namentlich bekannten Eingeladenen
von vornherein begrenzt ist. Gemeint sind Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Trauergesellschaften
sowie sonstige Familienfeste. Die Gründung von
Raucherclubs zur Umgehung des Nichtraucherschutzes ist in Bayern explizit untersagt.
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Thema
BADEN-WÜRTTEMBERG
THÜRINGEN
HAMBURG
In der ersten Grün-Roten Regierung ist der amtierende Ministerpräsident Winfried Kretschmann
angetreten, um das geltende Nichtraucherschutzgesetz zu verschärfen. Ähnlich wie in Bayern sollen
sämtliche Ausnahmetatbestände aus dem Gesetzestext verschwinden. Noch gilt in Gaststätten, dass die
Betreiber in abgetrennten Nebenräumen das Rauchen gestatten können.
Das seit 2008 geltende Thüringische Nichtraucherschutzgesetz ähnelt dem in NRW. In rein getränkegeprägten Wirtschaften darf weiter geraucht werden,
wenn es um einen bis zu 75 Quadratmeter großen
Einraum geht. Die Erlaubnis gilt auch für Nebenräume. Raucherbereiche sind als solche deutlich
kenntlich zu machen, auch, dass Jugendliche unter
18 Jahren keinen Zutritt haben. Verstöße werden mit
Bußgeldern von bis zu 200 Euro (Gast) bzw. 500 Euro
(Gastronom) geahndet.
Im Stadtstaat geht es vor und zurück, so könnte man
annehmen. Denn ein zunächst sehr strenges Gesetz
zum Schutz der Nichtraucher wurde nach diversen
Klagen wieder gelockert. Der Senat wurde vom Bundesverfassungsgericht Anfang des Jahres verpflichtet,
das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz in
Teilen zu überarbeiten. Stein des Anstoßes war das
ursprüngliche Verbot, in der Speisegastronomie
Raucherräume einzurichten. Nach dem Willen der
Gesundheitsbehörde werden die technischen Auflagen bei den nun richterlich zugelassenen Raucherräumen allerdings sehr hoch sein, so dass vermutlich
nur wenige Gaststättenbetreiber sich den kostspieligen Umbau werden leisten können/wollen.
SAARLAND
Nach einigem juristischen Gezerre ist es seit dem
Scheitern einer Verfassungsbeschwerde von Kneipiers amtlich, das absolute Rauchverbot ohne Ausnahmen in der Gastronomie. Die damalige sogenannte Jamaika-Koalition (CDU, Grüne, FDP), hatte
noch vor dem bayerischen Vorstoß das schärfste
Nichtraucherschutzgesetz verabschiedet. Dagegen
wandten sich Wirte zunächst erfolgreich im vorläufigen Rechtsschutz. Sie argumentierten, dass die
Investitionen in eigens errichtete Rauchernebenräume mit einer längeren Übergangsfrist erst amortisiert werden müssten. Der Verfassungsgerichtshof
des Landes erteilte dem eine Absage und erklärte die
geltende Übergangsfrist, die am 1. Dezember 2011
auslief, für mit der Landesverfassung konform.
RHEINLAND-PFALZ
Im Weinland Rheinland-Pfalz geht es vergleichsweise liberal zu, denn in abgetrennten Nebenräumen
und inhabergeführten Einraumkneipen ohne abhängig beschäftigtes Personal darf weiter geraucht
werden. Die Erlaubnis gilt auch für Festzelte auf
Rummelplätzen und Schützenfesten.
HESSEN
Einraumkneipe bis 75 Quadratmeter und keine Speisen – dann ist dort das Rauchen zulässig.
NORDRHEIN-WESTFALEN
Im bevölkerungsreichsten Bundesland sah man über
Jahre keinen Handlungsbedarf. Das inzwischen eingeführte, bis heute geltende NiSchG NRW brachte
zwar die Wende in der Speisegastronomie. Dennoch
sorgen zahlreiche Ausnahmen dafür, dass bei Traditionsveranstaltungen wie dem Karneval, in Einraumkneipen bis 75 Quadratmeter und in Nebenräumen
weiter geraucht werden darf. Damit könnte noch in
diesem Jahr Schluss sein, weil die Landesregierung
eine Verschärfung der Gesetze nach bayerischem
Modell plant. Heftiger Widerstand ist programmiert,
allein deswegen, weil der DEHOGA das noch geltende Gesetz als besonders tragfähig würdigte.
SACHSEN
Das SächsNSG ist mit dem aus Thüringen und NRW
vergleichbar. In Diskotheken gilt im Gegensatz zu
den Regelungen der Nachbarländer die Null-ToleranzLinie. Begründet wird das damit, dass besonders viele
Jugendliche Diskos besuchen. Außerdem sei die
Schadstoffaufnahme beim Tanzen bedeutend höher.
SACHSEN-ANHALT
Das Gesetz zur Wahrung des Nichtraucherschutzes
im Land Sachsen-Anhalt wurde zuletzt am 14.7.
2009 modifiziert. Inhabergeführte Einraumgaststätten mit einer Gastfläche bis zu 75 Quadratmeter
genießen das Privileg der Ausnahme vom Nichtraucherschutz. Auch in Diskos darf geraucht werden,
sofern sie über entsprechende Nebenräume verfügen, die keine Tanzfläche besitzen. Jugendliche unter
18 haben dort keinen Zutritt.
BREMEN
In Bremen gilt grundsätzlich ein Rauchverbot in der
Gastronomie. Ausnahmen hiervon sind nur dort
möglich, wo ein umschlossener Nebenraum existiert,
der als gesonderter Raucherraum ausgewiesen ist.
Der Hauptthekenbereich muss in jedem Fall aber
rauchfrei bleiben.
SCHLESWIG-HOLSTEIN
Im nördlichsten Bundesland geht der Gesundheitsschutz ebenso nicht so weit. Der Tabakkonsum wird
immerhin noch in „baulich wirksam“ abgetrennten
Räumen geduldet, solange eine Gefährdung durch
passives Rauchen verhindert wird. Bei vorübergehenden Traditions- und Festveranstaltungen darf der Betreiber seine Gäste gleichsam weiterqualmen lassen.
BERLIN
RA Patrick Ruppert; Köln
Die praktische Umsetzung des Nichtraucherschutzes
wirkt in der Kulturmetropole besonders schwierig.
Vielleicht fürchtet der Senat, kreative Köpfe zu verschrecken. Offiziell ist in als Raucherlokal gekennzeichneten Einraumbars & -kneipen bis 75 Quadratmeter ohne Speisewirtschaft das Rauchen erlaubt.
Die Verwaltung Berlins hat mit ihren „Interventionsteams“ festgestellt, dass viele Gastronomen kaum
über den Nichtraucherschutz informiert sind und in
der Konsequenz nicht danach handeln. Eine Verschärfung der Gesetzeslage ist vorerst nicht geplant.
Wichtige Rechtsprechung
BverfG, Urteil vom 30.7.2008, Az. 1 BvR 3262/ 07; 1 BvR
402/08; 1 BvR 906/08, „Zulässigkeit des Rauchens in
Einraumgaststätten“
OVG Münster, Beschluss vom 4.4.2011, Az. 4 B 1771/10,
„Verbot von Raucherclubs als Umgehung des Nichtraucherschutzes“
BRANDENBURG
Nach dem BbgNiRSchG heißt es in Gaststätten „Rau chen verboten“. Hiervon wie in anderen Bundeslän dern ausgenommen sind Einraumbetriebe, in denen
Minderjährige keinen Einlass bekommen und in denen keine Speisen zum Verzehr angeboten werden.
Beinah obligatorisch ist die Raucherlaubnis im abgetrennten Nebenraum. In Spielhallen gilt die Ausnahmegesetzgebung hingegen nicht.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 2.1.2012, Az. 2 SsRs
284/11, „Betrieb von zwei Raucherräumen in Disko nicht
unzulässig“
BayVerfGH, Urteil vom 31.1.2012, Az. Vf. 26-VII-10,
„striktes Rauchverbot auch für Räumlichkeiten von
Rauchervereinen verfassungskonform“
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Thema
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Zahlensucht
zusammengestellt von RA Tobias Sommer, Berlin
2,6 Millionen Kinder leben laut Drogenbericht der Bundesregierung für das Jahr 2011 in suchtbelasteten Familien. •
Jeder 4. Deutsche ab 15 Jahren raucht. Das sind 8,5 Millionen Männer (30,5 Prozent) und 6,3 Millionen
Frauen (21,2 Prozent). • Die Zahl rauchender Männer ist seit 1995 um 5 Prozent gesunken, die Zahl rauchender Frauen
ist etwa gleich geblieben. • Immerhin 11,7 Prozent der 11- bis 17-Jährigen rauchen. • Etwa 110.000 Menschen sollen jährlich an
den direkten Folgen des Rauchens sterben. • ETWA 3.300 TODESFÄLLE SOLL ES DURCH PASSIVRAUCHEN GEGEBEN HABEN. • Werbeausgaben der
Tabakindustrie im Jahr 2010 in Euro: 199.090.128,07. Davon für Promotion: 127.105.282,43 Euro. • Das Durchschnittsalter bei der ersten
Zigarette lag im Jahr 2011 bei etwa 14,3 Jahren. • • • In Deutschland gelten insgesamt rund 1,3 Millionen Menschen
als alkoholabhängig. Jedes Jahr sollen mehr als 73.000 Menschen an den Folgen des Alkoholmissbrauchs sterben. •
Etwa 9,5 Millionen Deutsche trinken laut Drogenbericht Alkohol in gesundheitlich riskanter Form, Tendenz sinkend. • Im Jahr 2010 wurden
insgesamt 25.995 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und 20 Jahren wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert. • • • JEDER 4. DEUTSCHE HAT ERFAHRUNGEN MIT ILLEGALEN DROGEN. • Die Mehrheit
probiert Cannabis. • 7,4
Prozent der Erwachsenen haben Erfahrung mit dem Konsum anderer illegaler Substanzen, wie
Heroin, Kokain oder Amphetaminen. • Die Zahl der Drogentoten ist im Jahr 2011 um 20 Prozent auf 986 im Vergleich
zum Vorjahr (1.237) stark gesunken. Die meisten gab es im Bundesland NRW (216), die wenigsten in Brandenburg (2). Die
Stadt mit den meisten Drogentoten war München (35) vor Köln (34) und Frankfurt a. M. (26). • 0,4 Prozent (etwa 220.000
Personen) weisen eine Cannabisabhängigkeit auf. Im Jahr 2010 haben 23.349 Personen wegen einer cannabisbezogenen Störung eine ambulante
oder stationäre Therapie gemacht. • Etwa 200.000 Personen in Deutschland konsumieren risikohaft andere illegale Substanzen. • 30.651 Patienten waren
2010 wegen einer opioid-bezogenen Störung in ambulanter oder stationärer Behandlung, gefolgt von etwas über 9.800 Patienten mit kokain- und
1,4 bis 1,9 Millionen Deutsche sind medikamentenabhängig. • Etwa 5 Prozent aller
Studierenden betreiben pharmakologisches Hirndoping. • 12 Prozent aller Studierenden gaben an, seit Beginn ihres Studiums
stimulanzien-bezogenen Störungen. • • •
Substanzen eingenommen zu haben, um den Leistungsanforderungen gerecht zu werden. • • • Im Jahr 1991 wurden in den alten Bundesländern
5 Prozent der Bevölkerung als „stark kaufsuchtgefährdet“ eingestuft. • Etwa ein Prozent der Bevölkerung in den Industrienationen
soll die Krankheit haben. • • • Magersucht sollen etwa 100.000 Menschen in Deutschland haben. • 90 Prozent davon
sind Frauen zwischen 15 und 35 Jahren. • Ess-Brech-Sucht sollen etwa 600.000 Menschen in Deutschland haben. • Etwa 2 Prozent der
Bevölkerung sollen unter Fressattacken leiden. • Etwa 30 Prozent der Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren zeigten bei einer Studie des
Koch-Instituts Essstörungen wie Magersucht, Ess-Brech-Sucht oder Fettsucht. Bei Jungen waren es 15 Prozent. Kinder aus sozial benachteiligten
Familien waren fast doppelt so häufig betroffen wie Kinder aus der oberen sozialen Schicht. • Weltweit lebt laut WHO rund eine Milliarde Menschen
mit starkem Übergewicht (Adipositas). • • • Etwa 560.000 Deutsche sind vom Internet abhängig. • Damit gibt es in Deutschland
mehr Internetsüchtige als Glücksspielabhängige (etwa 250.000 Personen). • 2,4 PROZENT DER 14- BIS 24-JÄHRIGEN SOLL
INTERNETABHÄNGIG SEIN. 13 PROZENT GELTEN ALS „PROBLEMATISCH IN IHRER INTERNETNUTZUNG“. • • • Fast jeder Zweite in der
erwachsenen Bevölkerung (45 Prozent) hat in den vergangenen zwölf Monaten bei einem oder mehreren der öffentlich angebotenen Glücksspiele
um Geld gespielt. • Am häufigsten werden die staatlichen Lotterien und Sofortlotterien/Rubbellose genutzt, gefolgt von anderen
Lotterien und dem Glücksspiel an Geldspielautomaten in Spielhallen oder der Gastronomie. • Etwa ein Prozent der 14- bis 64Jährigen war im Laufe seines Lebens von pathologischem Glücksspiel betroffen. • Innerhalb der letzten zwölf Monate spielten
1,4 Prozent risikoreich, 0,3 Prozent problematisch und 0,35 Prozent pathologisch Glücksspiele. • 86 PROZENT DER 16- BIS 65-JÄHRIGEN
HABEN IRGENDWANN IM LEBEN SCHON EINMAL AN EINEM GLÜCKSSPIEL TEILGENOMMEN. • • •
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Quellen: Drogenbericht der Bundesregierung, Wikipedia, eigene Recherchen
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Thema
Passion des Begehrens
Steve McQueens filmische Variationen über die Sucht nach Sex und Pornos
Brandons Welt besteht aus Sex und Sucht nach Sex. Trotzdem ist er ein Träumer.
Fluchten enden in Manhattan zwangsläufig am
Wasser. In Steve McQueens Film „Shame“ sackt
der Geschäftsmann Brandon (Michael Fassbender) in eine Pfütze am regengrauen New Yorker
Hafen. Unter Tränen und unfähig, den Bildern
und Zwängen zu entkommen, die ihn verfolgen.
Es ist diesig. Die Weite des Hafens ist verhüllt.
Die Freiheitsstatue nicht in Sicht.
Dass sie Freiheit vorspiegelt und diese dann immer
mehr nimmt und an sich reißt, ist das Perfide jeder
Sucht. Besonders gilt dies aber für jene sanften
Süchte, die nicht töten und nur innerlich verletzen.
Niemand schreibt mir vor, was ich zu tun habe.
Liberté toujours.
Brandons Welt besteht aus Sex und Suche nach Sex.
Pornographie- und Sexsucht bestimmen sein Leben.
„Langsam!“, mahnt er eine Prostituierte, die gerade
dabei ist, ihr Oberteil über den Kopf abzustreifen. Er
will zusehen, wie sich der schlanke Körper offenbart:
Du bist würdig, denn du bist von mir geschaffen.
Nach dem Bild in meinem Kopf. Die Realität folgt
den Bildern. Und sie erschafft neue Bilder. Brandons
Leben ist ein Kreislauf von Fiktion und Realität.
Sein Tagesablauf ist eine Folge repetitiver Routinen.
Sex gegen Geld, One-Night-Stands, Pornographie
und Masturbation. Freie Minuten füllt das Internet.
Im Büro und zu Hause. Kommt Brandon abends in
seine luxuriöse Wohnung im Zentrum Manhattans,
greift er so instinktiv zum Ein/Aus-Schalter des Notebooks wie zum Lichtschalter. Die blinkende Graphik
der Live-Chats bringt Farbe in eine Wohnung, deren
Wände weiß und schmucklos geblieben sind.
In seinen Bildern ist der Film virtuos. Das leidvolle
Begehren ist variantenreich und ausdrucksvoll ins-
zeniert. In Zeitlupeneinstellungen von Brandons
Gesicht verschwindet der Unterschied zwischen
Lust und Schmerz. Teilweise lässt ein Schleier der
Unschärfe Brandons Kopf als hellen, knochigen
Schädel erscheinen. In anderen Szenen imitiert die
Kamera den pornographischen Blick. Frauen nimmt
Brandon als Körperteile war. Als nackte Schulter,
als Mund, als Hand, welche die Haltestange der UBahn umfasst. Seine stärksten Szenen hat der Film,
wenn er sich Zeit und den Blicken Raum lässt.
In der New Yorker Subway trifft Brandon in zwei
Szenen auf dieselbe junge Frau. Bei der ersten Begegnung schaut diese immer wieder abwechselnd
zu Boden und in seine Augen, die starr und selbstbewusst auf ihr haften. Sie lächelt unsicher und beginnt, schwerer zu atmen. Ihre Brust hebt und senkt
sich. Sie presst die Beine zusammen. Als sie aussteigen will, steht er hinter ihr. Mit dem Öffnen der Tür
rennt sie davon. In wenigen Schnitten zeigt McQueen
den schmalen Grat zwischen Erregung, Aufregung
und Angst. Bei der zweiten Begegnung ist die Frau
verändert. Offensiv trägt sie einen leuchtend roten
Lippenstift wie eine Waffe. Diesmal ist nicht sie
wehrlos, sondern Brandon. Hat Brandon sie immer
so gesehen? Oder hat sein Blick sie verändert?
Brandon ist kein Romantiker. Er glaubt nicht an Ehe
und Liebe. Vier Monate dauerte seine längste Beziehung. Ein Träumer ist er trotzdem. Er hätte lieber
in den sechziger Jahren gelebt als heute. Als er
beides bei einem Date mit seiner Arbeitskollegin
Marianne (Nicole Beharie) erzählt, ist diese irritiert.
Maria, die Heilige. Er hat sie aus der Ferne begehrt.
Zum Date hätte er sich beinahe nicht getraut. Zögerlich und schüchtern hatte er vor dem Restaurant gewartet. Als Marianne ihm nahekommt und
zärtlich ist, ist er impotent. Er schickt sie weg, ohne
Foto: © 2011 PROKINO Filmverleih GmbH
sie noch einmal anzusehen. Anschließend kopuliert
er mit einer Escort-Dame vor dem Panoramafens ter eines Stundenhotels.
Was die Psychologie seiner Hauptfiguren angeht,
bleibt der Film an der Oberfläche. Er zeigt immer nur
den Blick von außen. Das Innenleben der Charak tere lässt sich nur erahnen. Besonders auffällig ist
diese Lücke, als sich Brandons Schwester Sissy (Carey
Mulligan) bei ihm einquartiert. Sie ist eine Sängerin
mit unregelmäßigen Auftritten. Ohne Geld, ohne Zuhause, aber mit einer Emotionalität, die Brandon
längst verloren hat. Ihre Haare sind blond gefärbt.
Darunter sind sie schwarz. Auch Sissy ist ein problematischer Charakter. Sie schwankt zwischen kindlicher Fröhlichkeit und verzweifelter Nähe zum Selbstmord. Auf ihren Armen sind Narben von Schnittwunden zu sehen. Sissy wollte schon immer das
Leben spüren.
Gerne würde man vielmehr erfahren über die Vergangenheit von Brandon und Sissy. Über ihre Eltern,
ihre Kindheit und Jugend. Doch der Film verweigert
dies. Vor allem Brandon ist keiner, der von seinen
Gedanken und Gefühlen erzählt. Was für ein Typ
Mensch Brandon ist, wonach er sich wirklich sehnt,
warum genau er unglücklich ist, was er durch die
Jagd nach Sex betäuben will, erfährt man bis zum
Schluss des Films nicht. Brandon ist mehr Typus als
Individuum.
„Wir sind keine schlechten Menschen. Wir kommen
nur von einem schlechten Ort“, sagt Sissy einmal
zu Brandon. Sie meint New Jersey, wo sie zusam men aufgewachsen sind. Und jenen dunklen Ort in
uns allen, unter der Oberfläche der Zivilisation.
Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin
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Thema
Sucht in Serie
Der Hype um US-amerikanische Fernsehserien
Es ist scheinbar paradox, dass der Niedergang des
Fernsehens mit dem Aufstieg der Fernsehserie
zusammenfällt. Die Generation Internet sieht
nicht mehr fern. Wer sich bei ihr anbiedern will,
wie zuletzt Thomas Gottschalk mit seiner täglichen Talkshow „Gottschalk Live“, geht nur
umso krachender baden. In den bildungsnahen
Schichten ist Fernsehen – abgesehen von Sportübertragungen und cum grano salis – Greisenunterhaltung. Dass es trotzdem noch Massenunterhaltung ist, beschreibt ein Problem, das die
Politik beantworten muss. Während das Fernsehen also darniederliegt, erhebt sich aus dessen
Asche die Fernsehserie zu ungeahnten Höhen.
Der Höhenflug der Fernsehserie bezieht sich vor
allem auf ihr gesellschaftliches Ansehen. Serien
haben auch früher schon ein großes Publikum
gefunden. Neu ist, dass sich der Serienkonsument
nicht mehr schämen muss. Seriensucht ist kein
Laster mehr. Vielmehr gehört sie mittlerweile auch in
Akademikerkreisen zum guten Ton. Dies gilt in erster
Linie für Serien US-amerikanischer Herkunft und
unter diesen insbesondere für deren anspruchsvolle
Variante, die Drama-Serie.
Die großen Namen des Genres sind „Die Sopranos“,
„Mad Men“, „The Wire“ oder „The West Wing“. Aber
auch ein Klassiker wie „Twin Peaks“ zählt dazu. Solche
überwiegend für Pay-TV-Kanäle produzierten Serien
feiert das Feuilleton beinahe kritiklos. Auch die Jurawelt ist vom Hype erfasst. Studenten, Referendare
und Junganwälte konsumieren Staffel nach Staffel.
Und selbst die neue Professorengeneration gibt hier
gerne enzyklopädische Kenntnisse zu, ohne Angst
vor einem Kratzer auf der wohlgepflegten bildungsbürgerlichen Patina. Warum eigentlich?
»Gute Serien sind lange Nächte, in
denen eine große Geschichte erzählt
wird und in denen der Alltag des
Betrachters ruht.«
Die Antwort ist im Ansatz so einfach wie einleuchtend. Die „neue Fernsehserie“ ist einfach besser als
das, was es vorher gab. Kohärenter, aufwendiger
und realistischer. Kurz: Näher am Leben. Der Reiz
solcher Serien ist, dass sie eine Parallelwelt eröffnen. In diese kann der Zuschauer sich zurückziehen, wenn die Gegenwart plagt oder langweilt.
Kinofilme sind kurze Tagträume. Gute Serien sind
lange Nächte, in denen eine große Geschichte erzählt wird und in denen der Alltag des Betrachters
ruht. Die geschaffenen Traumwelten sind komplex.
Voller Namen und Gesichter, Handlungslinien und
Wendungen. Eine Serie kann viel breiter erzählen
als ein Film und sich auch Zeit für scheinbar Unbedeutendes und Alltägliches lassen. Ähnlich wie
in einem echten Traum taucht die Lebenswelt des
Zuschauers in der Serie verfremdet wieder auf.
Im Vergleich zur Komplexität des wirklichen Lebens
ist diejenige der Serie aber leichter beherrschbar.
Nach einigen Folgen wird die Welt der Serie vertraut. Man kennt die Handlungsorte und Charaktere
und entwickelt Lösungen für deren Probleme. Hat
man im echten Leben oft mehr Fragen als Antworten, so ist dies in der Serienwelt umgekehrt. Auch
dies gehört zum besonderen Kick der Fernsehserie.
Zu einer Sucht wird eine Serie allerdings nur dann,
wenn der Eintritt in die Parallelwelt jederzeit möglich ist. Der Stoff, aus dem die Träume sind, muss
stets verfügbar sein, so dass der Serienkonsument
die Dosis stetig steigern kann. Diese Voraussetzung
Der abendliche Serienkonsument von heute muss sich seiner Sucht nicht mehr schämen. Selbst bei Akademikern gehört es inzwischen zum guten Ton. Das gilt vor allem für US-amerikanische
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Thema
ist erst seit einigen Jahren erfüllt. Während der
Serienfreund früher an die festen Sendezeiten des
Fernsehens gebunden war, ermöglichen nun DVD
und Internet einen zeitunabhängigen Zugriff. Und
auch hinsichtlich des Ortes bestehen keine Einschränkungen mehr. Dank Notebooks und portablen
DVD-Spielern steht dem Seriengenuss auch am Frühstückstisch, im Zug oder auf Reisen nichts mehr im
Weg. Die Fernsehserie ist, nachdem sie das Fernsehen verlassen hat, beinahe so flexibel wie ein Buch.
»Der Stoff, aus dem die Träume sind,
muss stets verfügbar sein.«
Das positive Image haben die US-Serien nicht zuletzt auch deswegen, weil sie eben keine deutschen
Serien sind. Seit sie über Internet und DVD in der
englischen Originalfassung erhältlich sind, schaut
man sie – selbstverständlich – in dieser Version.
Dadurch zeigt man, dass man in der Weltsprache
zu Hause und in der Lage ist, über den deutschen
Tellerrand zu blicken. Dies ist der bildungsbürger
liche, nach anderer Auffassung snobistische Aspekt
des Erfolgs der „neuen Fernsehserie“.
Enthusiastische Kritiker vergleichen die amerikani schen Dramaserien oft mit den großen Romanen
des 19. Jahrhunderts. Teilweise werden Drehbuchautoren mit Charles Dickens verglichen oder es wird
empfohlen, die DVD-Box von „The Wire“ im Bücherregal direkt neben Dostojewski einzuordnen. Tatsächlich erfüllen die Serien heute eine ähnliche
Serien, insbesondere die Drama-Variante.
Funktion wie früher der Roman. Nur wenige nehmen heute noch die Mühe auf sich, vielhundertseitige Romane zu lesen. Lag auf dem Nachttisch
früher der Romanwälzer, so liegt dort heute die
Serien-DVD. Zu hoch gegriffene Vergleiche sind
aber fehl am Platz.
Die neuen Fernsehserien sind zwar wesentlich besser
als ihre Vorläufer. An der Spitze angekommen sind
sie aber noch lange nicht. Während einzelne Folgen
künstlerische Höhepunkte sind, erreichen viele nicht
das Niveau eines guten Kinofilms. Zu häufig wird
lediglich in die Breite und nicht auch in die Tiefe
gehend erzählt. Die Möglichkeit, lange Handlungsbögen zu spannen, wird zu selten genutzt. Und oft
gibt es Redundanzen und Wiederholungen, die besonders dann störend auffallen, wenn man mehrere
Folgen direkt hintereinander schaut.
»Es wird empfohlen, die DVD-Box
von „The Wire“ im Bücherregal direkt
neben Dostojewski einzuordnen.«
Diese Schwächen bestehen in erster Linie, weil die
Serien immer noch für das Fernsehen produziert
werden. Im Kern ist das Fernsehen eben doch ein
Medium, dass dem Zuschauer nichts abverlangen
möchte, sondern ihn dort abholen will, wo er ist:
auf der Couch, erschöpft, nach Feierabend. Die
These lautet daher: Die vergleichsweise hohe Qualität der „neuen Fernsehserie“ ist kein Beweis für
die künstlerische Vitalität des Mediums Fernsehen.
Denn die Serien sind gerade insoweit überzeugend,
als sie kein Fernsehen mehr sind. Wenn die Serien
das Fernsehen endgültig verlassen haben und dem
gerecht werden, was viele Zuschauer und Kritiker
jetzt schon in ihnen sehen, kann Großes entstehen.
Einstweilen lohnt es sich, die Entwicklung zu diesem Punkt hin zu verfolgen. Einsteigern ist die
Mafia-Familienserie „Die Sopranos“ zu empfehlen.
Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin
Drei gute Serien
Twin Peaks: In dieser David Lynch-Version
der Krimiserie ist die Aufklärung des Mordes
an einer Kleinstadt-Schönheit weniger wichtig als skurrile Charaktere und andere Absonderlichkeiten.
The Wire: Diese komplexe Krimiserie über den
Drogenhandel in Baltimore zeichnet sich durch
die realistische Darstellung der Milieus aus.
The West Wing: Diese Polit-Serie beschreibt
den Alltag einer fiktiven US-Regierung und
stellt dar, wie im Westflügel des Weißen Hauses Entscheidungen getroffen werden.
Fotos: Petra Bork_pixelio.de
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Kippenzählen auf dem Spielplatz
Sucht mit den Mitteln des Rechts bekämpfen
wurden, das heißt, wenn sie in der Entwöhnung
unter Abstinenz erbracht werden kann. Auch hier
wurde in den Details nachgebessert mit dem Ziel,
den Hebel schon eher und flankierend ansetzen zu
können. Im Ergebnis beschloss der G-BA eine Neuregelung, die am 8. Juli 2011 in Kraft trat: Bei Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit ist
nun ausnahmsweise auch dann eine ambulante
Psychotherapie möglich, wenn die Patienten noch
nicht suchtmittelfrei sind. Allerdings greift die
Ausnahmeregelung nur, wenn die Patienten bereits
Schritte zu einer baldigen Abstinenz unternommen
haben. Die gesetzliche Krankenversicherung zahlt
die Behandlung nur, wenn die Patienten bis zum
Ende von maximal zehn Behandlungsstunden suchtmittelfrei sein können. Bei einem Rückfall darf die
Therapie nur fortgesetzt werden, wenn Maßnahmen
eingeleitet werden, um die Abstinenz wieder herzustellen.
Höhere Tabaksteuern zur Suchtbekämpfung?
Suchttherapien gibt's nur für Patienten, die suchtmittelfrei sind.
Nahverkehrsgesellschaften kämpfen mit Alkoholverboten, die Regierung kämpft mit Gesetzen, der
Zoll bekämpft den Zigarettenschmuggel und die
Behörden kämpfen mit dem Paragraphendschungel. Wir stellen die Regelungen zum Thema Sucht
vor, wie sie im Drogenbericht der Drogenbeauftragten genannt werden. Urteilt selbst, ob damit
die gesellschaftlichen Gefahren von Sucht, wie sie
in unserer Statistik benannt sind, bekämpft werden können.
Kinder aus suchtbelasteten Familien sind eines der
großen Probleme der deutschen Drogenbeauftragten Mechthild Dyckmans. Rund 2,6 Millionen Kinder
leben laut Drogenbericht der Bundesregierung für
das Jahr 2011 in suchtbelasteten Familien. Jetzt ruht
die Hoffnung auf dem neuen Bundeskinderschutzgesetz, das am 1.1.2012 in Kraft getreten ist. Das
neue Gesetz verpflichtet die öffentliche Jugendhilfe,
bei einer von Sucht betroffenen Familie mit den
örtlichen Suchtberatungsstellen zusammenzuarbeiten. Ob damit der Fall der elfjährigen Chantal, welche
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Foto: Petra Bork_pixelio.de
bei ihren drogenabhängigen Eltern lebend an der
Heroin-Ersatzdroge Methadon gestorben ist, hätte
verhindert werden können?
Förderung suchtkranker Arbeitsloser
Zum 1. April 2012 ist das „Gesetz zur Verbesserung
der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ in Kraft
getreten. Denn: Suchtprobleme sind unter Arbeitslosen weit verbreitet. Oft sind sie so gravierend, dass
es nicht gelingt, die Betroffenen wieder ins Arbeitsleben einzugliedern. Deswegen können seit 2005
erwerbsfähige leistungsberechtigte Suchtkranke eine
Suchtberatung nach § 16a Nummer 4 Zweites Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) als kommunale Eingliederungsleistung erhalten.
Die Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen
Bundesausschuss (G-BA) gab bisher vor, dass eine
ambulante Psychotherapie bei Abhängigkeit von
Drogen, Alkohol und Medikamenten nur erbracht
werden kann, wenn die Betroffenen bereits entgiftet
Auch die Tabaksteuern sind in dem Drogenbericht
aufgeführt. Mit dem fünften Gesetz zur Änderung
von Verbrauchsteuergesetzen vom 21. Dezember
2010 (BGBl I S. 2221) ist das sogenannte Tabaksteuermodell gesetzlich verankert worden. Von 2011
bis 2015 sind jährliche Anhebungen der Tabaksteuer
vorgesehen. Die ersten beiden Stufen sind bereits
zum 1. Mai 2011 und zum 1. Januar 2012 erfolgt.
Weitere Stufen folgen jeweils zum 1. Januar in den
Jahren 2013 bis 2015. Abhängig von der jeweiligen
Preisklasse erfordert jede Steuererhöhung bei Zigaretten eine steuerinduzierte Preisanpassung von vier
bis acht Cent, bezogen auf eine Packung mit 19
Stück Zigaretten und bei Feinschnitttabak von 12 bis
14 Cent, bezogen auf eine Packung mit 40 Gramm.
Ein Thema für die Gesetzgebung der Länder ist, basierend auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 (1 BvR 3262/07, 1 BvR
402/08,1 BvR 906/08), der Nichtraucherschutz in der
Gastronomie. Hier wird geregelt, evaluiert und neugeregelt. Eine Studie habe ergeben, dass sich das
Rauchen infolge der Nichtraucherschutzgesetze in
der Gastronomie nicht in den privaten Bereich verla gert hat. Vielmehr sei zwischen 2007 und 2009 auch
bei Rauchern die Zahl der Haushalte, in denen das
Rauchen in der Wohnung vollständig unterbleibt,
deutlich gestiegen. Das gelte besonders für Haushalte, in denen kleine Kinder leben. Nach einer anderen Studie seien in Bundesländern mit Ausnahmeregelungen, etwa für die getränkegeprägte Gastronomie, lediglich 19 Prozent der Kneipen und Bars
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Thema
vollständig rauchfrei. Der Kampf gegen das Rauchen
wird sich jetzt vermutlich auf rauchfreie Spielplätze
verlagern. 2009/2010 wurden in Heidelberg, Mannheim und Würzburg Zigarettenkippen auf Spielplätzen gezählt. Die Ergebnisse zeigen, dass bei gut
kommunizierten Rauchverboten die Kippenzahl
deutlich sinke. Als Reaktion darauf hat z. B. Mannheim 2011 das Rauchen auf Spielplätzen untersagt.
In einigen anderen Städten werde ein solches Verbot
ebenfalls gefordert.
Regelmäßig prüfen: Doping und Drogen
Auch das „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung
des Dopings im Sport“ aus dem Jahr 2007 taucht im
Drogenbericht für 2011 auf. Die Liste der vom Besitzverbot betroffenen Stoffe und der zugehörigen
Grenzwerte im Arzneimittelgesetz und der Dopingmittel-Mengen-Verordnung wird unter Beteiligung
von Sachverständigen mit Blick auf neue Entwicklungen in der Dopingszene regelmäßig geprüft und
angepasst. Nach Art. 3 des DBVG muss die Anwendung der entsprechend geänderten Regelungen bis
zum 31. Oktober 2012 evaluiert werden. Im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag wurde – wen
wundert's – ein wissenschaftlicher Sachverständiger
in die laufende Evaluierung einbezogen.
Im Bereich illegaler Drogen wurde die Betäubungsmittel-Binnenhandelsverordnung geändert. Die jährlich rund sieben Millionen Abgabemeldungen einschließlich Lieferscheinen, Empfangsbestätigungen
oder Lieferscheindoppel an das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) können
jetzt auch über das Internet erfolgen. Zudem gibt es
neue Regelungen für die Palliativmedizin mit Bedeutung für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Um in Deutschland cannabishaltige Fertigarzneimittel herstellen zu lassen und verschreiben
zu können, wurde die Position „Cannabis“ in den
Anlagen I bis III des BtMG geändert. Für das neu
zugelassene verkehrs- und verschreibungsfähige,
betäubungsmittelhaltige Schmerzmittel Tapentadol
wurde eine Höchstverschreibungsmenge von 18.000
Milligramm in 30 Tagen festgelegt. Diskutiert wird
eine Stoffgruppenregelungen im Betäubungsmittelgesetz, ein neuer Straftatbestand im Hinblick auf
den Missbrauch neuer psychoaktiven Substanzen
sowie Grundstoffüberwachung der 23 international
gelistete Chemikalien, die meist legal gehandelt werden. Für Kokain, THC und einige Opiate ist bereits
ein Schnelltest zum Drogennachweis im Speichel im
Einsatz. Dieser soll noch weiter entwickelt werden
und künftig bis zu zehn Rauschmittel auf einmal
nachweisen können.
Reformen beim Glücksspiel
Glücksspiel ist Ländersache. Das regelt der Glücksspielwesenstaatsvertrag (GlüStV). Der erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag soll zum 1. Juli 2012 in
Kraft getreten sein und damit die Glücksspielangebote zum Schutz der Spieler und der Allgemeinheit
strikt regulieren. Glücksspiel im Internet bleibt grundsätzlich verboten, für Lotterien und Sportwetten
werden allerdings Ausnahmen zugelassen. Private
Sportwettanbieter brauchen demnach eine Konzes sion. Erstmals gibt es auch Regeln zum gewerblichen
Spiel in Spielhallen. Mehrere Spielhallen an einem
Standort werden verboten, Spielhallen sollen einen
bestimmten Mindestabstand haben. Zudem gibt es
Sperrzeiten von mindestens drei Stunden. Im Hinblick auf das Automatenspiel soll die sogenannte
Spielverordnung (SpielV) überarbeitet werden. Seit
Dezember 2011 liegt der Entwurf der „6. Verordnung
zur Änderung der Spielverordnung“ vor und befindet
sich derzeit in der Abstimmung.
RA Tobias Sommer, Berlin
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Thema
„Ich vertrete Junkies!“
Für drogenabhängige Mandanten braucht man Engagement und ein dickes Fell
Wenn über Drogensucht diskutiert wird, dann
schießen einem unweigerlich die mahnenden
Worte mancher Erziehungsberechtigter oder
Lehrer in den Kopf, die einem mit erhobenem
Zeigerfinger bedeuteten, es mit Drogen gar nicht
erst zu versuchen. Die einen ließen sich nachhaltig beeindrucken und empfanden es als ausreichende Richtschnur, tatsächlich die Hände
davon zu lassen. Ein anderer Teil wurde mit derlei pädagogischen Warnungen erst recht angespitzt, sogenannte Rauschmittel auszuprobieren,
getreu dem Motto „Je voller, desto doller“.
Von den farbenfrohen Verheißungen der Sinneserweiterung und nicht enden wollender Kreativität
träumend, glitten einige dann tief hinab in die
schlimme Abhängigkeit, die am Ende weder die
große Entspannung, noch die ersehnte Schaffenskraft brachte. Stattdessen offenbarte sich für die
kleine Gruppe der Schwerstabhängigen von Heroin
oder Crack das Grauen auf Erden: Ein Leben aus
Beschaffungskriminalität, Flucht vor der eigenen
Lebensrealität und die immer wiederkehrenden
Schmerzen, wenn der Suchtstoff aufgebraucht ist
und nicht mehr im Körper wirken kann.
Die Kölner Anwältin Eva Kuhn hat gelernt, persönliche Grenzen zu ziehen.
Foto: Patrick Ruppert
Für die Kölner Rechtsanwältin Eva Kuhn ist das Alltag. Die 37-jährige Juristin ist durch und durch Strafverteidigerin. Man mag es ihr vielleicht nicht ansehen,
dass sie sich mit den menschlichen Abgründen tagtäglich auseinandersetzen muss: klein gewachsen,
adrett gekleidet und sehr freundlicher Blick. Das alles
täuscht über ihr Talent hinweg, sich im Gefängnis
und im Gerichtssaal für ihre BtMG-Mandanten konsequent einzusetzen. Ein dickes Fell besitzt Kuhn längst,
und betont, wie wichtig das ist. Junkies neigten dazu,
sehr viel, vor allen Dingen Privates vorzutragen. Da
seien Filtern und notwendige Distanz das A und O.
Im Gespräch mit AdVoice beschreibt sie, was das Besondere an der Strafverteidigung im Bereich BtM ist.
A: Was ist anders, wenn man Mandanten vertritt,
die drogensüchtig sind?
K: Es ist sicher ein anderes Klientel. Wenn man die
sogenannten Junkies nimmt, Schwerstabhängige,
dann ist das ein ganz anderes Mandatsverhältnis,
weil man sehr viel mit sozialen Einrichtungen zu tun
hat und nicht selten mit dem ganzen Umfeld des
Mandanten, oftmals mit seiner Familie. Und soziale
Einrichtungen sind etwa die Drogenhilfe oder Substitutionsstellen. Es ist ein ganzer Verbund von Menschen, mit denen man spricht und die man in die
Verfahren mit einbezieht, um ein gutes Ergebnis zu
erzielen.
A: Ist es erforderlich, gegenüber BtM-Mandanten
besondere Vorkehrungen zu treffen, wie beispielsweise die Handkasse vor Diebstahl zu sichern?
K: Das ist aus meiner Erfahrung ein Klischee. Wir
hatten das Thema neulich, weil bei uns im Treppenhaus ein Junkie saß, der sich einen Schuss setzte. Ich
persönlich habe noch nie schlechte Erfahrungen mit
drogensüchtigen Mandanten gemacht. Die sind noch
nie aggressiv oder sonst wie auffällig geworden.
Diebstähle innerhalb der Kanzlei sind auch noch
nicht vorgekommen. Natürlich zeigen die manchmal
ein etwas absonderliches Verhalten, weil die häufig
nicht nüchtern sind. Aber derlei Vorfälle sind noch
nicht passiert.
A: Muss man eine besondere Affinität zu BtM
entwickeln, um solche Mandate gut betreuen zu
können? Wie kann man ein gutes Mandatsverhältnis aufbauen?
K: Wenn man ein gutes Verhältnis zu Mandanten
aufbauen will, das gilt ganz gleich, welcher Mandant,
dann muss – platt gesprochen – die Chemie stimmen
und ein Vertrauensverhältnis wachsen. Man muss ein
gewisses Einfühlungsvermögen haben. Und wenn
ich mir sage, mit solchen Leuten will ich nichts zu
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Thema
tun haben, dann kann ich mit denen auch nicht
arbeiten. Technisch kann ich zwar ein vernünftiges
Ergebnis erzielen. Aber letztlich kann ich das dann
nicht machen. Das gilt auch für andere Randgruppen.
A: Wie kommt man rein in die BtM-Szene?
K: Es läuft über Empfehlungen, Pflichtverteidigungen und über die sozialen Einrichtungen. Gerade
diese Mandanten sind erfahrungsgemäß sehr treue
Mandanten, die man über Jahre hat. Das mag auch
daran liegen, dass es besondere Verfahren sind, viele
nach § 35 BtMG, Therapie statt Strafe.
A: Führt das nicht auch zwangsläufig zu einer
politischen Positionierung, wenn man mit dem
BtMG zu tun hat?
K: Nein, das nicht. Man muss natürlich im Blick haben, wie beispielsweise in den einzelnen Bundesländern die „geringe Menge“ in Bezug auf Drogenbesitz
definiert wird. Somit musst du auch die dazugehörige Rechtsprechung kennen.
A: Ist es nicht frustrierend, wenn die BtM-Mandanten immer wieder wegen ähnlicher Delikte erscheinen und man möglicherweise so erkennen
muss, dass sich nichts zum Positiven wendet?
K: Die Junkies kommen oftmals wegen des Besitzes
kleinster Mengen Drogen oder wegen typischer Delikte aus der Beschaffungskriminalität zu mir, etwa
wegen des Vorwurfs des Diebstahls, der Hehlerei oder
weil sie schwarzgefahren sind. Das sind klassische
Begleiterscheinungen, Begleitdelikte der Drogensucht. Das wird jeder bestätigen können, der mit
einer solchen Klientel zu tun hat. Da geht es nicht
immer um Handel mit größeren Mengen. Frustrieren
tut mich das nicht.
A: Gibt es überhaupt Erfolgsbotschaften im Umgang mit Junkies?
K: Ja, die gibt es. Zum Beispiel kann ich sagen – und
das können nicht alle Kolleginnen und Kollegen
behaupten – dass bisher keiner meiner BtM-Mandanten am Drogenkonsum gestorben ist. Von einer
Mandantin etwa, deren Vertretung ich nahezu am
Anfang meiner anwaltlichen Karriere übernahm,
erfuhr ich neulich, dass sie mit Methadon substituiert, also für ihre Verhältnisse clean lebt, und nun
Mutter wird. Sie ist aus der Szene raus, benötigt keinen Beikonsum mehr und ist nicht wieder straffällig
geworden. Ihren kleinen Bruder habe ich auch als
Mandanten. Und der ist inzwischen in Therapie.
A: Die Bearbeitung von BtM-Sachen führt also
auch zu einem besonderen Einblick in psychosoziale Hintergründe der Mandanten?
K: Ja, das ist eine Besonderheit. Wenn man zum
Beispiel Wirtschaftsstraftaten hat oder andere Delikte außerhalb des BtMG, bekommt man zwar auch
Einblick in die Verhältnisse und die Psyche seiner
Mandanten. Man kann sich ja immer damit auseinandersetzen und muss das sogar spätestens im
Plädoyer tun. Aber bei BtM-Mandanten, die nicht
nur Täter, sondern auch krank sind, erhält man weit
mehr Einblick. Wie ich eingangs sagte, lernt man
rasch deren ganzes Umfeld kennen, sei es die Familie, das soziale Umfeld, die Drogenhilfe oder die
Substitution. Die haben nicht selten einen Rattenschwanz an Betreuung hinter sich. Und damit kommt
man zwangsläufig in Kontakt. Das ist auch ein Stressfaktor. Wenn man berücksichtigt, was meine Mandanten teilweise für Auflagen haben und mit wem
die alles zusammenarbeiten müssen, wäre es auch
für Nichtabhängige ein gewaltiges Problem.
A: So sind beinah therapeutische Fähigkeiten Teil
des Geschäfts?
K: Ja, ein Stückweit gehört das dazu. Man muss sich
schon einiges anhören.
A: Muss man zum Selbstschutz eine besondere
Grenze ziehen?
K: Ich denke, dass man dann immer eine besondere
Grenze ziehen muss, wenn es zu sehr in die Richtung
geht, dass man nicht nur Anwalt sondern auch
Therapeut wird. Das ist dann eher ein Ausnutzen des
Anwalts. Das ist allerdings nicht unsere Aufgabe.
Einfühlungsvermögen, Empathie gehören sicherlich
dazu, ebenso das notwendige Engagement. Alles
andere ist jedoch Missbrauch der Person als Berater.
Hierin liegt gewiss eine Gefahr. Grenzen zu ziehen,
kann man aber lernen.
A: Wie können jungen Kolleginnen und Kolle gen das lernen?
K: Durch die Praxis. Besonders am Anfang der Anwaltskarriere hat man für alles ein offenes Ohr und
grenzt nicht so stark ab. So kann es schnell passieren, dass einen die ganze Familie anruft und jeder
eine Stunde etwas erzählt. Über die Zeit lernt man zu
filtern, was wichtig ist und was nicht.
A: Was müsste sich im Bereich BtM-Recht, insbesondere in der Praxis aus Sicht der Strafverteidigerin verändern?
K: Es müsste ganz eindeutig mehr Therapieplätze
geben. Das kann man zwar fordern, aber das ist eine
sozialpolitische Aufgabe und keine Sache der Strafverteidigung. Ansonsten könnte man kritisieren, dass
der Umgang mit Drogenkriminalität von Bundesland
zu Bundesland verschieden ist. Es wäre gerechter,
wenn es einheitlicher wäre.
Das Interview führte
RA Patrick Ruppert, Köln
> Info
Rechtsanwältin Eva Kuhn aus Köln vertritt
erfolgreich Mandanten, die mit dem BtMG
in Konflikt stehen. Im Interview mit AdVoice
gewährt sie Einblicke in ihre Arbeit.
Zur Person
Eva Kuhn studierte Jura an der JohannWolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt.
Sie praktiziert seit 2006 in Köln als selbstständige Rechtsanwältin mit den Kernfeldern Strafrecht, Opferschutzrecht und Arbeitsrecht. Sie arbeitet daneben als Dozentin.
Kuhn ist zudem Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der ARGE Anwältinnen im Deutschen Anwaltsverein.
§ 35 BtMG
In der deutschen Gesellschaft hat sich über
die Jahrzehnte ein Wandel im Umgang mit
Schwerstabhängigen vollzogen. Zunehmend
werden „Junkies“ nämlich mehr als Kranke
denn als Kriminelle betrachtet. Demnach sah
sich auch der Gesetzgeber in der Pflicht, dem
geänderten Bild in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Nach § 35 BtMG steht der
Gedanke des Heilungsversuchs im Vordergrund, wenn der Verurteilte eine Straftat im
Zusammenhang mit Betäubungsmittel begangen hat. Die Vollstreckung einer Haftstrafe kann nämlich zugunsten einer Drogentherapie zurückgestellt werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Freiheitsstrafe nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Auch
kann die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, wenn etwa der Verurteilte die Therapie nicht aufnimmt oder abbricht.
Drogenterminologie
Als Rechtsanwältin, Rechtsanwalt in der
Drogenszene zu arbeiten, bedeutet gleichzeitig, die Gewohnheiten seiner Mandanten,
aber auch deren Jargon zu kennen. Wer bisher keinen näheren Kontakt zum BtM-Strafrecht hatte, wird sich mitunter ohne Unterstützung schwer tun. Dankenswerterweise
verschaffen einem wenigstens zur Terminologie die Informationsquellen im Internet
einen guten Überblick, so unter http://de.wikipedia.org/wiki/Drogen-Glossar. Sinnvolle
Informationen rund um die Thematik Drogensucht werden mit weiteren Verweisen auf
der Internetseite des Bundesamtes für gesundheitliche Aufklärung bereitgehalten:
http://www.bzga.de.
pat
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Magazin
Ich führe – du folgst
Der Anwalt als natürliche Führungskraft?
Lässt man das Stichwort „Anwalt als Führungskraft“ durch die Suchmaschinen laufen, findet
man Seminare, bei denen es um „Arbeitsrecht für
Führungskräfte“ geht. Sie werden von Rechtsanwälten veranstaltet. Gut. Was aber, wenn der
Rechtsanwalt – oder die Rechtsanwältin – sich
selbst als Führungskraft aus- und fortbilden
möchte? Hier stoßen wir erst nach längerem
Suchen auf den Hinweis eines längst vergangenen Workshops einer Anwaltskammer. Die
Führung von Mitarbeitern steht weder im Studium noch während der Referendarausbildung
auf dem Lehrplan. Ist die „Führung“ für Anwälte kein Thema?
Doch, Führung ist ein Thema. Manchmal sogar ein
großes. Wenn die Abstimmung mit den ReNos
nicht klappt, wenn die Kollegen den Eindruck haben, nur noch nebeneinanderher zu arbeiten, wenn
unangenehme Entscheidungen nicht deutlich kommuniziert werden oder unklar ist, wer nun wann
welche Aufgabe übernimmt – dann läuft mit der
Führung etwas nicht rund.
Führungsfragen im juristischen Arbeitsumfeld unterscheiden sich letztlich nicht von denen in anderen Unternehmen. Allerdings ergeben sich aus den
speziellen Arbeitsfeldern durchaus Schwerpunkte.
In den Kanzleien spielt der Gründer/Inhaber der
Kanzlei eine sehr zentrale Rolle. Darüber hinaus bilden Sozien, angestellte Rechtsanwälte und Mitarbeiter hier meist zusätzliche „Systeme“, sprich
Arbeitswelten, die zwar eng miteinander verflochten sind, aber doch unterschiedliche Interessen haben. Rechtsabteilungen in Unternehmen wiederum
haben meist eine nahe Anbindung an Geschäftsleitung und Vorstand, müssen sich aber als „Dienstleister“ für die operativen Bereiche verstehen.
Ein sehr wichtiger Schritt ist es, dass sich die Führungskraft ihrer Rolle bewusst ist und diese Rolle
annimmt. Das klingt schlicht, ist aber gerade für
Berufseinsteiger oder für „Einzelkämpfer“, die lange
alleine gearbeitet haben, eine Herausforderung.
Man darf nicht nur sagen, was man erwartet, man
muss es sogar. Rollen- und Aufgabenklarheit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter(in) sind wesentlich. Wenn die Aufgaben nicht klar sind, kommt
es zwangsläufig zu Fehlern. Entweder werden Arbeiten doppelt gemacht oder wichtige Dinge gar
nicht. Wer möchte, dass die ReNo die aktuellen Akten nach Priorität sortiert auf den Schreibtisch und
nicht nur auf den Aktenwagen legt, muss das sagen
und im Übrigen auch deutlich machen, welche Pri-
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ADVOICE 02/12
orität gemeint ist (Frist, Mandant, Projekt, sonstige
Dringlichkeiten etc.). Wenn die Rechtsabteilung
eines Unternehmens für Vorstandsanfragen täglich
bis 18 Uhr erreichbar sein soll, müssen die Anwesenheitszeiten entsprechend organisiert werden, auch
wenn das dem Einzelnen zeitlich mal nicht passt.
Respekt für Mitarbeiter
Bei aller Rollenklarheit als Chef darf der Grundrespekt für die Mitarbeiter aber nicht verlorengehen.
Wertschätzung für die Arbeit und auch für den
Menschen sind sehr wesentliche Motivatoren und
oft wichtiger als ein finanzieller Anreiz.
Gute Führung zeigt sich zumeist in schwierigen Situationen. „In unserem Sekretariat wurde eine Mitarbeiterin gemobbt“, erzählt ein Anwalt aus einer
mittelgroßen Kanzlei. „Zuerst war ich geschockt, weil
ich das den Beteiligten nicht zugetraut habe und mit
allen gut zusammenarbeite. Dann wusste ich nicht,
wie ich das ansprechen sollte und habe nächtelang
nicht geschlafen. Schließlich hab ich dann sowohl
Einzelgespräche als auch eine Teamsitzung gemacht.
Ich habe meinen Standpunkt deutlich gemacht, aber
auch versucht herauszufinden, was zu der Situation
geführt hat. Das war sehr wichtig. Die Zusammenarbeit ist jetzt deutlich besser, aber am Anfang war
das echt eine Überwindung.“
Idealerweise wächst man in eine Führungsrolle hinein und hat auch ein Vorbild oder einen Mentor,
der einem bei Fragen zur Seite steht. Immer mehr
Führungskräfte – darunter auch aus der Anwaltschaft – nutzen das Coaching als Möglichkeit, um
eigenes Verhalten zu reflektieren und Lösungen in
schwierigen Führungsprozessen zu finden.
Wie relevant über die eingangs erwähnten Beispiele
Führungsaus- und -fortbildung für uns Rechtsanwälte ist, soll die Beantwortung der folgenden Fragen
verdeutlichen.
1. Wie sind Führungsaufgaben und inhaltliche
Tätigkeit üblicherweise verteilt?
Führungskraft sein, ist durchaus eine eigenständige Tätigkeit. Je nach Größe der Organisation und
dem persönlichen „Rang“ innerhalb der Hierarchie
entfallen 30 bis 50 Prozent der Arbeitszeit auf Führungsaufgaben. In besonderen Situationen ist der
Anteil sogar noch höher.
2. Kann man Führen lernen?
Manche Menschen fühlen sich von Anfang an in
der Führungsrolle wohl und haben eine natürliche
Autorität. Sie müssen nicht darüber nachdenken,
wie sie Mitarbeiter motivieren oder in schwierigen
Phasen mit ihnen angemessen umgehen. Anderen
Menschen fällt Führen vom Naturell her eher schwer.
Frühere Führungstheorien gingen vom „Great Man“
aus und unterstellten, dass Führen eine angeborene Eigenschaft ist, die man entweder hat oder
eben nicht. Heute überwiegt jedoch das Verständnis, dass jeder gute Führungsverhaltensweisen erlernen kann. Wichtig ist zum einen ein Abgleich
zwischen Selbstbild und Fremdbild (wie sehe ich
mich, wie wirke ich auf andere). Dann kommt es
auf Kommunikationstechniken an, die es ermöglichen, in richtiger Weise zu kritisieren, aber auch
Lob und Wertschätzung auszudrücken. Relevant ist
das Grundwissen, auf unterschiedliche Charaktere
mit unterschiedlichen Führungsstilen einzugehen.
Hierbei gibt es keinen einheitlichen Führungsstil
für alle. Führung muss immer der Situation und
den Personen angepasst werden. Das gilt sowohl
für die Führungskraft als auch die Mitarbeiter. Die
Kunst ist es, als Führungskraft möglichst viele
Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, die zu
einem selbst passen.
Es gibt zahlreiche Lehrgänge, die angehenden, aber
auch erfahrenen Führungskräften hilfreiches Werkzeug vermitteln. Dabei ist weniger theoretisches
Wissen gefragt. Vielmehr wird anhand von Rollenspielen, Kommunikationstrainings und manchmal
auch mit der Kamera ganz praktisch geübt. Der
Besuch solcher Praxisseminare ist sehr empfehlenswert.
3. Warum wird Führung nicht während der
Juristenausbildung vermittelt?
Vermutlich liegt das an der traditionellen Ausrichtung der Juristenausbildung auf das Richteramt. Richter arbeiten sehr eigenständig. Sie müssen
zwar meist auf kollegialer Ebene zusammenwirken.
Sie müssen aber weniger Organisationen führen.
Bei Anwälten vertraut(e) man wohl einfach darauf,
dass sich das Führenkönnen in der Praxis „schon
irgendwie einstellt“.
Allerdings ist es auch nur begrenzt sinnvoll, Führung ohne praktischen Bezug zu vermitteln. Führen
ist sehr interaktiv, und daher braucht es konkrete
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Magazin
Situationen, Fragestellungen und Erfahrungen. Nur
dann kann eine (angehende) Führungskraft auch
wirklich etwas lernen.
4. Gibt es Beispiele für typische Führungsfehler?
Viele – hier eine kleine Auswahl:
„Ich bin neu und mach jetzt alles anders!“
Doppelbotschaften – „Arbeite eigenständig, hab
eigene Ideen. Aber wenn sie anders sind als meine,
sind sie nicht richtig.“
Unklare Aussagen über Erwartungen
Kritik in der Sache wird in einer Weise geäußert,
durch die sich die Person angegriffen fühlt. Die
Sache selbst tritt in den Hintergrund, die persönliche Verletzung überwiegt. Das führt oft dazu,
dass sich der Fehler wiederholt.
Kritik wird aus Unsicherheit nicht geäußert. Die
Situation wiederholt sich. Es staut sich Ärger auf,
bis es irgendwann mal „kracht“.
Schlechtes Selbstmanagement, das andere auffangen müssen
5. Was bringt ein gutes Coaching in Hinblick auf
Führung?
Coaching steigert die Selbstwirksamkeit, d. h. der
„Coachee“ (der gecoacht wird) ist in der Lage, eine
zu ihm passende Lösung für eine Situation zu finden. Er führt nicht etwas aus, was ihm jemand anderes empfohlen hat („Also ich an Deiner Stelle
würde jetzt mal richtig auf den Tisch hauen!“) und
wirkt dabei ggf. ziemlich seltsam, sondern er macht
es auf seine Weise und ist damit überzeugend.
Oben ist die Luft meist dünn. Das muss man aushalten können.
Foto: brandtmarke_pixelio.de
holt, um die lautstarken Zurechtweisungen so gering wie möglich zu halten. Der Senior bemüht sich
daraufhin, auch mal einen anderen Weg als seinen
gelten zu lassen und in Kauf zu nehmen, dass etwas mal länger dauert – und siehe da: Der Junior
bekommt es hin und die Arbeitslast sinkt.
Die Führungsforschung bestätigt heutzutage, dass
die besten Ergebnisse erzielt werden, wenn die Mitarbeiter in (angemessener Weise) in Entscheidungen
eingebunden sind und ihnen die Hintergründe für
Entscheidungen und Entwicklungen bekannt sind.
Der Coach unterstützt diesen Erkenntnisprozess
durch Fragen, Hypothesen und auch Methoden, die
es dem Coachee ermöglichen, die Situation von
oben zu betrachten oder gar neu zu sortieren.
8. Kann man durch Coaching lernen, Hierarchien zu akzeptieren?
6. Ist es überhaupt möglich, Fehler in Führungsprozessen durch Coaching aufzuzeigen?
7. Führt man jeden Menschen auf die gleiche
Art und Weise?
Im Coaching kann einer Person auf sanfte Weise
der Spiegel vorgehalten werden. Meist kommt der
Coachee auch selbst darauf. Er erkennt, wie das
eigene Verhalten zur Situation beigetragen hat. Als
Beispiel: Ein erfahrener Anwalt ärgert sich sehr darüber, dass sich sein junger Kollege jeden Arbeitsschritt absegnen lässt. Er hält ihn für unselbständig
- und mittlerweile auch für fachlich weniger stark.
Wenn etwas mal nicht so läuft, wie er sich das
vorstellt, wird er manchmal auch laut. Weil ihn
diese vielen Zwischenschritte nerven, macht er die
Arbeit am Schluss doch selbst, klagt aber über zu nehmende Überlastung. Im Coaching versetzt er
sich in die Situation des jungen Kollegen und erkennt,
dass sich dieser die vielen Rückversicherungen ab-
Ganz klar: nein. Menschen sind unterschiedlich. Das
gilt für die Führungskraft, aber auch für die Mitarbeiter. Ein junger, unerfahrener Mitarbeiter muss
anfänglich stärker geführt und auch kontrolliert
werden als ein erfahrener. Manche Menschen brau chen viel Raum für Selbständigkeit und „laufen von
alleine“. Würde die Führungskraft ihnen täglich
genau sagen, was sie tun sollen, würden sie sich
eingeengt fühlen. Andere hingegen brauchen einen
klaren Rahmen, weil alles andere ihnen zu unsicher
wirkt. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Die
Aufgabe der Führungskraft ist es, vor dem Hintergrund des grundsätzlichen Ziels der Organisation
(Kanzlei/Firma/Insititution) diese vielen Eigenschaften so zu strukturieren, dass es funktioniert.
Hierarchien gibt es in jeder Organisation – manchmal
sogar mehrere innerhalb einer. Beispiel: In einer Kanzlei besteht unter den Berufsträgern eine Hierarchie
vom Gründer über die Partner zu den angestellten
Anwälten. Es gibt aber auch bei den Mitarbeitern eine
Hierarchie, nämlich von der Büroleiterin über die
Rechtsanwalts- und Notargehilfen bis zu den reinen
Schreibkräften und den Azubis. Zusammenstöße mit
Hierarchien – und mögen sie noch so flach sein –
kann es immer geben. Manchmal geschehen sie, weil
man sie nicht kennt und daher irrtümlich jemanden
übergeht, der eigentlich hätte gefragt werden „müssen“. Im Coaching kann man über die Hierarchie reflektieren und auch ergründen, weshalb einen selbst
unter Umständen eine bestimmte Konstellation so
stört. Es ist möglich, seinen Frieden damit zu machen,
oder sich klar darüber zu werden, dass man unter
solchen Rangordnungen nicht weiter arbeiten möchte.
Es gilt der Grundsatz: „love it – change it – or leave it“.
RAin Esther-Maria Roos, Köln
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Vom Geheimtipp zum Großstadt-Trend
Lohnt sich ein Groupon-Angebot für den Anwalt?
im November 2011 an die Börse – die Aktie erfuhr
nach einem guten Start einen regelrechten Erdrutsch
und liegt mittlerweile etwa beim Ausgabewert) stellt
sich die Frage, ob man als seriöser Dienstleister die
Rabatt-Plattform überhaupt nutzen sollte.
Das System bietet einige Vorteile: Man bringt sich
ins Gespräch und profitiert unter Umständen vom
modernen und frischen Image der Plattform. Ob sich
dies allerdings wirtschaftlich auszahlt, ist – vorsichtig ausgedrückt – zweifelhaft. Groupon betreibt seinen Aufwand natürlich nicht allein aus Nächstenliebe. Etwa die Hälfte des Verkaufserlöses bleibt beim
Chicagoer Rabatt-Unternehmen. Der Anbieter eines
Angebots erhält zudem meist nur für tatsächlich
eingelöste Gutscheine Geld. Klarer wird das Prinzip
anhand der Rechnung eines realen Beispiels: Ein
Rechtsanwalt hatte 100 Coupons für eine Erstberatung zu 19 Euro angeboten. Schnell fanden sich
die nötigen 100 Käufer, doch lediglich 20 Personen
kamen tatsächlich zur Beratung. Der Anwalt bekam
also nur für diese 20 eingelösten Gutscheine Geld
von Groupon ausgezahlt – und zwar die genannten
50 Prozent. Den vollen Betrag für die 80 nicht eingelösten Scheine behielt das Unternehmen für sich.
Die Rechnung wirkt ernüchternd: insgesamt 190
Euro für den Rechtsanwalt (abzüglich Umsatzsteuer
ergibt das 153,90 Euro netto für 20 Erstberatungen),
hingegen – ausgehend von dem Durchschnittswert
der Groupon-Provisionen in Höhe von etwa 50 Prozent – 1.710 Euro brutto für Groupon.
Groupon-Rabatte sind berufsrechtlich nicht unbedenklich.
Bei Rabattangeboten sind Enttäuschungen vorprogrammiert. An einem realen Münchner Beispiel zeigt unser Autor, ob es sich lohnt, über das
Rabattsystem Groupon zu werben. Groupon steht
für Gutscheine, Rabatt-Coupons und Gruppeneinkäufe im Internet.
Das amerikanische Unternehmen revolutionierte vor
drei Jahren die digitale Schnäppchenjagd und hat
sich inzwischen vom Geheimtipp zum populären
Großstadt-Trend gemausert. Die Idee dahinter ist
auf den ersten Blick ebenso einfach wie reizvoll: Firmen und Dienstleister können über die InternetSeite von Groupon Gutscheine anbieten und machen
somit auf sich aufmerksam. Eine professionelle
Zahnreinigung mit Bleaching für 100 statt für 300
Euro. Ein Wellnesswochenende im Bayerischen Wald
zu 50 Prozent Rabatt oder eine anwaltliche Erstbe-
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Foto: Gabi Schoenemann_pixelio.de
ratung für sagenhafte 19 Euro. Der „Deal“ kommt nur
dann zustande, wenn eine vorher festgesetzte Käuferzahl erreicht wurde. Das System zahlt sich scheinbar für beide Seiten, Anbieter und Kunden, aus. Der
User bekommt sein Schnäppchen, der Anbieter erreicht neue Kunden, die ihm – so die Hoffnung –
später auch ohne Rabattangebote erhalten bleiben.
Nach anfänglicher Begeisterung häufen sich in letzter Zeit kritische Reaktionen von enttäuschten Nutzern. Käufer erhielten nicht das Angebot, das sie sich
eigentlich erhofften, weil die Produktbeschreibung
zweideutig formuliert war. Hinzu kommen „Rattenfänger“, die immer wieder versuchen, wertlosen
Ramsch zu verhökern. Viele Groupon-User sind deswegen bei angeblichen „Mega-Angeboten“ reflexhaft misstrauisch. Angesichts der allgemeinen Ernüchterung und der Börsenverluste (Groupon ging
Zudem erhielt der Rechtsanwalt aus unserem Beispiel durch die 20 Erstberatungen nur ein einziges
Mandat, wohingegen die meisten der 20 Schnäppchenjäger auf die im Angebot genannte volle Stunde
Erstberatung bestanden – auch wenn die ursprüngliche Rechtsfrage schnell geklärt werden konnte.
Sicherlich gibt es auch positive Beispiele für gelungene Rabatt-Aktionen, und unseren Fall könnte man
demnach als Worst-Case-Szenario ansehen. Dennoch bleibt: Wer über eine mögliche Groupon-Aktion nachdenkt, sollte wissen, welche Chancen und
Grenzen diese beinhaltet. Hinzu kommt, dass derartige Rabatte berufsrechtlich nicht ganz unproblematisch sind, stellen sie doch ein Angebot weit unter
Selbstkosten dar. Auch sollte man sich vorher gut
überlegen, wie man neu entstandene Kontakte ausbauen kann und somit potentielle Mandanten gewinnt – denn nur dann kann eine Rabatt-Aktion ein
erfolgreiches Marketinginstrument sein.
RA Velimir Milenkovic, München
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Magazin
Alles was Recht ist
In Peking lernen chinesische Studenten deutsches Recht ohne Wenn und Aber
Ein Blick ins Gesetz fördert die Rechtsfindung.
Wann immer diese juristische Platitüde geäußert
wird, missfällt sie durch ihren spöttischen Unterton. Natürlich ist der Ausgangspunkt jeder
Falllösung das geschriebene Recht. Das Gesetz
rammt die Eckpfeiler in den Boden, an denen kein
Rechtsanwender vorbeikommt. Das ist doch klar!
Gewiss. Und dennoch drückt der Satz bei Weitem
keine Selbstverständlichkeit aus. Das zeigt der Blick
in fremde Rechtsordnungen. Geschriebenes Recht
und Rechtswirklichkeit fallen hier manchmal weit
auseinander. Selbst wenn das ausländische Recht
nahezu identisch formuliert ist, wird es doch nach
anderen Regeln angewandt und nach eigenen Maßstäben interpretiert. Gesellschaftliche, politische und
kulturelle Rahmenbedingungen fließen in die Auslegung ein. Das eigene juristische Handwerkszeug
kann sich da schnell als untauglich erweisen.
Zum Beispiel China: Hier muss ein Richter neben dem
Gesetz zahlreiche weitere Parameter beachten, wenn
er eine Entscheidung fällen will. Dazu zählen in offizieller Hinsicht die Gesetzesauslegungen durch den
Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses sowie die Auslegungen und Leitentscheidungen
des Obersten Volksgerichts. Außerdem ist der Richter
aber auch informellen Einflussnahmen durch Akteure
der Politik und der Regierung ausgesetzt. So schalten
sich die Kommunistische Partei, die Volksstaatsanwaltschaft, der Volkskongress sowie sonstige Regierungsorgane und Sicherheitsbehörden in den Prozess der Entscheidungsfindung ein.
Dagegen bietet auch die chinesische Verfassung
keinen Schutz. Zwar nennt sie eine Reihe von
Grundrechten, die wir dem Namen nach aus dem
Grundgesetz kennen. Hierzu zählen laut Artikel 35
unter anderem die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Versammlungs- und die Demonstrationsfreiheit. Artikel 41 gestattet es jedem chinesischen Staatsbürger, Rechtsverletzungen durch
staatliche Organe anzuzeigen, sich zu beschweren
und Kritik zu üben.
Grundrechte ohne Praxis
Die Gerichte dürfen aber nicht unmittelbar auf die
Verfassung zurückgreifen. Vielmehr hat der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses die
ausschließliche Befugnis, die Verfassung auszulegen und ihre Durchführung zu überwachen. Ein
Verfassungsgericht gibt es nicht. Die Grundrechte
spielen daher im Rechtsalltag so gut wie keine Rolle.
Schließlich vermögen auch groß angelegte Gesetzesnovellen eine vermeintlich bewährte Praxis nur
langsam umzukrempeln. Nach den im vergangenen
März beschlossenen, umfangreichen Ergänzungen
der Strafprozessordnung soll zwar der Schutz der
Menschenrechte ausdrücklich im Gesetz verankert
werden. Jeglicher Zwang zur Selbstbelastung sowie
Folter sollen unzulässig sein und der in Gewahrsam
genommene Beschuldigte soll das Recht erhalten,
einen Verteidiger sowie seine Familie zu kontaktieren. Bis diese Reformen aber in den Polizeipräsidien
der einzelnen Provinzen angekommen sind, wird noch
eine Menge Wasser den Yangtse hinunterfließen.
Der Rechtsstaatsdialog
Das zarte Pflänzchen der Modernisierung ist es jedoch wert, gehegt und gepflegt zu werden. Um
hierzu einen Beitrag zu leisten, engagiert sich seit
Jahren insbesondere die Bundesrepublik Deutschland. Dies hat seinen Grund unter anderem darin,
dass weite Teile des chinesischen Rechts von der
deutschen Rechtstradition beeinflusst sind. Der sogenannte Rechtsstaatsdialog ist die wohl bekannteste Plattform im Rahmen der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit. Dass aber auch chinesische Studenten deutsches Recht studieren können,
dürfte nur wenigen geläufig sein und ist auch in
China die Ausnahme. An den Universitäten beruht
der Lehrplan auf den Prinzipien des sozialistischen
Rechtsstaats. Zwar orientieren sich die Vorlesungen
zum Wirtschaftsrecht vermehrt pragmatisch an
den neuen ökonomischen Verhältnissen. Die Prüfungen im Fach Marxismus sind aber weiterhin fester
Bestandteil der Ausbildung.
Institutsalltag in China
Morgens um halb neun geht der Unterricht am
Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften in Peking los. Im Sommersemester steht
mittwochs Zivilrecht und freitags Verwaltungs-
Im Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften werden die Studenten auf einen Auslandsaufenthalt in Deutschland vorbereitet.
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Fotos: Lasse Schuldt
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Magazin
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recht im Vorlesungsverzeichnis. Die Stunde beginnt
mit der Wiederholung des Stoffs der letzten Woche.
Dann wird ein neuer Fall vorgelesen und gemeinsam die Lösung erarbeitet. Man fühlt sich, als sitze
man gerade in einer Arbeitsgemeinschaft einer
deutschen Universität: „fraglich ist“, „die Voraussetzungen sind“, „dafür gibt der Sachverhalt keine
Anhaltspunkte“ – die chinesischen Studenten beherrschen bereits das wichtigste Vokabular, um das
Auslandsjahr in Deutschland zu überleben.
Dieses ist der Höhepunkt des dreijährigen Masterstudiums an der China-Universität für Politikwissenschaft und Recht. In den ersten beiden Semestern findet ein intensiver Sprachunterricht statt.
Parallel lernen die Studenten die Grundlagen des
deutschen Rechts – bis dahin noch auf chinesisch.
Im dritten und vierten Semester beginnen dann die
deutschsprachigen Vorlesungen und Seminare. Erst
nach Bestehen eines strengen Sprachtests geht es
schließlich nach Frankfurt, Freiburg, Hamburg, Köln
oder München. Dies sind die fünf Kooperationsuniversitäten des Instituts.
Traumstadt München
Viele Studenten würden gerne nach München gehen.
„Die Stadt stelle ich mir schön vor und die Uni hat
einen guten Ruf. Ich könnte mir ein Spiel von Bayern München anschauen. Leider ist es auch sehr
teuer“, sagt einer von ihnen. Auch Freiburg und
Köln sind beliebt. In jedem Fall freuen sich alle auf
die gute Luft in den deutschen „Kleinstädten“. Sie
wollen die Zeit nicht nur zum Studieren nutzen,
sondern auch das deutsche Studentenleben kennenlernen. In Peking ist das Leben auf dem Uni-Campus
reglementiert. Männer und Frauen wohnen getrennt.
Es gibt eine Sperrstunde, zu der die Studenten zurück im Wohnheim sein müssen.
Crashkurse
Die Lehrveranstaltungen in Peking werden von
deutschen Professoren, Dozenten und Gastdozenten sowie von ihren chinesischen Kollegen mit zum
Teil jahrelanger Deutschlanderfahrung gehalten.
Sie lehren deutsches Recht ohne Wenn und Aber:
Menschenwürde, Gewaltenteilung und Rechtsstaatsprinzip stehen genauso auf dem Lehrplan
wie der dreigliedrige Aufbau einer Straftat oder das
Widerrufsrecht im Verbraucherschutz. Wegen der
Kürze des einjährigen Fachunterrichts haben manche Veranstaltungen zwar beinahe den Charakter
eines Crashkurses. Dennoch wird Wert darauf ge legt, den Studenten sowohl die Grundlagen als
auch die Falllösung zu vermitteln. So bilden die
Grundrechte als Abwehr-, Leistungs- und Schutz rechte den Rahmen für einen baurechtlichen Abrissfall, in dem der Betroffene nicht ordnungsgemäß
angehört wurde. Im Strafprozessrecht setzen sich
die Studenten mit der sogenannten Hörfalle vor
dem Hintergrund der Selbstbelastungsfreiheit auseinander.
Sie lernen dabei die Maßstäbe kennen, nach denen
in Deutschland Verfassung und Gesetze ausgelegt
und angewendet werden: Das Ermessen der Verwaltung wird durch die Verhältnismäßigkeit begrenzt. Dabei sind insbesondere die Grundrechte
zu beachten. Welche Ermessensfehler es gibt und
wie man die Verhältnismäßigkeit prüft, das beherrschen die meisten Studenten schon im Schlaf. Wie
aber ist mit folgendem Fall umzugehen: Eine Landesbauordnung bestimmt, dass die zuständige Behörde eine Baugenehmigung erteilen kann, wenn
dem keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen stehen. Warum hat die Behörde hier noch
ein Ermessen? „Damit sie flexibel reagieren kann“,
wirft eine Studentin ein. Aber welche Argumente
verbleiben der Behörde, die Genehmigung abzulehnen, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind? „Am Ende entscheidet die Behörde. So
steht es im Gesetz.“
Die Lösung des Falles ergibt sich aus der deutschen
Verfassung. Die Eigentumsfreiheit des Grundgesetzes umfasst nämlich auch die Baufreiheit. Es
besteht ein Anspruch auf die Baugenehmigung.
„Also wenden wir Artikel 14 direkt an“, schlägt die
Studentin vor – eine nach chinesischem Recht völlig undenkbare Lösungsmöglichkeit. Doch sie wird
enttäuscht: Im Wege der verfassungskonformen
Auslegung wird das „kann“ als „muss“ ausgelegt.
Auch in Deutschland können also das geschriebene
Recht und die Rechtswirklichkeit auseinander fallen.
Das ist eine wichtige Erkenntnis.
So können die Studenten am Chinesisch-Deutschen
Institut für Rechtswissenschaften neben ihrem chinesischen auch ein deutsches Rechtsgefühl entwickeln. Der Unterricht findet selbstverständlich
ohne erhobenen Zeigefinger statt. Unterschiede
zwischen China und Deutschland werden angesprochen, die Bewertung wird den Studenten überlassen. In erster Linie sollen sie lernen, stets mit
dem Gesetz zu arbeiten. Denn ein Blick ins Gesetz
fördert die Rechtsfindung – jedenfalls meistens.
Dr. Lasse Schuldt, Peking
Info
Referendare können am Chinesisch-Deutschen Institut
für Rechtswissenschaften in Peking die Wahlstation
absolvieren. Sie wirken an der Lehre, an Forschungs projekten und an der Verwaltung des Institutes mit.
Chinesischkenntnisse sind von Vorteil, aber nicht er forderlich. Bewerbungen mit Anschreiben und Lebenslauf können an den stellvertretenden deutschen Direktor, Prof. Dr. Marco Haase, gerichtet werden. E-Mail:
marco.haase@gmx.net
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Das Amtsgericht Eschwege sorgt im zuweilen
tristen Paragraphenalltag für Abwechslung. Der
einstige Bewerber auf kommunaler Ebene für
die Linkspartei Jörg S. beschäftigt seit Wochen
die zuständige Strafabteilung. Der Vorwurf: Titelmissbrauch, Betrug und Urkundenfälschung. Er
hätte ganz regulär nach dem Abi eine Banklehre
gemacht, dann erfolgreich an der Fernuni Hagen
an einem MBA-Programm teilgenommen, um
im Anschluss daran „selbstverständlich promoviert“ zu haben. Gegenwärtig jedoch haben so wohl die Staatsanwaltschaft als auch der Einzel-
richter Schwierigkeiten, die Version von Jörg S.
nachzuvollziehen. Aussagekräftige Dokumente
konnte der Angeklagte jedenfalls noch nicht
vorlegen. Die Einlassung, er hätte die Doktorwürde in Hawaii offiziell zuerkannt bekommen,
half bislang nicht, auch wenn der Titel der an geblichen Doktorarbeit in Zeiten der Finanzkrise
geradewegs lehrstuhlverdächtig klingt: „Der neue
Markt. Gründe für den Crash. Lösungen für die
Zukunft und den Schutz der Investoren.“ Ein Urteil in dem Boulevard-Fall wird in Kürze erwartet.
pat
Gericht des Monats
LIEBES
FORUMSMITGLIED,
MACH MIT!
Sende uns Dein „Gericht des
Monats“, d. h. ein hochauflösendes Foto, dessen Rechte Du besitzt, und eine kurze
Geschichte dazu, je bedeutsamer, ungewöhnlicher oder
auch skurriler – desto besser!
> redaktion@davforum.de
Das Amtsgericht Eschwege
Foto: Stefanie Salzmann
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Recht unsicher
Juristen in Deutschland leben gefährlich
Der jüngste tödliche Vorfall am Amtsgericht
Dachau, in dem ein junger Staatsanwalt sein
Leben lassen musste, hat die Diskussion um die
Sicherheit an deutschen Gerichten neu entfacht. Bereits im Jahre 2009 hatte der niedersächsische Richterbund in einem Thesenpapier
auf die zunehmende Gewalt gegen Justizangestellte, gerade gegen Richter und Staatsanwälte
hingewiesen. Die Politik reagierte bisher nur
schleppend, einheitliche Sicherheitsstandards
in der Bundesrepublik sind längst noch keine
Selbstverständlichkeit. Einlasskontrollen an Sicherheitsschleusen, wie sie von Flughäfen bekannt sind, sucht man an etlichen Gerichten
vergebens. Warum, fragen sich auch immer
mehr Anwältinnen und Anwälte, die nicht selten
ebenfalls Opfer von gewalttätigen Übergriffen
in Gerichtssälen werden. AdVoice hat eine kleine
Auswahl der gravierendsten Ereignisse zusammengestellt.
DACHAU 2012
DRESDEN 2009
FRANKFURT AM MAIN 1997
Zeugin im Gericht erstochen
Tödliche Schüsse auf Ex-Freundin
Aus Fremdenhass hatte mitten in einer Verhandlung vor dem Dresdner Landgericht im Jahr 2009
ein Angeklagter eine Zeugin mit einem Messer angegriffen und mit 18 Messerstichen verletzt. Die
Frau starb kurz darauf an den Verletzungen. Der
Täter wurde sofort überwältigt.
tobi
Im März 1997 zog im Gerichtsgebäude B in Frankfurt am Main ein Polizeibeamter (39) seine Dienstwaffe und gab mehr als zehn Kugeln auf seine ExFreundin und deren Anwältin ab. Die Ex-Freundin
(33) verstarb noch am Ort des Geschehens, die
Anwältin wurde schwer verletzt. Der Polizist wollte
sich gegen eine Unterhaltsklage seiner ehemaligen
Lebensgefährtin zur Wehr setzen.
pat
ESSEN 1998
Strafrichter erschossen
HAMBURG 2005
Bevor sich der Täter mit einem Kopfschuss selbst
richtete, brachte ein 69-jähriger Mann einen Strafrichter (52) am Amtsgericht Essen in seinem Dienstzimmer um. Der Täter gelangte unbehelligt in das
Gerichtsgebäude und tötete sein Opfer mit einer
Pistole russischen Fabrikats. Grund: eine 17 Jahre
zuvor verhängte Geldbuße.
tobi
Richter mit Messer schwer verletzt
Weil im März 2005 ein psychisch erkrankte Täter
vom Richter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, stürmte dieser in die „Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle“ auf den Richter zu und
stach mehrmals mit einem Klappmesser zu. Der
Richter überlebte die Attacke schwer verletzt. pat
Angeklagter erschießt Staatsanwalt im Gericht
EUSKIRCHEN 1994
Anfang des Jahres 2012 hat ein Angeklagter während der Urteilsverkündung eine Pistole aus der
Hosentasche gezogen und auf den Staatsanwalt
geschossen. Der Jurist erlag kurze Zeit später seinen Verletzungen. Der Richter konnte sich vor den
Schüssen wegducken. Im Prozess ging es um die
Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt – also Sozialversicherungsbeiträge – in Höhe
von 44.000 Euro. Die anwesenden Zeugen vom Zoll,
die die Ermittlungen geführt hatten, konnten den
Angeklagten im Gerichtssaal überwältigen. tobi
Gerichte werden immer häufiger Schauplatz von Gewalttaten.
INGOLSTADT 2012
Gemetzel mit 13 Opfern
Rentner mit Messer festgenommen
Der bisher schlimmste Anschlag auf ein deutsches
Gericht fand 1994 im Amtsgericht Euskirchen statt.
Der Täter, kurz vorher wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, feuerte Schüsse ab und zündete
einen Sprengsatz. Sieben Menschen erlagen ihren
Verletzungen, unter anderem ein 31-jähriger Richter
und zwei Anwälte sowie die Ex-Freundin des Täters,
sechs Personen wurden schwer verletzt.
tobi
Foto: Paul-Georg Meister_pixelio.de
Auf dem Portal Facebook hatte ein 57-Jähriger seine
geplante Bluttat im Amtsgericht Ingolstadt angekündigt. Weil die Justiz rechtzeitig davon Wind bekam, konnte der Rentner, der am 22.5.12 als Nebenkläger in einem Strafverfahren auftrat, durchsucht
und noch im Gerichtssaal festgenommen werden.
Bei ihm fand die Polizei ein Einhandmesser.
pat
LANDSHUT 2009
Tod im Erbschaftsstreit
Ein 60-jähriger Sportschütze erschoss im April 2009
auf einem Gerichtsflur im Landgericht Landshut
seine 48 Jahre alte Schwägerin. Auslöser war ein
Erbschaftsstreit. Bei der Schießerei wurden eine
weitere Schwägerin des Täters und ein Rechtsanwalt verletzt. Nach den tödlichen Schüssen nahm
sich der Mann selbst das Leben.
pat
> www.sicherheit.info
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GEDICHT DES MONATS
Juristen, die Gesetze
Sind eure Strick und Netze,
Geharnischte zu fangen,
Die sonst so herrlich prangen.
Aus „Desz anderen Tausend 6. Hundert“ von Friedrich von Logau (1605-1655)
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Entschleunigung - Anwaltschaft wächst langsamer
Weitere 2.747 Anwälte drängen auf den Markt
Die Zahl der in der Bundesrepublik zugelassenen
Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsgesellschaften
ist im vergangenen Jahr erneut leicht gestiegen.
Das teilte die Bundesrechtsanwaltskammer aufgrund ihrer jährlichen Anwaltsstatistik mit.
Die Rechtsanwaltskammern hatten zum 1.1.2012
insgesamt 159.315 Mitglieder (Vorjahr: 156.479),
davon 158.426 Rechtsanwälte (Vorjahr: 155.679),
298 Rechtsbeistände (Vorjahr 309), 535 Rechtsanwalts-GmbHs (Vorjahr 453) und 23 RechtsanwaltsAGs (Vorjahr: 22).
München ist mit mehr als 20.000 Mitgliedern die
größte Anwaltskammer der Bundesrepublik, gefolgt
von Frankfurt (17.607), Hamm (13.673) und Berlin
(13.191). Auch Köln und Düsseldorf haben jeweils
mehr als 10.000 Mitglieder. In Hamburg fehlen noch
knapp 400 Kollegen, um diese Marke zu knacken.
Zusammen stellen diese sechs Kammern damit mehr
als die Hälfte aller deutschen Anwälte. Damit konzentriert sich das Anwaltsgeschäft nach wie vor in
den Großenstädten, die als juristische Ballungszentren auch eine viel höhere Anwaltsdichte haben.
Schlusslicht bilden mit jeweils weniger als 2.000 Anwälten die Kammern Braunschweig, Bremen, Kassel,
Mecklenburg-Vorpommern, Saarbrücken, SachenAnhalt und Zweibrücken.
Die Anwaltschaft verzeichnete insgesamt einen Zuwachs, der gegenüber dem Vorjahr (1,58 Prozent)
wieder leicht zugenommen hat, aber weiterhin unterhalb der durchschnittlichen Steigerungsrate der
letzten zehn Jahre liegt. Während in den Jahren
1996 bis 2001 der Mitgliederzuwachs der Rechtsanwaltskammern über 6 Prozent lag, 2002 bei noch
5,93 Prozent, betrug er 2003 bis 2006 über 4 Prozent und sank seit 2007 von 3,43 Prozent auf 2008
2,87 Prozent, 2009 2,38 Prozent, 2010 1,97 Prozent,
2011 1,60 Prozent und nunmehr 1,76 Prozent.
Insgesamt 158.426 Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen waren zum 1.1.2012 in der Bundesrepublik zugelassen, somit 2.747 bzw. 1,76 Prozent
mehr als im Vorjahr. Der Anteil der Rechtsanwältinnen an der Gesamtanwaltschaft stieg auf 32,56
Prozent . Damit ist fast ein Drittel der Anwaltschaft
weiblich (51.585 Rechtsanwältinnen).
Auffallend ist der Zuwachs bei den Rechtsanwaltsgesellschaften: Zum 1.1.2012 war bei den Rechtsanwalts-GmbHs ein Anstieg um 18,10 Prozent auf
nunmehr 535 GmbHs zu verzeichnen. Die Anzahl
der Partnerschaftsgesellschaften stieg um 8,61 Prozent auf 3.029.
RA Tobias Sommer, Berlin
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Nomos
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Belastungsstörung wegen falscher Beratung
Schmerzensgeldansprüche aufgrund von Pflichtverletzung im Anwaltsmandat
Der Aufsatz setzt sich mit der Frage auseinander,
inwieweit ein Haftungsrisiko für den anwaltlichen Berater besteht, auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch genommen zu werden.
lerhafter Auskünfte und Hinweise werde im allge meinen Verkehr regelmäßig dem Empfänger überantwortet und damit dem allgemeinen Lebensrisiko
zugerechnet.
Stelle nicht von dem Umfang der Pflichtdeckung
gem. § 51 BRAO gedeckt ist und das Bedingungswerk entsprechend erweitert.
Die Versicherungslücke kann zum Beispiel wie folgt
geschlossen werden:
1. § 253 II BGB
3. Haftungsrisiken
Mit der Schuldrechtsreform im Jahr 2001 ist auch
die Möglichkeit eröffnet worden, einen Berater auf
Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch zu nehmen. § 253 II BGB regelt den Anspruch auf Zahlung
von Schmerzengeld wie folgt:
Viele Mandate haben gerade nicht den Schutz der
Rechtsgüter des § 253 II BGB zum Inhalt. Insoweit
sind die Rechtsanwälte auch nicht einem Haftungsrisiko ausgesetzt.
„§ 253 II BGB: Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen
Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann
auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.“
Die Inanspruchnahmemöglichkeit des anwaltlichen
Beraters auf Basis vorgenannter Rechtsnorm ist bislang weitgehend unbeachtet geblieben, was nicht
weiter verwunderlich ist, denn die Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages betrifft in der Regel
nicht den Schutz der Rechtsgüter des § 253 II BGB.
2. BGH, Urteil vom 09.07.2009, Az. IX ZR 88/08
In diesem Sinn hat sich auch der BGH mit Urteil
vom 9.7.2009, Az. IX ZR 88/08 mit einer Klage auf
Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen
wegen der Fehlberatung aus einem Anwaltsmandat auseinandergesetzt. Beklagte Partei war ein
Rechtsanwalt, der die Interessen von Mietern gegenüber einer Vermieterin wahrnahm. Die Kinder
der Mieter verursachten im Mietobjekt einen Brand,
sodass dieses nicht mehr bewohnbar war. Im Zuge
der Klärung der Verantwortlichkeiten beging der
Rechtsanwalt einen Fehler, indem er die Eintrittspflicht des Haftpflichtversicherers der Mieter
verneinte. Die Mieter rechneten nun ihrerseits da mit, das zerstörte Haus im Wert von 600.000 EUR
aus eigenen Mitteln wieder aufbauen zu müssen.
Aus der Fehlberatung resultierte eine psychische
Belastungsstörung mit Krankheitswert, wofür die
Mieter Schmerzensgeld forderten. Der BGH wie auch
die Vorinstanz ließen den Anspruch an dem notwendigen Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck der verletzten Pflicht und dem eingetretenen
Schaden scheitern. Die psychische Verarbeitung feh-
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ADVOICE 02/12
Gleichwohl gibt es aber auch Mandate, wie zum
Beispiel der mit der Haftbeschwerde beauftragte
Strafverteidiger oder der in einem Abschiebungsverfahren mit der Einlegung von Rechtsbehelfen
beauftragte Rechtsanwalt, die gerade den Schutz
der in § 253 II BGB aufgeführten Rechtsgüter bezwecken. Das Rechtsgut der Freiheit kann sogar unabhängig von der forensischen Tätigkeit tangiert
sein, indem zum Beispiel der Sicherungsarrest gem.
§§ 916, 918 ZPO durch anwaltlichen Fehler unnötig
verlängert wird (Druckenbrodt, VersR 2010, 601).
In Ergänzung zu Ziffer 2.1 besteht Versicherungsschutz für Personenschäden und hieraus resultierende immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) ausschließlich in den Fällen, in denen der Schaden im
Rahmen einer versicherten originären Berufstätig keit verursacht wurde und in denen das betroffene
Mandatsverhältnis den Schutz der Rechtsgüter des
§ 253 Abs. 2 BGB zum Gegenstand hat. Dieser Versicherungsschutz wird bis zur Höhe der Pflichtversicherungssumme für Vermögensschäden gewährt.
Die Erweiterung gilt nur, sofern hierfür nicht anderweitig Versicherungsschutz besteht.
(Auszug aus den Bedingungen HDI-Gerling AVB WSR VH 558:07)
Vor diesem Hintergrund ist auch ein Haftungsrisiko
vorhanden, das schon vereinzelt vor die Gerichte getragen wurde. So verurteilte beispielsweise das KG
Berlin mit Urteil vom 17.1.2005, Az. 12 U 302/03
einen Rechtsanwalt zum Ersatz des immateriellen
Schadens, den der Mandant wegen Freiheitsentzuges erlitten hatte. Der Rechtsanwalt hatte es versäumt, den Termin einer Hauptverhandlung in einer
Strafsache verlegen zu lassen.
5. Zusammenfassung
4. Versicherungsschutz
Die Deckungserweiterung ist nur in den neueren
Bedingungswerken zu finden. Eine Umstellung des
Vertrages auf aktuelle Bedingungen ist oft prämienneutral möglich. Sie erfolgt nicht automatisch.
Vorgenannter Fall der Verurteilung wie auch die
Fälle der unberechtigten Inanspruchnahme sind
nicht von dem in § 51 BRAO vorgeschriebenen
Versicherungsumfang gedeckt. § 51 BRAO regelt
den echten Vermögensschaden, also die Situation,
bei der weder eine Person noch eine Sache unmittelbar Schaden erleidet.
Die Inanspruchnahme auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer Pflichtverletzung aus dem
Anwaltsvertrag kann vorkommen, dürfte aber selten bleiben. Der in § 51 BRAO beschriebene Umfang
der Pflichtversicherung sieht für diesen Fall keinen
Versicherungsschutz vor. Achten Sie darauf, ob das
Bedingungswerk Ihres Vermögensschaden-Haftpflichtvertrages die Deckungserweiterung beinhaltet.
Steffen Eube, HDI-Gerling, Hannover
M. a. W.: Es besteht weder im Abwehrschutzbereich
für die unberechtigte Inanspruchnahme auf Zahlung
von Schmerzensgeld noch im Fall der tatsächlichen
Zahlungspflicht eine Übernahmepflicht des Vermögensschaden-Haftpflichtversicherers.
Einige Berufshaftpflichtversicherer haben erkannt,
dass das Risiko anwaltlicher Tätigkeit an dieser
> www.hdi-gerling.de
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Magazin
NEWS
zusammengestellt von RA Patrick Ruppert, Köln
Verpartnern mit weniger Risiko
Die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter
Berufshaftung (PartG mbB) kommt. Das hat das
Bundeskabinett auf den Referentenentwurf des
Bundesjustizministeriums am 16. Mai beschlossen.
Angelehnt an die Limited Liability Partnership (LLP)
aus dem englischen Rechtsraum, soll es in Deutschland künftig Freiberuflern möglich sein, ihre Haftung für Beratungsfehler auf das Gesellschaftsvermögen zu beschränken. Eine Voraussetzung hierfür
ist, dass ein erhöhter Haftpflichtbeitrag entrichtet
wird. Mit der neuen Rechtsform sollen auch Mandanten profitieren, die wegen erhöhten Versicherungsschutzes im Falle der Falschberatung verlässlicher mit Entschädigung rechnen können als bei
einem materiell weniger gut ausgestatteten Rechtsanwalt, der über sein Privatvermögen voll einstandspflichtig ist.
Kein Ermessensspielraum
Bereits im vergangenen Jahr hatte der BGH mit der
„Toleranzrechtsprechung“ für Wirbel gesorgt, in
dem er konstatierte, dass die Erhöhung der Geschäftsgebühr von 1,3 auf 1,5, also eine Abweichung von 0,2 hingenommen werden müsste, weil
dies im Ermessen des jeweiligen Rechtsanwalts
stünde (Urteil vom 13.1.2011 Az. IX ZR 110/10).
Hiergegen richtet sich inzwischen der Widerstand
einiger Instanzengerichte. So betonte unter anderem das OLG Celle in einer Entscheidung vom
28.12.2011 (Az. 14 U 107/11), dass der Gesetzgeber
für einen Durchschnittsfall gemäß Nr. 2300 VV
RVG als Regelsatz eine 1,3 Geschäftsgebühr vorgesehen hätte. Eine Erhöhung selbst um 20 Prozent könnte nur dann in Betracht kommen, wenn
die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ein Ermessensspielraum sei der Rechtsanwaltschaft damit nicht eingeräumt.
Robe von schwarzer Farbe ... Zur Amtstracht wird
eine weiße Halsbinde getragen.“ Fricke brachte zum
Ausdruck, dass er noch nicht einmal eine Krawatte
besitze. Als entwürdigend wertete er das richterliche Auftrittsverbot und will sich nun dagegen
juristisch zur Wehr setzen.
Rechtswissenschaftler für
Verjährung bei Plagiatsverdacht
Der Bonner Juraprofessor Wolfgang Löwer hat sich
angesichts der sich mehrenden Plagiatsverdachtsfälle für eine Verjährungsfrist ausgesprochen. Die
jüngsten Vorwürfe eines anonymen Plagiatsjägers
richten sich gegen die Bundesbildungsministerin
Anette Schavan, die vor 32 Jahren ihre Doktorarbeit abgab und auf 56 von 325 Seiten nicht korrekt
zitiert haben soll. Löwer kann sich vorstellen, dass
nach zehn Jahren eine Aberkennung der Doktorwürde trotz evidenter Fehler juristisch nicht mehr
möglich sein soll. Er zieht damit eine Parallele zu
der Bestandskraft der juristischen Staatsprüfung,
die nach einem Jahrzehnt gilt.
Push the Button
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die im ECommerce beratend tätig sind, müssen ihre Mandanten darauf vorbereiten, dass die „Buttonlösung“
kommt. Seit dem 9.5. ist das Gesetz zur Änderung
des BGB zum besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher im elektronischen Geschäftsverkehr im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Konkret bedeutet das, dass ab 1.8. alle kostenpflichtigen
Bestellvorgänge im Internet mit einem Knopfdruck
erledigt werden sollen, bei denen aber explizit sämtliche Kosten ohne versteckte Zusätze mit dem Anklicken vorab erkennbar waren. Kostenfallen und
ungewollte Abos sollen damit der Vergangenheit
angehören.
Nicht oben ohne
Widerruf der Zulassung bei Vermögensverfall
Weil er keinen Schlips trug, wurde der ehemalige
Stadtrat Bernhard Fricke als Strafverteidiger beim
Amtsgericht München am 26.4.2012 von der Ver handlung ausgeschlossen. Der zuständige Richter
verwies den als engagierten Naturschützer tätigen
Rechtsanwalt auf die landesrechtlichen Kleidungsvorschriften. Dort heißt es: „Die Amtstracht der
Richter, der Staats- und Amtsanwälte, der Urkundsbeamten sowie der Rechtsanwälte besteht aus einer
Vermögensverfalls sei nur dann widerlegt, wenn
dem in Not geratenen Rechtsanwalt durch Beschluss vom Insolvenzgericht Restschuldbefreiung
angekündigt wurde (§ 291 InsO) oder ein vom
Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248
InsO) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorliegt, bei dessen Erfüllung der
Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird. Nach der gesetzlichen Wertung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO indiziere
der Vermögensverfall die Gefährdung der Interessen der Ratsuchenden. Etwas anderes könnte sich
aus der Gesamtwürdigung aller Umstände ergeben,
für die jedoch der antragende Rechtsanwalt darlegungs- und beweispflichtig ist.
Unwirksame Vergütungsvereinbarung bindend
Ein Rechtsanwalt muss sich an eine Vergütungsvereinbarung halten, selbst wenn sie unwirksam vereinbart wurde. Eine Ausnahme dürfe es nur dann geben,
wenn der Ratsuchende zuvor den Rechtsanwalt unter
Vorspiegelung falscher wirtschaftlicher Angaben getäuscht und ihn dazu veranlasst hatte, unter die
gesetzlichen Gebühren zu gehen. Das entschied das
OLG München mit Urteil vom 2.5.2012 (Az. 15 U
2929/11 Rae). Im zu entscheidenden Fall hatte ein
Rechtsanwalt eine unter den gesetzlichen Gebühren
liegende Pauschalvergütung für die außergerichtliche und gerichtliche Sachbearbeitung mit dem
Mandanten ausgemacht. Als Grund gab er an, er
hätte seinem Mandanten wegen angespannter Finanzen entgegen kommen wollen. Nach Verfahrensabschluss stellte er seinem Mandanten jedoch die
vollen gesetzlichen Gebühren in Rechnung. Ein solches Vorgehen sei unzulässig, so der 15. Zivilsenat
des OLG München, denn Mandanten müssten sich
grundsätzlich auf die vorgeschlagene Honorarreglung verlassen können, die ausschließlich Sache des
fachkundigen Rechtsanwalts sei.
✍

Immer häufiger sind Zulassungsfragen im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Niedergang von
Kanzleien ein Thema. So entschied der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 4.4.2012, Az. AnwZ
(BrfG) 62/11, dass die Rechtsanwaltszulassung nach
§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu widerrufen ist, wenn ein
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kanzlei
eröffnet worden ist. Die gesetzliche Vermutung des
> redaktion@davforum.de
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Magazin
Anwalt ohne Strategie ist wie Reisen ohne Karte
Marketing: Das Wichtigste ist zielgruppenorientiertes Networking
AdVoice: Gilt der alte Spruch „Wer nicht wirbt,
der stirbt!“ noch – und gilt er auch für die Anwaltschaft?
Wolfgang Zeiß: Ganz eindeutig: Ja, und das sogar
mehr denn je. Allerdings muss der Begriff „werben“
erweitert werden. Es heißt vielmehr so: „Wer sich
nicht strategisch positioniert und dementsprechend Wege einschlägt, stirbt!“ – oder er ist schon
tot und hat es bloß noch nicht gemerkt.
Die klassische Werbung ist ja nur eins der vielen
Puzzlestücke, wenn es darum geht, Mandanten zu
gewinnen. Das große Ganze, das jeder Unterneh mer anstreben sollte, ist ein effektives und individuelles Marketing. Nun kann man lange diskutieren,
was „Marketing“ eigentlich ist oder was es nicht
ist. Ich sage: Marketing ist all das, was der Umsatzsteigerung beziehungsweise der Steigerung der
Mandantenzahlen dient. Das können auch mal
Werbeanzeigen sein, aber es geht noch weit darüber hinaus.
A: Welche Gemeinsamkeiten beziehungsweise
welche Unterschiede gibt es beim Anwaltsmarketing im Vergleich zum „normalen“ MarketingKunden?
Z: Die Gemeinsamkeiten sind offensichtlich: Der
Anwalt als Organ der Rechtspflege agiert heute in
einem Verdrängungswettbewerb und sollte seine
Kanzlei als Unternehmer betrachten, das – wie alle
anderen klassischen Marktteilnehmer auch – Marketing betreiben sollte.
Der größte Unterschied liegt beim „Produkt“. Autohersteller bieten Autos an. Jeder Käufer kann, bevor
er sich für einen Kauf entscheidet, das Auto Probe
fahren. Er kann sich hineinsetzen und testen, ob
die Sitze bequem sind.
Was bietet der Rechtsanwalt an? Eine Beratungsleistung. Diese ist, im Gegensatz zum Auto, unsichtbar. Die Beratungsleistung kann man nicht
beschnuppern, in die Hand nehmen oder schauen,
ob sie einem steht – sie ist sensorisch nicht wahrnehmbar. Hier liegt die große Herausforderung, denn
nichts ist schwerer zu vermarkten, als „unsichtbare“ Produkte.
A: Welche Fehler werden beim (Kanzlei-)Marketing am häufigsten begangen?
Z: Der Kardinalfehler ist, nicht zu wissen, wo man
überhaupt hin will. Um effektives Marketing zu betreiben, muss man wissen, wo man steht, wer angesprochen werden soll, was die Fachkompetenzen sind
oder wodurch man sich von Mittbewerbern abhebt.
Der Anwalt muss sich folgende Fragen stellen: Was
genau möchte ich anbieten? Wer ist die Zielgruppe?
40
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Wo ist der Zielmarkt? Wenn er das beantwortet hat,
kann er sich strategisch auf dem Markt positionieren.
A: Wie wichtig ist eine „Marketing-Strategie“?
Z: Man kann die Relevanz eines strategischen Marketings gar nicht überbetonen. Im Bild gesprochen,
ist ein Rechtsanwalt ohne Strategie ein Reisender
ohne Straßenkarte, der sich an jeder Kreuzung überlegen muss, wohin er eigentlich möchte. Eine saubere Marketing-Strategie ist die entscheidende Basis
für unternehmerischen Erfolg.
A: Der Anwalt sollte sein: Einzelkämpfer oder
Networker?
Z: Einzelkämpfer werden es zukünftig weitaus
schwerer haben als bisher. Ein zielgruppengerechtes Networking ist die einzige Möglichkeit, gegen
Lawfirms und Großkanzleien zu bestehen.
A: Wie kann ein effektives Networking aussehen?
(Stichwort: „Konkurrenz“)
Z: Wer Angst vor Konkurrenz hat, ist im falschen
Beruf. Die Mitbewerber sind da und es werden laufend mehr. Statt immer nur darüber zu klagen, dass
es ein Überangebot an Anwälten gibt, sollte man
dies für sich nutzen! Es gilt, ein effektives Netzwerk
zu schaffen, das von der Individualität und Spezialisierung der handelnden Persönlichkeiten profitiert.
Die Einzigartigkeit eines solchen bedarfsgerechten
Netzwerks ist ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal und somit ein klarer Marketing-Vorteil.
A: Welche Trends lassen sich beim Kanzlei-Marketing ausmachen? Gibt es vielversprechende
„unorthodoxe“ Methoden?
Z: Einen wichtigen Trend haben wir gerade angesprochen: Die Vernetzung mit anderen Kanzleien.
Aber auch Werbeaufkleber oder Give-Aways können
Möglichkeiten sein. Bestimmend ist immer: Marketing muss gut durchdacht und zielgruppenorientiert sein. Sind meine Mandanten hauptsächlich
Künstler oder Medienunternehmer, kann ich durchaus innovatives oder sogar schrilles Marketing betreiben. Berate ich hingegen vornehmlich Seniorenstifte, sollte es vielleicht nicht ganz so schrill
ablaufen. Man sollte sich auch überlegen, wie Marketing möglichst viele Informationen bieten und
dem potentiellen Mandanten Nutzen bringen kann.
Eine witzige Idee hatte ein mir bekannter Rechtsanwalt, der sich auf die Beratung von Gastronomen
spezialisiert hat. Um auf sich aufmerksam zu machen, ließ er Werbebierdeckel in Paragraphenform
anfertigen, die er nun an Restaurants und Gaststätten verteilt.
Die Möglichkeiten sind also unbegrenzt, doch auf
jeden Fall sollte vor jeder Marketingaktion geklärt
werden, ob diese auch rechtlich zulässig ist.
A: Inwieweit ist der Mensch „hinter“ dem Anwalt
der Schlüssel zum erfolgreichen Marketing?
Z: Ich bin überzeugt, dass der „Mensch Anwalt“
tatsächlich der wichtigste Schlüssel zum Erfolg ist.
Denn er vereint in sich alle klassischen Funktionen
eines Unternehmens: Er ist zugleich Hersteller und
Verkäufer seines „Produkts“ und muss alle Teilbereiche seines Unternehmens in einer Person managen. Hinzu kommt, dass nicht allein die Fachkompetenz den Erfolg bringen wird. Von immer größerer Bedeutung werden die sogenannten „weichen
Merkmale“.
Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Kundenorientierung, etc. sind häufig entscheidende Abgrenzungsmerkmale zum Wettbewerber.
A: Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Markt
in den nächsten zehn Jahren verändern? Welche
Anforderungen an die Anwaltschaft werden hinzukommen?
Z: Der Anwalt wird natürlich auch in zehn Jahren
noch benötigt werden. Allerdings gibt es schon jetzt
ein Überangebot an Rechtsanwälten und die Neuzulassungen werden weiter steigen, nur nicht so stark
wie in letzter Zeit. Angesichts dieses Überangebots
und des permanent sinkenden Anteils der „forensischen“ Anwaltstätigkeit wird die größte Herausforderung für die Anwaltschaft sein, „nach vorne zu
denken“. Das bedeutet, dass die pro-aktive Beratung
zunehmen muss. Der Anwalt darf nicht erst dann
tätig werden, wenn das Kind schon in den Brunnen
gefallen ist. Er muss vorher aktiv werden und so beraten, dass es erst gar nicht zum Rechtsstreit kommt.
Unternehmer denken immer nach vorne, die Anwaltschaft sollte zukünftig einen Schwerpunkt in der
Mandantenberatung sehen und eine klare strategische Marktpositionierung anstreben.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass in Zukunft
der Anwalt mehr an, als in der Kanzlei arbeiten wird.
Das Interview führte
RA Velimir Milenkovic, München
Wolfgang Zeiß ist Gesellschafter und Geschäftsführer der RS-Gruppe, Frankfurt/M.,
> www.rs-gruppe.org
Die Anwältin und Künstlerin Inger-Kristina Wegener hat den DAT künstlerisch bearbeitet. Sie lebt in Bödelsdorf in Schleswig-Holstein.
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DAT 2012
DAT 2012
BERICHTE UND BILDER
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DAT 2012
OLG-Richter trifft Jura-Hirschhausen
„DAT für Einsteiger“ auf dem 63. Deutschen Anwaltstag in München
Erstmalig gab es auf dem diesjährigen Deutschen
Anwaltstag (DAT) eine speziell auf Erstteilnehmer und Berufseinsteiger zugeschnittene Veranstaltung mit dem Titel „DAT für Einsteiger“. Dort
trafen die Frischlinge des Anwaltsberufs auf
Vertreter des FORUMs Junge Anwaltschaft. Mitveranstalter war neben dem FORUM die Arbeitsgemeinschaft Allgemeinanwalt. In praxisbezogenen Fachvorträgen schafften es OLG-Richter
Dr. Nikolaus Stackmann (München) und Großkanzleianwalt Prof. Dr. Peter Bräutigam (München), auf informative und unterhaltsame Weise
über wichtige anwaltliche Schlüsselqualifikationen zu sprechen. Es ging um das Schreiben, Reden
und Schweigen im Zivilprozess sowie um die Verhandlungskunst.
Auf einem Kongress wie dem Deutschen Anwaltstag kann man sich anfangs ein bisschen verloren
fühlen. Dieses Jahr reichte die Teilnehmerliste bis
zur Zahl 1.101 hinauf. Dementsprechend wuselten
die Anzugsträger durch den Gasteig, das große
Münchener Kultur- und Bildungszentrum. Anzüge
und Rollkoffer haben ja nicht unbedingt die Eigenschaft, menschliche Wärme und Kontaktfreude zu
vermitteln. Die nonverbale Kommunikation lautet
eher: Sprich mich nicht an, ich bin beschäftigt, habe
Wichtigeres zu tun und mit wichtigeren Leuten zu
reden. Der Eindruck täuscht aber. Auf einem Anwaltstag kommt man schnell mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten ins Gespräch. Und mit
etwas Glück plauscht man plötzlich beim Abendessen mit dem DAV-Präsidenten Prof. Dr. Wolfgang
Ewer oder schüttelt Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger die Hand.
Wie aber macht man als Neuling den ersten Schritt,
der ja – Platitüde hin oder her – der schwierigste ist?
Hilfreich ist es, Gleichgesinnte zu finden und auf
diese zuzugehen. Dabei half die Veranstaltung „DAT
für Einsteiger“. Nach einer Begrüßung durch die
Vizepräsidentin des DAV, Edith Kindermann, stellte
Silke Waterschek die Nachwuchsorganisation des
Anwaltvereins, das FORUM Junge Anwaltschaft,
vor. In diesem ist Waterschek Vorsitzende des geschäftsführenden Ausschusses: „Wichtig am FORUM
ist der Netzwerkcharakter. Wir helfen uns gegenseitig bei allen Fragen.“ Dies gilt für den DAT, aber
natürlich auch allgemein. Beispielsweise gibt es
eine Mailingliste, über die Fragen aller Art gestellt
werden können, und die hilfsbereite Kollegen meist
innerhalb kürzester Zeit beantworten.
Dr. Nikolaus Stackmann referierte über Schreiben, Reden und Schweigen im Zivilprozess auf dem „DAT für Einsteiger“.
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ADVOICE 02/12
Waterschek stellte auch die anwesenden Regionalbeauftragten des FORUMS vor. Diese organisieren
in den LG-Bezirken Stammtische, bei denen Berufseinsteiger wichtige Informationen erhalten können.
Nützlich war zudem Waterscheks weiterer Hinweis:
„Im Forum sind wir alle per Du.“ Denn es ist nicht
nur so, dass persönliche Vertrautheit zum Duz-Verhältnis führt. Es funktioniert auch umgekehrt. Das
Duzen erleichtert das vertrauensvolle, persönliche
Gespräch. Dies zeigte sich im Laufe des Tages und
des gesamten Anwaltstags auf angenehme Weise.
Nachdem auch DAV-Geschäftsführer Manfred Aranowski einleitende Worte gesprochen hatte, folgten
zwei Fachvorträge. OLG-Richter Dr. Nikolaus Stackmann hatte ein praxisbezogenes Vortragsthema
gewählt: „Silber und Gold – Über Schreiben, Reden
und Schweigen im Zivilprozess“. Inhaltlich muss
man nicht viel sagen, es lässt sich alles in der AdVoice
nachlesen (siehe S. 47). Der erste Teil des Vortrags
ist in dieser Ausgabe erschienen. Drei weitere Teile
folgen in den nächsten Heften.
Dr. Nikolaus Stackmann hatte seinen Vortrag vorzüglich vorbereitet und ein umfangreiches Handout
mit Gliederung und Verweisungen auf einschlägige
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DAT 2012
Rechtsprechung ausgegeben. Sein Vortragsstil war
schnörkellos und klar. Seine Ausführungen sachund praxisbezogen. Er ist niemand, der auf Effekte
aus ist: „Ich weiß, dass ich keine Witze erzählen
kann. Deshalb lasse ich es bleiben.“ Man muss sich
Stackmann als einen guten Richter vorstellen.
Die Fragen, in welchen Fällen man mit dem Mandanten im Prozess erscheinen sollte und was bei
drohender Verspätung zu tun ist, um ein Versäumnisurteil zu vermeiden, behandelte Stackmann unter
den Gliederungspunkten „Zu zweit kommen?“ und
„Zu spät kommen?“. Dabei huschte einigen Junganwälten ein verträumtes Lächeln über das Gesicht.
Der OLG-Richter blieb aber auch hier beim Thema.
Stackmann hatte zu Beginn seines Vortrags von der
Angst des Redners gesprochen, am Ende mit nichts
dazustehen. Diese Angst war unbegründet. Am Ende
hatten die Zuhörer eine Fülle praktisch umsetzbarer
Anregungen erhalten. Im Anschluss an den Vortrag
sollte Stackmann die Frage beantworten, was ihn
am meisten an Anwälten nerve. Vor allem nervten
ihn Anwälte, die schreien, Emotionen hochschaukeln, drohen und nicht zur Zusammenarbeit mit
dem Gericht bereit sind. Auf die Frage, welche Show
in den Zivilprozess passe, antwortete er denn auch
konsequent: „Keine!“
Ironischerweise war der den zweiten Vortrag haltende Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Bräutigam ein
Showman wie er im Buche steht. Münchener, laute
Dialektstimme und das, was man in Bayern ein
gestandenes Mannsbild nennt. Bräutigams Thema
war „Verhandeln – Von Hollywood lernen“. In formaler Hinsicht ließe sich einiges kritisieren. Der
Vortrag gehörte zum Genre der PowerPoint-Orgie.
Die zahllosen Folien folgten Schlag auf Schlag und
nicht unbedingt einer stringenten Gliederung. Zudem waren sie zumeist nicht auf das Wesentliche
reduziert. Um den vorgesehenen Zeitplan einhalten
zu können, sprach Bräutigam daher jeweils nur
Teile des schriftlich Festgehaltenen an.
Dennoch kam der Vortrag – zu Recht – glänzend an.
Das lag in erster Linie an Bräutigams Persönlichkeit.
Der Mann hat Humor und Charme, keine Frage. Sein
Vortrag war zu einem guten Teil bayrische Comedy, er
selbst so etwas wie die Mischung aus einem Michael
Mittermeier der Juristerei und einem bayrischen
Jura-Hirschhausen. Die humoristische Wirkung des
Vortrags lässt sich nur schwer beschreiben. Auf Dialektsprache basierender Humor entzieht sich mehr
noch als jeder andere der schriftlichen Fixierung. Das
Publikum hat aber viele Male herzlich gelacht.
Inhaltlich sprach Bräutigam einige wichtige Aspekte
der Verhandlungskunst an, zumeist in schlagwortartiger Form. Man dürfe andere in Verhandlungen
nicht persönlich angreifen, sondern müsse „tough
on the issue“, aber „soft on the person“ sein. Zudem
müsse man auch mal geduldig aushalten, wenn die
Gegenseite Dampf ablässt. Das Motto dazu lautet:
„Sei wie ein Esel. Man mag dich schlagen, aber du
bewegst dich keinen Millimeter.“
sondern ein guter Zuhörer zu sein. Auch solle man
versuchen, sich in die andere Seite hineinzuversetzen und deren Stimmung exakt zu formulieren.
Das sogenannte „Spiegeln“, d. h. das Nachahmen
des Verhaltens des Verhandlungspartners, sah
Bräutigam skeptisch. Denn dieses nerve teilweise.
Eine gegenüber Männern häufig funktionierende
Verhandlungsstrategie sei die „Strategie der schönen
Frau“. Gemäß dieser setzen Frauen ihre optischen
Reize manipulativ ein, um Verhandlungsziele zu erreichen. Die genannten Punkte illustrierte Bräutigam
mit Ausschnitten aus dem Film „Erin Brockovich“
von Steven Soderbergh, in dem Julia Roberts die
Hauptrolle spielt. Das war sowohl passend als auch
höchst unterhaltsam.
Am Ende gratulierte ein Zuhörer Bräutigam zu seinem Vortrag, worauf dieser erwiderte: „I mochs
halt imma a bissl lustig, weil ernst, des holt i ned
aus.“ Dafür waren ihm die Zuhörer am Ende dieses
lehrreichen Nachmittags sehr dankbar.
Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin
DAT 2013
Der DAT 2013 wird vom 6. bis zum 8. Juni
in Düsseldorf stattfinden.
Bräutigam betonte zudem, dass es in Verhandlungen wichtig sei, nicht zu viel selbst zu reden,
Helge Heiner und Silke Waterschek vom FORUM mit Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Fotos: Andreas Burkhardt
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DAT 2012
Am Anfang schweißgebadet
Anwälte diskutieren auf dem DAT über die Kunst, Anwalt zu werden
Es ist eine Kunst, Anwalt zu werden. Eine ebensolche ist es, klug und gescheit darüber zu reden.
Auf dem 63. Deutschen Anwaltstag in München
diskutierten die Rechtsanwälte Silke Waterschek
(Heilbronn), Jürgen Widder (Bochum) und Dr.
Christoph Triltsch (Lübeck) über Anwaltsberuf
und -ausbildung sowie die Frage, was ihn denn
ausmacht, den guten Anwalt. Es entwickelte sich
ein anregendes und kurzweiliges Gespräch, an
dem sich auch das Publikum engagiert beteiligte.
Rechtsanwältin Sabine Gries-Redeker (Bonn) moderierte nicht nur die Diskussion, sondern nahm
auch selbst Stellung.
Aufgeregt waren sie alle beim ersten Mandat, beim
ersten Mal vor Gericht. „Schweißgebadet“ trat Sabine Gries-Redeker dem Gericht gegenüber. Und
Jürgen Widder war froh über seine Robe, die den
Blick auf die Flecken unter seinen Achseln verdeckte – was im Übrigen der Diskussion über das
Tragen der Amtstracht eine neue Note verleiht. Dass
auch der Schweiß zur Kunst gehört, weiß der klassisch gebildete Jurist aus Schillers „Lied von der
Glocke“. Zu viel Schweiß könnte aber dafür sprechen, dass Studium und Referendariat nur unzureichend auf den Anwaltsberuf vorbereiten. Silke
Auch abseits des Podiums wurde auf dem DAT diskutiert.
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ADVOICE 02/12
Waterschek hielt das Referendariat für „zu wenig
praxisnah“. Damit war die alte Frage nach der
Qualität der juristischen Ausbildung aufgeworfen.
Diese bestimmte die Diskussion über weite Strecken.
Kann der frisch gebackene Assessor genug, um der
Kunst des Anwaltsberufs gerecht zu werden? Bereits im Studium sahen die Diskutanten Defizite.
Dr. Christoph Triltsch meinte, das Studium habe ihn
gelehrt, juristisch zu denken und unbekannte Sachverhalte zu lösen. Das wirtschaftlich hochbedeutsame RVG sei aber niemals thematisiert worden.
Waterschek wies darauf hin, dass die vorgefertigten Sachverhalte nicht der beruflichen Realität entsprächen. Die Frage „A schießt B vom Baum. B ist
tot. Wie ist die Rechtslage?“ stelle sich in der anwaltlichen Berufspraxis doch eher selten. Aus dem
Publikum stimmte Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe (Berlin) zu. Er plädierte dafür, das Herausarbeiten und
Zusammenfassen von Sachverhalten schon vom
ersten Semester an zu üben. Zudem sprach er sich
für Rhetorik als Studieninhalt aus.
Für das Referendariat forderte Waterschek mehr
Praxisbezug durch Workshops, die speziell auf anwaltliche Kompetenzen zugeschnitten sind. Außer-
dem hielt sie die Behördenausbildung für überflüssig,
wenn man sich für das Berufsziel Rechtsanwalt
entschieden habe. Da wollten ihr die anderen Diskussionsteilnehmer nicht zustimmen. Gries-Redeker
wies darauf hin, dass sie bei der Verwaltungsbehörde gelernt habe, dass auch das öffentliche Recht
Spaß machen kann. Diese Erfahrung helfe ihr auch
heute noch weiter. Und Triltsch gab an, dass er nach
der Verwaltungsstation zumindest wusste, wohin
die berufliche Reise nicht gehen sollte.
Im Laufe der Diskussion führten einige Zuhörer aus,
dass die Verbesserungsvorschläge zum Teil bereits
Realität seien. An den Universitäten gebe es Rhetorikkurse und im Referendariat eine Vielzahl an
Workshops mit praxisbezogenen Themen. Zudem
müsse eine neunmonatige Anwaltsstation doch
eigentlich ausreichen, um die für den Berufsstart
erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln.
Sind also die juristischen Examina schuld an der
Misere? Die These lautete, dass die angehenden
Volljuristen die anwaltsbezogenen Lernangebote
nicht annehmen, weil sie sich aus Angst bzw. Respekt vor den Staatsexamina ausschließlich auf diese
konzentrieren. Triltsch konnte dem für seine eigene
AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 45
DAT 2012
Person zustimmen. Gleichzeitig bedauerte er im
Rückblick die verpassten Lernchancen. Waterschek
äußerte, dass den Studenten vom ersten Semester
an eingebläut werde, dass die Examensnote den
Juristen das ganze Leben begleite und die Karriere
festlege. Da sei es klar, dass die Prüfungsvorbereitung während der Ausbildung im Zentrum stehe.
Im Publikum gingen die Meinungen zur Prüfungsangst-These auseinander. Eine grundlegende Reform
des Prüfungssystems wurde teilweise abgelehnt.
Schließlich sei die Ausbildung in Deutschland „gut“.
„Never change a winning team“ heißt das im Sport.
Aber sind die Staatsexamina tatsächlich ein „winning team“? Im wirklichen Leben und außerhalb
der Regeln des Sports lassen sich Sieg und Niederlage oft nicht eindeutig unterscheiden. Besser müsste
es eigentlich immer gehen.
Deshalb kam es zu zwei Reformvorschlägen, die
das Prüfungsverfahren betrafen. Gries-Redeker
schlug der Runde vor, den Prüfling vom „Leiden
unter der Stoffmenge“ zu entlasten und mehr Methodik als Faktenwissen zu prüfen. Dieser Vorschlag
lässt sich folgendermaßen konkretisieren: Einerseits müsste man sich auf einen klar definierten
Stoffkern einigen, der als Präsenzwissen vorausgesetzt werden kann, und der im Umfang nur einen
Bruchteil des gegenwärtigen Prüfungsstoffs darstellt (z. B. allgemeine Teile der Gesetze, Systematik,
Grundsätze). Andererseits müssten in der Prüfung
exotische Gesetze geprüft werden, auf die man sich
nicht vorbereiten kann. Der Prüfling wäre dann gezwungen, mit seinem juristischen Handwerkszeug
neue Argumente zu entwickeln, anstatt nur vorgefertigte Argumentationslinien herunterzubeten.
Kreativität ginge über Gedächtnis.
Gries-Redekers Vorschlag klingt vernünftig. Wie
unsinnig es ist, jahrelang Fakten und Theorien zu
pauken, leuchtet jedem ein, der beim Einstieg in
den Beruf feststellt, dass er den (zweimal!) auswendig gelernten Prüfungsstoff – soweit es nicht
um Grundwissen geht – nur selten gebrauchen
kann, weil sich in jedem neuen Fall gänzlich neue
Rechtsfragen stellen. Ganz zu schweigen davon,
dass das gelernte Wissen ohnehin schnell in Vergessenheit gerät, wenn es nicht mehr regelmäßig
aktiviert wird.
Prof. Rabe forderte in einem zweiten Reformvorschlag: „Die Abschaffung des Zweiten Staatsexamens. Das ist mein Credo!“. Die zweite Staatsprüfung
behindere die Ausbildung. Die Referendare könnten
wegen des drohenden Examens die Anwaltsstation
nicht ausreichend zur Ausbildung nutzen, sondern
seien gezwungen auf „Tauchstation“ zu gehen und
Übungsklausuren zu schreiben. Ein Staatsexamen
reiche, um festzustellen, ob jemand ein guter Jurist sei.
Wann aber ist man nicht nur ein guter Jurist, sondern auch ein guter Anwalt? Beides fällt nicht automatisch zusammen. Gries-Redeker wies darauf hin,
dass ein Anwalt neben Fachkenntnissen auch
menschliche und soziale Eigenschaften benötige.
Sie habe den Fall eines hervorragenden Juristen
erlebt, der für den Anwaltsberuf nicht zu gebrauchen war, da er „Verachtung für die Mitmenschen
nach außen trug“. Ein Anwalt dürfe nicht nur an
Auf dem Podium diskutierten Sabine Fries-Redeker, Jürgen Widder, Dr. Christoph Triltsch und Silke Waterschek.
die eigene Karriere denken, sondern müsse sich auch
für die Idee der Gerechtigkeit begeistern. Er müsse
zudem empathisch sein und Freude an der Wahrnehmung fremder Interessen haben.
Widder äußerte, dass auch die Fähigkeit, das Recht
für den Mandanten in eine einfache Sprache zu
übersetzen, zur Anwaltskunst gehöre. Außerdem
sprach er sich dafür aus, die Anwaltskollegen nicht
in erster Linie als Konkurrenten zu sehen, sondern
gemeinsam daran zu arbeiten, dass das Niveau anwaltlicher Arbeit insgesamt hoch ist. Das sei für das
Ansehen des Berufsstandes wichtig.
Fachliche Kompetenz und menschliche Qualitäten,
ein offenes und kontaktfreudiges Wesen, Einfühlungsvermögen, wirtschaftliches Denken und Organisationstalent machen den guten Anwalt aus.
Darauf konnten sich letztlich alle einigen. Und eine
Prise Sportsgeist schadet auch nicht. Der auf Zuhörerseite sitzende Dr. Thilo Wagner (Ravensburg)
formulierte es so: „Du musst gewinnen wollen, dann
kannst du Anwalt werden!“ Dem möchte man im
Geiste der Diskussion zurufen: Gewinnenwollen ja,
aber mit Fairplay und nicht um jeden Preis.
Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin
> gfa@davforum.de
Fotos: Andreas Burkhardt
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DAT 2012
Verhandeln nach Drehbuch
Lehrfilme sind Erin Brockovich und Pulp Fiction
Kinofilme sind idealer Lernstoff, um dem Verhandlungsziel näher zu kommen.
Verhandeln ist eine Kulturtechnik, die sich über
viele Disziplinen erstreckt und zahlreiche ganz
unterschiedliche Fähigkeiten erfordert. Um diesen komplexen interaktiven Prozess leicht fassbar darzustellen, braucht es mehr als nur Worte.
In seinem diesjährigen DAT-Vortrag „Verhandeln nach Drehbuch“ beschritt RA Prof. Dr.
Peter Bräutigam deshalb einen neuen Weg und
veranschaulichte die Stationen und die jeweils
angemessenen Vorgehensweisen anhand von
Szenen aus bekannten Kinofilmen.
Der Vortrag basiert auf dem Buch „Verhandeln nach
Drehbuch – Aus Hollywood-Filmen für eigene Ver-
Foto: Robert Blanken_pixelio.de
handlungen lernen", das er zusammen mit Dr. Agnes
Kunkel und Elmar Hatzelmann veröffentlicht hat.
Wall Street, der Finanzkrimi über betrügerische
Machenschaften an der New Yorker Börse.
Naturgemäß sind Verhandlungen Situationen voller
(An-)Spannung, Überraschung und Dynamik. Gerade
diese, den meisten Menschen eher unbehaglichen
Aspekte, nutzen jedoch geschickte Verhandler, um
ihren eigenen Verhandlungszielen näher zu kommen.
Kinofilme sind hier ideal, um die Dreh- und Angelpunkte von Verhandlungen zu veranschaulichen.
Erin Brockovich, eine Tatsachenverfilmung über
den erfolgreichen Kampf einer kleinen Anwaltsgehilfin für die angemessene Entschädigung der Opfer
eines großen Umweltskandals.
Diese vier Filme könnte man – so Peter Bräutigam –
in diesem Sinne schon fast als Lehrfilme zum Verhandeln betrachten:
Der Pate, der Klassiker über Loyalität und Verrat im
organisierten Verbrechen mit Marlon Brando in
seiner Glanzrolle als Mafiaboss.
Pulp Fiction, der schräge Kultfilm über den „Alltag“
kleiner Auftragskiller der Unterwelt von Los Angeles.
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DAT 2012
Silber und Gold
Über Schreiben, Reden und Schweigen im Zivilprozess
Gegenstand des Beitrags, der auf einem Vortrag
zum Deutschen Anwaltstag 2012 basiert, ist die
Kommunikation mit Gericht und Gegner im Zivilprozess. Zunächst geht es um die Abfassung
und Gestaltung von Schriftsätzen im Vorfeld
eines Termins, im Wesentlichen also Klage- und
Klageerwiderung. Im Weiteren wird das Auftreten im Termin behandelt. Der letzte Teil ist Erklärungen nach Schluss der mündlichen Verhandlung und in der Rechtsmittelinstanz gewidmet.
I. Einleitung
aus seinem Schriftsatz. Denn Hektik ist kein guter
Berater, wenn es darum geht, ob in einem Schriftsatz
die Grenzen des Anstandes noch gewahrt sind. Ich
habe nicht nur einen mit heißer Nadel gestrickten
Schriftsatz gesehen, dessen Verfasser die Gäule so
durchgegangen sind, dass er gegenüber der Gegen seite die Grenze zur strafbaren Beleidigung überschritten hat. Meine Anregung betrifft aber nicht
diese seltenen Fälle. Denn es geht darum, mit den
schriftsätzlichen Ausführungen Gehör zu finden. Da
spielt natürlich – aber eben nicht ausschließlich – die
Wahrnehmung der eigenen Partei eine Rolle. Diese
muss für den mandantenorientierten Rechtsanwalt
natürlich im Vordergrund stehen.
Thema meiner Ausführungen ist nicht die Goldprämierung anwaltlichen Schweigens. Eine solche Erwartung würde auf zwei Fehlvorstellungen beruhen: Schweigen bedeutet im Gerichtsalltag nicht
„Nichts“, sondern kann durchaus Erklärungswert
haben und sollte daher gezielt eingesetzt werden.
Zum anderen haben Richter kein so großes Interesse an untätigen Rechtsanwälten, wie es manchmal scheinen mag. Ohne Rechtsanwälte und deren
Klagen wären Richter nämlich brotlos. Ein „Bankenanwalt“ hat es einmal in Bezug auf Anlegerklagen
gegen Banken so formuliert: „Ich bin dankbar für
jeden Klägervertreter und jede Klage, weil ich sonst
nicht für die Beklagten arbeiten kann.“ Im Übrigen
hat jeder Richterkollege schon Versäumnisurteile
erlassen müssen, bei denen er im Hinblick auf den
Inhalt des im Ergebnis schlüssigen Klagevortrag –
vorsichtig ausgedrückt – „Bedenken“ hatte.
Wichtig ist es aber auch, vom Gericht nicht nur
gehört (jeder Richter nimmt Schriftsätze „z. K.“),
sondern auch verstanden zu werden. Das gelingt
besonders gut mit einer unaufgeregten Darstellung, die den zu beurteilenden Sachverhalt schildert
und – so noch nötig – die notwendigen rechtlichen
Schlüsse darlegt. Es sollte also z. B. nicht durchgehend von dem mehrfach vorbestraften Kläger die
Rede sein. Dennoch kann dieses Detail für den
Sachverhalt von Bedeutung sein. In diesem Fall
könnte es heißen, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt mit einschlägigen Betrügereien bestreite,
wie auch zu Lasten des Beklagten geschehen. Er
habe bei den Kaufvertragsverhandlungen versichert,
der zu erwerbende Pkw habe einen Kilometerstand
von 5.000. Tatsächlich sei schon der Kläger selbst
mit dem Auto 70.000 Kilometer gefahren.
II. Vor der Sitzung: Schreiben
Auf klare Sprache achten
„Am Anfang war das Wort … das gilt auch für den
Zivilprozess, nur dass hier am Anfang ein Aneinanderreihung von Worten steht, nämlich die Klageschrift. Darauf folgen weitere Worte, für alle gilt:
Wenn der Wunsch, mein Wort in Richters Ohr, Rea lität werden soll, ist es ratsam, sich auf das zu besinnen, was man über Worte und deren Wirkung weiß.
1. ALLGEMEINES ZU SCHRIFTSÄTZEN
Wichtig ist es aber auch, dass der Schriftsatz sprachlich verstanden wird. Deshalb sollten Fremdworte
nur dann benutzt werden, wenn es sicher ist, dass
diese von den Adressaten des Schriftsatzes auch
verstanden werden. Berücksichtigt man dazu, dass
in gerichtlichen Entscheidungen wegen der erforderlichen Allgemeinverständlichkeit Fremdworte so
gut wie keinen Platz haben, sollte man klare, verständliche Formulierungen wählen, mit denen sich
auch das Gericht verständlich machen könnte.
Der Ton macht die Musik, so haben wir es alle einmal gelernt. Dieser Gedanke gilt natürlich auch für
das schrift(sätz)liche Wort. Zu empfehlen ist also
eine ausgewogene, aber nicht langweilige Sprache.
Wer mit Emotionen temperamentvoll diktiert, schläft
am besten eine Nacht über seinen Formulierungen
und streicht am nächsten Tag unnötig starke Worte
Natürlich gibt es technische Fachgebiete, wie etwa
das Baurecht, in denen sich eine eigene Fachsprache etabliert hat. Diese kann dann gegenüber
Eingeweihten benutzt werden und dient gelegentlich auch als Ausweis besonderer Sachkundigkeit.
Es sollte jedoch bedacht werden, dass eine solche
Sprache außerhalb des Kreises der Sachkundigen
*
regelmäßig unverstanden bleibt. So kann der erfahrene Baurechtler natürlich verstehen, was gemeint ist, wenn es heißt, dass in dem Feuchtbiotop
gelegene Wohnhaus sei ohne weiße Wanne errichtet worden. Ist der Schriftsatz an eine Spezialkammer für Bausachen adressiert, kann der angedeutete Baumangel in wenigen Sätzen geschildert
werden. Dies setzt allerdings voraus, dass man sich
vergewissert, dass der Schriftsatz auch tatsächlich
bei der Spezialkammer landet. Dies wäre z. B. beim
LG München I nur der Fall, wenn sich die Klage gegen die Bauausführenden bzw. -planenden richtet.
Soll es aber gegen denjenigen gehen, der das Haus
an den Mandanten verkauft hat, ist die Zuständigkeit einer allgemeinen Zivilkammer so gut wie sicher,
wenn der Verkäufer am Bau nicht mitgewirkt hat.
Für jeden Schriftsatz gilt die im Berufsalltag manchmal verdrängte Regel, erst denken, dann … schreiben.
2. KLAGESCHRIFT
Klageschriften leiten das Verfahren ein und werden
im Gericht zu allererst von Mitarbeitern aus dem
nichtrichterlichen Dienst bearbeitet. Daher sollte
auf eine übersichtliche Gestaltung des Rubrums
und der Schriftsatzeinleitung höchster Wert gelegt
werden. Bevor ein neues Verfahren erstmals dem
Richter vorgelegt wird, muss es zuvor durch die
Gerichtsverwaltung aktenmäßig erfasst werden.
Nach Eingang eines nicht bereits mit einem Aktenzeichen versehenen Schriftstückes wird dieses
der allgemeinen Einlaufstelle vorgelegt. Anschließend wird nach Ausscheiden der die Strafabteilung
betreffenden Eingaben in der Zentralregistratur für
Zivilsachen zunächst geprüft, ob ein bereits anhängiges Verfahren betroffen ist.
Nach dieser Einordnung ist weiter zu prüfen, ob es
sich um eine mehreren Kammern zugeordnete all gemeinere Angelegenheit handelt oder ob eine
Spezialmaterie betroffen ist, für die eine bestimmte
Kammer zuständig ist. Hat der Mitarbeiter schließlich den seiner Meinung nach zuständigen Spruchkörper gefunden, wird das gesamte Aktenzeichen
gebildet. Vorangestellt ist die Ordnungsnummer
des zuständigen Spruchkörpers, gefolgt vom Registerzeichen und der fortlaufenden Registrierung
der im laufenden Geschäftsjahr eingegangenen
Verfahren.
Überarbeitetes Manuskript des am 13.6.12 anlässlich der Veranstaltung „DAT für Einsteiger“ gehaltenen Vortrags, die Vortragsform wurde beibehalten.
Fortsetzung auf Seite 48-49
ADVOICE 02/12
>
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DAT 2012
Geschäftsverteilung ist im Internet einsehbar
Zweifelsfragen lassen sich heute meist über das
Internet klären, weil die Geschäftsverteilung vieler
Gerichte über deren Homepage abrufbar ist. Bei
verbleibender Unsicherheit und besonders eiligen
Verfahren empfiehlt sich allerdings die persönliche
Übergabe der Klage- oder Antragsschrift in der
Zentralregistratur. Dort kann die Frage der gerichtsinternen Zuständigkeit mit den Mitarbeitern des
Gerichts geklärt werden. Diese werden regelmäßig
daran interessiert sein, Klarheit zu schaffen, weil
die korrekte Erfassung der Verfahren zeitaufwendige Umtragungen im Verfahrensregister zu vermeiden hilft.
Auch wenn sich der Verfasser einer Klageschrift
hinsichtlich der Zuständigkeit sicher ist, werden die
Mitarbeiter der Einlaufstelle anhand des Inhalts der
Klageschrift prüfen, welcher Spruchkörper zuständig ist. Deshalb ist ein Einleitungssatz der Klageschrift wichtig, der die Zuständigkeit nochmals hervorhebt: „Der Kläger verlangt von der beklagten Bank
die Auszahlung des von dieser mit der Begründung
‚Vorfälligkeitsentschädigung’ einbehaltenen und
nun eingeklagten Betrags.“ oder: „Die Klägerin verlangt von den beklagten Bauherren die Bezahlung
ihrer Schlussrechnung für die Errichtung von deren
Wohnhaus in München.“ oder: „Die Kläger verlangen
von dem beklagten Rechtanwalt wegen diverser
Beratungsfehler Schadensersatz.“ Es kann aber auch
heißen: „Der Kläger verlangt vom Beklagten nach
dem Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeuges
Schadensersatz“.
Schließlich sollte sich die Angabe des Streitwerts
auf dem Deckblatt der Klage befinden. Die Angabe
ist unerlässlich, da die gerichtliche Festsetzung in
der Regel auf dieser basiert und nicht anfechtbar
ist (s. a. § 61 GKG). Nach OLG Koblenz, NJW-RR 2008,
499 kann die vorläufige Wertfestsetzung nicht isoliert, sondern nur in Verbindung mit einer Vorschussanforderung angefochten werden. Ein Rechtsmittel
gegen die vorläufige Streitwertfestssetzung ist danach nicht statthaft1.
Konzentration bei der Antragstellung
Wichtig ist es, ggf. auf dem Deckblatt einer Klageschrift zu vermerken, dass sich in dieser weitere Anträge befinden, die eine von der üblichen Routine –
Zustellung der Klage an die im Rubrum genannten
Beklagten – abweichende Sachbehandlung erfordern.
Genannt seien etwa in der Klageschrift „versteckte“
Streitverkündungen oder Eilanträge (sofortige Ein stellung der Zwangsvollstreckung bei der Vollstre ckungsgegenklage).
Anschließend sollte die volle Konzentration der
Antragstellung gelten. Hier ist selbst bei Routinevorgängen das kontrollierende Hinzuziehen eines
48
ADVOICE 02/12
Formularbuches zu empfehlen. Denn gerade bei
Antragsannexen wie etwa der Verzugsfeststellung
oder der Ordnungsgeldandrohung bei Unterlassungsklagen, kommt es immer wieder dazu, dass
die Antragstellung vergessen wird. Geht es im
Hauptantrag nicht um Geldzahlungen, muss dem
Bestimmtheitsgrundsatz Aufmerksamkeit gewidmet werden. Man sollte sich bei Herausgabeklagen
immer vorstellen, man sei der Gerichtsvollzieher,
der den angestrebten Titel vollstrecken soll. Dieser
kann bei einem Privatmann sicher die Herausgabe
von dessen ungenau bezeichneten Pkw durchsetzen, wenn dieser nur einen hat. Das kann sich bei
einem Gebrauchtwagenhändler, der sich möglicherweise auf ein bestimmtes Fabrikat spezialisiert hat,
schon ganz anders verhalten. Insoweit ist das Gericht aber zur Mithilfe und Hinweiserteilung verpflichtet. In BGH NJW 2006, 695, Rdn. 14 heißt es
dazu: „Das Gericht hat nach § 139 ZPO in jeder
Lage des Verfahrens auf eine von ihm als sachdienlich angesehene Antragstellung hinzuwirken“.
Sachverhalt knapp und zutreffend schildern
Zum Inhalt der Klageschrift gilt, dass in dieser zunächst nur der anspruchsbegründende Sachverhalt
und sonst nichts anzuführen ist. Es ist überflüssig
und gefährlich, sich in dieser bereits mit den vom
Gegner vorgerichtlich vorgebrachten Einwänden
auseinanderzusetzen. Wer z. B. erwähnt, der Gegner
habe Verjährung eingewandt, setzt sich bei der
Schlüssigkeitsprüfung des Gerichts vor Erlass eines
Versäumnisurteils der Gefahr aus, dass das Gericht
ein solches nicht erlässt, weil der Verjährungseinwand nach der eigenen Schilderung des Klägers
zutreffend erhoben worden sei. Ähnlich bitter ist
es, wenn sich die die Fälligkeit der Klageforderung
hindernde fehlende Abnahme bei der Werklohnklage schon aus den Ausführungen des Klägervertreters ergibt. Es gilt also, den Sachverhalt knapp
und zutreffend zu schildern. Als Beispiel mag die
Beitreibungsklage eines Lieferanten dienen, dessen
Abnehmer die letzten Rechnungen nicht bezahlt
hat. Schlüssig ist eine solche Klage bereits dann,
wenn sie mitteilt, dass die in den als Anlage K 1 bis
K 5 beiliegenden Rechnungen aufgeführten Waren
aufgrund Bestellung des Beklagten zu den in den
als K 6-10 beigefügten Lieferscheinen ausgewiesenen Daten übergeben worden seien, daher werde
die Klageforderung geschuldet. In dieser Klage
müssen keine Ausführungen zum Inhalt der Schriftstücke K 1-10 erfolgen, da sie lediglich den schlüssigen Inhalt der Klageschrift belegen. Es gilt der
Grundsatz: aus BVerfG NJW 1994, 2683: „Es ist keineswegs so, dass die Richter aus den Anlagen selbst
hätten zusammensuchen müssen, wie die geltend
gemachte Forderung sich nach Grund und Höhe
errechnete. Die Anlagen belegten lediglich den
Vortrag in der Berufungsbegründung. Die Entstehung der eingeklagten Forderung war in dieser
Schritt für Schritt dargelegt. Die beigefügten An-
lagen ermöglichten es, den Vortrag anhand der
Belege zu überprüfen. Die Anlagen waren durchnummeriert. Im Schriftsatz war auf die zum jeweiligen Vortrag gehörige Anlage mit deren Nummer
zutreffend hingewiesen. Die in der Berufungsbegründung zusammengefasst wiedergegebenen Zahlen – namentlich über die unregelmäßigen Leistungen
der Bekl. im Jahre 1991 – ließen sich auf diese Weise
ohne Mühe aus den Unterlagen nachvollziehen.“
Überflüssige Ausführungen sind Ballast
In BGH, Urteil des VII. Zivilsenats vom 19.5.2011,
VII ZR 24/08, Rdn. 14/15 ist festgehalten: „Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie
Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem
Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte
Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu
lassen ... Die Angabe von Einzelheiten zu dem Ablauf bestimmter Ereignisse ist grundsätzlich nicht
erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen ohne
Bedeutung sind ... Dementsprechend ist eine Partei
grundsätzlich nicht gehalten, zur Substantiierung
einer Klage, die sich auf eine getroffene Einigung
stützt, zu den Umständen dieser Vereinbarung, wie
Zeit, Ort oder teilnehmende Personen, detailliert
vorzutragen ... Diese Umstände sind Gegenstand der
Beweisaufnahme; diese kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie von der beweispflichtigen Partei im Einzelnen vorgetragen werden ... Zu
einer näheren Darlegung kann eine Partei allerdings gezwungen sein, wenn die Gegenpartei ihre
Darstellung substantiiert angreift ... Denn der Umfang der jeweils erforderlichen Substantiierung bestimmt sich aus dem Wechselspiel von Vortrag und
Gegenvortrag ...“
Die Gliederung einer Klageschrift ergibt sich wie aus
den für den geltend gemachten Anspruch erforderlichen Darlegungen. Dabei wird sich der die Klage
rezipierende Richter an das aus der Ausbildungszeit
bekannte Schema halten und sich auf die insoweit
vorgetragenen Einzelheiten konzentrieren. Weitere
Ausführungen sind nur Ballast. Weder interessiert
sich das Gericht dafür, dass der Kläger schön und
berühmt ist, noch dafür, was dieser vom Beklagten
hält. Sollten solche Ausführungen auf Wunsch des
Mandanten unerlässlich sein, kann man diese in
folgende Wendung kleiden und tunlichst am Ende
des Schriftsatzes platzieren: „pflichtgemäß trage ich
noch vor“ oder „auf ausdrücklichen Wunsch meines
Mandanten weise ich noch auf Folgendes hin“.
Zwischenüberschriften sind meist überflüssig
Zwischenüberschriften sind meist überflüssig, weil
sich der Klagesachverhalt aus dem Tatbestand der
Norm ergibt, unter die das Gericht subsumieren
soll. Werden sie ausnahmsweise für unerlässlich
1
Zur Streitwertfestsetzung s. a. Stackmann, JuS 2009, 1004.
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DAT 2012
gehalten, sollten die Überschriften aussagekräftig
sein. Uninteressant sind etwa „Allgemeines“ oder
„Vorüberlegungen“. Inhaltsverzeichnisse werden
nur ganz ausnahmsweise nötig sein. Ist dies einmal
der Fall, sollte bedacht werden, dass Richter mit
solchen nicht rechnen und daher auch nicht danach suchen. Es sollte also das Inhaltsverzeichnis
direkt nach Klageantrag und Einleitungssatz nicht
allzu detailliert in die Klageschrift eingebaut werden. Pech hatte z. B. eine Kollegin, die ihre etwa 100
Seiten starke Klageschrift mit Akribie untergliedert
und mit Zwischenüberschriften versehen hatte, das
Inhaltsverzeichnis zu dieser aber gesondert als KAnlage vorlegte. Es fiel mir erstmals in die Hände,
als ich für das Urteil die Anlagen nochmals sichtete
und sortierte und dabei auf das in der Klageschrift
nicht einmal erwähnte Inhaltsverzeichnis stieß.
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In dieser Ausgabe lesen Sie folgende Inhalte
I. Einleitung
JETZT
KOSTENL
O
ANMELD S
EN:
MARKTP
LAT
RECHT.DE Z-
II. Vor der Sitzung: Schreiben
1. Allgemeines zu Schriftsätzen
2. Klageschrift
In den kommenden Ausgaben werden Sie folgende
Inhalte lesen
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
Schriftsatz Beklagtenvertreter
Formalfragen
Schriftsatz unmittelbar vor der Sitzung
Wiederholungen in weiteren Schriftsätzen
Bedeutung der Rechtsprechung
Bedeutung der Großkommentare
Bitte um Hinweise
Sachverhalt gestalten?
Konsequenzen der gegnerischen Auffassung
aufzeigen
12. Darstellung von Theorien
13. Zusammenfassungen
III. In der Sitzung: Reden
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Vorbereitung
Zu zweit kommen?
Partei mitbringen?
Zu spät kommen?
Suchen in Unterlagen?
Respekt?
Zuhören? (Lauschen?)
Schweigen?
IV. Nach der Sitzung: Schweigen?
Oder nicht nachgelassener Schriftsatz?
1.
2.
3.
4.
5.
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1. JAHRESTAGUNG 2012
FORUM Junge Anwaltschaft
FACHVORTRÄGE | MITGLIEDERVERSAMMLUNG | RAHMENPROGRAMM
28. / 29. SEPTEMBER 2012 IM NH HOTEL KÖLN
Anmeldung unter: www.davforum.de/jahrestagung
???
Foto: Hemmler
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Euer FORUM
Durchstarten und gewinnen
Soldan zeichnet Gründerkonzepte aus
Termine
14./15. September 2012
13. Deutscher Medizinrechtstag, Berlin
Symposium unter dem Motto „Das Abschmelzen der
Zum 6. Mal seit 2001 schreibt die Hans Soldan
GmbH zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein/FORUM Junge Anwaltschaft, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in diesem Jahr wieder den Soldan
Kanzlei-Gründerpreis aus. „Durchstarten und gewinnen“ lautet auch in diesem Jahr die Aufforderung an alle jungen Anwälte/Anwältinnen, die
zwischen den Jahren 2008 und 2010 allein oder
gemeinschaftlich den Sprung in die Selbständigkeit gewagt haben. Die Preisverleihung findet im
Rahmen des Existenzgründerforums des FORUMs
Junge Anwaltschaft am 26./27. Oktober 2012 in
Würzburg statt.
Gewonnen hat, wer die Jury mit dem besten Gründungskonzept und den wirtschaftlichen Ergebnissen seiner Kanzlei überzeugen konnte. Die Ermittlung erfolgt anhand eines systematischen PunkteBewertungsverfahrens, das im Soldan Institut für
Anwaltmanagement entwickelt wurde. In der Jury
wirken u. a. die Präsidenten der BRAK und des DAV
mit. Ausgezeichnet werden die drei überzeugendsten Kanzlei-Gründungskonzepte mit Sachpreisen im
Wert von insgesamt 10.000 Euro.
Die vollständigen Teilnahmeunterlagen, bestehend
aus dem ausgefüllten Bewerbungsformular, dem
schriftlichen Gründungskonzept, der Kanzleibroschüre (soweit vorhanden) sowie den Daten und
persönlichen Angaben zur Kanzlei und zum Gründer
sind bis zum 31. Juli 2012 an folgende Adresse zu
senden:
Standards – Qualitätsverluste in Medizin und Pflege?"
Programm unter: www.medizinrechts-beratungsnetz.de/
deutscher-medizinrechtstag
28./29. September 2012
1. Jahrestagung
FORUM Junge Anwaltschaft, Köln
Es ist soweit – unsere erste eigene Jahrestagung erblickt am 28. und 29. September 2012 in Köln im NH
Hotel Mediapark das Licht der Welt. Der Tagung vorangeschaltet ist ein LB Treffen am 27.9. Die Tagung selbst
Hans Soldan GmbH
Frau Brigitte Enters-Sczepan
Bocholder Straße 259
45356 Essen
beginnt dann am 28. September um 9 Uhr. Angeboten
werden unter anderem sieben Fortbildungsveranstaltungen. Die Mitgliederversammlung des FORUMs
(Tagesordnung siehe unten) findet im Rahmen unserer
Jahrestagung am 28. September um 14.15-15.45 Uhr
statt. Am 29. September folgt ein RB-Treffen im An-
Die notwendigen Teilnahmeunterlagen können auch
unter www.soldan.de/gruenderpreis heruntergeladen
werden.
schluss an das Mittagessen von 14–16 Uhr.
Teilnahmebetrag: für Mitglieder
für Nicht-Mitglieder
99 Euro
149 Euro
Teilnahme an der Veranstaltung für Syndikusanwälte für
Nicht-Mitglieder 50 Euro. Es besteht keine Umsatzsteuerpflicht für den Teilnahmebeitrag. Komplett-Programm
unter: www.davforum.de/jahrestagung.
Mitgliederversammlung des FORUM Junge Anwaltschaft
Alle Mitglieder des FORUM Junge Anwaltschaft sind herzlich zur Mitgliederversammlung im NH
Hotel Mediapark in Köln am Freitag, den 28.9.2012 von 14.15 – 15.45 Uhr, Raum Roma/Napoli,
eingeladen.
TAGESORDNUNG
Begrüßung
1. Feststellung der Beschlussfähigkeit
2. Genehmigung der Tagesordnung
3. Verlesung und Genehmigung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung
4. Bericht der Vorsitzenden mit Vorstellung neuer Projekte
5. Bericht des Schatzmeisters
6. Bericht der Kassenprüfer
7. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses
8. Wahl der Kassenprüfer
RAin Silke Waterschek
FORUM Junge Anwaltschaft / Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses
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Euer FORUM
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Historische Kulisse der EYBA-Konferenz europäischer Juristen - das Colosseum in Rom.
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Euer FORUM
International in der ewigen Stadt
EYBA-Spring-Conference 2012 in Rom
Mit circa 200.000 Mitgliedern zählt die European Young Bar Association (EYBA) zu den wohl
größten internationalen Zusammenschlüssen
junger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte.
Vom 22. bis 25. März 2012 trafen sich ihre Mitglieder für drei Tage in der ewigen Stadt. Neben
der fachlichen Fort- und Weiterbildung stand vor
allem die Pflege alter Kontakte sowie das schließen neuer Freundschaften im Vordergrund.
trages erörterte Frage, wie in Zukunft mit transnationalen Insolvenzverfahren umgegangen werden
sollte. Hier wurde besonderes auf die Problematik
des sogenannten „Forum-Shopping“ näher einge gangen, bei dem im Falle einer konkurrierenden
internationalen Insolvenzzuständigkeit der Insolvenzschuldner bewusst und systematisch nebeneinander bestehende Zuständigkeiten ausnutzt um
sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.
Bereits die Auftaktveranstaltung des Kongresswochenendes stand unter einem guten Stern. Vor der
traumhaften Kulisse des Collosseums begann an
einem Donnerstagabend die EYBA-Spring-Confrence
2012 in Rom mit einem informellen „Meet and
Greet“ der insgesamt ca. 100 Teilnehmer. Nach den
offiziellen Begrüßungsworten durch den EYBAVorstand sowie den Präsidenten der römischen
Anwaltskammer, bot sich hier bei reichhaltigem
Buffet und kühlen Getränken die Möglichkeit, erste
Kontakte zu den jungen Kolleginnen und Kollegen
zu knüpfen, die von Spanien bis Lettland angereist
waren. Trotz einer zunächst rein europäischen
Ausrichtung der EYBA traf man hier auch auf
zahlreiche US-amerikanische Vertreter der ABA
Young Lawyer Devision (American Bar Association,
Young Lawyer Devision ), welche die Konferenz für
einen Kurzurlaub nach Rom genutzt hatten. Die
ABA YLD ist Kooperationspartner der EYBA, wie
auch wir Kooperationspartner die ABA YLD sind.
Insgesamt boten die durchweg interessanten Vortragsthemen, bei denen unter anderem auch eine
Perücke eines englischen Barristers als Anschauungsobjekt herumgereicht wurde, ausreichend Gesprächsstoff für die im Anschluss stattfindenden
Diskussionen, welche während der Pausen und gemeinsamen Mittagessen von den Teilnehmern fortgeführt wurden.
Obwohl der erste gemeinsame Abend bereits – wohl
auch aufgrund des sommerlichen Wetters – bis in
die frühen Morgenstunden dauerte, begannen die
zweitägigen Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen der Konferenz pünktlich am Freitagmorgen
in der Anwaltshalle (Sala Avvocati) des unmittelbar
am Tiber gelegenen „Corte Suprema di Cassazione“
(dt.: Oberster Kassationsgerichtshof Italiens).
Auch die Abendveranstaltungen, welche die „Rome
Young Bar Association“ mit finanzieller Hilfe ver schiedener lokaler Sponsoren organisiert hatte, ließen keine Wünsche offen. So stand neben einem
informellen Dinner im direkter Nachbarschaft zum
Pantheon gelegenen Club „Shari Vari“ auch ein formelles Galadinner in der Villa Miani statt, zu dem
die Gäste, dem Anlass entsprechend, in Abendkleid
bzw. Smoking erschienen. Hier ließ man schließlich
die „Spring Conference 2012“ mit Blick über das
abendliche Rom bei Livemusik und diversen Getränken in würdiger Atmosphäre ausklingen.
Römisches Gericht.
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass jeder Teilnehmer von der dreitägigen Konferenz wohl nicht nur in
fachlicher Hinsicht profitiert haben dürfte. Gerade
in Zeiten, in denen sich auch für kleine und mittelständische Kanzleien zunehmend Mandate auf internationaler Ebene abspielen, ist es immer wichtiger,
auch einmal den Blick über den nationalen Tellerrand zu wagen, Kontakte zu knüpfen und von den
individuellen Erfahrungen und Kenntnissen der europäischen Kolleginnen und Kollegen zu profitieren.
Abschließend kann damit den deutschen Kolleginnen und Kollegen, die trotz nahezu 160.000 deutschen Rechtsanwälten nur mit einem Teilnehmer
vertreten waren, ans Herz gelegt werden, sich den
Erfahrungen, welche EYBA ihren Mitgliedern bietet,
zu öffnen und gezielt den internationalen Kontakt
zu den europäischen Berufskollegen zu suchen.
Die nächste Gelegenheit hierzu bietet sich im Rahmen des „EYBA Annual General Meeting“, welches
vom 14. bis zum 16. Juni in Oslo stattfindet. Weitere Informationen sowie die aktuellen Anmeldeformulare sind auf der EYBA-Webseite www.eyba.org
verfügbar.
RA Christian Grüneberg, Düsseldorf
Der Autor ist Rechtsanwalt der international ausgerichteten
Wirtschaftskanzlei Busekist Winter & Partner in Düsseldorf
Foto: Tobias Sommer
Nach einer kurzen Begrüßung durch die gastgebende „Rome Young Bar Association“ wurden ne ben einem Einblick in verschiedene nationale Themen
der Teilnehmerländer, wie dem Berufsrecht der
englischen und walisischen Solicitor und ihrer be rufsrechtlichen Regelung im Rahmen des „SRA Code
of Conduct“ insbesondere auch internationale juristische Problemstellungen thematisiert.
Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle der
Vortrag von Prof. Pietro Franzina (Universität Ferrara)
über aktuelle Konflikte des internationalen Kauf rechts unter Berücksichtigung der Rom I Verordnung, sowie die im Rahmen eines weiteren Vor-
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FORUM
Junge
Anwaltschaft
im DAV
Das FORUM ist:
Die Stimme der jungen Anwälte.
Eine der größten Arbeitsgemeinschaften
innerhalb des Deutschen Anwaltvereins
(DAV).
Das FORUM bietet:
Fortbildungen. Netzwerke.
Lobby. Starthilfe.
Antworten und Hilfe
für den Berufsstart und die ersten
Berufsjahre.
Eine Mitgliedschaft zahlt sich aus:
Vorteile für alle Anwälte, Assessoren
und Referendare bis 40 Jahre
(Diese Vorteile bietet nur das FORUM
Junge Anwaltschaft.)
Kostenlos:
Anwaltsmagazin AdVoice
Mit Schwerpunktthemen,
Erfahrungsberichten
Unterhaltsames und Wissenswertes aus
der Anwaltschaft, Mitgliederinformationen
und natürlich viel Service: Checklisten,
Fachanwaltssteckbriefe, Steuerinfos, Tipps
zur Haftungsvermeidung u. v. m.
Vertretung der Interessen
der jungen Anwaltschaft in der
Berufspolitik und der anwaltlichen
Selbstverwaltung
Teilnahme an der Mailingliste,
fachliche Unterstützung durch Kollegen,
Antworten auf fast jede Frage des
Anwaltsalltags, Terminvertretungen,
Fällen von Kollegen
VORTEILE
für alle, die (noch) nicht im DAV sind
günstige Konditionen für die
Berufshaftpflichtversicherung
Mit HDI-Gerling besteht ein Abkommen
mit hohem Sparpotenzial exklusiv für
FORUMsmitglieder
Fortbildung:
eigene Seminare und günstigere
Konditionen bei anderen Anbietern
z. B. Mitglieder-Rabatt teilweise bis zu
50 Prozent bei der Deutschen
AnwaltsAkademie
Netzwerk und Erfahrungsaustausch
national
Regelmäßige Stammtische in den allen
LG-Bezirken. Kontakte zu örtlichen und
überörtlichen jungen Kolleginnen und
Kollegen. Regionalbeauftragte als
Ansprechpartner, die Euch gern vor
Ort weiterhelfen.
Netzwerk international
Länderbeauftragte als Ansprechpartner bei
grenzüberschreitenden Rechtsproblemen.
Kontakte zu internationalen
Organisationen junger Anwälte und
Mitgliedschaft in der European Young
Lawyers Bar Association.
Vergünstigte Teilnahme
bei Veranstaltungen, z. B. beim Deutschen
Anwaltstag und Anwaltstagen der Länder
Kostenlos: 11x jährlich das Anwaltsblatt
günstige Konditionen des DAV
(http://anwaltverein.de/leistungen/rabatte)
· Auto & Verkehr: z. B. Sonderboni beim
Autokauf, vergünstigte Mietewagen
· Hotels: Mitgliederrabatte des
DAV in vielen Hotels
· Fortbildung/Webdienste: z. B. juris DAV
· Kommunikation: Rahmenabkommen
für Mobilfunk-Rabatte
· Versicherungen: z. B. bei der
Krankenversicherung und
Altersversorgung
Rahmenabkommen für kostenlose
Kreditkarten
NJW-Abo-Ermäßigung um 22 Euro
jährlich (Referendare erhalten vom Verlag
weitere Ermäßigungen)
VORAUSSETZUNGEN
für eine Mitgliedschaft:
Anwältin/Anwalt unter 40 Jahren,
Referendare und Assessoren
Jährlicher Mitgliedsbeitrag 50 Euro
Ermäßigungen auf 25 Euro:
1. bei Eintritt ab Juli eines Jahres
2. für Mitglieder eines dem DAV
angeschlossenen Anwaltvereins
Beitritt online: www.davforum.de/anmeldung
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Euer FORUM
Schwerpunkt Bildung für junge Anwälte
Treffen der Regioanlbeauftragten im Juni in Stuttgart
Am ersten Juniwochenende trafen sich die Regionalbeauftragten der verschiedenen Landgerichtbezirke zum Regionalbeauftragtentreffen
in Stuttgart. Als Tagungsort dienten Räumlichkeiten der Architektenkammer Baden-Württemberg nebst angrenzender Terrasse und Garten,
die Gelegenheit zum fachlichen Austausch auch
während der Tagungspausen gaben.
Wir konnten in unserem Kreise erfreulicherweise
wieder einige neue, engagierte Regionalbeauftragte
begrüßen, die sich schnell einfanden und rege an
der Diskussion beteiligten.
Als regionalen Gast konnten wir Herrn Wolfgang
Hertkens als Leiter der Regionaldirektion Stuttgart
des HDI Gerling Konzerns begrüßen, der zu der in
Kooperation mit dem FORUM angebotenen Berufshaftpflichtversicherung des HDI Gerling Rede und
Antwort stand.
Die Tagesordnung befasste sich unter anderem
weiter mit einer möglichen Kooperation mit der
NJW, der Diskussion rund um die Fachanwaltschaften nebst Zulassungsfragen und der Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgemeinschaften im DAV
sowie der Ausschussarbeit des FORUM im Bereich
Aus- und Fortbildung. Gearbeitet wird auch an
einem Starterpaket der Firma Soldan, das tolle Einsteigerangebote für die (Erst)Ausstattung der Kanzlei bereithalten soll.
Geplant wurden weitere Veranstaltungen im Jahre
2012, namentlich das Existenzgründerforum in
Würzburg am 26./27.10.2012 und insbesondere die
erste Jahrestagung des FORUM, die am 28./29.
September 2012 in Köln stattfindet und ein interessantes Programm bereithält.
Immer mehr Mitglieder und Regionalbeauftragte
des FORUM bekleiden inzwischen Vorstandsposi-
Engagiert und gut gelaunt - die Regionalbeauftragten des FORUMs.
tionen in den örtlichen Anwaltvereinen und bringen
die Interessen der Junganwälte so auch regional
verstärkt in die Vereinsarbeit ein.
Diskutiert wurden auch die Aktivitäten des VDA
(Verband deutscher Anwälte e. V.) und dessen Stellung im Vergleich zum DAV.
Am Abend der zweitägigen Veranstaltung trafen
sich die Teilnehmer zum traditionellen RB-Essen in
einem netten italienischen Restaurant bei Pizza &
Pasta zu guten und konstruktiven Gesprächen.
Insgesamt blicken wir auf ein gelungenes RB-Treffen in schönem Ambiente und mit vielen interessanten Themen zurück, die die Regionalbeauftragten nun mit in ihre Bezirke und an die örtlichen
Stammtische nehmen können.
RAin Sonka Mehner-Heurs, Hagen
Foto: Timo Scharrmann
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Euer FORUM
Länderbeauftragte
Übersicht aller Länderbeauftragten unter:
> www.davforum.de/laenderbeauftragte
stellen sich vor
Länderbeauftragter RA Annika Schmidt
für Dänemark und Schweden
Was verbindet Dich mit Dänemark & Schweden?
Ich bin gebürtige Nordschleswigerin und als Teil der
deutschen Minderheit in Dänemark geboren und
aufgewachsen. Nach meinem Studium in Deutschland bin ich wieder nach Dänemark zurückgekehrt.
Ich betreibe nun die Anwaltskanzlei ABC EU-Advokat in Odense. Meine Tätigkeitsschwerpunkte sind
dänisches Arbeitsrecht, Verkehrsunfallrecht, Inkasso,
Vertragsrecht und E-Handel. Mit Schweden verbindet mich, dass meine Mutter Schwedin ist und
ich meine Jugend dort verbracht habe.
Fremder nackt gebadet wird. Auch schätzen die
Schweden eine höfliche Umgangsform und haben
ebenso wie die Dänen eine Schlichtungskultur.
Wie kannst Du bei Rechtsproblemen helfen?
Ich bin bei der Informationsfindung behilflich, biete
Rechtsberatung über dänisches Recht und vertrete
Mandanten vor dänischen Gerichten. In Sachen, in
denen ich nicht selbst tätig bin, helfe ich auch bei
der Vermittlung eines geeigneten Rechtsanwalts.
Auch für Schweden kann ich mit Informationen
und der Vermittlung von Kontakten zu Behörden sowie zu schwedischen Rechtsanwälten behilflich sein.
daenemark@davforum.de
Midsommardans, Anders Zorn 1897
Was sollte ein deutscher Anwalt über Dänemark
bzw. Schweden wissen?
Zum Beispiel hat Dänemark eine Schlichtungskultur.
Rechtsstreitigkeiten werden, wenn möglich, stets
vermieden. Der Grund hierfür ist einfach: Die Kosten
einer Rechtsstreitigkeit sind erheblich und die Anwaltskosten werden auch im Falle eines Obsiegens
nicht vollständig ersetzt. Zu Schweden sollte man
wissen, dass im Gegensatz zu dem unter Deutschen
weit verbreiteten Irrglauben nicht in Anwesenheit
Regionalbeauftragte gesucht!
Regionalbeauftragte gesucht! An alle FORUMs-Kolleginnen und -Kollegen in den LG-Bezirken
Amberg, Bad Kreuznach,
Baden-Baden, Bückeburg,
Coburg, Cottbus, Memmingen, Mühlhausen,
Münster, Stendal, Weiden und Zwickau.
In diesen Bezirken ist die interessante Position des Regionalbeauftragten nicht oder nur kommissarisch besetzt. Als engagierte FORUMs-Mitglieder könnt Ihr
diese Lücken schließen. Der Regionalbeauftragte ist der Ansprechpartner des FORUM Junge Anwaltschaft vor Ort und organisiert in erster Linie den monatlichen Stammtisch zur Vernetzung der Mitglieder im eigenen Landgerichtsbezirk. Als RB bist Du auch die Schnittstelle zwischen dem Geschäftsführenden
Ausschuss und den Mitgliedern vor Ort und stehst in Kontakt mit den anderen RBs im Bundesgebiet.
Das FORUM lebt von der Vernetzung aller Mitglieder und der Regionalbeauftragte ist ein wichtiges Bindeglied vor Ort. Der Job macht Spaß und
bringt jede Menge Kontakte mit sich.
Eine Übersicht aller Regionalbeauftragten findet Ihr im Internet unter:
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> www.davforum.de/469/
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Bücher-FORUM
Recht der elektronischen Medien
Beck’sches Mandatshandbuch IT-Recht
Computer- und Internetstrafrecht
Spindler/Schuster (Hrsg.),
2. Auflage 2011, 1.860 S., 298,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Auer-Reinsdorff/Conrad (Hrsg.),
1. Aufl. 2011, 1.976 S., 199,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Annette Marberth-Kubicki,
2. Aufl. 2010, 313 S., 49,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Der Bereich der elektronischen Medien verändert sich stetig; neue
technologische Entwicklungen sind die Ursache und dadurch
bedingte aktuelle Rechtsprechung die Folge. Diesen Änderungen
will die 2. Auflage des Spindler/Schuster Rechnung tragen. Laut
eigenem Anspruch sollen alle für die elektronischen Medien
wichtigen materiellen Vorschriften prägnant und übersichtlich
dargestellt werden. Im Vergleich zur ersten Auflage ist die
Kommentierung des UWG weggefallen. Neu hinzugekommen
sind Ausführungen zum StGB, zum UrhG und zum ZugErschwG.
Im Bereich des IPR wurde die Kommentierung um die Rom-I- und
Rom-II-Verordnung erweitert. Anzumerken ist, dass die jeweiligen
Gesetze auszugsweise kommentiert werden.
Mit dem Mandatshandbuch IT-Recht legt der Verlag C.H. Beck ein
neues, umfassendes Werk zum IT-Recht vor. Das Buch behandelt
schwerpunktmäßig das klassische IT-Vertragsrecht sowie Internetrecht und E-Commerce. Aber auch alle anderen Themen werden in Ihrer Verbindung zum IT-Recht umfassend behandelt: u. a.
Datenschutz, Compliance und IT-Sicherheit, TK-, Urheber-,
Vergabe-, Strafrecht und IPR. Abgerundet wird das Buch durch
Kapitel zur Forensik, (außer-)gerichtlicher Streitbeilegung sowie
technische Grundlagen und einen technischen Glossar.
Wirft man einen Blick in die aktuelle Kriminalstatistik, stellt man
schnell fest, dass die Zahl der begangenen „klassischen“ Delikte in
den vergangenen Jahren konstant geblieben oder sogar gesunken
ist. Stark gestiegen ist jedoch die Zahl der im Internet oder mittels
eines Computers begangenen Straftaten.
Die Änderungen sind überwiegend gelungen. Die nicht mehr
enthaltene Kommentierung des UWG wird wegen ihres geringen
Umfangs verzichtbar sein. Die relevanten StGB-Normen werden
auf lediglich ca. 50 Seiten kommentiert und sind auf das Wesentliche beschränkt. Hier ist die Chance vertan worden, gerade im
Hinblick auf internettypische strafbare Handlungen (z. B. „Phishing“) eine federführende Kommentierung vorzulegen. Diese hätte
den guten Gesamteindruck des Buches noch steigern können. Die
Aufnahme der Kommentierung des UrhG ist eine sinnvolle Neuerung, da durch die hohe Anzahl an Urheberrechtsverletzungen
im Internet ein gesteigertes Bedürfnis nach einer praxistauglichen
Kommentierung besteht.
Das Werk kann in seiner Gänze ohne Abstriche als praxistauglich
bezeichnet werden. Die Verfasser sind überwiegend selbst Praktiker – die Kommentierungen sind demnach auf die tägliche
Praxis zugeschnitten. Dabei bieten die Ausführungen auch Juristen, bei denen die Rechte der elektronischen Medien nicht zum
„täglich Brot“ gehören, einen guten Einstieg, ohne dass es dadurch an Tiefgang mangelt.
Fazit: Der Spindler/Schuster bietet eine erstaunliche Informationsvielfalt, obgleich an einigen Stellen sinnvolle Erweiterungen vorgenommen werden könnten. Die zahlreichen
aktuellen Hinweise auf Urteile und Literatur prägen den
überdurchschnittlichen Gesamteindruck des Buches. Hinzu
kommt, dass Schlagworte fettgedruckt sind, so dass ein
schnelles Auffinden der gesuchten Abschnitte innerhalb einer
kommentierten Norm möglich ist. Insgesamt erfüllt der
Spindler/Schuster seinen Anspruch, eine praxistaugliche
Kommentierung der wichtigsten Vorschriften des Rechts der
elektronischen Medien vorzulegen.
RA Tim Wegmann, LL.M., Velbert
Alle Texte enthalten auch Checklisten, Praxishinweise, Formulierungsvorschläge und natürlich umfangreiche Verweisungen auf
weitere Literatur, die bei der Mandatsbearbeitung hilfreich sein
können. Beispielhaft das Kapitel „Standardklauseln“ (§ 11): Der
erste Teil erläutert die Grundregeln des AGB-Rechts mit IT-rechtlichen Besonderheiten (z. B. zu Lizenzbedingungen der Hersteller).
Der zweite Teil erläutert die in den verschiedenen IT-Verträgen
praxisrelevanten Standardklauseln, z. B. zum Mängelrecht, Mitwirkungspflichten des Kunden und Besonderheiten bei Softwaremiete.
Aufgrund der Vielzahl der Bearbeiter und Kapitel bleibt es dabei
nicht aus, dass einzelne Informationen sich überschneiden (z. B.
erscheint die Abgrenzung der §§ 651 und 633 BGB aufgrund der
Vielzahl der betreffenden Stellen [§ 3 Rn. 24 ff., Rn. 42 ff., § 5 Rn.
22 ff., § 8 Rn. 10 ff., § 24 Rn. 1 ff.] als komplizierter, als sie eigentlich ist). Auch kommen, trotz des Gesamtumfangs, manche Bereiche (z. B. das Domainrecht) etwas zu kurz. Der größte Kritikpunkt
ist jedoch nicht-inhaltlicher Art: Das sehr dünne, durchsichtige
Papier erschwert die Lesbarkeit und Haptik.
Alle Autoren, wie auch die Herausgeberinnen, die selbst einige
Kapitel beigetragen haben, sind erfahrene Praktiker im IT-Recht,
Dozenten in den Fachanwaltslehrgängen und durch eine Vielzahl
von Veröffentlichungen an der Rechtsfortbildung im IT-Recht
maßgeblich beteiligt. Dabei finden sich neben Anwälten auch vier
IT-Sachverständige.
Fazit: Mit dem „Mandatshandbuch“ liegt ein beeindruckendes, umfangreiches Werk vor, welches alle relevanten
Bereiche des IT-Rechts abdeckt. Die Entstehung aus den
Fachanwaltskursen ist diesem, insbesondere durch den didaktischen Aufbau, deutlich anzumerken. Es ist für erfahrene ITRechtler ebenso empfehlenswert wie für Anwälte, die solche
Mandate unregelmäßig betreuen.
RA Matthias Lachenmann, Elchingen
Kein Wunder also, dass immer mehr Fälle mit IT-strafrechtlichem
Hintergrund auf dem Schreibtisch des Anwalts landen. Diese Fälle
zu bearbeiten, ist nicht immer einfach: Das Computer- und Internetstrafrecht ist kein trennscharf abgrenzbares Rechtsgebiet,
sondern weist zahlreiche Schnittstellen zu und Überschneidungen
mit anderen Rechtsgebieten auf. Auch ist der oftmals internationale Bezug dieser Taten nicht zu unterschätzen.
Hilfe bei der Bearbeitung der Mandate aus dem IT-Strafrecht
verspricht nun die zweite Auflage des Werkes Computer- und
Internetstrafrecht von Annette Marberth-Kubicki. Neben einem
Überblick über die gesetzlichen Grundlagen und Erscheinungsformen des Cyber-Crime werden hier auch Urheberrechtsverletzungen, Haftungsfragen, Fragen zu Täterschaft und Teilnahme
sowie zur Beweisgewinnung und Verhandlungsführung thematisiert. Behandelt werden dabei sowohl die einschlägigen Tatbestände des Strafgesetzbuches als auch die im Nebenstrafrecht
(z. B. Bundesdatenschutzgesetz, Gesetz gegen den unlauteren
Wettbewerb, Urheberrechtsgesetz, Markengesetz, Telekommunikationsrecht) verankerten Vorschriften. Außerdem geht die Autorin auf Fragen zur Anwendbarkeit des deutschen Rechts in Fällen
mit internationalem Bezug sowie zu Ermittlungsmaßnahmen im
internationalen Umfeld ein.
Das Buch wendet sich in erster Linie an Strafverteidiger, ist aber
auch für IT-Rechtler geeignet, die sich in die Materie des IT-Strafrechts einarbeiten möchten. Beiden Gruppen bietet das Buch zum
einen ein umfangreiches Glossar zu den im Buch behandelten
technischen Begriffen, zum anderen viele Fußnoten, die auf einschlägige Urteile und Fundstellen in der gängigen Kommentarliteratur verweisen.
Die Autorin ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht
mit eigener Kanzlei in Kiel; seit einigen Jahren ist sie zudem
Dozentin im Fachanwaltslehrgang Informationstechnologierecht
der Deutschen Anwaltakademie.
Fazit: Diejenigen, die bereits intensiver auf dem Gebiet des
IT-Strafrechts tätig sind, werden in dem Buch nicht viel
Neues erfahren. Sie sollten sich entweder für ein Konkurrenzprodukt entscheiden oder gleich zu den gängigen Kommentaren greifen.
RAin Astrid Ackermann, Frankfurt am Main
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Bücher-FORUM
Bürgerliches Gesetzbuch
Handbuch des Fachanwalts Strafrecht
Strafgesetzbuch und Nebengesetze
Otto Palandt (Begründer),
71. Aufl. 2012, 3.087 S., 109,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Jan Bockemühl (Hrsg.),
5. Aufl. 2012, 1.830 S., 139,00 EUR,
Carl Heymanns Verlag
Thomas Fischer,
59. Aufl. 2012, 2.584 S., 79,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Der Palandt kommentiert auf über 3.000 Seiten das BGB, das
EGBGB in Auszügen samt dem IPR, dem Haager Unterhaltsprotokoll und den Rom I- (vertragliche Schuldverhältnisse) und Rom
II-Verordnungen (außervertragliche Schuldverhältnisse) sowie –
zum Teil in Auszügen – Nebengesetze wie das AGG, die BGBInfoV, das UKlaG, das ProduktHaftG, das WEG, das LPartG und
das GewSchG. Naturgemäß nimmt das BGB mit rund 2.500 Seiten
den größten Umfang ein.
Das Handbuch des Fachanwalts Strafrecht sollte jedem Strafverteidiger ein Begriff sein. Das Buch führt durch alle Abschnitte
des Strafverfahrens. Ein besonderes Augenmerk wird auf die
Besonderheiten bei Kapital-, Wirtschaftsstraf-, Betäubungsmittel-,
Verkehrs-, Jugendstraf- und Sexualstrafverfahren gelegt. Auch
auf die Vertretung von Verletzten in der Nebenklage und Zeugen
wird ausführlich eingegangen.
Der jährlich erscheinende Beck’sche Kurzkommentar Strafgesetzbuch und Nebengesetze von Prof. Dr. Thomas Fischer, Richter
am BGH, liegt in der 59. Auflage vor.
Da das Werk auf dem Rechtsstand 2011 ist, sind bereits die neuen
Regelungen zum Wertersatz beim Widerruf von Fernabsatzverträgen, zum Vormundschafts- und Betreuungsrecht, zum Unterhaltsrecht und zur Behandlung der GbR im Grundstücks- und
Grundbuchrecht enthalten.
Bei Paragraphen, die umfangreicher besprochen sind, wie z. B.
§ 280 BGB zur vertraglichen und § 823 BGB zur deliktischen
Haftung, gibt ein Inhaltsverzeichnis mit Verweis auf die entsprechenden Randnummern einen Überblick. Für die Beurteilung
von einzelnen Fallkonstellationen geben die zahlreichen Beispielfälle unter Angabe des entsprechenden Urteils wichtige Anhaltspunkte und ggf. sogar die Lösung für den konkreten Fall. So
werden etwa bei § 280 im Abschnitt über Pflichtverletzungen von
Anlageberatern über eine halbe Seite Beispielfälle aufgezählt, bei
welchem Verhalten eine Anlageempfehlung pflichtwidrig bzw.
nicht pflichtwidrig war. Auch sonst ermöglichen zahlreiche
Fundstellen eine tiefergehende Lektüre. Um Wiederholungen zu
vermeiden, wird zum Teil auf Erläuterungen in anderen Randnummern verwiesen, z. B. bei § 823 BGB auf die Ausführungen
zur Zurechnung des Fehlverhaltens von Personal und Organmitgliedern. Teilweise werden vor thematisch zusammenhängenden
Paragraphen, beispielsweise den Vorschriften zum Schadensersatz
in den §§ 249-253 BGB oder vor § 1363 BGB zur Zugewinngemeinschaft, in einer Vorbemerkung allgemeine Ausführungen
gemacht, etwa zu den Schadensarten und der Schadensberechnung bzw. zum ehelichen Güterrecht.
Als Praktikerkommentar konzentriert sich der Palandt weitgehend
auf die in der Praxis allein maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung.
Fazit: Der Palandt ist zu Recht „der“ Standardkommentar im
allgemeinen Zivilrecht. Dies belegt auch die stattliche Zahl
von inzwischen 71 Auflagen. Obwohl der Palandt offiziell ein
„Kurzkommentar“ ist, werden alle in der Praxis relevanten
Bereiche ausführlich und mit Verweis auf entsprechende
Fundstellen behandelt. Durch die jährliche Neuauflage ist der
Leser zudem stets auf dem aktuellen Stand.
RAin Tanja Fuß, MPA, Stuttgart
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In die neue 5. Auflage wurden vor allem das Gesetz zur Regelung
und Verständigung im Strafverfahren, das Gesetz zur Änderung
des Untersuchungshaftrechts sowie das zweite Opferrechtreformgesetz eingearbeitet. Rechtsprechung und Literatur sind bis
Ende September 2011, zum Teil darüber hinaus, berücksichtigt.
Außerdem wurde ein neues Kapitel eingefügt, welches sich mit
der forensischen Sprach- und Signalverarbeitung befasst und
gerade im Rahmen von Telekommunikationsüberwachungen sehr
praxisrelevant ist.
Das Werk enthält zahlreiche Checklisten und Musterschriftsätze.
Wichtige Hinweise im fließenden Text sind besonders gekennzeichnet. Das Buch verfügt über ein ausführliches Stichwortverzeichnis, sodass relevante Fragestellungen schnell und effizient
zu finden sind. Weiterhin wird auch auf das wichtige Thema
„Medien“ eingegangen, welches dadurch abgerundet wird, dass
anhand vieler Beispiele gezeigt wird, wie viel Einfluss die Medien
in Strafverfahren ausüben können.
Das letzte Kapitel des Buches widmet sich ganz dem Thema der
Rechtsanwaltsvergütung. Zuerst wird hierbei auf die verschiedenen Festsetzungsmöglichkeiten und deren Rechtsmittel eingegangen. Daran schließt sich eine schematische Gebührentabelle
an, welche sodann ausführlich besprochen wird.
Sämtliche Autoren sind erfahrene Praktiker. Neben den Rechtsanwälten zählen hierzu auch Professoren, Richter, Staatsanwälte,
Journalisten und Psychologen. Dies rundet das Werk ab und gibt
ihm eine spezielle Ausrichtung, welche für die tägliche Praxis
unverzichtbar ist.
Fazit: Das Handbuch ist für jeden Strafverteidiger ein unverzichtbares Hilfsmittel und Nachschlagewerk. Das Buch ist
sowohl für Fortgeschrittene als auch für Anfänger sehr geeignet, da es sehr ausführlich und verständlich auf die Problemfelder eingeht. Das Stichwortverzeichnis sowie die Muster
und Checklisten verhelfen zur schnellen Problemlösung.
RAin Christina Worm, Essen
Seit der Vorauflage war der Gesetzgeber erneut aktiv. Fünf
Änderungsgesetze traten in Kraft. Neu in den Katalog des StGB ist
§ 237 (Zwangsheirat) aufgenommen worden. § 130 (Volksverhetzung) ist neu gefasst. Verschiedene Normen wurden geändert:
§§ 66-66b, 67d, 68b-68e, 113, 114, 121, 125a, 240, 244, 261, 305a.
Anzumerken ist, dass die neu gefassten Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch die Entscheidung des BverfG v. 4.5.2011
– (siehe Vorbemerkung zu § 66) für verfassungswidrig erklärt
wurden und nur vorläufig (mit Einschränkung) anwendbar sind.
Ferner beachtet das Werk die Änderungen der im Anhang
aufgeführten Nebengesetze. Die in den Vorauflagen begonnene
redaktionelle Überarbeitung führt Fischer fort. Anmerkungen zu
künftigen Gesetzesvorhaben bei den jeweiligen Normen zeigen
neue Entwicklungen auf.
Die veröffentlichte und nicht veröffentlichte Rechtsprechung des
BGH bis Mitte Oktober 2011 ist eingearbeitet. Ebenso sind die
Rechtsprechung der Obergerichte, des BverfG in strafrechtlichen
Fragen sowie die wichtigsten Entscheidungen des EGMR integriert. Neue Literatur wertete Fischer bis September 2011 aus.
Dabei nimmt er Rücksicht auf die Zielrichtung eines mit fundierter wissenschaftlicher Aufbereitung untermauerten Kurzkommentars für die Praxis.
Die Systematik der Kommentierung folgt in bewährter Manier
dem Normaufbau. Bei Streitfragen stellt Fischer die gegensätzlichen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung dar, bevor
er argumentativ die herrschende Meinung entwickelt. Neben den
weiterführenden Literaturhinweisen vor den Kommentierungen
sind in den Fließtexten ausgewählte Literaturhinweise zu finden.
Die Ausführungen sind knapp, aber mit dem Blick für das Wesentliche bearbeitet. Die vorangestellten Gliederungen und die im
Fließtext optisch hervorgehobenen Stichworte erleichtern die
gezielte Suche. Der weitgehende Verzicht auf Abkürzungen sowie
der schnörkellose Stil fördern die Lesbarkeit und das Verständnis
der Zusammenhänge. Der Anhang umfasst Auszüge der wichtigsten Nebengesetze, inklusive des neu eingefügten Therapieunterbringungsgesetzes vom 22.12.2010. Das Stichwortverzeichnis
rundet das Werk ab.
Fazit: Die 59. – hoch aktuelle – Auflage des „Fischer“ überzeugt. Der Praxiskommentar für Gerichte und Kanzleien bietet sichere Lösungen strafrechtlicher Fragen. Unverzichtbar in
Praxis und Ausbildung!
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
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Bücher-FORUM
Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen
Gesamtes Medizinrecht
Betäubungsmittelgesetz
Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge,
1. Aufl. 2011, 444 S., 49,95 EUR,
Verlag C.F. Müller
Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.),
1. Aufl. 2012, 1.615 S., 158,00 EUR,
Nomos Verlag
Körner/Patzak/Volkmer,
7. Aufl. 2012, 2.287 S., 119,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Bei diesem Handbuch handelt es sich um eine Pionierleistung auf
dem Gebiet der Verfassungsbeschwerde in Strafsachen.
In der Querschnittsmaterie Medizinrecht treffen Gesetze verschiedenster Rechtsgebiete aufeinander. Es ist geprägt vom Ziel
einer möglichst optimalen medizinischen Versorgung, aber auch
von dem in seiner Gesamtheit finanzierbaren Gesundheitssystem
in unserer alternden Gesellschaft. Dieses schnelllebige Rechtsgebiet, das etwa im Sozialrecht häufigen Gesetzgebungsaktivitäten unterworfen ist, hat steigende Fall- und Beratungszahlen.
Zu beobachten sind nicht nur mehr Streitigkeiten im Verhältnis
Patient/Arzt, sondern auch Prozesse gegen Gesundheits- und
Krankenhausverwaltungen.
In der Neuauflage des Standardwerks zum Betäubungsmittelrecht
treten die Staatsanwälte Jörn Patzak und Dr. Mathias Volkmer –
ausgewiesene Kenner des Betäubungsmittelrechts – die Nachfolge von Hans Harald Körner an. Beide Autoren sind oder waren
jahrelang in Drogendezernaten tätig.
Dr. Matthias Jahn ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht
und Wirtschaftsstrafrecht und Leiter der Forschungsstelle für
Recht und Praxis der Strafverteidigung der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg sowie im Nebenamt Richter am
Oberlandesgericht Nürnberg. Dr. Christoph Krehl ist Richter am
Bundesgerichtshof und Honorarprofessor an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt a. M. Dr. Markus Löffelmann
ist Richter am Landgericht München. Dr. Georg-Friedrich Güntge
ist Oberstaatsanwalt in Schleswig und Lehrbeauftragter an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Das Handbuch informiert schnell und praxisgerecht über die allgemeinen Zulässigkeits- und Substantiierungsanforderungen der
Verfassungsbeschwerde in Strafsachen und die inhaltlichen
Einzelprobleme quer durch das gesamte Straf- und Strafprozess recht. Das Handbuch gliedert sich dabei inhaltlich in zwölf Teile,
wobei Teil 1 die Aufgaben des Strafverteidigers in Verfassungsbeschwerdeverfahren, Teil 2 die Zulässigkeitsvoraussetzungen,
Teil 3 die Substantiierungserfordernisse behandelt und die weiteren Teile sich auf die verschiedenen Maßnahmen beziehen, die
man mit der Verfassungsbeschwerde überprüfen lassen kann.
Darüber hinaus reflektiert dieses Handbuch die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts und der Obergerichte zu allen
grundrechtsrelevanten Maßnahmen und Entscheidungen der
Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte und zeigt damit die
verfassungsrechtlichen Maßstäbe auf.
Schließlich finden sich in den Texten deutlich hervorgehoben
zahlreiche Erfahrungen der Verfasser und Hinweise für die Praxis.
Fazit: Das Handbuch ist ein sehr praxistaugliches Arbeitsbuch
für den/die auf dem Gebiet des Strafrechts tätigen Rechtsanwalts/Rechtsanwältin. Die verständlichen und klaren Aus führungen des Autors überzeugen. Aufgrund der Präsentation
des gesamten strafprozessualen Instrumentariums wird der/
die Strafverteidiger/Strafverteidigerin in die Lage versetzt,
auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in
seiner täglichen Praxis zurückzugreifen. Das Preis-Leistungsverhältnis ist angemessen. Das Buch ist uneingeschränkt zu
empfehlen.
Das 29-köpfige Autorenteam besteht aus erfahrenen Anwälten,
Richtern, Wissenschaftlern, Verbands- und Verwaltungsjuristen.
Das Werk deckt den Prüfungskatalog des § 14b FAO ab. Ferner
soll es – laut Vorwort – ein Hilfsmittel sein, das wichtige Gesetze
und aktuelle Rechtsfragen aufbereitet, um Entscheidungs- und
Argumentationshilfen für die Beratungsarbeit zu geben.
Schwerpunkt ist Patzaks Kommentierung des Betäubungsmittelgesetzes neben den ausführlichen Erläuterungen des Arzneimittel- und des Grundstoffüberwachungsgesetzes von Dr. Volkmer.
Den Zielgruppen – Verteidigern, Richtern, Staatsanwälten, Bewährungshelfern, Mitarbeitern therapeutischer Einrichtungen
oder Beratungsstellen, Ärzten und Apothekern – soll, ausweislich
des Vorworts ein praxistauglicher und gut lesbarer, übersichtlicher
Kommentar geboten werden.
Der Kommentierungsstand April 2011 ist Spiegel der Aktualität.
Die jüngste Rechtsprechung, z. B. das Grundsazurteil des BGH zur
Sterbehilfe, ist aufgenommen. Viele gesetzliche Neuerungen sind
eingearbeitet, etwa die erheblichen Auswirkungen durch das
Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes.
Die neu gegliederten Erläuterungen sind überarbeitet und inhaltlich erweitert. Dabei folgen die Kommentierungen einem
einheitlichen Gliederungssystem, beginnend mit Ausführungen
zur Historie/Zweck der Norm, gefolgt von Fallzahlen, Objektivem
Tatbestand, Erscheinungsformen, Subjektivem Tatbestand, Rechtswidrigkeit/Schuld, Versuch, Täterschaft/Teilnahme, bevor Erläuterungen zu Rechtsfolgen, Konkurrenzen und Verfahren die Ausführungen abrunden.
In dem Werk befinden sich Kommentierungen z. B. des Apothekengesetzes, des BGB, des Medizinprodukterechts, des Personenschadensrechts, des SGB V, des StGB bis zur ZPO. Schwerpunkte
bilden wegen der praktischen Bedeutung das Sozial- und das
Haftungsrecht.
Neben der Rechtsprechung bis Mai 2011 sind die neu in Kraft
getretenen Gesetze, etwa das 43. StrafrechtsänderungsG vom
29.7.2009, das Gesetz zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung oder die 21.-25. Betäubungsmittelrechts-ÄnderungsVO
nebst wichtigen internationalen Rechtsquellen integriert.
Gelungen sind die Ausführungen in § 823 BGB zur ärztlichen Aufklärungspflicht (Aufklärungsformen, -pflichtige etc.). Im Abschnitt
Personenschaden ragen neben den Grundlagen, einer Rechtsprechungsübersicht zum Schmerzensgeld bei ärztlichen Fehlern
auch die Beispiele zur Schadensabrechnung heraus. Im Abschnitt
zum SGB V stechen die §§ 27, 69 hervor. In §§ 14, 15 SGB IX erhält
man eine lehrreiche Aufbereitung der Pflegebedürftigkeit und
-stufen.
Auf über 500 Seiten suchen Patzaks überarbeitete Ausführungen
zu §§ 29 ff. BtMG ihresgleichen. Die einführenden Passagen des
§ 29 BtMG vermitteln die Systematik der BtM-Delikte. Auch der
in der Beratungspraxis wichtige Bereich „Drogen im Straßenverkehr“ ist hier platziert. Die Kommentierung des § 29 BtMG
umfasst die verschiedenen Tatbestände – von der Verwirklichung
des Tatbestandes bis zur Strafzumessung. Die Kommentierung
des § 35 BtMG (in fünf Kapitel gegliedert) ist gelungen. Patzak
zeigt die Möglichkeiten der Zurückstellung der Strafvollstreckung,
erklärt in den Vorbemerkungen zu §§ 35 ff. BtMG Therapiemöglichkeiten sowie die materiellen und formellen Anforderungen
der Zurückstellung, die Zurückstellungshindernisse und das
-verfahren, mögliche Rechtsmittel bis hin zum Widerruf der
Zurückstellung.
Es ist zu wünschen, künftig weitere Gliederungen den Kommen tierungen voranzustellen, um die Handhabung zu verbessern. Die
Texte überzeugen mit klarem Stil und wenig Abkürzungen. Sie
sind mit fettgedruckten Begriffen durchzogen, was die Suche
erleichtert. Der Fußnotenapparat zitiert aktuelle Rechtsprechung
und Literatur.
RAin Anna Carlius, Bonn
Fazit: Der Kommentar Gesamtes Medizinrecht fokussiert die
Praxis mit wissenschaftlicher Fundierung. Er ist den juristi schen Berufsgruppen des Gesundheitsbereichs für eine hochwertige Beratung zu empfehlen. Ein starker Kommentar!
Fazit: Der neue Körner setzt Maßstäbe. Die Autoren übertreffen ihre Ansprüche und bieten dem Neuling einen Einstieg ins Betäubungsmittelrecht und dem erfahrenen
Praktiker einen zuverlässigen Begleiter.
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
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Bücher-FORUM
Straßenverkehrsrecht
Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht
Reiserecht
Burmann/Heß/Jahnke/Janker,
22. Aufl. 2012, 1.462 S., 85,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Himmelreich/Halm (Hrsg.),
4. Aufl. 2012, 2.846 S., 139,00 EUR,
Luchterhand Verlag
Ernst Führich,
6. Aufl. 2010, 1.331 S., 134,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Ende Januar 2012 ist die nunmehr 22. Auflage des Burmann/
Heß/Jahnke/Janker erschienen und befindet sich auf dem Rechtsstand vom 1.10.2010. Das Werk ist Teil der Reihe „Gelbe Erläuterungsbücher“ des C.H. Beck Verlages und damit als Kurzkommentar einzuordnen. Im Werk werden nach einer sehr gut
aufgebauten Einführung die wichtigsten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften aus StVG, StVO, StGB, StPO, BGB und VVG
kommentiert.
Das Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht bietet eine systematische, klar strukturierte und erschöpfende Darstellung des
gesamten Verkehrsrechts. Es befasst sich in insgesamt acht Teilen
mit den verschiedenen Teilbereichen des Verkehrsrechts. Die
ersten drei Teile sind dem Verkehrszivilrecht, dem Verkehrsstrafund Ordnungswidrigkeitenrecht und dem Verkehrsverwaltungsrecht gewidmet. Die nachfolgenden Teile thematisieren die verkehrsrechtlichen Bezüge zum Arbeitsrecht, das Gefahrgutrecht
und das Umweltstrafrecht, den Sachverständigen im Verkehrsrecht, anwaltsrechtliche Bezüge (inklusive Gebührenrecht) und
abschließend Sonderthemen. Dabei werden alle Themenbereiche
aus Sicht von Praktikern für die Praxis geschrieben. Insbesondere
die Fußnoten enthalten zahlreiche Fundstellen zu einschlägigen
und aktuellen Gerichtsentscheidungen.
Der Verfasser des Buches Prof. Dr. Ernst Führich ist Professor für
Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Reiserecht an der Hochschule Kempten.
Unter Berücksichtigung der zwei Herausgeber haben insgesamt
46 Bearbeiter aus Rechtsanwaltschaft, Richterschaft, Versicherungswirtschaft, Verwaltung, Sachverständige und Psychologen
an der Entstehung des Werkes mitgewirkt. Alle sind sie Experten
auf ihrem Gebiet und zeichnen sich durch langjährige Berufserfahrung aus.
Das Buch ist einer der wenigen Kommentare zum Luftbeförderungsrecht. Ausführlich werden die vorliegende Literatur, Gesetzgebung und Rechtsprechung zu der Verordnung (EG) Nr. 261/
2004 über Fluggastrechte und zum Montrealer Übereinkommen
behandelt. Auch das Bus-, Eisenbahn-, Schiffsbeförderungsrecht
und Beherbergungsrecht, die Einbringung von Sachen bei Gastwirten und das Bewirtungsrecht wird dargestellt.
Im Bereich des StVG wurden insgesamt sechs Gesetzesnovellen
ebenso wie neue Rechtsprechung der deutschen Instanzgerichte
und des EuGH, beispielsweise bei § 2 StVG die „Scheffler“Entscheidung hinsichtlich des Fahrerlaubnisrechts, eingearbeitet.
Auch gesetzgeberische Neuerungen der StVO wurden in der Neuauflage berücksichtigt. Ergänzt wird die Kommentierung hier
durch einige Diagramme, die hervorragend zur Schnellorientierung geeignet sind.
Die Kommentierung der einschlägigen Vorschriften des StGB und
der StPO erfolgt unter strikter Beachtung derer wesentlichen
Inhalte und Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Durch diese
Fokussierung wird dem Leser im Vergleich zu anderen Kommentaren zum StGB die Arbeit erleichtert. Gleiches gilt für die Kommentierung der §§ 249, 253, 254, 842 BGB. Zu bemängeln ist hier
nur, dass keine Kommentierung des § 823 StGB erfolgt ist.
Im Bereich des VVG werden nur die allerwichtigsten für das
Straßenverkehrsrecht relevanten Vorschriften kommentiert. Dies
ist jedoch nicht von Nachteil, da die Bearbeitung der kommentierten Vorschriften kompakt und gut erfolgt. Bei § 81 VVG
wird in diesem Sinn ein sehr guter Überblick über die Rechtsprechung zu grober Fahrlässigkeit hinsichtlich der Herbeiführung
des Versicherungsfalls gegeben.
Der Aufbau der Kommentierung jeder einzelnen Vorschrift erfolgt
übersichtlich. Neben Vorbemerkungen und Grundlagen werden
die wichtigsten Stichworte im Text optisch hervorgehoben und
somit die Orientierung beim Leser erleichtert. Im Anhang des
Werks befindet sich darüber hinaus noch ein Abdruck der
wichtigsten Verordnungen im Straßenverkehrsrecht.
Fazit: Der Burmann/Heß/Janke/Janker ist ein guter und praxisorientierter Kommentar zum Straßenverkehrsrecht. Auch
angesichts des relativ günstigen Kaufpreises ist die Anschaffung uneingeschränkt zu empfehlen.
RA Martin Bretzler, Hann. Münden
Für den im Verkehrsrecht tätigen Rechtsanwalt ist das Handbuch
des Fachanwalts Verkehrsrecht dadurch, dass es alle Berührungspunkte, die in der anwaltlichen Tätigkeit zum Vorschein
kommen, abdeckt, ein ausgezeichneter Begleiter. Es ist nicht nur
für den Fachanwalt eine hilfreiche Stütze bei der täglichen Arbeit,
sondern insbesondere auch für den Berufsanfänger, der häufiger
im Verkehrsrecht tätig ist, auch wenn erwähnt werden sollte, dass
die Fülle der präsentierten Informationen den Neuling im Verkehrsrecht schlicht überwältigen kann.
Schriftsatzmuster und Checklisten enthält das Werk nicht. Dafür
aber zahlreiche Hinweise für die Beratungs- und Vertretungspraxis.
Fazit: Das Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht ist ein
Handbuch im wahrsten Sinne des Wortes und hält die Antworten auf nahezu alle Fragen bereit, die in der anwaltlichen
Tätigkeit im Verkehrsrecht auftauchen. Jedoch ist zu betonen,
dass es gewisse Grundkenntnisse im Verkehrsrecht voraussetzt und für absolute Neueinsteiger zunächst zu umfangreich sein kann.
RA Kerem Türker, Berlin
Dieser fundierte Reiserechtsratgeber, der zugleich Kommentar
und Handbuch ist, hat sich für Reiserechtler als wichtiges und
unentbehrliches Arbeitsmittel bewährt. Die Praktikertipps bezie hen sich sowohl auf materielle als auch auf prozessuale Fragen
der Rechtsdurchsetzung.
Das Handbuch gliedert sich in drei große Abschnitte (1. Reisevertragsrecht, 2. Reiseversicherungen und 3. Individualreiserecht).
Die Informationspflichten von Reiseveranstaltern und das Reisevermittlungsrecht werden anschaulich dargestellt.
Der Teil „Reiseversicherungen“ ist in drei Kapitel unterteilt, welche
die wesentlichen Bereiche der Praxis abdecken. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Reiserücktrittskosten- und Reiseabbruchversicherung, ein zweites Kapitel mit der Reisegepäckversicherung. In einer allgemeinen Einführung werden die Grundlagen
der Reiseversicherungen erklärt. Die Musterbedingungen des GDV
für Reiseversicherungen werden neu kommentiert.
Anschaulich ist ebenfalls der Abschnitt „Reiserecht und Wettbewerbsrecht“. Die 6. Auflage berücksichtigt die UWG Reform.
AGB-Klauseln im Reiserecht werden untersucht.
Zur Frage des anwendbaren Rechts bei Pauschalreisen findet sich
ein guter Überblick, der auch die Rom-I- und Rom-II-Verordnung
berücksichtigt. Die internationale Zuständigkeit wird verständlich
dargestellt.
Der umfangreiche Anhang enthält 32 Checklisten, 14 Schaubilder,
Gesetzestexte, Verordnungen, eine Entscheidungssammlung von
BGH- und EuGH-Urteilen, die Kemptener Reisemängeltabelle und
die Frankfurter Tabelle zur Reisepreisminderung sowie zahlreiche
Musterformulare.
Fazit: Durch die klare Gliederung findet der Leser schnell
fundierte Antworten auf alle wesentlichen Fragen des Reiserechts. Die Anschaffung ist lohnenswert.
RAin Antje Krenkel, Berlin
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Bücher-FORUM
Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht in
der anwaltlichen Praxis
Reinhard Marx,
4. Aufl. 2011, 1.292 S., 119,00 EUR,
Deutscher AnwaltVerlag
Das von Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx verfasste Handbuch
zum Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht verfolgt den Anspruch, dem anwaltlichen Nutzer ein auf die praktische Mandatsbearbeitung zugeschnittenes Hilfsmittel zu sein.
In 13 Kapiteln, von denen sich acht dem Aufenthaltsrecht und
fünf dem Asyl- und Flüchtlingsrecht widmen, stellt der Autor
unter Bezug auf die derzeitige Gesetzeslage und die aktuelle
nationale wie unionsrechtliche Rechts- und Rechtsprechungsentwicklung sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche Besonderheiten des Ausländerrechts umfassend und
praxisnah dar.
Die einzelnen Kapitel sind systematisch gegliedert und durch
selektiven Fettdruck von Kernaussagen und -stichwörtern optisch
aufbereitet. Der Text ist durchgehend gut lesbar und weiß ins besondere auch dadurch zu gefallen, dass der Autor seine in der
anwaltlichen Praxis erworbene Erfahrung durch kritische Auseinandersetzung mit Legislative und Judikative einerseits, aber auch
mit der eigenen Klientel andererseits an den Leser weitergibt.
Mit besonderem Nachdruck mahnt der Autor die Anwaltschaft
im Aufenthaltsrecht an eine systematische Herangehensweise zur
fehlerfreien Durchdringung der strengen formalen gesetzlichen
Strukturen sowie im Asylrecht an präzise, umfassende Recherchen als Vorbedingung zur Bewältigung des Glaubwürdigkeitstests, d. h. der nüchternen Einschätzung der Stimmigkeit, Widerspruchsfreiheit, Konkretheit und Erlebnisfundiertheit der Angaben des Mandanten, und zur Durchsetzung eines asylrechtlichen
Schutzstatus.
Als Handreichung für die anwaltliche Beratungs- und Vertretungspraxis sind dem Werk als Formulierungshilfen 47 Antragsmuster und als eine Art Prüfungsschemata 28 Schaubilder beigegeben. Bereits die Struktur des Handbuchs selbst, daneben auch
das übersichtliche Gliederungs- und das umfangreiche Stichwort verzeichnis helfen zuverlässig, sich im Text schnell zurechtzufinden.
Fazit: Das Werk bietet eine umfassende Wissensvermittlung
und Problemorientierung, die schwerwiegende Fehler vermeiden und praxistaugliche Lösungsansätze finden hilft. Wer das
Handbuch einmal in Gebrauch hatte, der wird es in der
anwaltlichen Beratungs- und Vertretungspraxis nicht mehr
missen wollen.
RA Jens David Runge-Yu, Freiburg i. Br.
Betriebsverfassungsgesetz
Paschke/Berlit/Meyer Reinhard Richardi (Hrsg.),
13. Aufl. 2012, 2.548 S., 165,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Der Kommentar zum BetrVG von Richardi gilt gemeinhin als der
Standardkommentar, welcher sowohl von Rechtsanwälten und
Richtern als auch von Mitarbeitern in Personalabteilungen und
Betriebsräten benutzt wird. Die Neuauflage berücksichtigt mehr
als 100 neue Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und der
Landesarbeitsgerichte, die Auswirkungen auf das Betriebsverfassungsrecht haben. Neben den Vorschriften des BetrVG wird in
dem Werk auch die WO (Wahlordnung) kommentiert.
Besonderes Lob verdient vorab die Einleitung, in welcher Richardi
die historischen Wurzeln und die Entwicklung des Betriebsverfassungsrechts in Deutschland beleuchtet. Daneben schildert
er, woraus sich die Rechtsstellung des Betriebsrats ergibt und
weshalb die Betriebsverfassung Gegenstand tarifvertraglicher
Regelungen sein kann. Durch diese Darstellung wird der Leser
schnell in die Lage versetzt, Sinn und Zweck des BetrVG zu erkennen.
Einen besonderen Schwerpunkt legt Richardi auf den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff des § 5 BetrVG.
Hierbei werden auf über 60 Seiten sämtliche relevanten Arbeit nehmereigenschaften behandelt. Auch die Definition und Abgrenzung der leitenden Angestellten erfolgt äußerst umfangreich
und gut verständlich.
Die Neuauflage beschäftigt sich intensiv mit der ergangenen
Rechtsprechung in den Bereichen der Mitbestimmung nach § 87
BetrVG. Eingearbeitet und erweitert wurden hier die Grenzen des
Mitbestimmungsrechts bei Zielvereinbarungen und bei der Errichtung und Durchführung von Ethikregeln (Compliance). Eingearbeitet wurde auch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der Weitergeltung nach Ablauf einer
Betriebsvereinbarung.
Die Kommentierung jeder einzelnen Norm erfolgt dabei durch
eine kurze Gliederung zu Beginn der einzelnen Paragraphen. Vorbemerkungen erleichtern dabei oftmals die historische Einordnung der jeweiligen Norm und ermöglichen deren Verständnis.
Ein weiterer Pluspunkt der Darstellung ist ferner, dass nach jeder
Norm unter dem Begriff „Streitigkeiten“ dargestellt wird, ob bei spielsweise die Einigungsstelle zuständig ist oder ein Beschlussverfahren durchgeführt werden muss.
Fazit: Das von Richardi herausgegebene Werk nimmt zu Recht
seinen Platz als Standardkommentar im Bereich Betriebsver fassungsrecht ein. Es ist sowohl für den Vertreter des Arbeitgebers als auch für den Vertreter des Betriebsrats eine gute
Wahl.
Personalbuch 2012
Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht,
Sozialversicherungsrecht
Wolfdieter Küttner,
19. Aufl. 2012, 2.829 S., 119,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Das Personalbuch 2012 bringt in der aktuellen 19. Auflage eine
nach Stichworten geordnete Übersicht zu allen Fragen des Personalrechts in den drei Rechtsgebieten Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht und Sozialversicherungsrecht, Stand 1. Januar 2012.
Die Bearbeiter des Werkes, das sich nicht nur an Personalabteilungen, Steuerberater und Betriebsräte, sondern auch an Rechtsanwälte und Richter richtet, liefern zu über 400 Stichworten aus
der betrieblichen Praxis Antworten und tragen so zu einer umfassenden, raschen und zielorientierten Problemlösung in der
arbeitsrechtlichen und betrieblichen Praxis bei. Die Antworten
findet der Suchende sicher und einfach durch das ausführliche
und mit Querverweisen und Unterpunkten versehende Stichwortverzeichnis.
Ergänzt wurde das Personalbuch 2012 in der aktuellen Auflage
um die Stichworte Betriebliches Eingliederungsmanagement,
Freiwilligendienst, Lohnsteuerabzugsmerkmale sowie Soziale
Netzwerke. Berücksichtigt wurde zudem die aktuelle Rechtsprechung des BAG und des EuGH, insbesondere bezüglich der für die
Praxis wichtigen Entscheidungen zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften, zum betrieblichen Eingliederungsmanagement, zur
sachgrundlosen Befristung, zum Betriebsübergang, zur AGBKontrolle und zum Urlaubsrecht. Auch aktuelle Gesetzesänderungen im Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrecht wurden
eingearbeitet.
Neu bei der aktuellen Auflage ist der kostenfreie Zugriff auf die
Online-Version des Personalbuchs 2012. Diese enthält neben dem
kompletten Werk die zitierte Rechtsprechung im Volltext sowie
sämtliche zitierten Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsanweisungen. Exklusiv in der Online-Version verfügbar sind
zudem 33 verschiedene Gruppen von Musterformularen zum
Personalrecht wie Arbeitsverträge, Aufhebungsvereinbarungen,
Sozialplan, etc. Unterjährige Aktualisierungen zum 1.1., 1.7. und
1.10., in Form von Anmerkungen durch die Autoren, runden das
Angebot der Online-Version ab.
Fazit: Insbesondere aufgrund seiner hohen Aktualität ist das
Personalbuch 2012 ein sehr nützliches Werk und bietet - als
schnelles Nachschlagewerk - konkrete Lösungen und Antworten auf die gängigen Fragen des personalrechtlichen Alltags.
Das Personalbuch 2012 sollte daher in der betrieblichen und
rechtlich Beratungspraxis nicht fehlen. Mit der Online-Version gestattet es zudem ein sehr flexibles Arbeiten.
RA Dominik Nowak, Bochum
RA Martin Bretzler, Hann. Münden
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Bücher-FORUM
Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren
RVG für Anfänger
AnwaltKommentar RVG
Redeker/Uechtritz (Hrsg.),
2. Aufl. 2012, 1.666 S., 139,00 EUR,
Verlag Dr. Otto Schmidt
Horst-Reiner Enders,
15. Aufl. 2012, 765 S., 39,80 EUR,
Verlag C.H. Beck
Schneider/Wolf (Hrsg.),
6. Aufl. 2012, 2.792 S., 139,00 EUR,
Deutscher AnwaltVerlag
Das Buch hat gegenüber der ersten Auflage in mehreren Punkten
wesentliche Änderungen erfahren: Zunächst ist es hinsichtlich
der Handhabung wesentlich benutzerfreundlicher geworden,
denn anstelle der losen Blattsammlung ist es nunmehr ein
gebundenes Werk. Ferner sind aufgrund von Gesetzesänderungen
einige gewohnte Rechtsgebiete weggefallen, so insbesondere das
Recht der Wehrpflicht. Hinzugekommen sind jedoch zwei neue
Gebiete: das Recht der Informationen und das Spielhallen- und
Glücksspielrecht.
Der Enders stellt auf rund 800 Seiten alles Wichtige zum RVG dar.
In einer auch für Anfänger verständlichen Sprache und mit kurzen
prägnanten Sätzen werden in verschiedenen Kapiteln sowohl
allgemeine Vergütungsfragen wie Aufbau und Handhabung des
RVG bzw. die verschiedenen Gebührenarten als auch, nach
Rechtsgebieten bzw. Gebührentatbeständen unterteilt, die einzelnen Gebührentatbestände behandelt.
Die 6. Auflage des AnwaltKommentar RVG von Schneider/Wolf
ist Beleg für seine große Akzeptanz in der Anwaltschaft. Während
in der Vorauflage zwei große Gesetzesnovellen zu integrieren
waren, ist die aktuelle Ausgabe davon geprägt, das Werk zu
aktualisieren, neue Literatur und die vielfältige jüngste Rechtsprechung bis zum Stand von Oktober 2011 einzupflegen und –
wo erforderlich – kritisch zu beleuchten.
Die einzelnen Gebührentatbestände beginnen mit dem Abdruck
der entsprechenden gesetzlichen Bestimmung. Durch die graue
Hinterlegung ist sie deutlich vom restlichen Text abgehoben und
bildet daher auch optisch eine Abgrenzung zur vorherigen
Vorschrift. Nach allgemeinen Erläuterungen werden anhand
mehrerer Beispielsfälle verschiedene Varianten dargestellt und
voneinander abgegrenzt. Teilweise wird dies noch durch Praxistipps oder kurze Zusammenfassungen am Ende der Vorschrift
ergänzt. Auch Checklisten, beispielsweise zu den Belehrungspflichten bei PKH-Fällen oder Punkten, die bei einer Vergütungsvereinbarung zu beachten sind, machen dieses Werk für Praktiker
interessant.
Das Autorenteam setzt sich aus erfahrenen Praktikern aus Anwaltschaft, Steuerberatung und Justiz zusammen. Zwei ausgewiesene Gebührenspezialisten – RiAG Peter Fölsch und Dipl.-Rpfl.
Joachim Volpert – konnten dazu gewonnen werden.
Das Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren untergliedert sich
in insgesamt acht Teile (Allgemeines, Bauen, Umwelt, Kommunalabgaben, Wirtschaftsverwaltung, Öffentlicher Dienst, Ausländer,
Schule bzw. Hochschule), wobei sich jeder Teilbereich in bis zu
vier weitere Unterpunkte aufgliedern kann. In der gebotenen
Kürze kann und soll hier nur das Recht der Informationen hervorgehoben werden. Es findet seine Grundlage in dem veränderten
Verständnis vom Agieren der Verwaltung. Dieses soll für den Bürger transparenter werden, und so wurden neben den Bundesgesetzen (UIG, IFG, VIG) auch Landsgesetze geschaffen, aus denen
der Bürger Ansprüche herleiten kann. Den Autoren gelingt es sehr
gut, die neue Materie sehr anschaulich darzustellen, sowohl was
die Ansprüche des Bürgers, als auch die denkbaren Gegenansprüche betrifft.
Die Autoren haben einen hohen Anspruch zu erfüllen und
kommen dem auch nach. Klar und verständlich erläutern sie die
jeweiligen Rechtsgebiete sowohl in prozessualer als auch in
materieller Hinsicht; sie vertiefen ihre Ausführungen auch anhand von Beispielen oder kleinen Fällen, die sie jeweils optisch
hervorheben. Ob man das Fehlen einer CD, auf der Vorschläge für
Anträge usw. vorformuliert sind, als „Makel“ ansehen will, muss
jeder für sich selbst entscheiden.
Fazit: Mit dem Buch ist den Autoren ein praxisnahes Werk
und damit ein großer Wurf gelungen, welches sich erwartungsgemäß den neuen Gesetzeslagen stellt und anschaulich
darlegt. Es reiht sich problemlos in das vom Verlag gewohnte
hohe Niveau ein.
RA Dirk Hofrichter, Strausberg
Sofern sinnvoll, wird im Text auf andere Kapitel verwiesen.
Fußnoten sind separat unterhalb des Textes angegeben, was die
Lesbarkeit des Textes deutlich verbessert.
Da die Randnummern unabhängig vom jeweiligen Kapitel durchgängig sind, findet man anhand des Sachverzeichnisses schnell
die richtige Stelle. Für „ältere Semester“ besonders hilfreich ist,
dass im Sachverzeichnis noch die Begriffe der BRAGO enthalten
sind mit Verweis auf den entsprechenden neuen Begriff des RVG.
Dadurch, dass der Enders Rechtslage und Rechtsprechung bis Juli
2011 beinhaltet, ist der Leser auf dem aktuellen Stand. Bereits
berücksichtigt sind insbesondere die Anrechnungsproblematik des
§ 15 a RVG und die umfangreichen Änderungen durch das zum
1.9.2009 in Kraft getretene FamFG.
Der Autor selbst ist ein „Hochkaräter“. Horst-Reiner Enders arbeitete fast 30 Jahre als Bürovorsteher in verschiedenen Anwaltskanzleien. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Dozent hat
er große Erfahrung darin, den teils schwierigen Stoff verständlich
zu vermitteln. Da er seit 1995 zudem als ständiger Autor und
Mitarbeiter einer Fachzeitschrift zum Kostenrecht tätig ist, ist er
stets auf dem aktuellen Stand.
Fazit: Der Enders überzeugt durch seine Vielzahl von Fallkonstellationen und seinem Preis-Leistungsverhältnis. Er ist
das Buch zum RVG für Einsteiger und Fortgeschrittene.
Konsequent ist der Kommentar den praktischen Bedürfnissen
angepasst. Weitgehend verzichtet man auf Literaturstreitigkeiten.
Ausführlich erläutern die Autoren die neue Rechtsprechung. In
dem klassischen Aufbau geht den Kommentierungen der Gesetzestext mit Literaturhinweisen voraus. Es folgt die detaillierte
Gliederung, an die sich die Erläuterungen der RVG-Vorschriften
und Ziffern des VV RVG anschließen. Diese folgen der bewährten
Systematik der Reihe „AnwaltKommentar“. Nach allgemeinen
Hinweisen werden z. B. Regelungsgehalt, Erstattungs- und PKH-/
VKH-Fragen, Praxisempfehlungen oder die Vergütungsfestsetzung dargestellt. Berechnungsbeispiele, Praxishinweise, Schaubilder, Tabellen (z. B. Verfahrenswerte § 16 RVG), ABC-Listen und
der Fußnotenapparat helfen bei der Abrechnung. Im Anhang sind
Gebührentabellen, Streitwertvorschriften und Streitwertkataloge
(z. B. der Sozialgerichtsbarkeit) abgedruckt.
Die neuen §§ 24, 59a, 62 RVG sind erläutert. Die RVG-Änderungen
nach dem FGG-Reformgesetz führten zu neuer Rechtsprechung,
die integriert ist. Klargestellt ist, dass in Kindschaftssachen eine
Einigungsgebühr möglich ist. Auch die sich bei den Verfahrenswerten in Familiensachen ergebenden Problemfelder, z. B. die
Bewertung einstweiliger Anordnungen in Unterhaltssachen, sind
aufbereitet. Höchstrichterlich geklärt ist, wie in wieder aufgenommenen Versorgungsausgleichsverfahren abzurechnen ist. Im
Rahmen des § 15a RVG sind wichtige BGH-Urteile zur Behandlung von Altfällen integriert. Eine gelungene Darstellung zu dem
oft problematischen Begriff der „Angelegenheit“ ist in § 15 RVG
zu lesen. Stark sind die Erklärungen zur Vergütung bei PKHGewährung, besonders bei der Rückwirkung der Beiordnung
(§ 48 RVG).
Fazit: Der AnwaltKommentar RVG ist die große Hilfe für
vielfältige Abrechnungsfragen. Er ist jedem Anwalt wirklich
uneingeschränkt zu empfehlen.
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
RAin Tanja Fuß, MPA, Stuttgart
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Autorenverzeichnis
Dr. Nikolaus Stackmann ist Vorsitzender Richter am OLG München. Seit
1987 war er mit Unterbrechungen durch Tätigkeiten als Staatsanwalt und
im Bayerischen Obersten Rechnungshof in unterschiedlichen Funktionen
am LG München I, vorwiegend im zivilrechtlichen Bereich tätig.
A
Velimir Milenkovic
ist Geschäftsstellenleiter des Bayerischen Anwaltverbandes.
www.bayerischer-anwaltverband.de
Dr. Lasse Schuldt
ist Rechtsreferendar im Bezirk des Kammergerichts Berlin. Er absolviert
derzeit seine Wahlstation am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften in Peking.
lasse@schuldt.info
Arne Koltermann
ist Assessor und studiert Theater- und Filmkritik an der Hochschule für
Fernsehen und Film in München.
arne.koltermann@gmail.com
Esther-Maria Roos
ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach in Köln. Sie ist Expertin für Konfliktmanagement, Konfliktcoaching und systemische Organisationsentwicklung.
www.kanzlei-roos.de
Matthias Lachenmann
ist selbstständiger Rechtsanwalt in Paderborn mit den Schwerpunkten
IT-Recht, gewerblicher Rechtsschutz und Gründungsberatung.
www.rechtsanwaeltekoeln.eu
Tobias Sommer
ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht sowie
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in der Kanzlei 24 IP Law Group.
Er war als freier Journalist tätig und ist seit 2006 Chefredakteur der AdVoice.
rechtsanwalt@RAsommer.de
Steffen Eube
ist angestellter Jurist bei HDI-Gerling Firmen und Privat Versicherung AG
und dort im Zentralen Underwriting Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung tätig.
Steffen.Eube@hdi-gerling.de
Christian Grüneberg
ist Rechtsanwalt der international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei Busekist
Winter & Partner in Düsseldorf.
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Fotos Titelseite:
Das letzte Wort
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Andrea Vollmer
Eine rechtliche Verkomplizierung
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Impressum:
Redaktion: Stefanie Salzmann, Ass. iur. Matthias Dantlgraber,
RA Patrick Ruppert / Bildredaktion: Andrea Vollmer / Bücherforum:
RA Jens Jenau / V.i.S.d.P.: RA Tobias Sommer (Chefredakteur)
Anschrift wie Herausgeber
Fotos S. 2: Stephan Eichler, Stefan Höderath
Herausgeber: Geschäftsführender Ausschuss
des FORUMs Junge Anwaltschaft im DAV, Berlin
Littenstraße 11, 10179 Berlin,
Tel. 030/7261520
Erscheinungsweise:
vierteljährlich (1./2./3./4. Quartal)
Es gilt die Anzeigenpreisliste 1/2012
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Tel. 0228/97898-10, Fax: 0228/97898-20
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So viel Papier will unterschrieben werden.
Foto: Rolf van Melis_pixelio.de
Bezugspreis:
48,00 Euro (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten
für 4 Ausgaben / Einzelheft: 14,50 Euro / Für Mitglieder des
FORUMs Junge Anwaltschaft im Deutschen Anwaltverein
ist der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten.
ISSN 1437-3084
Wir Anwälte predigen unseren Mandanten, potentiellen Mandanten und sowieso jedermann
immer wieder eines: alles schriftlich zu vereinbaren und nichts zu unterschreiben, was man sich
nicht vorher durchgelesen und verstanden hat.
Das hält uns natürlich nicht davon ab, es selbst
auch nicht viel besser zu machen, wenn nicht
sogar noch schlechter.
Schlimmstenfalls lässt man einen neuen Mandanten nur eine Vollmacht unterschreiben, bevor man
sich auf den Fall stürzt, um sich später mit ihm
über den Umfang des Mandats streiten zu können.
Eventuell kommt noch eine Vergütungsvereinbarung dazu und – hoffentlich – irgendwo der Hinweis, dass grundsätzlich der Streitwert für die
anschließende Rechnung ausschlaggebend ist –
natürlich getrennt unterschrieben. Wer vor sich
selbst sichergehen möchte, kann dann dem Mandanten auch noch eine Haftungsbeschränkungsvereinbarung vorlegen, so dass man bei leichter
Fahrlässigkeit nur eine Million zu zahlen hat. Das
entspannt.
Damit ist es natürlich eigentlich noch nicht getan:
Wenn wir schon AGB für Mandanten erstellen, ist es
naheliegend, auch selbst selbige vorzuhalten. Darauf
lässt sich zumindest dann verweisen, wenn der
Mandant die Rechnung nicht zahlen möchte, weil
diesem nicht in den Sinn kam, dass der Anwalt nicht
umsonst arbeitet. Und einen Mandatsvertrag haben
wir jetzt noch immer nicht.
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ADVOICE 02/12
Hat jemand mitgezählt, wie viele Unterschriften des
Mandanten nötig sind? Oder überschlagen, wie viel
Zeit ein pedantischer Mandant im Büro verbringt,
allein, um sich alles durchzulesen – und einen dabei
mit Fragen zu einzelnen Punkten zu löchern? So fragte
ich mich zu Beginn meiner Anwaltstätigkeit: Kann
man überhaupt irgendwie seinen Ansprüchen gerecht werden und alles gesetzesmäßig und ordentlich machen, ohne den Mandanten so zu schockieren,
dass er lieber zu einem schlampigen Anwalt rennt?
Wie sieht nun die praktikabelste Lösung aus? Mein
Vorschlag: Die Vollmacht steht natürlich für sich. Der
Mandatsvertrag und die Vergütungsvereinbarung
werden zusammengefasst und enthalten den Hinweis auf die Geltung der Mandatsbedingungen. Es
folgen die allgemeinen Mandatsbedingungen. Der
Hinweis auf die Abrechnung nach dem Gegenstandswert kann in diesen erfolgen.1 Eine Haftungsbeschränkungsvereinbarung legt man den Mandanten nur bei größeren Risiken vor.
Ich werde mich jedoch davor hüten, den Gesetzgeber dazu aufzufordern dies alles zu vereinfachen,
denn der Gesetzgeber hat sicherlich genug Ideen,
um die Sache im Sinne des allseits strapazierten
„Schutzes des Verbrauchers” weiter zu verkomplizieren, statt zu vereinfachen und dadurch im Endeffekt einen besseren Schutz des Mandanten und
höhere Transparenz zu verhindern.
Layout / Satz: gudman design weimar, www.gudman.de
Lektorat: Nora Döring, BILDART
Druck: Buch- & Kunstdruckerei Keßler GmbH, Weimar
Artikel und Beiträge sind Meinungsäußerungen der Autoren
und geben nicht immer die Meinung der Redaktion bzw. des
Deutschen Anwaltvereins und seiner Gremien wider.
Redaktionsschluss: Heft 3/2012, 10. August 2012
ADVOICE 03/12
Image
Das Image einer Berufsgruppe ist ein Stimmungsbild ihrer selbst in der Gesellschaft.
Das steht nicht fest, sondern unterliegt der
Wandlung und Dynamik. AdVoice hat nachgesehen, wo Anwälte stehen, was sie tun
und tun könnten, um an ihrem Gesellschaftsbild zu arbeiten. Wir haben also den Begriff
Image beim Wort genommen und Anwälte
in deren persönlicher Vielfalt portraitiert.
Von den Vielfältigen unter euch wünschen
wir uns Beiträge fürs nächste Heft und viele
bunte Anwaltsbilder.
> advoiceredaktion@davforum.de
RA Matthias Lachenmann, Paderborn
1
so Reinelt/Strahl, in: Mes, Beck’sches Prozessformularhandbuch, 11. Auflage 2010, Lit. A., I., 1. Anm. 2.
2012_
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