INHALT - Sonderpädagogik

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INHALT - Sonderpädagogik
INHALT
VOR - WORTE
MENSCH MENSCH
Schwerstbehindert
Aus der Erklärung der Vereinten Nationen über
die Rechte der Behinderten (1975)
PERSON ENKRE IS
AN - NEHMEN
Lächeln gegen ihre Wirklichkeit
Wir sprechen von ihnen als von den "ganz
schwachen Kindern", aber in Wirklichkeit sind
sie die ganz starken Kinder
........................................................ 3
......................................................... 6
......................................................... 8
......................................................... 9
EIN - FÜHLEN
......................................................... 13
......................................................... 15
UNTER - FORDERN
ÜBER - FORDERN
Ansätze zur Förderung Schwerstbehinderter
Leitfragen zur Beurteilung des Förderangebotes
......................................................... 16
......................................................... 18
- SCHREIEN SCHREIEN - LAUFEN
Gedanken über Janina, ein Handkind
......................................................... 19
LAUFEN
VER
- STEHEN
AN - NEHMEN
Schwerstbehinderte Kinder in der Schule
......................................................... 23
EIN - FÜHLEN
......................................................... 24
TRAGEN - TRAGBAR - UNTRAGBAR
Das Leben mit meiner behinderten Tochter
......................................................... 25
PERSON ENKRE IS
......................................................... 34
GEWOHNHEITEN - VERÄNDERUNGEN - VERANTWORTEN
Mein ganz persönliches Erleben
Ausgelaugt
......................................................... 35
......................................................... 39
MARIA
......................................................... 40
TOD - LEBEN TOD LEBEN LEBEN
Lebenssituationen und Erfahrungen
......................................................... 44
UNTER - FORDERN
ÜBER - FORDERN
Auf das Leben setzen
Portrait
......................................................... 45
......................................................... 46
1
TOD - LEBEN TOD LEBEN
ganz normal
LEBEN
......................................................... 47
......................................................... 48
PERSON ENKRE IS
TRAGEN - TRAGBAR - UNTRAGBAR
Drachenflügel
Abendständchen für Daniel
UNTER - FORDERN
- FORDERN
Gedanken von F. Klein
Was mache ich mit blinden und
sehbehinderten Kindern
ÜBER
......................................................... 52
......................................................... 53
......................................................... 55
PERSON ENKRE IS
TOD - LEBEN TOD LEBEN
Mit einem Messer
UNTER - FORDERN
......................................................... 49
......................................................... 51
LEBEN
- FORDERN
"Low Vision Stimulation" im Bereich der
schweren Mehrfachbehinderung
Du sprichst ohne Worte
......................................................... 56
ÜBER
......................................................... 57
......................................................... 63
VIELSAGENDE HÄNDE
H. Sch., geboren am 15.5.1980
E.R., geboren am 24.12.1986
......................................................... 64
......................................................... 66
TRAGEN - TRAGBAR - UNTRAGBAR
Ein Jubiläum
Ein Brief einer Mutter
Interview
......................................................... 68
......................................................... 71
......................................................... 73
SCHULE UNFÄH IG SCHULU NFÄH IG
Ein langer Weg
......................................................... 75
TRAGEN - TRAGBAR - UNTRAGBAR
Zwiegespräch
Mein Kind ist blind
......................................................... 78
......................................................... 83
VISION - AUSBLICK
......................................................... 86
NACHLESE
"Der kleine Prinz" (Auszüge)
......................................................... 87
LITERATUR
IMPRESSUM
......................................................... 89
......................................................... 96
2
VOR - WORTE
Am 7. November 1991 wurde die Fachdidaktische Kommission zum ersten Mal in das Ministerium für
Bildung und Kultur in Mainz berufen. Der Auftrag lautete, Handreichungen für die schulische Förderung
schwerstbehinderter Kinder und Jugendlicher zu erstellen. Die Erwartung war auf klare, zielbetonte,
did aktisch-methodische Empfehlungen gerichtet. Doch beim Versuch, den Personenkreis der
Schwerstbehinderten zu beschreiben, stießen wir auf Grenzen. Die Beschreibungen meinten in der Regel
körperbehinderte Kinder mit und ohne Mehrfachbehinderung, aber nicht verhaltensauffällige und
geistigbehinderte Kinder mit schweren Aggressionen und Autismen.
In zahlreichen Schulbesuchen wurde uns die Komplexität von Schwerstbehinderung deutlich, und je intensiver
und näher wir diesen Menschen begegneten, desto mehr entfernten wir uns von gewohnten pädagogischen
Denkweisen und Strukturen. Wir erkannten, dass Schwerstbehinderte einen Aspekt von Menschsein
verdeutlichen, den wir allzu gern und oft verdrängen, weil er uns an Unzulänglichkeit, Hilflosigkeit,
Angewiesensein, Bewegungseinschränkung, Zwanghaftigkeit, Krankheit, Hunger, Tod, Isolierung erinnert.
Dies widerspricht den Dimensionen von Dynamik, Leistung, Erfo lg, Jugendlichkeit und Schönheit,
Unabhängigkeit, Sportlichkeit und Leben. Elternsein als lebenslange Aufgabe, Lehrersein als hautnahe
Begleitung und Schulraum als gefühlsnaher, familiärer Rahmen sind Ungewohnheiten, lösen Befremden aus
und werden, wenn Begegnungen nicht zum Vertrautsein führen, abgelehnt.
Unser LESEBUCH will Ihnen die Hand reichen, etwas näher auf schwerstbehinderte Kinder, deren Eltern,
Lehrer, Erzieher und Bekannte zuzugehen und ihnen so nahe zu kommen, wie Sie es können oder möchten.
Die Anordnung der Berichte, Gedichte, Ausarbeitungen, Aussagen, Gespräche ist so gewählt, dass sowohl
selektives wie globales Lesen möglich sind. Insgesamt bedarf es einer Fülle von Sichtweisen, um Menschen
in extremen Lebenssituationen zu verstehen.
Wer als schwerstbehindert lebt, muß stark sein. Als Leser werden Sie diese Stärke oft spüren und benötigen.
Wenn Kindsein und Schwerstbehinderung zusammentreffen, sollte es für die menschliche Gesellschaft
selbstverständlich sein, eine adäquate Schule bereitzustellen.
Das Recht des Kindes auf Bildung wird durch die Schwere der Behinderung nicht aufgehoben.
Schwerstbehinderung kann nicht als Krankheit, psychische Störung oder Pflegebedürftigkeit beschrieben
werden, obwohl diese oft lebenslange Begleiter sind. Schwerstbehinderte Kinder bleiben eingebettet in das
staatlich garantierte Recht auf Bildung und Erziehung.
Als Leiter der Kommission möchte ich mich bei den Kolleginnen/Kollegen für ihre einfühlsame, herzliche und
3
verständnisvolle Art, auch Befremdliches an sich herankommen zu lassen, sowie für die enormen
Anstrengungen des letzten Jahres bedanken.
Herr Dr. Fröhlich gab uns großen Halt, als äußere Einflüsse unsere Arbeiten erschwerten. Wir erfuhren auch,
dass die betroffenen Schulen bei der Bewältigung ihrer schulischen Aufgaben Hilfe benötigen. Unser
LESEBUCH kann nur der Anfang sein.
Bitburg, im Dezember 1994
Helmut Jänen
4
Mosaik
Steinchen
rot und blau
grün und gelb
groß und klein
rauh und glatt
zusammen - legen
zusammen - sehen
Seh - weisen
Sicht - weisen
nicht fertig
nicht abgeschlossen
ergänzen möglich
verändern möglich
Seh - weisen erweitern
Sicht - weisen erneuern
Maria Schneider
5
MENSCH, MENSCH
SCHWERSTBEHINDERT
schwer - schwerer - schwerst(?) - am schwersten
extrem schwer - mehrfach schwerst - intensiv schwerstbehindert
ein Zentner, ein Doppelzentner, ... eine Tonne
Ist ein Erdbeben, der Tod eines Freundes, eine Fehlgeburt,
die kaputte Brille, eine Trennung, der Verlust eines Fingers,
der Tieffluglärm, das Ozonloch, die Sucht,
die Knallerei an Silvester, verbrannte Haut,
...er - tragbar ?
schwer, schwerer, am schwersten
schwer, schwerst, schwerster,
schwersterter, schwersterterter ...
Schwerstbehindert soll und darf nur ein Arbeitsbegriff in unseren Förderbemühungen sein.
6
Wir können erkennen, dass schwerstbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene einen besonders
hohen Bedarf an echter Hilfe, guter Pflege und warmer Zuwendung benötigen.
BESONDERS
SONDERBAR
SONDERLICH
GESONDERT
AUSGESONDERT
AUS - GESONDERT
Schwerste Behinderung ist nichts Besonderes; sie ist eine Lebenssituation wie viele andere.
Menschen mit schwerster Behinderung dürfen nicht ausgesondert werden.
Auch Schwerstbehinderte haben ein Recht auf einen Schulplatz.
Maria Schneider
Fritz Stumpf
7
ERKLÄRUNG DER V EREINTEN NATIONEN
RECHTE DER BEHINDERTEN (1975)
AUS DER
ÜBER DIE
(3)
Behinderte haben das angeborene Recht auf Achtung ihrer Menschenwürde. Behinderte haben
ungeachtet der Ursache, Art und Schwere ihrer Benachteiligung und Behinderungen die gleichen
Grundrechte wie ihre gleichaltrigen Mitbürger, d.h. zunächst und vor allem das Recht auf ein möglichst
normales und erfülltes, menschenwürdiges Leben.
(6)
Behinderte haben Anspruch auf medizinische, psychologische und funktionelle Behandlung einschließlich prothetischer und orthetischer Geräte, auf medizinische und soziale Rehabilitation, Bildung,
berufliche Ausbildung und Umschulung, Hilfe, Beratung, Arbeitsvermittlung und andere Dienstleistungen, die ihnen die größtmögliche Entfaltung ihrer Anlagen und Fertigkeiten erlauben und den
Prozeß ihrer sozialen Eingliederung oder Wiedereingliederung beschleunigen.
(8)
Behinderte haben Anspruch darauf, dass ihre besonderen Bedürfnisse auf allen Stufen der wirtschaftlichen und sozialen Planung berücksichtigt werden.
(10)
Behinderte sind vor jeder Ausbeutung sowie vor jeder Regelung oder Behandlung diskriminierender,
verletzender oder erniedrigender Art zu schützen.
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PERSONENKREIS
In der Schulpraxis wird der Begriff "schwerstbehindert" in unterschiedlicher Weise definiert. Auch in der
Fachliteratur liegt keine einheitliche Definition vor. Die Begriffe "Schwerstbehinderte", "schwerbehindert", "mehrfachbehind ert", "intensivbehindert", "schwerst mehrfachbehindert" werden synonym
verwendet.
Der Begriff "schwerstbehindert" war bisher besetzt durch die "Fröhlich-Haupt-Kinder". Er muß erweitert
werden, im Hinblick auf extrem geistig behinderte und verhaltensauffällige Schüler. Die Beschreibungsversuche orientieren sich in erster Linie am Förderbedarf des behinderten Menschen, nicht am Ausmaß
der Schwere der Behinderung.
Der Schwerstbehinderte strebt wie jeder andere Mensch nach Selbstverwirklichung, größerer Differenziertheit, Unabhängigkeit, Befriedung seiner organismischen Bedürfnisse und Selbstverantwortung. Die Technik hat ihr Leben ermöglicht, jetzt sind die Menschen aufgefordert, für ein
würdiges Leben zu sorgen. Schwerstbehinderung ist extreme Erschwerung von Entwicklungsprozessen, schwerste Behinderung der Bewegung der Lebensenergie, ihrer Ausdrucks- und Gestaltungsweisen in allen Bereichen und in allen Lebensvollzügen.
Sie betrifft die motorische, sensorische, emotionale, soziale, kommunikative und kognitive Entwicklung
einschließlich der komplexen Verbindungen der Entwicklungsbereiche untereinander. Oft scheinen
Schwerstbehinderte in einer eigenen Welt zu leben bzw. sich dorthin zurückzuziehen. Manche Kinder
und Jugendliche fallen durch extreme Aktivitäten gegen sich selbst, gegen andere und gegen ihre Umwelt
auf.
Schüler mit schwersten Behinderungen sind auf andere Menschen angewiesen, die ihnen die Mitwelt und
Umwelt auf einfachste Weise nahebringen; Bewegung ermöglichen oder lenken, wenn es notwendig ist;
sie verstehen, wenn sie nicht sprechen können und sie sorgfältig, zuverlässig und liebevoll pflegen.
Sie sind abhängig von Zuwendung und Verstehen, von unmittelbarer Hilfe bei allen wesentlichen Lebensvollzügen.
Für ihre Entwicklung benötigen sie integrierte, langandauernde oder/und ständige fachspezifische
Förderung in allen Entwicklungsbereichen.
Es bedarf einer Fülle von Sichtweisen, um mehr Verständnis für Menschen in einer Lebenssituation zu
entwickeln, die immer wieder als extrem erlebt wird.
Vertraut sind Arbeitsansätze, die von grundlegenden Sequenzen menschlicher Entwicklung ausgehen.
Schwerstbehinderung kann auch beschrieben werden als schwerwiegende, komplexe Problematik, folgen9
de Kompetenzen zu entwickeln:
- Beantwortung, Aufnahme und Mitgestaltung von Kontakten mit Kindern und Erwachsenen
über die unmittelbar leibhaften Kontakte mit Bezugspersonen hinaus;
- aktiver Gebrauch der Hände für alltägliche Lebensvollzüge, z.B. essen, sich pflegen,
erkunden, bewirken, gestalten;
- Erweiterung der Wahrnehmung auf den Fernraum;
- eigene Fortbewegung im Raum;
- Erwerb von Sprachverständnis und Lautsprache;
- Ausbildung von Bewegungsabläufen, Handlungs- und Kommunikationsweisen für die Befriedung
emotionaler und sozialer Bedürfnisse, für Aufbau und Ausdifferenzierung zunehmender
kognitiver Kompetenz.
Entwicklungsbeeinträchtigungen
Entwicklungsbeeinträchtigungen im motorischen Bereich sind insbesondere:
-
Beeinträchtigungen in der Fortbewegungsfähigkeit;
Beeinträchtigungen im Bereich des Aufrichtens und Stellens;
Beeinträchtigung oder Fehlen von Funktionsfähigkeit der Arme, Hände, Beine und Füße;
fehlende Kopfkontrolle, fehlende Blickrichtungskontrolle;
Koordinierungsstörungen im Bereich komplexer Bewegungsmuster;
erhöhte Anfälligkeit im Bereich unwillkürlicher Organfunktionen wie Kreislauf, Atmung,
Verdauung;
- Störungen der Sprechorgane;
Entwicklungsbeeinträchtigungen im sensorischen Bereich sind insbesondere:
- organische oder psychische Ausfälle im Bereich der Wahrnehmung;
- geringe Fähigkeit der Aufnahme und Verarbeitung von Sinneseindrücken;
- geringe Koordinationsfähigkeit zwischen Sinneseindrücken und Bewegungsformen
sowie Verhaltensweisen;
- Überempfindlichkeit oder Herabsetzen der Empfindlichkeit für Sinnesreize;
Entwicklungsbeeinträchtigungen im emotional-sozialen Bereich sind insbesondere:
- aggressives bzw. autoaggressives sowie überängstliches Verhalten;
- Fehlen oder Beeinträchtigung der Fähigkeit, auf Personen oder Sachwelt zu reagieren
oder sich zu distanzieren;
- Stimmungslabilität, nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen sowie unmotiviertes
Lachen, Weinen;
Bei diesen Entwicklungsabweichungen können Krankheitszustände auftreten wie chronische Erkrankungen, Krampfbereitschaft, erhöhte Anfälligkeit, Abhängigkeit von Dauermedikation und -therapie,
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erhöhtes Unfall- und Sterberisiko, Gefährdungen durch unangepaßte Reaktionen wie Verschlucken,
Erstickungsanfälle.
Entwicklungsbeeinträchtigungen im kommunikativen Bereich sind insbesondere:
- kein, nicht wahrnehmbares, nicht eindeutiges bis stark eingeschränktes situationsgebundenes
Sprachverständnis;
- nicht über Sprechen verfügen bzw. nur situationsbezogenes, stark eingeschränktes
Sprechvermögen;
- Fehlen bis stark eingeschränkte Fähigkeit, sich visuell und/oder somatisch mitzuteilen;
- Fehlen bis stark eingeschränkte Fähigkeit, sich eines Ersatzzeichensystems
(Gebärde, Bliss o.a.) zu bedienen;
Entwicklungsbeeinträchtigungen im kognitiven Bereich sind insbesondere:
- noch kein beobachtbares Interesse, nicht einmal auf vitale Bedürfnisse ausgerichtet, bis hin zu
Lerninteresse auf vitale Bedürfnisse bezogen;
- häufige Verhinderung von neuen Lernprozessen durch Stereotypien und extreme
Verhaltensstörungen bis hin zum Lernen in elementaren Lernsituationen;
- noch nicht erkennbare Ansprechbarkeit, über personenbezogene Äußerungen und Reaktionen
bis hin zu sach- und situationsverhafteter Ansprechbarkeit;
- noch nicht erkennbares Aufgabenverständnis bis hin zu begrenzter Fähigkeit zur
Aufgabengliederung;
- apathisches Verhalten bis hin zu geringer Spontaneität im Hinblick auf bestimmte
Lernaufgaben;
- noch nicht beobachtbare Reaktionen auf Empfindungen und Umweltreize bis hin zu
einem überwiegend handlungsbezogenenen Lernen;
- noch fehlende Durchhaltefähigkeit im Lernprozeß bis hin zu geringer Belastbarkeit;
- noch nicht erkennbares Erinnerungsvermögen bis hin zu ansatzweisen Gedächtnisleistungen.
D ER B EGRIFF SCHWERSTBEHINDERUN G
UNTERSCHIEDLICHE P ROBLEMGRUPPEN :
UMFASST IM WESENTLICHEN SECHS SEHR
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Menschen, bei denen die Schwere der Körperbehinderung oder Sinnesschädigung
dominiert.
Menschen, bei denen die Schwere der geistigen Behinderung dominiert.
Menschen, die neben einer (schweren) geistigen Behinderung intensiv
körperlich behindert
oder/und sinnesgeschädigt sind.
Menschen, bei denen neben einer geistigen Behinderung massive Verhaltensauffälligkeiten
bzw. Hospitalisierungssymptome dominieren.
Menschen bei denen spezielle Krankheiten
neben einer geistigen Behinderung oder
Mehrfachbehinderung dominieren.
Geistig behinderte Menschen mit ausgeprägtem autistischen Erscheinungsbild.
DIES VERDEUTLICH T D IE VIELSCHICHTIGE SICH TW EISE D ES PERSONENKREISES, SO DA SS SCHW ER STBEHINDERTE ZUR ZEIT IN DEN SCHULEN FÜR KÖRPERBEHINDERTE , GEISTIGBEHINDERTE , BLINDE /
SEHBEHINDERTE UND GEH ÖRL OSE /SCHWERHÖRIGE UNTERRICHTET WERDEN.
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EIN - FÜHLEN
AN - NEHMEN
LÄCHELN GEGEN IHRE WIRKLICHKEIT
Wer bist Du?
Und warum bist Du So wie ich Dich sehe:
Laute von Dir stoßend, die ich nicht verstehe.
Schreien und Stöhnen, das mich erschauern läßt.
Dein Gesicht entstellt,
mit Zähnen knirschend,
sabbernd, spuckend, kratzend und schlagend
und zwischen den Fingern
Büschel ausgerissener Haare haltend.
Wen sehe ich?
Sehe ich Dich,
oder nur Deinen deformierten Körper und
Deine ruckartigen, bizarren Bewegungssalven?
In solchen Augenblicken
spüre ich,
dass ich kämpfen muß:
in mir, für Dich und für mich
gegen Resignation und Sinnlosigkeit.
In solchen Augenblicken
spüre ich leibhaft,
dass Liebe ein Lernprozeß ist,
gezeichnet durch Ringen und Arbeiten.
Ein tägliches Mühen,
meine menschliche Verwandtschaft mit Dir
nicht zu verdrängen,
meine Angst und meinen Ekel vor Dir - und mir
zu überwinden
und um Dich mehr zu be-greifen
als ich eigentlich denken kann.
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Ein ungleiches Paar ringend unterwegs,
und doch sind wir beide Angewiesene:
auf Zuwendung und Liebe;
und doch sind wir beide Hoffende:
auf eine Zeit vollkommenen Verstehens.
Erinnerst Du Dich?
Vor drei Monaten haben sich unsere Blicke getroffen.
Ganz unvermittelt,
so als gäbe es nichts zwischen uns:
nur Verstehen und Annahme.
Ich weiß,
diese Verheißung vermag uns weiter zu tragen.
Und wenn dann wieder eine Besuchsgruppe
uns "besichtigt" und mich fragt,
was der Sinn meiner Arbeit sei und
ob das denn "wirklich" einen Wert habe dann spüre ich, wie eine Narbe wieder aufbricht und ich beginne zu Lächeln:
Ein Lächeln gegen IHRE Wirklichkeit.
(Martin Th. Hahn : Zusammensein mit Menschen, die schwerbehindert sind. In: Geistige Behinderung 2/1992)
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W IR SPRECHEN VON IHNEN ALS VO N DEN "GANZ SCHWACHEN KINDERN ",
W IRKLICHKEIT SIND SIE DIE GANZ STARKEN KINDER
ABE R IN
Sie (die Kinder) hocken in einem Rollstuhl. Ihr Oberkörper wird durch steife Plastikgurte, die sich über
Brust und Schulter ziehen, an die Rückenlehne des Rollstuhls gepresst; er würde sonst nach vorne
sacken. Zwischen ihren Oberschenkeln liegen ebensolche hartkantigen Gurte und halten ihr Becken. Die
Füße sind mit Lederriemen auf dem Fußbrett festgeschnallt. Eine Fesselung ist das nicht. Sie können sich
ohnehin nicht bewegen. Ihr Kopf wird durch ein Tuch an die Kopfstütze gebunden; wird das vergessen,
knickt er zur Seite oder sinkt tief auf die Brust, der Blick geht starr zu Boden. Dann müssen sie warten,
bis einer etwas merkt und ihren Kopf aufrichtet und festbindet. Sie können nicht sagen:"Mir ist heiß, weil
das Plastikmaterial des Rollstuhls mich zum Schwitzen bringt". Sie müssen warten, bis einer ihr nasses
Gesicht bemerkt.
Sie können nicht sagen: "Mir ist kalt, meine festgebundenen Füße sind eingeschlafen". Sie müssen
warten, bis jemand sieht, dass sie zittern.
Sie können nicht sagen: "Mir
ist schlecht". Sie müssen warten, bis einer ihre Blässe sieht oder sie
erbrochen haben.
Manchmal haben sie Leibschmerzen von den vielen Abführmitteln; die Windeln sind nass und voll Kot,
das brennt. Sie müssen warten, bis einer es riecht und sie säubert.
Der Speichel, der unaufhörlich über den Hals in den Pullover rinnt, kitzelt unangenehm. Sie müssen
warten, bis einer sie abwischt, immer wieder und hoffen, dass er ein weiches Tuch nimmt, denn ihr Kinn
ist wund.
Die Gurte schneiden ein und machen taube Glieder. Sie müssen warten, bis einer ihre Tränen sieht und
warten, dass er herausfindet, warum sie weinen.
Sie können kein Wort, keinen Laut hervorbringen und ihre Hand nicht zeigen und den Vorbeigehenden
nicht festhalten. Sie können vielleicht die Hand nicht einmal öffnen, geschweige denn, den Arm
ausstrecken.
Vielleicht können sie die Menschen in ihrer Umgebung anschauen und sie mit den Augen rufen, aber
sie können nicht sicher sein, dass diese Menschen die Fähigkeit besitzen, in ihren Augen zu lesen.
Wir sprechen von den "ganz schwachen Kindern", aber in Wirklichkeit sind sie die ganz starken Kinder!
Sie müssen immer warten, dass der andere auf sie zugeht. Warten, dass andere ihre einfachsten Bedürfnisse befriedigen - von ihren Wünschen und deren Erfüllung wird wohl selten die Rede sein.
M AN MU ß STARK
SEIN , UM SOLCH EIN
L EBEN ZU LEBEN.
(Autor unbekannt)
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UNTER - FORDERN
ÜBER - FORDERN
ANSÄTZE
ZUR
FÖRDERUNG SCHWERSTBEHINDERTER
AKTIVIERENDE PFLEGE
(Schwörer)
Apallische Patienten
BASALE AKTIVIERUNG
(Breitinger, Fischer)
Kinder mit schwerer geistiger Behinderung
BASALE STIMULATION
(Mall)
Schwerstbehinderte mit gravierend beeinträchtigter
Kommunikation
BEHANDLUNG VON
AUTOAGGRESSION
(Rohmann,Hartmann)
Personen mit aggressiven / autoaggressiven
Verhaltensweisen
FESTHALTE-THERAPIE
(Prekop)
Kinder mit autistischem Syndrom
FÖRDERPFLEGE
(Trogisch)
Pflegeabhängige Personen in Langzeiteinrichtungen
und Krankenhäusern
FÜHREN IN ALLTAGSGESCHEHNISSEN
(Affolter)
Personen mit Cerebralschädigungen
unterschiedlichen Schweregrades
INTEGRIERTES LERNEN
(Fröhlich, Haupt)
Schwerstmehrfachbehinderte mit einem
durchschnittlichen Entwicklungsalter ab ca.
6. Lebensmonat
ISOLATIONSTRAINING
(Kiphard, Delacato)
Kinder mit autistischem Syndrom
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KÖRPER- und GESTALTTHERAPIE
(Klostermann, Besems,
v.Vugt)
Schwerstbehinderte blinde Kinder/
Geistigbehinderte
KRANKENGYMNASTIK
(Bobath, Vojta)
Kinder mit schwerer Cerebralschädigung
MUSIKTHERAPIE
(Vogel)
Geistigbehinderte/Schwerstmehrfachbehinderte
PSYCHOMOTORISCHE
ÜBUNGSBEHANDLUNG
(Kiphard)
Kinder mit Cerebralschädigung
SENSOMOTORISCHE
ENTWICKLUNGSFÖRDERUNG
(Kiphard)
Kinder mit retardierter und gestörter
Wahrnehmung und Motorik
SENSORISCHE
INTEGRATION
(Ayres)
Kinder mit sensorischen Integrationsstörungen
SNOEZELEN
(Hulsegge)
Schwer geistig und mehrfach Behinderte
VERHALTENSTHERAPIE
(Kane, Kane)
Geistig schwer Behinderte
Susan ne D ank : Warum individuelle Förderplanung. Lernen Konkret 2/93.S. 2 ff.
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LEITFRAGEN ZUR BEURTEILUNG DES FÖRDERANGEBOTES
Welche Bedeutung hat das Förderangebot für die Lebensbewältigung des
Schülers?
Knüpft das Förderangebot an den Bedürfnissen und Interessen des Schülers an?
Erweitert das Förderangebot den individuellen Handlungsradius des Schülers?
Trägt das Angebot zum Aufbau zw ischenmenschlicher Beziehungen bei?
Beinhaltet das Förderangebot bedeutsame Wahrnehmungsqualitäten?
Ermöglicht das Angebot wichtige sensomotorische Erfahrungen?
Ist die Durchführung des Förderangebotes durch ausreichend personelle und
materielle Voraussetzungen abgesichert?
Susanne Dank: Beispiel:Individuelle Förderpläne im "Vorha ben unt erric ht" :Wir erleben unsere Füße bewußter. In: Lernen
Konkret. 2/1993. S.25f.
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LAUFEN - SCHREIEN
SCHREIEN - LAUFEN
GEDANKEN ÜBER JANINA, EIN HANDKIND
Schilderung alltäglicher schulischer Situationen
In der Klasse
Die Schüler beschäftigen sich mit Klangstäben (Verbindung von rhythmischer Sprechweise und
Anschlagen der Stäbe), und Janina soll wie die anderen Schüler auch im Kreis sitzenbleiben, zuhören,
sie soll zwei Stäbe in ihre Hände nehmen und sie möglichst festhalten. Janina bleibt jedoch nicht freiwillig
sitzen, sie muß festgehalten werden, wird aber unter der erzwungenen Ruhigstellung zusehends erregter.
Sie ist nicht bereit, die Klangstäbe zu greifen, versteift beim Versuch, die Stäbe mit Handführung
anzuschlagen, beide Arme, beginnt zu schreien und läßt sich auf den Boden fallen. In ihrer Spielecke
innerhalb des Klassenraumes klopft sie mehrmals erst auf einen Therapieball dann auf die Tafel und läuft
nun durch die Klasse, nimmt wahllos erreichbare Gegenstände vom Schreibtisch und aus den Regalen,
dreht diese kurz in der Hand und wirft sie dann weg. Aufgrund der enstandenen motorischen und akustischen Unruhe ist mittlerweile eine Weiterarbeit mit den übrigen Schülern erst wieder möglich, als Janina
mit einer Lehrkraft den Klassenraum verläßt.
Auf dem Pausenhof
Es gibt eigentlich zwei entscheidende Momente in Janinas Tagesablauf, die bei ihr eindeutige Reaktionen
auslösen. Es sind die Ankündigungen der Lehrkraft: "Holt die Jacken"/"Wir machen Pause". Sie läßt sich
bereitwillig anziehen, an der Hand nehmen und auf den Pausenhof führen. Dort angekommen, genießt
sie ihre Freiheit in vollen Zügen:
sie läuft, rennt, hüpft, springt ihre Runden auf dem Hof, ziellos, unermüdlich, in ihrer Zwanghaftigkeit
erinnernd an eine Gefangene beim Freigang;
sie steuert immer wieder Hecken und Sträucher an, reißt Blätter und Beeren ab und ißt diese in großen
Mengen;
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sie stellt sich mit dem Rücken an die Wand, reibt sich daran rhythmisch hin- und herschaukelnd;
sie steckt alle beweglichen Kleinteile (Ästchen, Müll aus den Papierkörben, Erde, Steine) in den Mund,
sie leckt an Regenpfützen;
auf alle Versuche, sie in Spielsituationen einzubeziehen oder für Pausenangebote (Sandkasten, Dreirad,
Schaukel) zu interessieren, reagiert sie mit Abwehr und Verweigerung.
Vorgeschichte
Die an zwei Situationen exemplarisch aufgezeigten Verhaltensweisen Janinas sind wohl kaum einzuordnen bzw. nachzuvollziehen ohne die Kenntnis ihrer Biographie: Janina lebt mit ihrer Familie seit
Februar 1993 in Deutschland und wurde zum Schuljahr 93/94 in unsere Schule (Sonderschule G)
eingeschult. Damals war sie 9 1/2 Jahre alt. Vorher war sie ausschließlich zu Hause, d.h., sie besuchte
noch nie eine Kindertagesstätte oder eine Schule, sie wurde nie therapeutisch, pädagogisch oder
medizinisch betreut. Bedingt durch Berufstätigkeit ihrer Eltern verbrachte sie den größten Teil des Tages
allein in einem Zimmer, in dem man ihr durch eine Schrankwand einen eigenen Teil abgetrennt hatte. Die
Angaben der Eltern zu Janinas frühkindlicher Entwicklung, zu Art und Ursache der Behinderung sind
lückenhaft und widersprüchlich: Sie sei als gesundes Kind geboren worden, habe mit 4 Monaten einen
ersten Krampfanfall erlitten und sei durch ein "falsches" Medikament behindert. Von diesen Jahren
existieren keinerlei Untersuchungsberichte, Diagnosen o.ä. . Heute ist Janina ein körperlich normal
entwickeltes, organisch gesundes, bis auf einige Narben äußerlich ansprechendes Mädchen. Schularzt
und Neuropädiater diagnostizierten bei ihr eine erhebliche geistige Behinderung, eine Residual-Epilepsie,
außergewöhnliche motorische Unruhe, gesteigerte Erregbarkeit, autoaggressives und autistisches
Verhalten sowie Hospitalismus.
Aktuelle Unterrichts- und Erziehungsproblematik
Janina besucht derzeit mit sechs weiteren Schülern eine Mittelstufenklasse. Günstige personelle und
räumliche Rahmenbedingungen ermöglichen es, sie intensiv einzeln und häufig außerhalb der Klasse zu
fördern.
In der täglichen Arbeit mit ihr lassen sich drei Problembereiche beschreiben, die unsere Erziehungs- und
Förderversuche erheblich erschweren:
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Janinas außergewöhnlicher Bewegungsdrang und ihr ständiges Fluchtverhalten
Sie kommt nicht zur Ruhe, das Sitzen am Tisch während der gemeinsamen Mahlzeiten bedeutet für sie
Qual, sie ist ständig "unter Strom", möchte laufen, laufen, laufen. Da Janina aus der Klasse und aus dem
Schulgebäude wegläuft, braucht sie eine durchgängige Aufsicht und muß bei Unterrichtsgängen an die
Hand genommen werden. An manchen Tagen schläft sie auch mal für eine kurze Zeit total erschöpft in
einem Buggy ein. Janina verbreitet derzeit so viel Unruhe, dass Klassenunterricht nur ohne sie stattfinden
kann und sie in Einzelförderung betreut wird.
Die durch Hospitalisierung hervorgerufenen Beeinträchtigungen in der Ich- Du- und Wir-Entwicklung
und - beziehung
Janina neigt zu gegen sich selbst und gegen die Gruppe gerichteten Aggressionen. Je nach Befindlichkeit/Stimmung kommt es bei ihr zu plötzlichen Affektausbrüchen: ohne erkennbaren Grund schreit
sie, wirft mit Essen und Gegenständen, beißt sich in die Hände, reibt sich den Unterarm an Möbeln
wund, kratzt sich den Hals wund, kneift Mitschüler und haut ihnen auf den Rücken. Verbale Kontaktaufnahmen sind bei Janina auch nur begrenzt möglich; oft rätseln wir, ob sie die deutsche oder russische
Sprache versteht. Kontaktaufnahme durch Streicheln läßt Janina selten zu; körperliche Nähe, Zuwendung
und Zärtlichkeit wehrt sie meistens ab. Mitschüler können Janina aber schon auch mal an die Hand
nehmen, sie läßt dies immer häufiger zu. Ihr Repertoire an Bewegungsmustern und Lautäußerungen ist
bei ihr als eingeschränkt, stereotyp und zwanghaft zu beschreiben.
Janina zeigt eine ausgeprägte Abwehr- und Verweigerungshaltung
Es ist uns bisher nicht gelungen, Spielmaterialien zu finden, die bei Janina ein natürliches Neugierverhalten oder eine Beschäftigung mit diesem (außer Wegwerfen) auslösen würden. Sie zeigt keine
erkennbare Vorliebe für bestimmte Gegenstände; Dinge, die einen Aufforderungscharakter besitzen,
lehnt sie völlig ab.
Weder beim Schwimmen noch im Bällchenbad oder bei Musik gelingt es Janina, sich zu entspannen oder
eine Situation lustvoll zu genießen.
Nur beim Essen und bei der Sauberkeitserziehung hat sich ihre Abwehrhaltung etwas abgebaut. Sie läßt
sich füttern, ohne die Nahrung (wie zu Beginn ihrer Schulzeit) wieder auszuspucken bzw. mit den
Fingern zu essen; sie akzeptiert inzwischen auch ihr unbekannte Nahrungsmittel. Sie hat sich auch daran
gewöhnt, Windeln zu tragen und läßt sich mehrmals täglich auf die Toilette setzen.
Janina provoziert durch ihr "Sosein", durch ihre "extremen" Verhaltensweisen immer wieder Fragen, die
wir uns, die Lehrkräfte, täglich immer wieder und auch gegenseitig stellen:
Was hat Janina in den ersten Jahren erlebt, was hat sie alles entbehren müssen?
Versteht sie uns eigentlich?
Wo gibt es Dinge, die sie mag? Situationen, in denen sie sich entspannen kann?
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Woher kommen die plötzlichen Wutausbrüche nach Phasen relativer Ruhe?
Hat sie vielleicht Schmerzen?
Was empfindet sie bei Musik/Gesang?
Wie erlebt sie Gemeinschaft?
Welche Ausdrucksmöglichkeiten/Beschäftigungsmöglichkeiten können
wir ihr anbieten?
Warum verweigert sie sich so konsequent und nachdrücklich?
Perspektiven - für Janina / für uns
Für seltene kurze Augenblicke ist Janina mit sich und der Welt im Einklang, dann zeigt sie ein Lächeln,
läßt sich anfassen, streicheln, ist zugewandt, ansprechbar und ruhig. Diese Momente lassen zum einen
die erheblichen Belastungen im Rahmen der Klasse für alle Betroffenen in den Hintergrund treten; zum
anderen lassen sie hoffen, dass für Janina mit viel Geduld, Zuwendung, Verständnis und Ausdauer
positive Entwicklungen möglich sind. Janina hat sicherlich - auf alle Bereiche des Lebens bezogen - einen
immensen Nachholbedarf. Sie hat im vergangenen Schuljahr vielfältige Erfahrungen machen können,
besonders die Erfahrung des Angenommenseins als men-schliches Wesen, als Kind, auch von seiten ihrer
Mitschüler, die mit ihr immer wieder liebevoll und verantwortungsbewußt umgehen.
Der Glaube an ihre Entwicklungsmöglichkeiten und der Wunsch, ihr aus ihren Zwängen, Stereotypien
und Aggressionen herauszuhelfen, prägen derzeit unseren Umgang mit Janina.
Es wäre schön, wenn sich die im Bereich der Selbstversorgung erreichten Fortschritte auf andere
Bereiche - besonders den der zwischenmenschlichen Beziehungen - übertragen und erweitern ließe. Dies
setzt voraus, dass Janina lernt, zur Ruhe kommen zu können, die Ruhe und Entspannung genießen zu
können, um dann neue Erlebnisse und Erfahrungen aufnehmen zu können.
Andrea Lottritz-Roth
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VER - STEHEN
DIAGNOSTIK - DER WEG , DAS KIND BESSER ZU VERSTEHEN
Alle sonderpädagogischen Disziplinen (z.B. Gehörlosenpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik usw.)
haben ihre speziellen und eigenen diagnostischen Verfahrensweisen. Die Festellungs- und Festschreibungsdiagnostik ist wohl überwunden. Förderdiagnostik, begleitende Diagnostik, diagnostischer Prozeß
sind heute keine Fremdwörter mehr und die Orientierung an der sogenannten Normalentwicklung wurde
kritisch hinterfragt.
Für schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche gibt es kein standardisiertes Testinstrumentarium. Dies
gilt insbesondere auch für Schüler mit extrem auffälligem Verhalten wie z.B. Autoaggression.
Doch es gibt Hilfen, auch wenn sich hier und da eine diagnostische Hilflosigkeit breit macht. Auch die
Frage: "Brauchen wir überhaupt Diagnostik bei Schwerstbehinderten?" scheint nicht unberechtigt zu
sein. Das Thema ist umstritten.
Einen guten Überblick und hilfreiche Anregungen findet der Suchende u.a. in "ERZIEHUNG UND
UNTERRICHT. DIAGNOSTIK UND FÖRDERUNG SCHWER GEISTIGBEHINDERTER SCHÜLER" (vgl. Literaturverzeichnis). Hier werden ausführlich Testverfahren und Anwendungen gerade bei schwer geistigbehinderten Schülern dargestellt.
Letztlich entscheidet das Kind, wohin seine Entwicklung geht; ob sie weiterläuft, stehenbleibt oder gar
Rückschritte macht.
Dies ist keine sonderpädagogische Resignation. Im Gegenteil, es ist eine Herausforderung, Diagnostik als
einen Weg zu sehen, das schwerstbehinderte Kind, den schwerstbehinderten Jugendlichen besser zu
verstehen. Davon sind wir überzeugt.
Maria Schneider, Fritz Stumpf
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EIN - FÜHLEN
AN - NEHMEN
SCHWERSTBEHINDERTE KINDER IN DER SCHULE
Peter ist Rollstuhlfahrer. Brust, Becken und Füße sind fixiert, sein Kopf fällt immer wieder nach vorne.
Sein Rollstuhl ist etwas nach hinten geneigt, um dieses Abknicken zu verhindern. Die Arme und Hände
hängen seitlich am Rollstuhl hinunter.
Eine Lehrerin fährt ihn zum Speisesaal. Peter erhält die pürierte Nahrung mit einem Löffel. Beim
Mundschluß hilft ihm die Lehrerin. Sie weiß, was er essen mag. Sie versteht ihn, wenn er satt ist und
lagert ihn, wenn er Schmerzen hat. Sie kennt seine Ängste in Situationen und vor Begegnungen; sie
nimmt ihn auf den Schoß, um ihm umfassend Kontakt und Stütze zu geben. Selbstverständlich pflegt sie
ihn auch und geht mit ihm baden, schwimmen oder duschen. Peter hat Menschen um sich, die ihm die
Mitwelt und Umwelt auf einfachste Weise nahebringen; die ihn verstehen, obwohl er nicht sprechen kann
und ihn sorgfältig, zuverlässig und liebevoll pflegen.
Peter ist in besonderem Maße von Zuwendung und Verstehen, von unmittelbarer Erwachsenenhilfe bei
fast allen Lebensvollzügen abhängig. Für seine Entwicklung benötigt er fachspezifische Förderung in
allen Entwicklungsbereichen.
Seine Energien können nur fließen, wenn Menschen da sind, die die Blockaden überwinden helfen. So
kann Peter nur greifen, wenn die Arm- und Handmuskeln tätig werden und nicht alle am ganzen Körper.
In der fachspezifischen Förderung erfährt er Möglichkeiten, seine Körperteile isoliert zu bewegen. So
kann es ihm gelingen, bei guter Lagerung und Stütze sich lautlich zu äußern; für Peter ein ungeheures
und lebenswichtiges Ereignis.
So erfährt er Lebensfreude und Lebensmut, sein Leben wird lebenswert.
Helmut Jänen
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TRAGEN
TRAGBAR
UNTRAGBAR
DAS LEBEN MIT MEINER BEHINDERTEN TOCHTER
EIN LEBEN IN ZWEI WELTEN
Es fällt mir schwer, über meine Situation zu schreiben. Soll ich schreiben, was der Fall ist, oder soll ich
beschreiben, was dahinter steht, (Whereof one cannot speak, thereof one must be silent" - Ludwig
Wittgenstein)? Die Beschreibung kann nur eindimensional sein, ich schreibe hier und jetzt, damit ist es
ewig festgeschrieben, so ist es. Ist es so? Das Leben ist viel variantenreicher. Nachdenken und Schreiben
schmerzt. Ich muß mir Gedanken eingestehen, die ich nicht haben will.
Ich, 44 Jahre, Hauptschullehrer in Österreich, schreibe von meiner Tochter Irene, 17 Jahre. Meine Gattin
ist 40 Jahre alt, Sonderschullehrerin. Meine Söhne heißen Matthias und Simon und sind elf bzw. sieben
Jahre alt.
Wen interessiert die Beschreibung eines Familienlebens, mit den Augen eines Vaters gesehen?
Viel interessanter ist doch der Bericht von der Ermordung zig alter Menschen in einem Krankenhaus
durch Krankenschwestern in Wien, indem Wasser eingeflöst wird, bis die "lebensunwerten" Greise
ersticken. Viel interessanter ist die angebliche Ertränkung von Frühgeburten im ehemaligen Ostdeutschland. Viel erschütternder sind doch die Berichte aus den Heimen in Rumänien, wo behinderte Kinder wie
Tiere in ihrem eigenen Kot in Gitterbetten dahinvegetieren und wo der Friedhof gleich hinter dem Heim
auf der Wiese angelegt wurde.
Da ist doch die Beschreibung einer funktionierenden Familie, in der es ein behindertes Kind gibt, nicht
besonders spannend.
Höchstens, weil der Vater schreibt?
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DER B EFUND
Irene, geboren am 30. Mai 1975, Vater 27, Mutter 23.
Geburt komplikationslos. Anfangs unauffällig.
Ab der vierten Woche Trinkschwierigkeiten.
Gewichtsverlust des Kindes.
Entwicklungsneurologische Untersuchung:
Mikrocephalie, Ophistotonus.
Starke tonische Fixierung im ATNR, OEX mehr als UEX.
Strabismus convergens.
Schwere dystone Athetose.
Das EEG ist abnorm und mit Krampfbereitschaft gut im Einklang stehend.
Opticusatrophie.
BNS-Krämpfe, psychomotorische Retardation.
Schwere cerebrale Bewegungsstörung.
Diese Diagnose wurde mit ca. acht bis zehn Wochen Lebensalter erstellt und ist uns Eltern zur Kenntnis
gebracht worden.
Mit Irene zu Hause war keine Zeit zum Jammern und Grübeln. Sie mußte täglich mehrmals von uns
sondiert werden. Meine Frau wurde in die Bobath-Therapie eingeschult - richtig halten, mit Mundschluß
füttern, keinen Fehler machen.
Wir haben die Verantwortung, wir haben die Schuld.
Auch ich mußte mich von der Vorstellung, dass uns Ärzte weiterhelfen könnten, lösen. Daran sind aber
nicht die Ärzte schuld, sondern unser eigenartiges Verhalten zu den "Göttern in Weiß", denen wir
unseren Glauben und unsere Hoffnungen opfern, wo sie objektiverweise nichts bewirken können. Dazu
kommen natürlich auch Erlebnisse mit wirklichen Unzulänglichkeiten seitens der Ärzte. Wer schon
einmal einen Notfall hatte oder auf schnellstem Weg Hilfe brauchte, weiß, wovon ich rede. Ärzte sind
zudem zum Heilen da - wo nichts geheilt werden kann, wo es um Pflege, um Linderung, um Beruhigung,
um Vermeidung geht, ist ihr Latein am Ende.
MEINE TOCHTER UND ICH
Seit 17 Jahren lebe ich mein zweites Leben. Es ist das Leben mit meiner Tochter, schwerstbehindert seit
Geburt. Von Anfang an hatte ich den starken Willen, mit ihr zu leben, es zu schaffen. Es war keine
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Frage, mit ihr oder ohne sie. Ich hätte sie weggeben können, es wäre kein Problem gewesen -schwere
Probleme bei der Nahrungsaufnahme, BNS-Krämpfe, nächtelanges Schreien usw. - , eigentlich eine
Zumutung im normalen Sinn. Ein Mensch, in keiner Weise lebensfähig, ja eigentlich in seiner Existenz
gegen das Leben gerichtet, nur unter größtem Aufwand am Leben zu erhalten (Sondierung von Nahrung,
Einnahme von Antiepileptika). Wir waren beschäftigt, das Überleben unserer Tochter zu sichern, und
hofften, dass sich das alles ändern würde.
Nach fast 18 Jahren ist die Belastung eher noch größer geworden.
Für meine Frau nicht mehr tragbar, gemeint im körperlichen Sinn, für meine Tochter durch ihre
schweren Schlafstörungen und Anfälle. Auch für meine beiden Söhne bedeutet die schwerbehinderte
Schwester eine Beschneidung ihrer Lebensäußerungen. Ständig wird Rücksicht verlangt. Am Morgen
müssen sie leise sein, da schläft Irene endlich, nachdem sie seit ein Uhr nachts munter war, nachmittags
bitte keinen Laut, weil Irene zusammenschrecken könnte und Geräusche Anfälle verursachen können.
Am Abend kein Toben, weil die Schwester schon im Bett liegt und wir auf Ihr Einschlafen hoffen.
Für mich, der die meiste körperliche Arbeit erledigt (heben, füttern, baden usw.), Fahrdienste durchführt
(täglich in die Betreuungsgruppe - viermal zwanzig Kilometer), der im Beruf ausgeglichen sein soll, was
als Hauptschullehrer in einer Industriegegend nicht gerade leicht ist, wird die Belastung ebenfalls größer.
Wie geht es einem Vater, der eine fast 18-jährige Tochter hat? Wird er von ihr geliebt? Teilt sie Probleme
mit ihm? Ist er nur der Geldgeber? Es ist die Zeit, in der er lernen muß, die Tochter mit anderen Männern
zu teilen. Meine Tochter laugt mich aus, körperlich und seelisch. Es ist schwer, nach durchwachten
Nächten einen Sinn zu finden, sich auf den Beruf zu konzentrieren, sich auf die nächste Nacht vorzubereiten, Hoffnung aufzubauen.
Sie bestimmt mein Leben, ob ich es will oder nicht.
DER ÜBERVATER
Ich verzichte auf eine Chronologie der Ereignisse und greife einfach so weit zurück, wie es für die
Beschreibung eines Vorfalles oder Zustandes notwendig erscheint.
Meine Rolle als Vater ist und war eindeutig die eines Übervaters. Väter können anscheinend ihr Schicksal
nicht hinnehmen wie eine Frau. Sie lehnen das "Unzumutbare" ab oder werfen sich sozusagen auf die
neue Herausforderung, um dort zu bestehen, um das Optimum zu erreichen, um aus der Anerkennung
Kraft zu gewinnen. Sie suchen die Lösung des Problems durch Arbeit, Logik oder Kampf.
Meine Tochter ließ mir auch gar keine Chance halbherzig zu handeln. Schon als Irene ein Baby war,
wechselte ich mich mit meiner Frau ab, die Nächte zu durchwachen. Wir steckten ihr den Gummischlauch in den Magen, um den Grießbrei hineindrücken zu können. Wir wanderten von Therapiestunde
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zu Therapiestunde (einstündige Fahrten nach Wien). Was ist möglich, was wird von ihr gefordert? Der
Sonderkindergarten im zwanzig Kilometer entfernten Wiener Neustadt, schöne Jahre. Die Schule,
tägliche Belastung, täglicher Transport. Druck erzeugen, um das Kind "unterzubringen". Ich identifiziere
mich mit meiner Tochter. Wurde mir gesagt, was sie nicht könne, fühlte ich mich behindert. Ich bekam
Minderwertigkeitsgefühle, denn eigentlich war die Tochter nicht schulfähig. War auch ich nicht schulfähig, als Lehrer? Die Übernahme der Obmannstelle im Elternverein der Schule meiner Tochter war die
logische Folge meiner Suche nach optimaler Unterbringung und Betreuung und des Gefühls der
Verpflichtung, solidarisches Handeln sei wichtig. Außerdem ist ein Vater ein Mann und ein Mann, der
sich um sein behindertes Kind über das normale Maß hinaus bemüht, ein begehrter Mann. Angeblich
erreicht "man" auch mehr bei Ämtern und Behörden.
Ich möchte mit meiner Tochter in Frieden leben. Das Miteinander wird immer wieder gestört: Irene hat
Anfälle, sie wird krank, sie braucht einen neuen Rollstuhl, Ämter wollen Bestätigungen, ich reiche
Ansuchen ein, ich bin müde, ich nehme Pflegeurlaub, meine Kollegen gehen mir auf die Nerven.
Warum ist das Leben nicht nur schön? Wir füttern unsere Tochter - die perfekte Passivität. Wir wickeln
sie, wir tragen sie, wir befördern sie, wir holen sie ab, wir bewachen sie, wir ziehen sie an und aus, wir
pflegen sie, was immer das heißt.
Wie verstehe ich meine Vaterrolle? Meine Tochter ist 17 Jahre und ist ein junges Fräulein. Natürlich,
wenn sie nicht behindert wäre, hätte ich auch Sorgen; ob sie rechtzeitig nach Hause käme, mit wem sie
unterwegs wäre, ob sie die Matura schaffte...
Bei meinen Söhnen kann ich meine angebliche Großzügigkeit beweisen - und bin dabei sehr kleinlich.
DIE GESCHWISTER
Angeblich habe ich meine Frau zu zwei weiteren Kindern überredet. Es stimmt. Dass die Schwangerschaft und die Geburt, sechs Jahre nach unserer Tochter, dem ersten Kind, für meine Frau eine
Zumutung war, bin ich mir heute bewußt. Die Angst, auch das zweite Kind wäre behindert, mußte meine
Frau erst durchstehen. Zu beurteilen, dass die Existenz von zwei nichtbehinderten Söhnen eine Bereicherung ist, bejahe ich; ob es eine Lösung ist, aus dem Gefühl eines "behinderten Lebens" herauszukommen,
wird sich erst herausstellen bzw. könnte ich verneinen.
Es ist, wie es ist.
Die Erziehung von zwei aufgeweckten Buben ist auch nicht einfach. Manchmal genießen wir das
beschauliche Leben mit Irene, wenn die Buben einen Tag bei den Großeltern verbringen. Gut, ich habe
es so gewollt. Auf der einen Seite die totale Passivität der Tochter - seid still, nehmt Rücksicht -, auf der
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anderen Seite die spontane Aktivität von zwei Kindern, die ihr Leben leben, soweit wie möglich ohne
erzieherische Einschränkung - das muß erst durchgestanden werden.
Wem trägt man mehr Rechnung? Kann man Rücksicht verlangen?
Tatsache ist, dass die Bedürfnisse innerhalb der Familie diametral auseinanderführen. Nichtbehinderte
Kinder in diesem Alter schwimmen, fahren Ski, wandern, spielen Fußball, sammeln Dinge, streiten. Irene
will das genaue Gegenteil: Sie will liegen, Musik hören, zuschauen, Händchenhalten, gestreichelt werden.
Harmonie.
Schlechtes Gewissen ist vorprogrammiert.
Ein einwöchiger Skiurlaub muß nicht nur organisiert werden in bezug auf Irene, sondern auch psychisch
ihr gegenüber verarbeitet werden. Die liebe Familie auf Urlaub. Was wartet zu Hause? Wie nenne ich es?
Die Großeltern wollen ihren Kindern, also uns, das Leben erleichtern. Sie wollen uns helfen und werden
dabei selber älter und müder.
DIE EHE
Meine Frau und ich möchten ins Kino gehen.
Dass wir dazu für unsere Kinder die Großeltern brauchen, wird für andere Eltern nichts Besonderes sein.
Dass es nach zwanzig Ehejahren noch immer so ist, ist vielleicht schon etwas ungewöhnlicher. Wenn ich
aber weiß, dass andere gleichaltrige Ehepaare tun und lassen können, was sie wollen, weil ihre Kinder
schon die höhere Schule besuchen oder sogar schon einen Beruf haben, dann trifft mich das immer
wieder.
Neulich kam ich mit meiner Frau abends an unserer Stadthalle vorbei, wo gerade der Maturaball des
Gymnasiums stattfand. Uns war beiden bewußt, dass wir jetzt eigentlich dort drinnen sein könnten - Irene
ginge schon in die Abschlußklasse.
Unser gemeinsames Erleben ist notgedrungen sehr reduziert. Immer bescheiden sein, sich immer
zurückhalten, nie spontan sein. Nie schnell aus Lust italienisch essen gehen, nie das Radio laut aufdrehen
und eine Flasche Sekt öffnen. Immer eingeschnürt sein in das Korsett des pflegenden und betreuenden
Elternteils. Nie ein Ventil haben können. Nie die Feste feiern können, wie sie fallen. Alles planen, jeder
Geschlechtsverkehr hat seine Zeit. Nicht zum Alkoholiker werden, keinen Schnaps hinunterschütten.
Noch haben wir kleine Freiheiten. Es ist zumindest ein Trost, wenn ich weiß, dass die Buben einmal groß
und selbständig werden. Die Tochter bleibt uns, die nimmt uns niemand weg.
Man kann Pflegedienste bezahlen, die uns die Freiheit für einige schöne Stunden gewähren. Stunden, wo
wir nicht im Pflegeteam zusammengeschweißt sind, wo wir Mann und Frau sind, wo wir uns finden oder
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verlieren, bei Spaziergängen im Wald, wo wir alles herausreden können, im Café, wo man die Zeit
vergißt, oder im Kino, wo man lachen kann.
Geh nur fort, ich schaue schon auf die Kinder. Aber komm bald wieder, bleib nicht zu lange, du weißt,
der Schlaf!
DER B ERUF
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Warum stellt ihr keine Fragen mehr wegen meiner Tochter? Ich habe keinen Krebs und kein Aids.
Wovor fürchtet ihr euch? Wenn ich in der Früh in die Schule komme, fällt es mir schwer, eure Betriebsamkeit zu übernehmen. Es fällt mir schwer, über eure Witze zu lachen, obwohl ich weiß, dass die auch
dazugehören. Ich möchte euch mit meinem "Schicksal" konfrontieren, ich habe aber die Einbildung oder
Angst, euch mit meinen Problemen auf die Nerven zu gehen. Was ist interessanter: meine ausgelaugte
Psyche oder euer gestriges Tennisdoppel?
Ich weiß, dass wir manchmal auch Konkurrenten sind, wo persönliche "Schwächen" oder Sorgen keinen
Platz haben. Ich fühle mich elend, aber ich zeige es nicht.
Lieber Herr Direktor! Noch ist die Lust an der Arbeit mit Kindern da, noch besuche ich Kurse, noch
halte ich Kurse über moderne Unterrichtsmethoden. Wenn ich einmal nicht mehr kann oder nicht mehr
will, sage ich es dir, und dann gehe ich möglichst schnell. Es braucht auch niemand Angst haben, dass ich
eine Karriere anstrebe, jetzt nicht mehr.
Liebe Kinder! Ich habe eine behinderte Tochter, ich zeige euch einmal ein Foto von ihr. Wer kennt denn
von euch Rollstuhlfahrer? Kann man mit diesen Menschen Kontakt aufnehmen? Sollen behinderte
Kinder Normalschulen besuchen? Bei diesen Themen bin ich Spezialist.
Liebe Kollegen, liebe Kinder, ihr alle dürft mich fragen. Aber ich weiß, es gibt sowieso schon so viele
Probleme auf der Welt: der Krieg in Jugoslawien, das Ausländerproblem, die Hungerkatastrophe. Mach
deine Arbeit und gib eine Ruh'.
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ALLTAG UND B ELASTUNG
Es gibt eine bestimmte Anzahl von Tätigkeiten, die sich Tag für Tag wiederholen und die für die
Erfüllung der Pflege und für das physische Bestehen unserer Tochter notwendig sind. Was wir ihr an
psychisch-emotionaler Zuwendung bieten, wird sicher mehr schwanken und hängt auch von unserem
Befinden ab, ob wir Kraft und Zeit genug haben, uns ihr voll zu widmen. Die Zuwendung ist ihre
Lebensquelle, sie ist durch ihre schwere Behinderung (körperlich sichtbar, geistig nicht feststellbar) von
uns und ihrer Mitwelt vollständig abhängig. Diese Abhängigkeit wird für uns, also für ihre Familie, zu
einer ständigen Herausforderung und Belastung. Ein Wissenschaftler könnte uns vielleicht jetzt schon die
Schäden prognostizieren, die durch diesen Druck bei uns entstehen, ich ahne sie nur. Wir wissen, Irene
braucht uns, aber auch die Gesellschaft bzw. deren Umfeld fordert ihren Teil von uns: Beruf, Hobbies,
Freunde, Bildungsinteressen und natürlich auch der Ehepartner.
(...)
MÜDIGKEIT UND ENTTÄUSCHUNG
Wie oft müssen unsere Söhne hören, dass sie still sein müssen. Sie tun mir leid. Meine Tochter tut mir
leid. Ich tu mir leid, meine Frau tut mir leid. Soll ich mich deshalb in psychiatrische Behandlung
begeben? Ich bin müde und enttäuscht. Werde ich von meinen Kollegen geachtet oder geächtet? Wie
weit sind die beiden Wörter voneinander entfernt? Im Gespräch das "eine" aussparen.
Ich versuche, der körperlichen Müdigkeit keine geistige Müdigkeit folgen zu lassen. Denn was wir
denken, strahlen wir aus - was wir ausstrahlen, bekommen wir zurück. Wieweit ist diese These steuerbar?
Nach außen hin wirken ich und meine Familie wie die heilige Familie. Unser Pfarrer sagt, dass wir das
Gute in uns haben und auch ausstrahlen. Werden da n icht Schranken aufgebaut, die die anderen
Menschen daran hindern, an uns heranzukommen? Niemand kommt, niemand hilft. Ist man besonders
gut, wenn man seine Kinder liebt, wenn man das für mich Selbstverständliche macht? Ich kann nicht
anders und bin daher gut?
Ein echtes Problem, besonders in körperlicher Hinsicht, ist für mich der Schlafmangel. Irene schläft in
den Nächten bei mir im Ehebett. Ich brauche diese Tatsache hier nicht begründen, oder doch: Es hat sich
nach Jahren so ergeben. Wie viele mögliche Wege haben wir schon probiert? Nur, sie schläft kaum, und
wenn, dann nur e inzelne Stunden. Im Wachzustand muß Irene an den Armen gehalten und durch
Körperkontakt beruhigt werden. Dabei möchte sie noch öfters gewendet werden, und auch gewickelt
sollte sie dann werden.
Der schlechte Schlaf ist für mich deshalb auch ein Problem, weil es dafür keinen Ausgleich gibt. Es gibt
keinen Nachschlaf, es gibt keinen Ausgleich des Defizits. Der Leistungsanspruch an mich in meinem
Beruf ist aber trotzdem gegeben. Ein Kreislauf, aus dem ich mich bis jetzt noch nicht befreien konnte.
Das "Überleben" ist für mich nur deshalb möglich, weil Irene dreimal in der Woche bei den Großeltern
schläft.
31
DIE STRATEGIEN
Natürlich erschüttert ein behindertes Kind die Einheit der Familie. Diese Familie ist dann eine Ausnahme.
Der Ablauf der Bewältigung der Existenz eines behinderten Kindes in der Familie ist schon oft beschrieben worden. Die Wege führen von Entsetzen über Aufbäumen bis zu Ablehnung. Mit der
Annahme allein ist noch nichts gelöst. Es ist zu wenig, sich zu entscheiden, mit dem Kind leben zu
wollen. Es muß auch die ständige, jahrelange Belastung und "Zumutung" verarbeitet werden.
Die Strategien dazu waren mir am Anfang nicht bewußt und haben sich im Lauf der Jahre entwickelt.
Die Frage ist: Kann nur ich für das Kind sorgen? Lasse ich es zu Hause oder versuche ich eine Einschulung? Wie organisiere ich Hilfen? Es ist auch eine Frage der Organisation, mit so einem schwerbehinderten Menschen zu leben. Es geht praktisch um eine Belastungsverteilung bzw. um eine Belastungsminimierung, um die Lebensqualität auf erträglichem Niveau halten zu können.
Das Überleben in Extremsituationen, wie z.B. im Konzentrationslager, war nicht nur auf Zufälle
aufgebaut. Es war eine Kombination von Unterwerfung und geplanter Aktion notwendig. Ich begebe
mich in Abhängigkeiten, um über diesen Umweg mein und das Leben des Kindes zu retten. Es helfen die
Großeltern, es helfen die Erzieherinnen der Werkstätte, es helfen bezahlte Dienste, die stundenweise
kommen. Dieses Netzwerk würde aber sehr löchrig sein, würde nicht die Familie als solche, meine Gattin
und ich, den innersten Kern der Betreuung und Verantwortung bilden. Ich habe mir angewöhnt, mit
meiner Frau unsere Situation ständig zu analysieren und zu reflektieren, eine Supervision im häuslichen
Kreis sozusagen.
Bei jedem epileptischen Anfall unserer Tochter lassen sich im nachhinein Gründe für dessen Auftauchen
finden, wie Schlafmangel, leichte Verkühlung, Überbelastung usw. Es bleibt nur sehr wenig übrig, was
wir Irene noch zumuten können: kleinere Spaziergänge bei mildem Klima, keine Kälte, keine Hitze;
stundenweises Sitzen im Rollstuhl, abwechselnd mit Liegen auf der Matte, Vorlesen von Geschichten,
Abspielen von Märchenkassetten; Baden, Füttern, Wickeln. Mehr ist nicht zu tun, alles andere führt zu
Katastrophen.
Die Strategie des Lebens mit Irene heißt also: Gespräche im engsten Kreis, Treffen mit Eltern mit
ähnlichen Problemen, Reflexion, Hilfe durch andere zulassen, Abhängigkeiten bewußt akzeptieren,
Schlafmangel ausgleichen - durch abwechselnde Betreuung in den Nächten.
Spätestens jetzt könnte man die Frage einer Heimeinweisung behandeln. Sie hat sich für uns bis jetzt
noch nicht gestellt, weil ich weiß, dass ich selbst nicht damit fertig werden könnte und auch unsere
Tochter dabei zugrunde gehen würde. Ich würde auch unseren nichtbehinderten Söhnen nicht zumuten,
sie wegzugeben, daher kommt es auch für die Tochter nicht in Frage. Ich gebe aber zu, dass die Hilfen
für solche Familien wie die unsere viel zu gering sind, um Heime in Zukunft nicht mehr nötig zu haben.
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LEBEN IM ALTER
Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber sie ist vom Lebensalter her berechenbar. Das heißt, dass ich
mich einem Punkt zubewege, wo die Pflege meiner Tochter durch mich bzw. durch meine Familie nicht
mehr möglich sein wird.
Meine Frau sagt oft: "So weit denke ich nicht voraus, es wird sich schon was ergeben." Vielleicht ist
meine Frau weiser als ich, vielleicht kommt es auf die Sicht der Dinge an? Doch Weisheit kann man nicht
lernen, ich hoffe, dass ich die nötige Gelassenheit noch erlange. Gedanken an den Tod lassen sich nicht
vermeiden. In Würde altern - das klingt schön. Wo bleibt meine Würde, wo ich weiß, dass ich meine
Tochter nicht allein lassen könnte? Welche Gedanken schleichen sich in mein Gehirn?
Neulich las ich in der Zeitung, dass eine neunzigjährige Mutter ihre fünfundsechzigjährige behinderte
Tochter umgebracht hat. Ein Leben lang in Würde und so ein Ende! Im Alter sind wir allein, und im
Sterben sind wir allein. Wo bleibt die Hilfe?
Wieweit meine Söhne bereit sind, sich in die Pflege ihrer etwas älteren Schwester einbeziehen zu lassen,
ob sie sich einmal dazu verpflichtet fühlen, kann ich nicht wissen. Ich möchte auf jeden Fall verhindern,
dass ihr Leben auch "behindert" wird. Hoffentlich bin ich in etlichen Jahren noch fähig, das mitbestimmen zu können. Es wird nicht nur von mir allein abhängen.
SCHLU ß - TROTZDEM
Ich kann meine Situation nur beschreiben, wenn ich die Sprache als Schutz verwende. Wie nah lasse ich
den Leser an mich heran? Wie weit lasse ich jemanden an den Intimitätskreis, den jeder Mensch und jede
Familie um sich zieht, heran? Was gebe ich preis, was verschweige ich? Ich zeichne eine Grenzlinie,
vielleicht ist irgendwo eine kleine Öffnung, und es ist möglich, kurz ins Innerste zu schauen.
Meine Frau hat bei manchen Zeilen zu weinen begonnen, sie war betroffen von dem, was sie täglich
miterlebt.
Viele Väter sind sprachlos und flüchten. Oder sie können nur mehr schreien.
Die sich zur Sprache und damit zur versuchten Bewältigung entschieden haben, sind mir ähnlich.
.
Ich liebe meine Kinder.
Ich mag meine Fam ilie.
Ich bin gerne Lehrer und mag m eine Schüler.
Ich habe Pläne für die Zukunft.
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PERSONENKREIS
Ich zeichne und male.
Ich lese viel.
Ich höre gerne Klavierkonzerte von Mozart und Beethoven.
Ich gehe in Ausstellungen.
Ich rede mit Gleichgesinnten.
Ich bin solidarisch.
Ein Lichtermeer für alle.
Trotzdem habe ich den Traum, dass m ich jemand anstößt und aufweckt. Ich stehe
dann auf und gehe in ein anderes Leben.
(Aus zug au s: Man fred Gad ere r: Das Leb en m it meiner behinderten Toch ter - ein L ebe n in zwe i Welten. In: Kallenbach: Väter
behinderter Kinder. Reinbek 1994)
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GEWOHNHEITEN
VERANTWORTEN
VERÄNDERUNGEN
Daniel H., 10 Jahre
Mehrfachschwerstbehindert
ICH KANN ....
lachen
weinen
dich umarmen
auf kleinen Strecken auf dich zugehen
meine Umwelt mit dem Mund wahrnehmen
spielen und die Spielsachen im Raum verteilen
fühlen, wenn ich angenommen werde
fühlen, wenn ich abgelehnt werde
träumen, mich so bewegen zu können wie ihr
träumen, nicht mehr abhängig zu sein von euch
hören, wenn ihr mit mir sprecht
hören, wenn ihr über mich sprecht
ICH KANN NOCH VIELES MEHR
was ihr nur noch nicht bemerkt habt ...
Elke Unger-Scherer
35
MEIN GANZ PERSÖNLICHES ERLEBEN
Ich hatte mich "freiwillig" für die Arbeit im Mehrfachschwerstbehindertenbereich angeboten. Ich dachte,
dass ich mit einem Baby zu Hause für diese Arbeit besonders geeignet sei. Ich dachte auch, dass ich zu
Hause weniger Vorbereitungen zu machen hätte - dies erwies sich allerdings als falsch, ich kann es mir
jedoch anders einteilen.
Ich war dann auch schon etwas enttäuscht, wie bereitwillig die Schulleitung mein Angebot angenommen
hat. Mir wäre lieber gewesen, sie hätte nicht so leicht auf mich verzichten können in dem Bereich, in dem
ich vorher gearbeitet hatte. Ich hatte doch da meine Sache ganz gut gemacht.
Ich war dann trotzdem nach meinem Mutterschaftsurlaub voller Tatendrang und wirklich bereit, mich der
neuen Aufgabe zu stellen.
Natürlich hatte ich auch Angst vor der neuen Arbeit:
vor den schweren Behinderungen,
der körperlichen Anstrengung,
dem Pflegen,
dem Speichel,
dem Erbrochenen,
der Frage, was mache ich mit diesen Schülern,
vor meiner Integration in dieses gerühmte Team und
vor allem vor meiner Inkompetenz im Bereich der Mehrfachschwerstbehindertenarbeit.
Am Anfang bin ich mir dann auch wie ein unwissender Eindringling vorgekommen. Ich versuchte mich
in die vorgegebene Ordnung und Organisation in der Klasse und im Block einzufügen.
Ich war sehr angenehm überrascht, wie leicht es mir fiel, Kontakt zu meinen neuen Schülern zu
bekommen. Ich spürte schnell, dass sich hinter jedem eine Persönlichkeit verbirgt. Ich erlebte deutliche
Reaktionen der Schüler auf mich. Jeder hat so seine Eigenarten. Es fällt mir meist nicht schwer, mich auf
jeden einzelnen einzulassen.
Am Anfang hatte ich Probleme mit dem Anfassen, wenn ein Kind "verrotzt" oder " versabbert" war. Ich
fand es schlimm, als meine Töchter sagten, ich rieche so komisch, wenn ich aus der Schule kam. Ich habe
angefangen, mich in der Schule umzuziehen, und ich habe meine Abneigung überwunden und Rotznasen und Speichel öfter weggewischt.
Je besser ich meine neuen Schüler kennenlernte, um so weniger war es mir ein Problem.
Inzwischen kann ich sagen, dass meine emotionale Beziehung zu meinen Schülern jetzt annähernd so gut
ist, wie die zu meinen Ehemaligen war.
36
Ich habe also zunächst die Organisation so übernommen, wie sie bis jetzt durchdacht war. Gleichzeitig
habe ich viel über die Arbeit mit Mehrfachschwerstbehinderten gelesen. Ich habe dabei viele Anregungen
bekommen und wollte dann auch einiges ändern.
Gleichzeitig fühlte ich mich unsicher den Leuten gegenüber, die doch schon viel mehr Erfahrung haben.
Ich fühlte auch viele Animositäten, was Veränderung angeht. Schließlich haben die ja auch bisher alles
durchdacht. Gerade meine beiden Kolleginnen waren vorher monatelang allein gewesen und haben
wirklich alles so geplant, dass es überhaupt zu schaffen war.
Wir haben uns zusammengesetzt, haben uns für jedes Kind Fördermaßnahmen ausgedacht und auch für
die alltägliche Organisation neue Ideen entwickelt. Wir haben entdeckt, dass wir uns einig sind, mit dem,
was wir wollen. Trotzdem gibt es immer wieder schlechte Stimmungen. Bei vielen Besprechungen war
eine permanente Unzufriedenheit zu spüren. Die personelle Besetzung in der Klasse war fast nie so, dass
wir die wohldurchdachten Ideen hätten konsequent durchführen können. Oft sind wir damit ausgelastet,
die elementarsten Grundbedürfnisse der Schüler zu erfüllen (Essen, Trinken, Pflegen, Lagern).
Und immer wieder Besprechungen:
über Mißstände,
über gezielte Bestellungen,
über Organisation und gemeinsame Aktivitäten,
über Integrationsmöglichkeiten und
immer wieder ein allgemeines "Auskotzen".
Hintendran steht auch der Druck von ein paar Leuten, darunter auch von mir, die mehr Engagement
fordern, für die Arbeit, die wir machen.
Auf der einen Seite ständige Überbelastung und auf der anderen Seite auch noch weitere Forderungen!
Ich selbst entdecke mich dabei, wie ich meine Unzufriedenheit damit kompensiere, ständig
Unzulänglichkeiten anderer zu suchen und zu bemängeln.
Das fängt bei der schlechten Zuteilung von Personal seitens der Schulleitung an und hört beim Ärger
über jemanden, der beim Singkreis "nur" dasitzt und Kaffee trinkt, auf.
Diese Unzulänglichkeiten und die Tatsache, dass ich nie das schaffe, was ich mir vorgenommen habe,
kenne ich doch auch aus anderen Bereichen der Schule. Es muß doch etwas anderes dahinterstecken,
dass die selbstverständlichsten Dinge nicht laufen.
So hatte T. z.B. einen Kuchen mitgebracht. Am nächsten Tag wollte uns seine Mutter wieder einen
mitgeben, T. weigerte sich allerdings ganz strikt, ihn mitzubringen. Seine Mutter erzählte es mir
verwundert und nach kurzem Nachdenken wußte ich die einfache Erklärung. Wir hatten den Kuchen mit
in die Besprechung genommen und aufgegessen. Ich hatte vergessen, T. ein Stück aufzuheben. - WIE
KON NTE MIR DAS PASSIEREN?
Beim Mittagessen unterhalten sich zwei Fütterhilfen angeregt. Ein Krankengymnast kommt mit lauter
Stimme in die Klasse, um etwas für den Nachmittag zu organisieren. M. "schimpft" die ganze Zeit, bis
37
endlich eine Kollegin sagt: "Entweder ihr lasst M. mitdiskutieren oder ihr unterhaltet Euch draußen
weiter." - BETR OFF EN ES SCHWEIGEN
Wieso haben wir oft so wenig Einfühlungsvermögen und behandeln vor allem Schwerstbehinderte, als
seien sie gar nicht da?
I. wurde immer in der Klasse gepflegt, obwohl Buben mit in der Klasse sind. Erst vor kurzem stellte ich
die Frage, WARUM EIGENTLICH? Man muss sie, weil sie eh meist auf dem Boden liegen, einmal weniger
aus dem Rollstuhl rein- und rausheben - das hatte vielleicht mal seine Berechtigung, als die Klasse noch
schlechter besetzt war.
Wie konnte es passieren, dass ich erst so spät merkte, dass das nicht in Ordnung ist?
Wir haben uns vorgenommen, die Jacken mit den Schülern zusammen an die Haken zu bringen, mit
ihnen zusammen den Tisch zu decken und mit jeweils einem in der Küche die Teller und das Essen zu
holen, damit sie Räumlichkeiten und deren Funktionen kennen lernen. Wir tun es nur selten - WIESO?
Ist es wirklich alles nur Bequemlichkeit oder Zeitmangel? Ich drücke mich monatelang vor der Beantwortung dieser Frage. Was steckt bei mir dahinter?
Ich habe mit meinen 35 Jahren endlich das Gefühl, auf meinen eigenen Füßen zu stehen, mir mühsam
mein Erwachsensein erkämpft. In den anderen Bereichen der Schule und privat habe ich gelernt, mich
abzugrenzen. Ich kann jetzt auch ganz gut für mich sorgen.
Jetzt bin ich mit einer Arbeit konfrontiert, bei der die Betroffenen total abhängig sind von meiner
Einfühlsamkeit und Bereitschaft, mich auf ihre Ebene mit ihnen einzulassen.
Wir müssen bei sechs Schülern darauf achten, dass zumindest die allereinfachsten Grundbedürfnisse
befriedigt werden. Wir sind dafür verantwortlich. Wenigstens von diesem Bereich konnte ich mich von
den meisten lernbehinderten Schülern abgrenzen. Wenn ich in meiner L-Eingangsstufen-Klasse mal nicht
gut drauf war und es mir z.B. zu viel war, konsequent zu warten, bis alle am Tisch saßen, dann erinnerte
mich irgendein Schüler, dass wir doch erst alle zusammensitzen müssen, bevor wir anfangen. Diese
Schüler haben ein Stück Verantwortung mit übernommen.
Hier kann ich mir einen Ausrutscher eigentlich nicht leisten. Jetzt liegt die ganze Verantwortung auf
unserem Team. Wir sind gegenseitig auch total abhängig von unserer Zuverlässigkeit. Kleine Schwächen
sind viel schwerwiegender, sie belasten den jeweiligen Partner zusätzlich.
Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich damit oft überfordert und nicht genügend unterstützt.
Oft sind wir alleingelassen mit unseren Sorgen und Nöten. Es ist erstaunlich, wie viel wir dennoch leisten.
Ich möchte die Tür nicht hinter mir zu wissen.
Ich möchte Gelegenheit haben, auch an anderen schulischen Dingen teilzuhaben.
Ich möchte mich unterstützt und getragen wissen, wenn ich weiter ausprobiere, die Arbeit mit Mehrfachschwerstbehinderten für alle Seiten befriedigender zu gestalten und neue Formen der Zusammenarbeit
zu suchen.
Stefanie Daut 1990
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AUSGELAUGT
an manchen tagen
bin ich dich satt
heut hast du mich ausgesogen
übrig bleibt nur meine hülle
du forderst liebe
mit deinem geschrei
den ganzen tag schon
zwingst du mich zu dir
in einer halben stunde kommt klaus
vielleicht hat er heute die kraft
dich lachend hochzureißen
Roland Kampe
aus: Stimmen aus dem Glashaus
39
MARIA
ZEUGNISSE
2 x im Schuljahr sind wir "gezwungen", Zeugnisse für unsere Schüler zu schreiben. Auch Schwerstbehinderte müssen "beurteilt" werden.
Wie viele Zeugnisse bekommt eigentlich ein schwerstbehinderter Schüler in seiner Schullaufbahn?
Wieder ein Zeugnis für Maria.
Maria ist schulpflichtig, kommt regelmäßig zur Schule, wenn es ihr gut geht. Also kriegt sie auch ein
Zeugnis nach der Schulordnung.
Ein Zeugnis ist lt. Duden eine urkundlich festgelegte Bescheinigung über Leistungen, besonders mit
Bewertung.
"Liebe Maria, du möchtest sicherlich kein Zeugnis."
Maria ist im Alter von 6 Jahren in einem Hallenbad ertrunken. Sie wurde reanimiert und lag mehrere
Wochen im Koma. Der Ertrinkungsunfall verursachte das Krankheitsbild: Apallisches Syndrom.
Maria zeigt sich heute als mehrfach schwerstbehindertes Mädchen.
"Sie befindet sich in einem Grenzbereich zwischen Leben und Nicht-Leben." Aber sie lebt.
Wir kennen ja alle die bekannten Termini und nichtssagenden Umschreibungen:
.... hat Fortschritte gemacht;
.... hat das nächste Entwicklungsniveau erreicht;
... scheint offener zu sein;
... hat sich an die Schulsituation gewöhnt;
... und vieles mehr;
Hier nun ein kleiner Einblick in die Zeugnisse von Maria seit ihrem Schulbeginn:
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JAHRESZEUGNIS 1989/90 (1.SCHULBESUCHSJAHR)
Maria besucht seit einem Jahr unsere Schule. Sie kommt jetzt regelmäßig 3 mal in der Woche zu uns.
Wir möchten dazu beitragen, dass es Maria gut geht.
Oft gelingt uns dies nicht, und Maria teilt uns auf ihre Art mit, wenn es ihr schlecht geht oder sie
Schmerzen hat.
Doch es gibt auch Zeiten, wo sie auf ihre Umgebung lauscht, wo sie sich gerne streicheln und anfassen lässt. Die Signale, die sie aussendet, können wir meist nicht verstehen; wir versuchen aber, ihr
Angebote zu machen. Wenn wir spüren, dass Sie in Ruhe gelassen werden will, akzeptieren wir das.
Wir bieten ihr leise , sanfte Musik an, lagern sie gut und wollen ihr eine angenehme Atmosphäre
schaffen. Neben Krankengymnastik stehen Füttern, Pflegen und Lagerung im Vordergrund unserer
sonderpädagogischen Bemühungen. Aber Maria nimmt auch am Singkreis teil, geht zu den Mitschülern in die Pause oder nach draußen. Kleine Spaziergänge tun ihr gut.
Mit Streicheln und sanfter Massage lässt sie sich gut beruhigen. Irgendwie spüren wir, dass es bedeutungsvoll für Maria ist, ernst und wichtig genommen zu werden. Dem wollen wir weiterhin gerecht
werden.
Während ich vor kurzem etwas von Rabbi Alexander las, dachte ich an Maria . "Zu wissen, was man
festhalten und loslassen soll, ist wahre Lebenskunst. Denn das Leben ist voller Widersprüche; es
fordert uns auf, seine vielen Gaben festzuhalten, während es gleichzeitig verlangt, schließlich auf sie
zu warten."
JAHRESZEUGNIS 1990/91 (2.SCHULBESUCHSJAHR)
Ein Zeugnis für Maria ausstellen kann nur den einen Sinn haben, auszusprechen, dass die Lebensform, die Maria gewählt hat, einen Teil der universellen Lebensgestaltungsmöglichkeiten widerspiegelt.
Dabei ist sie natürlich Kind, ein sehr verletztes und verletzliches Kind. Maria einfach ansehen, ihre
Traurigkeit, aber auch ihre Gelassenheit und Demut spüren. Ihre Schmerzen und Ängste wahrnehmen
sind Blicke in ungeahnte Tiefen.
Maria konfrontiert uns mit unseren eigenen Ängsten und Hoffnungen.
Martin Buber schrieb: "Jeder ist berufen, etwas in der Welt zur Vollendung zu bringen."
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Weiterhin versuchen wir, dass sich Maria in der Schule wohl fühlt.
Wir bemühen uns, liebevoll auf sie einzugehen, ihre Bedürfnisse zu erkennen, ihr ganz einfach zu
helfen.
Der lange Aufenthalt in der REHA-Klinik hat sich sicher gelohnt. Zu wissen, Chancen nicht verpaßt
zu haben, selbst zu den Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit stehen, Hilflosigkeit
von anderen und sich sehen, und dennoch: Nicht aufgeben.
Die orthopädische Versorgung von Maria erscheint uns zur Zeit sehr gut. Der Stehständer, der zunächst bei uns emotional auf Ablehnung stieß, hat sich gut bewährt. Diese Lagerungsform, auf die die
behandelnde Krankengymnastin Maria liebevoll und behutsam einstellt, dient sicher ihrem allgemeinen
Gesundheitszustand. Die Nahrungs- und Getränkeaufnahme hat sich durch die gut durchdachte Rollstuhlversorgung erheblich vereinfacht.
Als relativ "neue" Förderungsform können wir Maria das Wasserklangbett anbieten. In dieser Kombination von Wasserbett, Vibrationsboden und Hifi-Anlage spürt sie Musik mit ihrer Vibration ganzheitlich und wird von dieser mehrdimensionalen Sinnlichkeit richtiggehend eingehüllt. Wir hoffen und
wünschen, dass diese Förderung Maria gut tut. Ein Zitat von Cypria (um 205-258) möchte ich für
Maria anfügen: "Für Kinder des Lichts ist Tag auch in dunkler Nacht."
HALBJAHRESZEUGNIS 1991/92 (SCHULBESUCHSJAHR 3)
"Da der kleine Prinz einschlief, nahm ich ihn in meine Arme und machte mich auf den Weg.. Mir
war, als trüge ich ein zerbrechliches Kleinod ... und ich sage mir: Was ich da sehe, ist nur eine Hülle.
Das Eigentliche ist unsichtbar." ...
A. FRÖHLICH schreibt: "Menschen mit schwerster Behinderung haben besondere Erfahrungen, sie
erlebten ... eine extreme Krise, die sie in das aktuelle Spannungsfeld von Leben und Tod brachte. ...
Dies sind Grenzsituationen - den meisten von uns unbekannt" ...
Es ist mehr als verständlich, dass Maria aus diesen ganz persönlichen Erfahrungen immer wieder neue
Krisen erlebt. So ist ihr gegenwärtiger Zustand wieder von Angst und Resignation geprägt. Wir
müssen Maria dabei helfen, neuen Lebensmut zu schöpfen. Dies versuchen wir mit Achtung und
Wertschätzung - aber auch mit unseren pädagogischen und therapeutischen Angeboten. Dabei wollen
wir Maria nichts aufdrängen.
Am entscheidendsten erscheint uns weiterhin, die elementarsten Grundbedürfnisse von Maria zu
erfüllen, d.h.: Vermeidung von Hunger und Durst, Schmerzen und emotionaler Isolation. Hier müssen
wir die Signale von Maria noch besser verstehen lernen.
"Das Leben ist eine Reise, die heimwärts führt."... Dieser Satz von MELVILLE darf uns nicht erschrecken. Im Gegenteil: Er kann uns aufbauen, weil er uns alle betrifft, nicht nur Maria.
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Maria ist bei uns. Maria soll und darf bei uns bleiben, solange sie möchte.
HALBJAHRESZEUGNIS 1992/93 (SCHULBESUCHSJAHR 4)
"Im Grunde nehmen wir jeden Tag Abschied, alles ist im Wandel, nichts lässt sich festhalten. Jeder
Schritt, den wir gehen, führt uns von etwas weg und auf etwas zu". Diese Weisheit von Otto Betz
könnte auch von Maria sein.
Maria "sagt" es uns, und wir versuchen, dies in der Entwicklungsförderung mit ihr zu verwirklichen.
Behutsames Umgehen, liebevolle Ansprache, lebenserleichternde Maßnahmen (z.B. Abklopfen,
Stehständer, Bauchlagerung, Entspannungsübungen, meditative Musik, ...) sind unsere Versuche,
mehr Lebensqualität zu geben.
Wir spüren, dass Schule dies manchmal leisten kann.
Wir sehen, wenn es Maria schlecht geht. Wir sehen aber auch die Ausstrahlung ihres Gesichts, ihrer
Persönlichkeit.
Maria gibt nicht auf.
JAHRESZEUGNIS 1992/93 (SCHULBESUCHSJAHR 4)
Maria kommt zur Zeit 3 x pro Woche zur Schule. Täglich zeigt sie sich anders. Eine Mitarbeiterin
sagte vor kurzem: "Maria ist das traurigste Kind, das ich kenne."
Ob das stimmt? Viele Wörter fallen mir ein ... Sanftmut, Demut, Krise, Grenzen, Geduld, aushalten,
Not, loslassen, aufgeben, festhalten, Angst, Vertrauen, ...
Wörter, Inhalte aus Leben, die uns begleiten, auch Maria .
Doch wie viel schwieriger ist ihre Lebensgestaltung?
Maria will nicht beurteilt werden, sie will angenommen sein.
Wir wollen sie annehmen; wir versuchen es.
"Die Schönheit im Herzen eines Menschen ist erhabener als diejenige, die man mit den Augen sehen
kann." (Khahil Gibran)
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Fritz Stumpf
TOD - LEBEN
TOD LEBEN
LEBEN
LEBENSSITUATIONEN UND ERFAHRUNGEN
Bezieht man die unterschiedlichen Lebenssituationen und Erfahrungen in die Überlegungen mit ein,
kann man bei manchen Betroffenen von Kindern und Jugendlichen sprechen:
die aus lebensbedrohlichen Situationen und der Begegnung
mit dem Tod sehr verletzt hervorgegangen sind und in ihren Reaktionen
Begegnungen zeigen, wie verletzt sie sind;
die durch das unmittelbare, leibhafte Erleben des Aufgehobenseins
im Urgrund des Seins (z.B. in Todesnähe) gestärkt,
oft in Frieden mit sich selbst leben;
deren Lebensbewegung im Zusammenhang mit schwersten Verletzungen
oder Erkrankungen des Zentralnervensystems stagniert
oder zu Ende geht;
deren Lebensenergie in Entwicklungsprozesse einmündet, wenn sie
die notwendigen förderlichen Bedingungen
über lange Zeit zuverlässig erfahren;
U. Hau pt: Ha ndb uch der Sonde rpä dago gik
44
UNTER - FORDERN
ÜBER - FORDERN
AUF DAS LEBEN SETZEN
Den Tod akzeptieren
Ja sagen zu Verfall, Krankheit, Behinderung.
Schatten in aller Form
ist der Wendepunkt,
der den Blick befreit für das Leben, so wie es ist.
Erstarrtes filigranes Wortwerk sinkt zurück
in den Tanz lebendigen Seins.
Lebendiges Sein in den Kindern spüren ist Freude.
Ihm Raum geben,
der Bewegung folgen, sie unterstützen,
heißt Schönheit und Reichtum des Lebendigen feiern,
kreativen Ausdruck des Seins,
Schöpfung, die in jedem Moment in der Vielfalt des
Lebendigen IST.
Lebensbewegung als Leitlinie des Handelns
auch im pädagogischen Tun,
mit dem gehen, was IST,
auf das Leben setzen das ist Reichtum, Bewegung, ist Schönheit
Aus: U. H aup t: Auf das L ebe n set zen. Anst öße zu ne uem Den ken in de r Sond erp äda gogik
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PORTRAIT
wenn du mich anschaust
dann schau ich zurück
ich habe mehr zeit
als du denkst
schau mich genau an
hast du mich wirklich genau angeschaut
was ist mit meinen augen
was ist mit meiner nase
vergiß die großen ohren nicht
es ist schön
wenn du mich so anschaust
warum tust du das nicht öfter
GEFALL ICH DIR
GEFÄL LST DU MIR
du meinst ich soll lachen - schau dich an
du lachst auch nicht
ich bin so konzentriert wie du
schließlich schaffen wir etwas gemeinsam
BIST DU ZUFRIEDEN
ICH DAN KE DIR
Ange la Ma rtin
46
- BIN ICH ZUFRIEDEN.
TOD - LEBEN
TOD LEBEN
LEBEN
GANZ NORMAL
er kam zur welt
wie auch wir hierher kamen
konnte sehen und hören
krabbeln und reden
genauso wie wir
ganz normal
doch dann
menschliches versagen
es bleibt auf der welt
wie auch wie wir hier bleiben
kann sehen und doch nicht erkennen
kann hören und doch nicht verstehen
kann reden und doch nichts sagen
genauso wie wir
wenn wir ihm gegenüberstehen
nur für ihn ist das jetzt
ganz normal
Carsten De la Porte
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aus: Stimmen aus dem Glashaus
PERSONENKREIS
J. hat trotz seines Beinbruches im Frühjahr nichts an Beweglichkeit verloren.
Sein herzhaftes Lachen, besonders beim Füttern und Pflegen, weist auf sein Wohlbefinden bei ganzkörperlichem, hautnahen Kontakt hin.
Vielleicht lässt er sich beim Essen deshalb so viel Zeit.
Am meisten genießt er Einzelförderung beim Schwimmen und im
J. erzählt viel, nicht nur, wenn er etwas will, sondern auch um sein
Im Sitzen auf dem Schoß
Pränatalraum.
Wohlbefinden auszudrücken.
gelingt es, kurzen Blickkontakt herzustellen.
In Bauchlage kann sich J. für längere Zeit ganz fleißig mit verschiedenen Materialien beschäftigen.
Bei ungeteilter Zuneigung ist er am glücklichsten und bedankt sich mit strahlendem Lächeln.
(Auszug aus einem Zeugnis)
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TRAGEN
TRAGBAR
UNTRAGBAR
DRACHENFLÜGEL
Schon von weitem sah Anne, dass Jakob auf dem Balkon stand. Die Kopfstütze des Rollstuhls ragte weit
über die Brüstung.
"Hallo, Anne!" Die Mutter umarmte sie. "Gut, dass du da bist. Ich muss noch schnell einkaufen."
"Soll ich gehen?" "Nein, ich bin froh, wenn ich noch ein paar Schritte laufen kann. Er war sehr unruhig,
ich glaube, du hast ihm gefehlt."
Anne ging auf den Balkon. Jakobs Kinn hing herunter, sein Mund stand offen. Sie hob seinen Kopf,
lehnte ihn gegen die Stütze. Er strahlte sie an. "Ich war beim Großvater", erzählte sie ihm. "Wir haben
einen Ausflug nach Samos gemacht, das ist eine Insel in Griechenland. War sehr heiß dort. Ich bin noch
ganz ausgetrocknet. Hast du auch Durst?"
Sie holte zwei Gläser, fütterte Jakob seinen Saft mit dem Löffel. Dreimal schlug er ihr in seiner zappelnden Wiedersehensfreude den Löffel aus der Hand.
"Soll ich dir etwas vorspielen? Das neue Stück wird dir gefallen. Ich kann es nur noch nicht gut."
Sie legte ihm eine Decke über die Beine, doch dann beschloss sie, ihn lieber gleich ins Zimmer zu
schieben. Es war schon kühl draußen. Und bei ihm wurde jede kleine Erkältung zum Problem. Er konnte
sich ja nicht schneuzen, konnte nicht blasen, wenn man ihm die Nase putzte, konnte nicht richtig
aushusten. Jeder Schnupfen führte zu Erstickungsanfällen.
Jakob lachte, als Anne die Blockflöte auspackte. "Also hör zu. Das ist ein Tanzstück. Uralt, aber wenn
man es richtig spielt, dann klingt's wie neu." Sie setzte die Flöte an, sah, dass Jakob seine Puppe verloren
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hatte. Die brauchte er, sonst tat er sich weh, wenn er krampfte. Im Rollstuhl war sie nicht, unter dem
Rollstuhl auch nicht. Vielleicht auf dem Balkon? Er hatte sie doch noch gehabt, als Anne kam.
Sie versuchte, ihm einen kleinen Stoffhund in die Hand zu drücken. Er verzog das Gesicht, fing an zu
weinen.
Anne suchte weiter, die Puppe konnte doch nicht verschwunden sein. Zwischen den Blumentöpfen? Sie
stocherte sogar im Korb mit den Wäscheklammern, obwohl es unwahrscheinlich war, dass die Puppe auf
den Wäschetrockner geflogen sein konnte. Meist konnte Jakob gar nicht loslassen, wenn er einmal etwas
in der Hand hielt.
Anne schüttelte die Decke aus. Da war die Stoffpuppe, nassgeschwitzt. Jakob grummelte zufrieden.
"Also hör zu." Das ging ja gar nicht so schlecht, nur die letzten vier Takte, die waren zu langsam. Wie
bei einer Spieluhr, wenn die Feder keine Spannung mehr hatte. Sie wiederholte den Schluss, dreimal,
viermal, dann das ganze Stück.
Die Mutter war hereingekommen, Anne hatte sie gar nicht gehört, hinter ihr stand der Vater. Sie mußten
sich auf dem Weg getroffen haben. Jakob lachte den Eltern entgegen.
"In zehn Minuten können wir essen", sagte die Mutter. Sie wandte sich an den Vater. "Wickelst du Jakob
inzwischen; mir tut heute der Rücken wieder so weh."
Seit ein paar Wochen hatte die Mutter Schwierigkeiten mit ihrem Rücken. Anne hatte sie oft dabei
erwischt, wie sie mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hände ins Kreuz stemmte. Jakob war ihr einfach viel
zu schwer.
Der Vater hob Jakob aus dem Rollstuhl, trug ihn ins Badezimmer und wusch ihn. Anne brachte frische
Windeln.
"Rasieren müßten wir dich auch wieder einmal", sagte der Vater zu Jakob. "Du siehst aus wie ein Pirat."
Aus: R. Welsh, Drac hen flügel
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ABENDSTÄNDCHEN FÜR DANIEL
Daniel ist mein Patenkind. Vor fast 12 Jahren haben ihn seine Pflegeeltern als acht Monate altes Baby
aus dem Krankenhaus zu sich genommen. Doch bald stellte sich heraus, dass Daniel, der als "Frühchen"
zur Welt gekommen war, zusätzlich behindert ist: mehrfach mußte ein Ventil gelegt werden, um den
überhöhten Hirndruck zu regulieren. Daniel ist Spastiker, es fällt ihm schwer, etwas zu greifen, er ist an
den Rollstuhl gefesselt, er kann nicht sprechen. Der hübsche Junge ist geistigbehindert.
Und dennoch: Daniel nimmt aktiv am Alltag seiner Pflegefamilie teil, bestimmt den Lebensrhythmus.
Mit ihm zu leben, zu spielen, sich mit ihm zu unterhalten, bedeutete das Sich-Einlassen auf andere
Ebenen der Kommunikation, des Wahrnehmens. Daniels Lebenswelt ist geprägt von Bewegungen,
Tönen, Geräuschen, die Unlustgefühle, Ängste, aber auch große Freude, Wohlbefinden auslösen.
Gefahrenwerden im Auto, im Rolly oder im Roll-Fiets ist für ihn immer wieder ein neues, mit Begeisterung aufgenommenes Erlebnis.
Auf solchen Spazierfahrten entlang des Neckars, im Kurpark oder in der Innenstadt erlebt er seine
Umwelt als aufregende Kulisse von vertrauten Stimmen, neuen Klängen, vielfältigen Geräuschen. Das
Räuspern, Husten meines Freundes - seines Pflegevaters - löst bei ihm unüberhörbare Freude aus. Am
Rauschen des Wassers erkennt Daniel, dass die Spazierfahrt am Neckar entlanggeht, und in den Kurpark
nehme ich, wenn es mir die Zeit erlaubt, mit ihm spazieren zu gehen, ein Stöckchen mit, mit dem ich die
Stäbe eines bestimmten Gittertores zum Klingen bringe.
Überhaupt Klänge, seien es die Glocken der verschiedenen Kirchen in der Innenstadt, die Daniel von Zeit
zu Zeit auf seinen sonntagmorgendlichen Spazierfahrten erlebt, Pumuckels hohe Fistelstimme auf seinen
vielgeliebten Kassetten, Stefans Gitarrenmusik oder Michaels Klavierspiel - all dies begleitet seinen
Lebensalltag, ermuntert, schafft Vertrauen, tröstet, beruhigt. Dabei ist Daniel durchaus wählerisch, recht
deutlich weiß er mitzuteilen, ob ihm sein Sinn gerade nach der Musik aus Haydns Lebensgeschichte,
Mozarts Flötenkonzert oder einer Kinderliederkassette steht.
Auf eines aber lässt er nichts kommen: auf Mamas oder Papas Gute-Nacht-Ständchen. Das ist für ihn zu
einer kleinen Zeremonie geworden, die an keinem Abend fehlen darf. Dann sitzt er auf Ullis Schoß,
seinen Kopf hat er in ihre Armbeuge geschmiegt, und während sie seine Lieblingsstücke auf dem Klavier
zu spielen beginnt, tasten sich seine kleinen Hände ihren Arm entlang zu ihren Händen, fangen die
Bewegungen auf, spüren Rhythmus, erfahren, dass von dort aus Klang entsteht, lauschen und nehmen
Musik und Bewegung auf, lassen sich davon ganz umfangen. Vergessen ist dann alles Beunruhigende,
Unverstandene, Beschwerende des Tages. Jetzt ist Daniels Welt wieder in Ordnung. Die entspannten
Gesichtszüge des Jungen strahlen Glück und Geborgenheit aus. Mit seinem bestimmenden Schnalzen
deutet er an, dass er keinen Aufschub beim Spielen und Singen duldet. "Aber Heitschi-bumbeitschi..."
ein Lächeln, wie viel Freude, sicherlich auch Dankbarkeit liegt darin - für einen Tag erlebtes, gelebtes,
sinnerfülltes Leben.
51
Wolfgang Hietler
UNTER - FORDERN
ÜBER - FORDERN
Es zeigt sich immer wieder, dass nicht das Trainieren von Defiziten und Funktionen entwicklungs- und
persönlichkeitsbedeutsam ist. (Durch das Absolvieren von vorfixierten Trainingsprogrammen kann es
sogar zu Entwicklungsblockierungen und Passivität kommen; Erlebnisse der Frustration und Deprivation
prägen dann das Gesamtbild. Äußere Betriebsamkeit, die sich an festen Therapiekonzepten orientiert, ist
nicht das, was ein (schwerstbehindertes) Kind erwartet und will. Oft werden gerade bei hirnverletzten
Kindern heilende Behandlungsmethoden mit entsprechendem Expertenvokabular angeboten, das
äußerlich beeindruckt, aber bei näherem Hinsehen für die ganz konkrete pädagogisch - therapeutische
Alltagspraxis kaum etwas oder nichts hergibt.) ...
Für eine individualitätsgemäße Identitätsentwicklung erweisen sich die liebende Haltung und Zuwendung
des Erziehers, Pflegers oder Therapeuten zum (behinderten) Kind, ihre Achtung und Wertschätzung des
behinderten Kindes als vollwertigen Menschen und als vollwertige Person als Geheimnis des Erfolges.
Hier kann das Kind eine tragende und vertrauen svolle Beziehung aufbauen, Geborgenheit, Nähe,
Wärme, Freude, Trauer und Sinn erleben und so in weitmöglicher sozialer und personaler Integration
leben. Es lebt aus dieser guten Beziehung heraus, vertraut der menschlichen und dinglichen Umwelt und
traut sich, auf die Welt selbst aktiv zuzugehen und sie mitzugestalten. Hier scheinen dann andere
menschliche Qualitäten auf, die nichts mehr mit äußerlichen Leistungserfolgen zu tun haben.
Ferdinand Klein (unveröffentlicht)
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WAS MACHE ICH MIT BLINDEN UND SEHBEHINDERTEN KINDERN?
Diese Frage schien mir als ausgebildete Heilpädagogin gar nicht so schwer zu sein.
Aber:
Was mache ich mit sehbehinderten und blinden Kindern,
die sich selbst nicht bewegen können,
die nicht selbst greifen oder etwas festhalten können,
die nicht alleine sitzen, stehen, laufen können,
die nicht selbst essen können,
die ihre Ausscheidungen nicht steuern können,
die sich sprachlich nicht äußern können,
die große Schwierigkeiten haben, zu begreifen,
die körperlich und geistig nicht fähig sind, relevant zu reagieren?
Vor dieser Frage stand ich vor 5 Jahren, als ich mit der Arbeit in einer Klasse an der Blindeninstitutsstiftung München begann.
Ich hatte zuvor die verschiedensten Erfahrungen in der Arbeit an Schulen für behinderte Kinder
gesammelt und auch eine Menge Arbeitsmaterial und Ideen zusammengetragen, aber all das konnte ich
hier nicht einsetzen.
Ich suchte nach Büchern und Unterlagen, konnte aber nur wenig Literatur finden, die speziell für die
praktische Arbeit mit diesen Kindern brauchbar gewesen wäre.
So war ich auf mich selbst angewiesen.
Ich mußte, das war mir klar, den Kindern die Möglichkeit bieten, Körper- und Sinneserfahrungen zu
machen und mußte "die Umwelt zu den Kindern bringen". Aber wie sollte ich das realisieren und was
sollte ich den Kindern bieten?
Ich beobachtete kleine Kinder, wie sie sich bewegten, wie sie spielten und womit sie spielten.
Ich beobachtete Mütter, wie sie mit ihren Babys und Kleinkindern umgingen.
Ich begann, intensiv meinen eigenen Körper und seine Reaktionen auf Umweltreize zu beobachten.
Ich versuchte, mich an Spiele meiner Kindheit und an Erfahrungen und Gefühle, die ich dabei hatte, zu
erinnern.
Ich fing an, wie ein Kind meine Umwelt zu betasten, zu "beriechen", zu "beschmecken" und zu "behören".
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Diese Beobachtungen und Erfahrungen bildeten die Grundlage für die Arbeit mit meinen mehrfachbehinderten blinden und sehbehinderten Kindern.
Schon bald hatte sich der Ansatz bewährt, und ich begann, alles was ich mit den Kindern machte,
aufzuschreiben und zu einem Arbeitsplan zusammenzustellen.
Bei meinen Unterrichtsangeboten orientierte ich mich am Jahreslauf. Dieser ist für mich der Leitfaden für
meine Themen. Mir ist natürlich bewusst, dass die Kinder nie konkret begreifen werden, was z.B. ein Igel
oder ein Baum ist. Aber ich kann ihnen Erlebnisse für ihre Sinne und für ihren Körper vermitteln, die in
Geschichten aus der realen Welt eingepackt sind.
Ich lasse die Kinder ihren Körper spüren.
Ich erzähle den Kindern Geschichten.
Ich singe und tanze mit ihnen.
Ich mache ihnen die verschiedensten Musik- und Geräuschangebote.
Ich mache mit ihnen die verschiedensten Musik- und Geräuschangebote.
Ich mache mit ihnen Rhythmikübungen.
Ich gebe ihnen die Möglichkeit, elementar zu fühlen, zu tasten, zu riechen, zu hören, zu sehen und zu
handeln.
Ich versuche dabei, viele verschiedene Angebote gleichzeitig zu bringen. So kann sich jedes Kind, je nach
seiner Fähigkeit, etwas davon nehmen. Beim Sehtraining z.B. lasse ich immer Musik dazu spielen.
Die blinden Kinder können schöne Musik hören. Die sehbehinderten Kinder können ihre Sehreste
trainieren. Das Kind, das als taubblind gilt, lege ich gleichzeitig auf den Lautsprecher. So kann es durch
Vibration den Rhythmus der Musik mit dem Körper aufnehmen.
Ich weiß nicht, was und wie viel meine Kinder von meinen Angeboten aufnehmen. Sie können es mir ja
nicht sagen. Ich sehe aber an den Reaktionen, an ihren lachenden Gesichtern oder ihrem fröhlichen
Strampeln, dass es ihnen Spaß macht.
Da meine Kinder sehr lange brauchen, bis sie reagieren oder etwas gelernt haben, muss ich gleiche
Aktivitäten immer wiederholen. Damit es für meine Mitarbeiter und für mich abwechslungsreich bleibt,
verpacke ich die gleichen Angebote immer wieder in neue "Gewänder". Ich suche ständig nach neuen
Geschichten, Spielliedern und anderen Möglichkeiten, bei denen die Kinder Erfahrungen machen
können.
So bleibt meine Arbeit immer spannend.
54
Hanne Rappenglück
PERSONENKREIS
VERENA
9 Jahre
blind
geistigbehindert
spricht nicht
Lächelnd und erwartungsvoll verhältst Du Dich bei der morgendlichen Begrüßung.
Du freust Dich auf den Unterricht.
Du bist vertraut mit Deinen Lehrern und Mitschülern. Wenn sich einige Dir nähern, mit Dir spielen
wollen, weichst Du nicht mehr so entschieden und starr zurück. Manchmal huscht sogar ein Lächeln über
Dein Gesicht.
Allmählich scheint Dir das Zusammensein mit Deinen Mitschülern zu gefallen.
Du bist offener und aktiver geworden.
Auf Unterrichtsgängen oder auf dem Weg zum Morgenkreis in die Nachbarklasse hältst Du Dich nicht
mehr am Rollstuhl einer Mitschülerin fest. Jetzt schiebst Du ihn.
Bei der Vorbereitung des Frühstücks ist es Deine Aufgabe, Gläser und Löffel auf den Tisch zu stellen.
Bei Steck- und Sortierübungen bemühst Du dich ausdauernd, die Elemente richtig zuzuordnen. Wenn
es nicht klappt, helfen lobende Worte.
(Auszug aus eine m Zeugnis)
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TOD - LEBEN
TOD LEBEN
LEBEN
MIT EINEM MESSER
Der Winter in Corcloon war wunderschön. Kindern machte der Farmbetrieb Spaß, den Farmern nur
Arbeit. Dies sollte der letzte Winter auf dem Bauernhof sein. Die Meehans zogen um in die rußige
Großstadt. Die Bauerntölpel würden auf die Molly Malones von Dublin stoßen. An allem hatte nur
Joseph Schuld. Wäre er mit dem Kopf zuerst auf die Welt gekommen, hätte das Wetter in Cocloon den
Kindern immer noch Spaß machen können. Aber es konnte ja gar nicht gut gehen, als er beschloss, sich
in der Gebärmutter querzulegen. Und er lag ja auch nicht nur einfach quer, sondern ganz behaglich auf
dem Rücken. Er wollte partout nicht hinaus. Aber das Leben verlangte nach ihm. Da er festsaß, mußte
er aus seiner bequemen Hängematte herausgehoben werden; mit einem Messer schnitt man ihn heraus.
Bei sich hatte er schon beschlossen, den Tod zu suchen, aber das Schicksal entschied anders.
Der Tod ist geheimnisumwoben.
Das wusste Joseph Meehan; schließlich war er bereits dort gewesen. Zwei geschlagene Stunden hatte er
unter den Göttern geweilt, aber dann hatte das Leben ihn sich gekrallt, hielt ihn fest und erklärte ihn für
frei.
Getauft für seine Kreuzeslast, überstand er kreideweiß die schmalen Alleen des Säuglingsalters.
Aber niemand, der so versehrt war wie er, verdiente eine Überlebenschance.
Besser tot, sagten die Besser-Wisser;
besser tot, sprach die Geschichte;
besser sich kopfüber hineinstürzen, entschloss sich die seelenfeste Nora, als sie sein verzweifeltes
Schreien vernahm.
Nur seine Mutter behandelte ihn als normal, verstand seine Intelligenz, die Zeichensprache seiner Augen,
die Früchte der Stechpalme.
Noch waren diese grün; doch ließ man ihm Zeit, gab man ihm ein Zuhause, so verhießen sie ein
leuchtendes Rot.
56
Nolan: Unter dem Auge der Uhr
UNTER - FORDERN
ÜBER - FORDERN
"L OW VISION STIMULAT I O N "
IM
B EREICH
DER SCHWEREN
M EHRFACHBEHINDE -
RUNG
"Low Vision Stimulation" bedeutet die Aktivierung bestehender Sehreste durch unterstützende pädagogische oder therapeutische Maßnahmen. Den Betroffenen soll geholfen werden, auch minimale
visuelle Eindrücke zu interpretieren, trotz stark eingeschränkten Sehvermögens "die Augen zu benutzen".
Im Bereich der schweren Mehrfachbehinderung findet der Ansatz bislang noch wenig Anwendung.
Vorgestellt wird das Fallbeispiel eines schwerst mehrfachbehinderten Mädchens, das "sehen nicht gelernt
hatte".
(...)
1.
Vorgeschichte
1. 1 Das Kennenlernen
Wir lernten Julia 1981 kennen, als jede Fördermöglichkeit in vorschulischen Einrichtungen für sie aus
rechtlichen und finanziellen Gründen erschöpft war und die Unterbringung in einem Pflegeheim aus
familiären Gründen drohte. Sie war damals fast neun Jahre alt. Letztendlich wurde sie in eine Schule für
Körperbehinderte aufgenommen, deren Kollegium (und das Personal des angegliederten Internats)
begann, auch sogenannte schwerst- und mehrfachbehinderte Schüler zu akzeptieren. Bis zu diesem
Zeitpunkt waren alle Versuche, Julia in eine Schule für Blinde oder Geistigbehinderte aufzunehmen,
gescheitert.
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Anlässlich der ersten Kontakte mit Julia sahen wir ein hoch autoaggressives Kind im Rollstuhl, das sich
den Gesichts- und den unbekleideten Halsbereich blutig aufgekratzt hatte und eine deutliche Hornhautnarbe im Zentrum des linken Auges zeigte. Es bestand eine starke Bindehautreizung. Wenn sie die
Möglichkeit hatte, schlug Julia mit dem Kopf auf den Tisch und im Stirnbereich zeigte sich eine
entsprechend verhornte Stelle. Im Liegen reagierte sie mit andauerndem "Kopfwerfen'' (jactatio capitis).
Auf alle körperlichen Annäherungen von Personen antwortete Julia mit einem fast panischen "Nein". Ihre
Hauptbeschäftigung im Rollstuhl bestand aus dem dauernden Manipulieren zweier Plastikfrüchte oder
dem Zerreißen von Papier zu kleinsten SchnipseIn. Sie verfügte über eine noch verständlich artikulierte
Sprache, indem sie "sinnvoll echolalierte": Sie benutzte etwa fünf verhältnismäßig komplizierte Satzstereotypen, um Bedürfnisse zu artikulieren, etwa: "Oder möchtest Du noch ein Yoghurt?" (um den
Wunsch nach Essen zu signalisieren), "Oder möchtest Du Dich ins Bettchen legen?'' (um den Wunsch
nach Rückzug aus einer Anforderungssituation zu signalisieren). Sinnvolle andere sprachliche Äußerungen konnte sie nicht bilden, auch nicht Ein- oder Zwei-Wort-Sätze. Später modifizierte sie die Satzstereotypen ("Oder möchtest Du noch eine Schachtel"). Sie verfügte weder über ein wirkliches "Ich"
(verbal oder in seiner entwicklungspsychologischen Bedeutung), noch über ein "Julia". Nach den zur
Verfügung stehenden Unterlagen galt Julia als blind.
1.2
Medizinische Diagnose und Geschichte
Julia wurde mit offenem Rücken (Spina bifida im Bereich der Lendenwirbel 4 und 5) geboren. Es
bestand eine nicht vollständige Lähmung von diesem Bereich abwärts und Blasen- und MastdarmInkontinenz. Zusätzlich hatte Julia einen sogenannten Wasserkopf (Hydrocephalus), der durch ein Ventil
kontrolliert war. Es bestand eine mäßiggradige Hirnschädigung (Zerebralparese) mit Neigung zu
Krampfanfällen. (...).
Auch wegen der sozialen Situation, besonders aber wegen ständig wiederkehrender gesundheitlicher
Komplikationen verbrachte Julia jährlich mehrere Monate in der Kinderklinik.
Im Rahmen der Untersuchungen dort wurde offenbar meist auch ein Augenarzt konsiliarisch beigezogen
(u. a. um den Verdacht auf Stauungspapille bei Hydrocephalus auszuschließen). Aus den ärztlichen
Unterlagen lassen sich hinsichtlich Julias Sehproblemen folgende Aussagen entnehmen:
6.72
9.72
5.73
1.74
(...)
11.75
58
Geburt
"Augenärztlicher Befund unauffällig''
"Verdacht auf Opticusatrophie''
"Reaktion auf Licht und Convergenz negativ''
"Es wurde außerdem bds. Amaurose vermutet ... Da sich das
Kind ständig in das Auge faßte, bestand eine chron. eitrige
Reizkonjunktivitis.
Zusätzlich fand sich ein Strabismus, man hatte jedoch
1.76
6.76
6.77
11.79
11.79
den Eindruck, dass keine vollständige Blindheit vorlag.
Das Kind reagierte beim Vorhalten von Gegenständen, folgte mit den Augen
und griff auch zu.''
"Leichte Konjunktivitis links.''
"Pupillen reagieren mäßig auf Licht, links alte Hornhautnarbe,
Nystagmus ... Wir hatten schon vorher vermutet, dass das Kind blind sei ...
Der konsiliarisch hinzugezogene Augenarzt schloss sich der Meinung an, dass
das Kind blind oder hochgradig sehschwach sei.''
Strabismus divergens ... hochgradig eingeschränktes Sehvermögen
erfreulicherweise besteht jedoch keine Amaurose, wie wir zwischenzeitlich annehmen
mußten. Wegen des Strabismus ist eine Occlusionsbehandlung in 3-täglichem
Wechsel angezeigt.
"Strabismus divergens, Hornhauttrübung links
und Conjunctivitis bei amaurotischem oder zumindest hochgradig sehschwachem Kind."
"Amaurose"
Julias "visuelle" Krankheits- und Lebensgeschichte bestand zu diesem Zeitpunkt einerseits aus einer
anregungsarmen häuslichen Umwelt, wo sich die Mutter (zusätzlich belastet durch ihre schlechte soziale
Situation) ganz offensichtlich einem "blinden'' Kind gegenüber hilflos finden mußte.
Zum anderen bestand Julias Lebensgeschichte aus ständig wiederkehrenden Krankenhausaufenthalten in
weißen Betten, mit den Augen zur weißen Decke, umgeben von weißgekleidetem Personal, während
derer auf ihre Art hilflose Ärzte beim ständigen Wiederho len des Behinderungsstatus blieben, ohne
wenigstens Vorschläge zur Abhilfe absehbarer Folgen zu formulieren. Die ärztlichen Berichte (die
ziemlich vollständig vorliegen), enthalten keinen Hinweis darauf, was gegen das "ständige Hineingreifen
in das Auge'' zu unternehmen sei, bis Julia auf diesem Auge praktisch blind wurde. Sie enthalten keinen
Hinweis auf zusätzliche diagnostische Maßnahmen, obwohl sich die Diagnosen "amaurotisch" oder
"doch sehend'' ständig abwechseln.
2.
Julias Entwicklung in Schule und Internat
Die neue Umgebung, in der durch alle Mitarbeiter versucht wurde, Julia ständig das Gefühl zu geben,
dass auf ihre Bedürfnisse (so schwer sie zu erkennen waren) eingegangen würde, verursachten zunächst
einen dramatischen Rückgang der autoaggressiven Verhaltensweisen. Besonders wichtig war sicher, dass
Julia für lange Zeit einen Bezugslehrer und eine Bezugserzieherin hatte. Lediglich in Situationen, in
denen sie sich allein gelassen fühlen mußte, zeigte Julia nach etwa drei Monaten noch vereinzelt Kopfschlagen im Rollstuhl und Kopfwerfen im Bett. Alle anderen autoaggressiven Reaktionen traten nicht
mehr auf. Julias früher ständig wiederkehrende ernsthafte Erkrankungen traten nur noch selten auf.
Besonders während der ersten vier Jahre in der Einrichtung mußte sie nur zweimal für längere Zeit ins
Krankenhaus, sie wurde dort von uns betreut. In einer Spezialklinik wurde eine Schieloperation durchgeführt, die Julias Fixationsdauer dramatisch (zunächst 1 auf 5 sec) erhöhte. Nach einer gründlichen
59
objektiven Sehprüfung bekam Julia eine Brille verordnet, die sie auch nie versuchte, abzunehmen. Ernste
Probleme blieben bestehen bei Julias Bereitschaft, zu essen (sie mußte gefüttert werden, obwohl ihre
motorischen Fähigkeiten selbständiges Essen möglich gemacht hätten), und sie entwickelte nur ansatzweise ein "Julia" und niemals ein "Ich".
3.
Ansätze einer integrierten und bedürfnisbezogenen ,, Low Vision Stimulation''
Zunächst standen wir, nach der bisherigen Darstellung sicher nicht ganz verwunderlich, Julia ziemlich
fassungslos und hilflos gegenüber. Hilfreich beim Verständnis ihrer Verhaltensweisen und ihrer unmittelbaren Reaktionen waren Videos, die wir zunächst sehr häufig anfertigten: wir ließen einfach die
Kamera laufen, wenn wir uns um Julia kümmerten oder wenn wir sie ohne unmittelbare Zuwendung
lassen mußten. In der späteren vielmaligen Betrachtung der Videos wurden uns Julias Verhaltensweisen
Stück für Stück erkennbarer und erklärlicher. Auch unser Verhalten ihr gegenüber und ihre Reaktionen
darauf waren besser zu beobachten und konnten (selbst-) kritisch reflektiert werden.
3.1
Diagnoseansätze
Um es vorwegzunehmen, geeignete Instrumente, Test oder Inventarien zur Einschätzung eines behinderten Kindes wie Julia standen nicht zur Verfügung. Am ehesten erwies sich noch das "Testinstrument zur
Erfassung des Entwicklungsstandes mehrfachbehinderter sehgeschädigter Kinder" der Blindeninstitutsstiftung Würzburg (1980) als hilfreich, angesichts der Komplexität von Julias Behinderung, aber auch nur
in Maßen. Im visuellen Bereich erbrachten die meisten Hinweise die Arbeit mit dem "Vision Assessment
and Program Manual'' (Bay Area S. H. Deaf Blind Project o. J.). Zur Einschätzung von Julias allgemeinem kognitiven Entwicklungsstand ve rsuchten wir unsere Beobach tunge n anhand von
entwicklungspsychologischen Kriterien zu interpretieren (welche Schemata konnte Julia verbinden, verfügte sie über Objektkonstanz, Oberbegriffe, etc.). Durch die ständige Beobachtung (zunächst konnten
wir uns zu zweit mit Julia beschäftigen, d.h. auch Julias erwachsener Partner konnte meist beobachtet
werden), besonders aber durch die Videoaufnahmen stellten wir fest, dass Julia bei allen ihren Tätigkeiten
die Augen nicht benutzte.
Julia hatte offenbar nie gelernt, visuelle Reize für sich sinnvoll zu interpretieren. Sie hatte dadurch nie
gelernt oder aufgehört, ihre Augen zu benutzen. Sie hatte nicht gelernt, zu sehen. Mangels interpretierbarer Sehreize war ihre visuelle Wahrnehmung einfach "abgeschaltet".
Im motorischen Bereich hatte Julia teils erstaunliche Entwicklungsstadien erreicht, teils erstaunliche
Entwicklungsrückstände: angstfrei zugänglich waren ihr Details, die für sie manipulierbar waren (Pinzettengriff bei Gegenständen von etwa Zitronengröße, kleinstes Zerreißen von Papier), gröber motorische
Aktivitäten, wie der palmare Griff oder das großräumige Hineingreifen in ihre Umwelt waren ihr nicht
60
zugänglich. Sie zeigte auch keine Massenbewegungen, blieb auf dem Rücken liegen und bewegte nur
vorsichtig Arme und Hände. Soziale Körperkontakte waren ihr zunächst unangenehm, sie reagierte aber
immer positiv auf die Anwesenheit bekannter Personen und wiederholte schnell deren Namen in ihren
o. e. Satzstereotypen: "Ist der Rudolf auch da?!"
Unsere erste Annäherung an Julias möglicherweise vorhandene Sehfähigkeit fand auf durchaus
funktionalistischer Ebene statt: z. B. starke Lichtreize (ohne eindeutige Reaktion), Flackerlampe im
peripheren Gesichtsfeld (Ansätze zu einer Reaktion) und wir benutzten das o.e. "Vision Assessment
Manual". Wir nutzten aber auch den vermuteten Erfahrungsbereich von Julia: z. B. durch möglichst
lautloses Hin- und Hergehen zwischen ihr und der Fensterfront, wenn sie uns im Zimmer wusste (sie
zeigte Ansätze zum Folgen mit den Augen), Zeigen von beliebten Gegenständen in unterschiedlichen
Abständen und vor Hintergrund, der deutliche Kontraste ermöglichte (ohne Reaktion). Den Durchbruch
in unseren Bemühungen schafften wir eher zufällig: Julia zeigte starke Aversionen gegen weiche
Gegenstände (die ihr offenbar zu wenig konkrete Information vermittelten und sie deshalb ängstigten).
Ein solcher Gegenstand war ein deutlich weiß und schwarz gefleckter Fellhase, den Julia nachgerade zu
hassen schien. Jede Berührung damit war von lautstarken "Nein, Nein" - Rufen und deutlichen Anzeichen von Abscheu begleitet. Aufmerksam geworden auf Veröffentlichungen über basale
Wahrnehmungsförderung (u. a. Fröhlich 1977) kamen wir auf die Idee, Julia mit einfachen schwarzweißen Streifen- und Schachbrettmustern zu konfrontieren. Auf solche Vorlagen in der Größe von etwa
dreißig auf fünfzig Zentimeter mit circa drei Zentimeter breiten Streifen bzw. Rechtecken antwortete
Julia mit denselben Abscheu- und Aufregungsreaktionen, wie wir sie bei dem Fellhasen beobachtet
hatten. Ich muss zugeben, wir wiederholten die Präsentation dieser Reize mehrere Male unter mehr und
mehr "kontrollierten" Bedingungen, die Julia natürlich immer wieder erregten. Wir aber glaubten sicher
sein zu können: Julia war nicht blind, aber wir wussten noch nicht, was sie sehen konnte, d. h. auf
welcher Verarbeitungsebene ihr visuelle Wahrnehmung möglich war.
3.2
Förderansätze
Ich hatte einige Jahre zuvor Lilli Nielsen in Dänemark erlebt, und nun hatten wir einige Artikel von ihr
übersetzt und gelesen (Nielsen 1979, 1982). Ihr Vorschlag, blinde, mehrfachbehinderte Kinder auf
Resonanzplatten, umgeben von zahlreichen Gegenständen zu legen, erwies sich für Julia unglaublich
vorteilhaft: wohin sie auch fasste, immer kam sie in Kontakt mit einem Gegenstand (große, kleine, rauhe,
glatte, weiche, harte, klappernde, leichte, schwere, usw.). Sie sortierte schnell aus: die beliebten blieben
in ihrer (Greif-) Nähe, die unbeliebten flogen weg. Einige sehr beliebte Gegenstände kristallisierten sich
heraus: eine durchsichtige Plastikschachtel mit zwei Murmeln, bunte Bälle aus dem "Ballbad", ein
Kinderfaltbuch aus Plastik, etc. Diese Gegenstände behielt sie, auf dem Rücken auf einer Matte liegend
oder im Langsitz unterstützt gelagert, immer in ihrer Nähe, um sie erneut aufzunehmen, zu betasten und
zu manipulieren. Wir sorgten dafür, dass sie sie auch immer wieder vor Augen hatte, wir verstärkten ihre
Beschäftigung damit und wir gaben diesen Gegenständen ständig die Namen ("Schachtel'', "Buch'',
"Ball'', etc.).
61
Als wir herausgefunden hatten, welche Gegenstände für Julia eine Bedeutung hatten, konnten wir ihr
diese in einer erreichbaren Entfernung anbieten und sie diese, wenn sie auf das visuelle Angebot
reagierte, ergreifen lassen. Als Julia Gegenstand und Begriff "zur Deckung gebracht" hatte, verlangte sie
in ihren Satzstereotypen auch danach, und wir reagierten sofort darauf, achteten beim Hinreichen aber
immer auf Augen-Hand-Koordination. Julia sollte lernen, dass sich Hinsehen für sie lohnt. Zweierlei war
damit erreicht: Julia benutzte ihr restliches Sehvermögen und sie erweiterte ihr echolaliehaftes
Sprechvermögen, sie baute bedürfnisorientierte, kommunikative Sprachstrukturen aus.
Im Rahmen dieser Förderung lernte Julia zunehmend erweiterte Manipulationsmöglichkeiten: Sie zeigte
im Langsitz Abstützreaktionen auf dem Boden, ihre Greifmuster differenzierten sich, ihre Beid-HandKoordination verbesserte sich, sie schraubte u. a. Deckel auf, um Gefäße in ihre Bestandteile zu zerlegen
oder den Inhalt auszuschütten. Wir konnten diese Grundlagen nutzen, um sie z. B. dazu zu bringen,
während jeder Mahlzeit mit geringer Unterstützung einige Löffel ( das Aufnehmen des Breis klappte
noch nicht) selbständig zum Mund zu führen.
4.
Zusammenfassung
Wir sahen mit Julia zunächst ein körperlich und geistig sehr schwer behindertes Kind, das bis zu seinem
achten Lebensjahr als blind behandelt worden war. Trotz vorhandener, allerdings eingeschränkter
Sehfähigkeit war Julia praktisch "wahrnehmungsblind''. Alle Förderaktivitäten wurden auf Julias
subjektive Bedürfnisse ausgerichtet und die interpersonellen, die taktil-kinästhetischen, die sprachlichen
und die visuellen Bereiche blieben immer miteinander verknüpft. Julia machte während der Förderung
Fortschritte in allen diesen Bereichen, in der Regel war das Weiterkommen in einem Bereich die
Grundlage für Fortschritte in einem anderen. Der Fernvisus verbesserte sich nicht erkenntlich, im
Nahbereich von dreißig bis vierzig Zentimeter erkannte und unterschied Julia Gegenstände bis zu einem
Durchmesser von drei bis fünf Zentimetern, je nach Kontrast. Dabei konnten wir Augen-Hand-Koordination erstmals anbahnen und den Erfahrungsbereich Julias wesentlich erweitern.
(Rudolf Hof man n: " Low-Vision Stimulation im Bereich der schweren Mehrfachbehinderung. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 10/1993 S. 675f.)
62
DU SPRICHST
OHNE WORTE
DU SPRICHST
MIT DEINEM SCHAUEN
DU SPRICHST
MIT DEINEM RUHIGWERDEN
DU SPRICHST
MIT DEINEM EINSCHLAFEN
DU SPRICHST
OHNE WORTE
STILLE
FREMDE
SPRACHEN
NUR MIT DEM HERZEN
KANN ICH SIE
LERNEN
Martin Schmitt
aus: Im freien Raum
63
VIELSAGENDE
HÄNDE
H. SCH., GEBOREN AM 15.5.1980
H. ist einziges Kind. Nach unauffälliger Schwangerschaft und Geburt entwickelt sich H. völlig normal
bis zu seinem 6. Lebensjahr.
Am 24.7.1986 erleidet H einen Autounfall mit primärer Bewusstlosigkeit, Einlieferung in der Uniklinik
in F. . Anschließend kommt H. vom Dezember 1986 bis August 1988 in ein Rehazentrum.
Die Diagnose lautet:
Zustand nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma mit massivem Hirnödem, multiplen cerebralen Einblutungen, Kalottenfraktur links mit Felsenbeinfraktur und Liquorfistel,
Hydrocephalus mit ventrikulo-peritonealer Shuntdrainage (11/86), rechtsseitige Abduzensparese,
Strabismus convergens links,
zentrale Hörbahnschädigung,
Integrationsphase nach apallischem Syndrom, bein- und rechtsbetonte hypotone Tetraparese mit Ataxie,
cerebrales Anfallsleiden.
Im medizinischen Teil des Abschlußberichtes heißt es:
"H. kann sämtliche Gelenke frei bewegen, er kann kurz stehen, kann in mehreren Lagen sitzen. Er
verbringt den ganzen Tag im Rollstuhl."
Das Verhalten von H. wird in den einzelnen Teilberichten wie folgt beschrieben:
ergotherapeutischer Bericht
H. ist sehr eigenwillig. Er sucht sich gern selbst eine Beschäftigung und lehnt ein Eingreifen seitens des
Therapeuten ab, er wird sehr schnell aggressiv.
logopädischer Bericht:
Eine Therapie war bisher nicht möglich, da H. jede Berührung ablehnt. H. kann auch keine Mundbewegungen nachahmen, zeigt allerdings inzwischen großes Interesse am Spiegel.
psychologischer Bericht:
Fast während der gesamten Zeit war es nicht möglich, mit H. zu spielen.
schulischer Bericht:
H.s Arbeitsverhalten war sehr unterschiedlich.... Wurde gegen seinen Willen gehandelt, leistete er
Widerstand, auch in körperlicher Auseinandersetzung.
64
Ab September 88 besucht H. die Schule für Gehörlose und Schwerhörige, Bildungsgang Geistigbehinderte in N.. Nach zweimonatiger Beschulung wird ein sonderpädagogisches Gutachten erstellt. Darin
wird sein Arbeitsverhalten wie folgt beschrieben:
"H. beschäftigt sich nach wie vor ausgesprochen gern und ausdauernd mit Malen, Basteln und
Bauen....H. lässt sich bei seinen Arbeiten nur sehr ungern unterbrechen ....Alle Tätigkeiten, die ihm
nicht genehm sind, lehnt er ab. Beim Versuch, ihn zu überreden, wird er schnell aggressiv, wirft die
Sachen vom Tisch und entfernt sich mit seinem Rollstuhl."
Es zeigt sich in allen Situationen, dass eine sinnvolle Kommunikation zu diesem Zeitpunkt noch nicht
möglich ist. H. hat immer ausgesprochen eigenwillige Vorstellungen vom Unterrichtsablauf und wird
innerhalb von Sekunden aggressiv, wenn sich seine Vorstellungen nicht verwirklichen.
Es wird täglich mit H. kommuniziert unter Einsatz von lautsprachbegleitenden Gebärden, die auch die
Mutter kurzfristig in einem Kurs gelernt hat. Der Vater wehrt sich gegen diese Art der Kommunikation
und wendet sie nicht an.
Zunächst gestaltet sich der Umgang mit H. weiterhin als sehr schwierig. Aber die gebärdensprachliche
Kommunikation zeigt unter den gegebenen Voraussetzungen schon relativ schnell positive Auswirkungen
auf sein Verhalten und Zusammenleben in der Gruppe.
Im Januar 89 steht u.a. im Zeugnis:
"H. führt selbständig die Gebärden - komm, essen, ja, nein - aus, kann die Gebärden - guten Morgen,
bitte, ich möchte, fertig - nachahmen und zeigt großes Interesse, neue Gebärden zu lernen."
Im Juni 89 heißt es im Zeugnis:
"H. kann seine Wünsche und Gefühle besser abstimmen. Es tut ihm leid, wenn er sich unangemessen
verhalten hat, und er zeigt Einsicht, wenn ihm Situationen mittels Gebärden verständlich gemacht
werden.Dadurch haben sich Geduld und Ausdauer verbessert."
Nach dem 6. Schulbesuchsjahr heißt es im Zeugnis:
"H. hat in seinem Verhalten große Fortschritte gemacht. Nach gebärdensprachlichen Erklärungen und
der Begründung von Verhaltenskorrekturen wird er schnell einsichtig und kann so seine Interessen
denen der Gruppe unterordnen. Am Unterricht nimmt er meist interessiert und aktiv teil. Dabei
arbeitet er sehr ausdauernd, konzentriert und genau, selbst bei feinmotorisch schwierigen Aufgaben".
Winfried Klauk
E.R., GEBOREN AM 24.12.1986
Vorschulische Entwicklung
65
E. ist das zweite von zwei Kindern.
Schwangerschaft und Geburt verliefen ohne Komplikationen. Bald nach der Geburt merkte die Mutter,
dass E. sehr ruhig und extrem bewegungsarm war. Ein Arzt stellte keine Besonderheiten fest.
Nach dem Umzug nach K. wurde E. erneut einem Kinderarzt vorgestellt, der direkt auf eine starke
Entwicklungsverzögerung aufmerksam machte. Sofort setzte eine Therapie im sozialpädiatrischen
Zentrum ein. Mit vier Jahren kam E. in einen Kindergarten für Geistigbehinderte.
Da keine Sprachentwicklung einsetzte, wurde E. schließlich mit 5;11 Jahren in die Uniklinik in M.
überwiesen, wo man eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit diagnostizierte. Das Kind bekam ein
Hörgerät.
E. s Verhalten im häuslichen Umfeld stellte sich wie folgt dar:
E. ist zu Hause extrem unruhig. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist das Anschauen von bestimmten
Videobändern mit Musiktiteln.
E. springt während des Anschauens mehrfach unmotiviert auf, läuft in einen anderen Raum und kommt
wieder zurück, ohne etwas dort gemacht zu haben oder sie bedient sich zwischendurch mit Chips, die
sie in großen Mengen zu sich nimmt. Bei sehr lauter Musik schaukelt sie oder "tanzt" vor dem Fernsehgerät.
Häufig lacht sie unmotiviert auf oder bewegt ihre Hände vor den Augen.
Wenn man E. anfassen möchte, wehrt sie die Berührungen vor allem an Armen und Beinen ab. Sie
akzeptiert, wenn Bauch oder Rücken angefaßt werden.
Wenn E.s Wünsche nicht erfüllt werden, schreit sie laut und ausdauernd, bis die Mutter den Wünschen
nachkommt. Diese Verhaltensweise zeigt sich nach Auskunft der Mutter besonders außerhalb des
Hauses.
Die Mutter sieht sich mittlerweile außerstande, das Kind noch länger zu Hause zu halten. Sie ist nervlich
äußerst angespannt und wünscht deshalb eine Unterbringung in einem Heim.
Eine Nachfrage, wie sich die gesamte Familie mit ihrem Kind verständigt, ergibt, dass die gesamte
Familie zu Hause nur polnisch spricht.
Das Verhalten im Kindergarten ist nicht ganz so problematisch, aber auch hier zeigt sich eine ausgeprägte Unruhe und Umtriebigkeit. E. bleibt selten länger als zwei Minuten sitzen; eine sprachliche Einflussnahme - man spricht natürlich nur deutsch mit E. - ist nicht möglich. Lediglich auf den Namen reagiert
sie.
Schulische Entwicklung
66
E. wird zum Schuljahr 93/94 in die Schule für Gehörlose und Schwerhörige, Abt. Geistigbehinderte in
N. eingeschult. Innerhalb der ersten sechs Monate stellt sich heraus, dass E. mit hoher Wahrscheinlichkeit nur eine geringe Schwerhörigkeit hat. Da kein Sprechen einsetzt, werden E. Gebärdenzeichen als
Kommunikationshilfen angeboten., die sehr bald Erfolg zeigen.
Schon nach wenigen Wochen ist deutlich, dass sie Gebärden versteht.
Sie lernt zunehmend, auf Gebärden zu achten und schon nach sechs Monaten setzt E. die ersten Zeichen
ein. Sie zeigt an, wenn sie zur Toilette muss. Nach wenigen Wochen kann sich E. beim Frühstück "Brot,
Butter und Tee" erbitten.
E. wird erheblich ruhiger. Wenn E. etwas wünscht, kann sie schon kurzzeitig vertröstet werden mit der
Gebärde "ja, bald".
E. versucht sich in den nächsten Monaten täglich an neuen Gebärdenzeichen, die ihr den Umgang mit
Kindern und Erwachsenen erleichtern.
Kurz vor Ende des Schuljahres kann E. erfragen, wann ihr Bus sie am Wochenende wieder nach Hause
fährt.
Mittlerweile kann E. über 100 Gebärden teils klar erkenntlich, teils in Ansätzen ausführen. Sie wird zwar
auch heute noch ungeduldig und schubst oder schlägt und kratzt.
Dennoch kann dem zugestimmt werden, was Mitarbeiter des Internats melden: "In der Zeit, in der E. im
Internat lebt, ist sie bedeutend ruhiger und ausgeglichener geworden."
Auf dem Weg dahin hat mit Sicherheit der Gebärdeneinsatz entscheidend dazu beigetragen.
Es wäre zu wünschen, dass mehr "sprachlosen" Kindern dieses Kommunikationssystem angeboten
werden könnte.
Winfried Klauk
67
TRAGEN
TRAGBAR
UNTRAGBAR
EIN JUBILÄUM
In diesem Jahr feiern wir ein Jubiläum. Zehn Jahre Zusammenleben mit einem schwerstbehinderten
Kind, mit Daniel. Daniel war gerade acht Monate alt, als wir ihn im November 1982 zufällig im UniKlinikum M. kennenlernten. Volle 3 Monate war er beatmet worden, 5 Operationen hatte er durchgestanden und mindestens ebensoviele andere Krisensituationen. Nun sollte er nach 8 Monaten
Intensivstation entlassen werden. Eltern und Großeltern sahen sich damit überfordert und es wurden
Pflegeeltern gesucht. Die Blindheit sei Daniels Hauptproblem, so meinten die Ärzte. Er habe zwar ein
Ventil (Hydrocephalus), aber das funktioniere ja. Er habe alle Chancen, ein sonst "normales" Kind zu
werden. Wir nahmen das "eigentlich nur blinde Kind" in unsere Familie auf. Wir, das waren der Vater,
der Sonderschullehrer für Sehbehinderte ist, die Mutter, die 6 Jahre Klinikarzt war und dabei kinderpsychiatrische Erfahrungen gesammelt hat, und zwei Buben, damals 8 und 9 1/2 Jahre alt. Sie waren
durch ihre Teilnahme an Papas Skischullandheimaufenthalten im Umgang mit sehbeh inderten und
blinden Kindern durchaus erfahren. Wir freuten uns darauf, diese Erfahrungen für Daniel nutzbar zu
machen und ihm so vielfältige Entwicklungschancen zu bieten.
Schon zwei Wochen später hatten wir begriffen, dass es für unser Kind zunächst ums nackte Überleben
ging. Gleichzeitig hatte dieses Kind unsere Herzen im Sturm erobert, was natürlich unser "Mitleiden"
verstärkte. Daniel hatte Fütterungsprobleme, Verdauungsprobleme, Infektprobleme und damit bald auch
Hirndruckprobleme. Dies alles blockierte einfach jeden Ansatz für Daniels Entwicklung - und es
blockierte auch uns. Daniel schien hauptsächlich aus "Bauch" zu bestehen und nur auf dessen Wohl und
Wehe konzentriert zu sein. Wir, die Eltern, waren bald nur noch angstvoll auf Daniels Probleme
konzentriert. Wir, die "Fachleute mit theoretisch breitem Hintergrund", machten uns schließlich daran,
wie Lehrlinge aus unseren Alltagserfahrungen mit Daniel zu lernen. Wir lernten ganz neu etwas über
Behinderung an sich und ganz speziell über Daniels Behinderungen. Wir waren dabei für jeden Rat
offen und probierten immer Neues aus. Die hilfreichsten, weil realistischsten Ratschläge kamen übrigens
von andern Eltern behinderter Kinder.
68
Wir lernten, die widersprüchlichsten Ernährungsschwierigkeiten in ein leidlich stabiles Gleichgewicht zu
bringen, so dass das häufige Erbrechen aufhörte und Daniels massive Obstipation ausreichend beherrscht
werden konnte. Wir lernten auf Hirndrucksymptome nicht gleich mit Panik zu reagieren, was unseren
gesunden Kindern und auch unserer Magenschleimhaut sehr zustatten kam. Wir fühlten uns zwar noch
sehr lange Zeit wie auf einem Pulverfass sitzend, aber wir haben uns schnell einen bequemen Sessel
aufmontiert. Wir lernten die anwachsenden Zeichen der Tetraspastik zu sehen und die oft unliebsamen,
operativen Konsequenzen auf uns zu nehmen. Wir erfuhren dabei staunend, wie fast selbstverständlich
ein Kind solche Situationen doch durchstehen kann - oft war alles weniger schlimm, als wir erwartet
hatten. Es half uns die Beobachtung, dass um uns herum das Gleiche oder Schlimmeres ertragen wurde.
Überhaupt waren die fast liebevolle Solidarität der "Miteltern" und ihr tiefes Verständnis eine große
Hilfe.
Besonders schmerzlich war es für uns alle, Daniels geistige Behinderung immer deutlicher zu sehen und
sich damit abzufinden. Wir hätten ihn alle gern so unendlich viel lernen lassen! Besonders unser jüngster
Sohn war sehr enttäuscht. Er hatte sich doch liebevoll ausgemalt, was er dem kleinen Bruder alles zeigen
und beibringen wollte ... und nun fehlte unserem Daniel auch noch die Sprache. Nach und nach sehen
wir mit freudiger Überraschung, dass sich für Daniel und uns vö llig neue und durchaus intensive
Erlebnis- und Kommunikationsformen finden ließen und bis heute finden lassen. Wenn wir z.B. ein
Musikinstrument spielen und Daniel dabei auf dem Schoß wiegen, wenn er sich an uns drückt und seine
Hände auf unsere Hände legt, dann ist eine tiefere Kommunikation kaum vorstellbar.
So lernten wir vor allem, dass das Glück immer relativ ist. Ein pumperlgesunder Tag nach vielen kranken
Tagen wiegt alle vorangegangenen auf. Eine quietschende Tür im Haus ist für Daniel so schön, wie für
unsere gesunden Kinder die Fußballwiese vor dem Haus. Wir haben gelernt, dass Daniels Welt anders
strukturiert ist, aber nicht minder schön und menschlich ist: Erfüllt von vielen lustigen Geräuschen,
erfüllt von tief empfundener Musik; sogar Papas morgendliches Räuspern und Husten sind Musik in
Daniels Ohren. Allerdings waren lange Zeit die angsterregenden Geräusche in der Überzahl. Sehr
langsam begann Daniel, seine so andere Welt zu erobern. Er lernt, die Geräusche einzuordnen und
gewinnt zunehmend an Sicherheit.
Unsere Familie hat aber gelernt, "trotzdem" zu leben. Wir lassen uns von dieser übergroßen Belastung,
die ein schwerstbehindertes Kind mit sich bringt, nicht mehr total gefangennehmen. Wir schaffen uns
Pausen zum Atemholen. Wir verzichten nicht mehr auf einen besonderen Abend, nur weil wir den
"Förderstundenplan" noch nicht ganz erfüllt haben oder weil niemand anders als Mama Daniel in die
Nachtliegeschale packen kann. Wir gehen auch mal mit unseren Großen ins Kino, obwohl Daniel gerade
an diesem Abend, an dem wir einen Babysitter haben, zu fiebern anfängt. Wir haben gelernt, alle nicht
dringend notwendigen Arbeiten liegen zu lassen. Wir setzen Akzente der lebensnotwendigen und auch
lebensfrohen Vorrangigkeiten. Wir waren sogar mit Daniel in Kalifornien und in Rom, wenngleich eine
solche Unternehmung mit ihm nicht nur reine Freude ist. Der Verlust an Therapie in solchen Zeiten hat
Daniels Spontaneität sichtlich erhöht.
Die unkonventionellen Förderideen unserer gesunden Kinder haben wir mit Interesse angehört und den
Großen Spielraum gegeben, diese bei Daniel auszuprobieren. Daniel hat davon wirklich profitiert, und
es hat ihm selbstverständlich immer viel mehr Spaß gemacht als die "Schulbuch-Förderung". Wir waren
dabei etwas entlastet und entwickelten selbst wieder mehr Phantasie und Kreativität.
Im März dieses Jahres wurde Daniel 10 Jahre alt. Etwas wehmütig zählte einer unserer Söhne alles
Können eines gesunden, zehnjährigen Kindes auf. Das Ganze endete: "... und normalerweise würde er
jetzt ins Gymnasium wechseln." Stattdessen ist Daniel in der Schwerstbehindertenabteilung einer
69
Körperbehindertenschule eingegliedert. Seine Lehrer haben viel Geduld mit ihm. Sie haben bei dem
eingewöhnungsschwierigen Kind einen langen Atem gebraucht, aber Daniel lohnt es ihnen inzwischen.
Wir haben versucht, mit den Lehrern einen vertrauensvollen Kontakt zu halten und ihnen unsere
Dankbarkeit zu zeigen. Schließlich nehmen sie uns Schultag für Schultag eine große Portion Belastung
von den Schultern.
Zuhause sitzt Daniel im Rollstuhl und kaut z.B. an einer Brezel, von der er nur aus Versehen ab und zu
ein kleines Stückchen wirklich isst. Der Rest der Brezel landet nach und nach auf dem Fußboden und
verklebt hinterlistig und hartnäckig die Socken unserer strümpfig gehenden Familie. Mit seiner Angst vor
fremden Räumen und Geräuschen vermiest uns Daniel fast jedes Familienfest, belohnt uns jedoch zu
Hause mit einem rührend unendlichen Vertrauen. Er erobert immer aufs Neue unser Herz mit seiner
glücklichen Dankbarkeit für Spaziergänge und vor allem für möglichst rasante Spazierfahrten, und er
stürzt uns mit seinem pädagogisch unangreifbaren Gebrüll vor roten Ampeln manchmal fast in Verzweiflung. Daniels aktiver Wortschatz besteht fast nur aus "Papa dada." In seinem unendlich süßen
Tonfall ist dieses "Papa-dada" aber erfolgreicher, als alle intelligenten Argumente der Restfamilie
zusammen.
Unser Fazit aus solchen Jubiläumsgedanken? Daniel wird größer, wir werden älter und wir spüren
durchaus die Folgen dieser jahrelangen großen Belastung. Gleichzeitig versichert uns jeder, wie jung und
glücklich wir wirken. Natürlich bleiben wir - notgedrungen - jung mit unserem "Langzeitbaby." Wir
fahren mit ihm Rutschbahn und Karussell, wir schaukeln und rennen mit quietschenden Rollireifen
durch den Park, wir plantschen mit ihm im Schwimmbad. Wir haben von unserem Daniel gelernt, uns
an Alltäglichkeiten, an den basalen Dingen des Lebens zu freuen und die gibt es zahlreich. So bleiben
uns bei allen Sorgen immer genügend Anlässe zum Freuen übrig, und wir wünschen uns sehr, dies möge
nochmals 10 Jahre so bleiben.
Dr. med. Ursula Gerlinger
Rainer Gerlinger
70
EIN BRIEF EINER MUTTER
Aus Anlass einer Arbeit über die Probleme von Eltern mit schwerstbehinderten Kindern bat ich eine mir
bekannte Mutter um Mithilfe. Ihre Tochter Britta ist ein schwer körper- und geistigbehindertes Kind. Sie
leidet (Zwillingsgeburt) an einer schweren cerebralen Bewegungsstörung mit athetotischer Komponente
(Anathrie, Tetra-Spastik). Vom Grunde des Herzens ist Britta ein fröhliches Kind. Ihre Lebensumstände
und die mangelnden eigenen Lebens-Gestaltungs-Möglichkeiten haben bei Britta starke Depressionen
ausgelöst.
DIE MUTTER SCHRIEB MIR:
Lieber F.,
heute haben wir Ihren Brief erhalten. Wir haben uns alle sehr gefreut. Lieber F., ich bin gerne bereit, mit
Ihnen zu sprechen. Ich habe zur Zeit große Probleme. Ich kann nicht einmal sagen, ob es Ihnen hilft oder
ob es nicht ein reines Eheproblem ist. Ich habe meinen Mann gefragt, als er Ihren Brief gelesen hatte:
Nun, was sagst Du - was hast Du für Probleme? Nur das Eine, wir können nicht in Urlaub, er macht es
sich sehr leicht. Ich will nicht schimpfen, er liebt B. sehr; ich glaube, sie ist noch das einzige, was ihn
zuhause hält.
In dieser und in der nächsten Woche hat er Urlaub. Deshalb schicke ich den Brief im voraus. Wir sind
in diesem Jahr 15 Jahre verheiratet. Ich habe mich in diesen 15 Jahren rückwärts entwickelt. Ich komme
nie raus, er nimmt mich nicht mit. Er sagt, ich wäre primitiv. Ich gebe zu, ich war eine Durchschnittsschülerin, er aber bestimmt nicht mehr. In den Jahren als Britta noch nicht in der Schule war, konnte ich
ja keinen Schritt machen. Und dadurch, dass sie nachts sehr unruhig ist, ist auch schlecht. Er nützt das
aus und kommt spät von der Arbeit. Er ist ein paar Stunden zuhause und beschäftigt sich mit B. . Mein
Mann sagt dann, ich muss mich nochmal umschauen im Betrieb und geht. Und das drei- bis viermal in
der Woche und kommt dann erst nach 12.00 Uhr heim. Ich habe ihn schon oft gebeten, er soll mich
mitnehmen, aber nichts.
Und nun habe ich erfahren, dass er seit vielen Jahren in K. zu einer Arbeitskollegin geht. Meine Zweifel
habe ich auch schon lange. Sie ist inzwischen geschieden. Sie kann natürlich mitreden in jeder Beziehung. Er hat es durch Fleiß im Betrieb zu etwas gebracht, und ich komme nicht mehr mit. Ich mußte
sparen wegen dem Haus, das wir doch wegen der Kinder brauchten. Ich war ja immer zuhause und
konnte meine alten Kleider anziehen, im Gegensatz zu ihm. Heute bin ich so gehemmt, dass ich nicht
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weiß, was ich mir kaufen soll. Ich bin so alt geworden. Die vielen schlaflosen Nächte, nicht nur wegen
B. .
Ständig ist er mit dem Auto unterwegs, und er trinkt doch immer. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass er
vor 5 Jahren 18 Monate lang keinen Führerschein hatte. Damals kam er auch von ihr, und ich habe mir
einreden lassen, er wäre zufällig vorbeigefahren. Er lässt nicht mit sich reden; nicht im Guten und nicht
im Bösen. Seine Pflegeeltern haben es auch versucht. Ich habe vielleicht auch viel geschimpft, aber ich
wollte doch auch mit und nicht immer allein sein. Ich habe ihn gebeten, um der Kinder willen, er solle
nicht mehr hin. Ich glaube, er versucht es auch; aber die andere wird nicht so leicht aufgeben. Und dieser
Fabrikdame bin ich in keinster Weise gewachsen.
Und die ewigen Zweifel machen mich ganz krank.
Ich habe nun viel gejammert, aber ich möchte doch auch mal raus mit meinem Mann. Wenn ich was
sage, dann sagt er: Geh' doch, wer wird Dich aufhalten. Nun will ich schließen.
Hoffentlich sind Sie mir nicht böse, dass ich Sie mit meinen Problemen behellige.
Ihre R.W.
Fritz Stumpf
72
INTERVIEW
Frage: Erzählen Sie doch bitte etwas über den Lebenslauf von Michael.
Antwort: Michael ist 22 Jahre alt und lebt seit knapp zwölf Jahren in M.. Die ersten zehn Jahre war er
zu Hause. Aufgrund seiner schweren geistigen Behinderung mußte er rund um die Uhr betreut werden.
Da war es nicht immer leicht, ihm und unserer mittlerweile 18 jährigen Tochter gerecht zu werden.
Schließlich habe ich nach einem Heimplatz für Michael gesucht. Es war eine schwere Entscheidung.
Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zu Michael heute?
Antwort: Die Schuldgefühle ihm gegenüber wegen der Heimunterbringung haben im Lauf der Jahre
nachgelassen. Ich sehe, dass Michael unter Seinesgleichen ist und sich wohl fühlt. Ich freue mich auf die
Wochenenden mit ihm alle 14 Tage, auch wenn sie meistens stressig sind. Wenn möglich, versuchen wir
etwas zu unternehmen, was ihm Freude macht. Im Gegensatz zu früher fahre ich heute beruhigt aus dem
Heim nach Hause. Der Prozess des Loslassens mußte erst vollzogen werden.
Frage: Wie haben Sie von Michaels Behinderung erfahren und damit umgehen gelernt?
Antwort: Michael ist unser erstes Kind. Seine Entwicklung verlief zunächst auch nach Meinung des
Kinderarztes unauffällig. Es gab kleine Abweichungen, die jedoch bagatellisiert wurden. Kurz nach
Vollendung seines ersten Lebensjahres erschien er jedoch einer Kinderärztin auffällig, und sie schickte
uns nach Köln zu einem Spezialisten. Nun begann eine intensive Therapie unter anderem mit Krankengymnastik. Es hieß: "Das bekommen wir in den Griff". Deshalb traf uns die Diagnose nach etwa
zweijähriger Behandlung ("Ihr Kind ist und bleibt behindert") wie ein Schlag. Gleichzeitig gab man uns
einen der besten Tipps, nämlich ein zweites Kind zu bekommen. Dieses wurde geboren. Wir konnten
ein gesundes Kind heranwachsen sehen.
Frage: Welche Erfahrungen haben Sie mit anderen Menschen in Bezug auf Michael und seine
Behinderung gemacht?
Antwort: Es hat einige Situationen gegeben, in denen sich Angestellte von Behörden, Ärzte oder andere
Mitmenschen so benommen haben, dass ich gerne meine Kinderstube vergessen oder nur noch geweint
hätte. Doch das sind Ausnahmen, die im Lauf der Zeit abgenommen haben. Wie meine Tochter
akzeptieren viele, vor allem Jüngere, Menschen mit einer Behinderung. Ein Problem sehe ich in unserer
Wohlstandsgesellschaft. Man hat jung, aktiv, attraktiv und dynamisch zu sein. Es bleibt zu wenig Platz
für alte und behinderte Menschen. Auch was die geistliche Betreuung angeht, fühlen sich viele Eltern
von Behinderten im Stich gelassen.
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Frage: Wie sehen Sie die Lebensmöglichkeiten von Michael heute?
Antwort: Wenn Michael im Sommer ausgeschult wird, besucht er eine Tagesförderstätte. Dank der
medizinischen Fortschritte können die Behinderten ein normales Alter erreichen. Daraus ergibt sich, dass
sie eine zeitlang ohne uns - die Eltern - leben müssen. Wir sollten nicht vermessen sein, zu glauben, dass
ohne uns nichts geht. Ich weiß heute, dass ich meinem Sohn kein verkürztes Leben wünschen darf, denn
es gibt Menschen, die sich nach meinem Tod um ihn kümmern werden.
Auszug aus einem Interview mit einer Mutter
Matthias Hayer
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SCHULE UNFÄHIG
SCHULUNFÄHIG
EIN LANGER WEG
Lieber Herr Kollege .....
Herzlichen Dank für die Zuweisung von D. . Die tragische Vorgeschichte des Kindes ist Ihnen bekannt.
Lassen Sie mich kurz die dramatisierenden Ereignisse zusammenfassen: Komplikation des Schwa
ngerschaftsverlaufs durch Anfallsleiden der Mutter; Geburtsverlauf der Mutter nicht erinnerlich;
postnataler, stationärer Aufenthalt des Kindes wegen der Epilepsie der Mutter; verzögerte Meilensteine
(Laufen 17. Monat, wollte gar nicht sprechen); ab 11. Lebensmonat Krippe; Scheidung der Eltern; ab
3. Lebensjahr Wochenkrippe; ab 4. Lebensjahr Kindergarten; ab 5. Lebensjahr Tagesstätte für Behinderte und Nervenklinik; ab 6. Lebensjahr Aufnahme in ein Kinderheim; seit 10. Lebensjahr bis heute
stationär in der Kinder-Psychiatrie H. in ....
Sehr geehrte Frau St...,
die Eltern von. D. baten mich, Ihnen über den Jungen zu berichten.
D. ist ein Junge mit einer hirnorganischen Schädigung und einem ausgeprägten psychischen Hospitalismus. D. und seine Familie sind in der jetzigen Situation überfordert bezüglich der Integration in die
eigene Familie, die ja nicht gewachsen ist. D. bedarf dauernder Betreuung wegen seiner Ungesteuertheit,
seiner Unfähigkeit, Gefahren einzuschätzen und seiner Essstörung. Er bedarf weiter dringend einer
Schulung zunächst im Geistigbehindertenbereich. In .... sei er nie im Unterricht gewesen.
Die Eltern M. sprachen erstmals Ende August bei uns vor. Sie schilderten die Situation von D. so: D. sei
.... praktisch vom 4. Lebensjahr an in verschiedenen Heimen und psychiatrischen Einrichtungen untergebracht gewesen. Er sei nie beschult worden, da ein Arzt ihm "Schulunfähigkeit" attestiert habe. D. sei
sehr intensiv mit Medikamenten behandelt worden. D. sei in seiner geistigen und körperlichen Entwicklung stark zurückgeblieben. Er könne sich z.B. nicht selbständig waschen und anziehen. Er nässe noch
ein. Er habe Sprachprobleme. D. sei aggressiv gegenüber sich selbst, gegenüber den Eltern, gegenüber
anderen Personen. D. könne keine Gefahren einschätzen. Er habe z.B. auch kein Sättigungsgefühl beim
Essen.
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D. war von den Eltern auch in der Sonderschule für Geistigbehinderte in X-Dorf vorgestellt worden. Die
Einrichtung empfahl die stationäre Betreuung von D.. Sie erklärte sich angesichts der Vorgeschichte von
D. zum gegenwärtigen Zeitpunkt außerstande, den notwendigen Betreuungsaufwand bei D. sicherzustellen. Die Einrichtung stufte D.'s geistige Fähigkeiten im Grenzbereich zwischen geistiger Behinderung und Lernbehinderung ein.
Die zuletzt behandelnde Ärztin für Kinder- und Jugend-Psychiatrie, Frau Dr. P., diagnostizierte bei D.
eine "hirnorganische Schädigung" und "ausgeprägten psychischen Hospitalismus".
D. bedürfe der dauernden Betreuung wegen seines ungesteuerten Verhaltens, seiner Unfähigkeit,
Gefahren einzuschätzen und wegen seines ungehemmten Essdrangs.
Z EUGNIS 1990/91:
Gesamtbeurteilung:
D. ist offener geworden. Bei direkten Anforderungen blockt er nur noch selten ab und nimmt Kritik eher
an. So antwortet er jetzt freier und konzentriert sich häufiger, in ganzen Sätzen zu sprechen bzw. diese
nachzusprechen. Seine Kontaktaufnahme Erwachsenen gegenüber ist natürlicher geworden. Er kann es
eher zulassen, dass auch andere Mitschüler im Mittelpunkt stehen.
D. unterstützt mit seinem Gesamtverhalten den Ablauf des Unterrichts, für den er sich mitverantwortlich
fühlt.
Im letzten Schulhalbjahr hat sich die Klassengemeinschaft gefestigt, die auch D. aktiv mitgestaltet, sei es
durch gemeinsames Spielen (Gesellschaftsspiele), sei es, dass er darauf achtet, ob Mitschüler Hilfe
brauchen oder dass er aufmerksam ihr Befinden, Aussehen, Verhalten wahrnimmt.
Aufträge behält er auch über einen längeren Zeitraum und führt diese sehr zuverlässig aus.
D. zeigt ausgeprägte Interessen für bestimmte Tätigkeiten: Malen, Buchbetrachtungen, Fahrradfahren
und kann sich mit diesen auch sehr ausdauernd beschäftigen. Es fällt ihm allerdings dann noch schwer,
diese zu beenden, wenn wieder Gesamtunterricht beginnt.
Beim Theaterspiel "Zirkus" hat D. einen Löwen dargestellt und diese Rolle mit eigenen Ideen ausgestaltet
und weitergeführt. Bei dem Thema "Das bin ich" sollten die Schüler sich selbst und auch ihre Mitschüler
kennen lernen. D. kann sich selbst und anderen typische Eigenschaften zuordnen und beschreiben (z.B.
Lieblingsbeschäftigung, -gerichte, -spiele).
Zeugnis 1993/94
Mitarbeit und Verhalten:
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D. nimmt aktiv am Unterrichtsgeschehen der Klasse teil. Er versteht die an ihn gestellten Aufgaben und
kann sie recht gut umsetzen. Es fällt ihm gelegentlich noch schwer, sein dominierendes Verhalten im
Unterrichtsgeschehen zu Gunsten der anderen Schüler zurückzunehmen.
Fähigkeit und Fertigkeiten/Lernfortschritte:
Im letzten Halbjahr wurde der Schwerpunkt auf das Thema "Werkstatt" gelegt. Hierbei lernte D., wo
Menschen und womit Menschen arbeiten.
Im Rahmen des Gesamtunterrichts wurde das Thema durch anschauliches Material, z.B. Werkzeuge,
Arbeitskleidung sowie Besichtigungen verschiedener Arbeitsplätze realisiert.
Im Bildnerischen Gestalten wurde das Erarbeitete in verschiedene Techniken und Materialien umgesetzt.
Hierbei entstanden Symbole, Abbildungen von Werkzeugen, Plakate von Arbeitsplätzen.
Im Rahmen der Erziehung zu mehr Selbständigkeit lernte D. die Handhabung des Telefons kennen. Er
kennt wichtige Telefonnummern und kann sie anhand eines für ihn angefertigten Telefonbuches richtig
benutzen.
D. hat an einer mehrtägigen Schulwanderung nach M. teilgenommen. Schwerpunkt war das gemeinsame
Campen, das ihm viel Freude bereitet hat.
Besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten im Arbeitsbereich:
D. hat an einem zweiwöchigen Werkstattpraktikum teilgenommen. Er war in einer Montagegruppe
beschäftigt. Hier hat er in kurzer Zeit gelernt, mehrgliedrige Arbeitsgänge selbständig auszuführen, z.B.
den Zusammenbau von Kartuschen für Wasserhähne mit einer Handmaschine. D. arbeitete genau mit
ausdauernder Konzentration. Er ist in der Lage, einen Arbeitstag bei normaler Pausenverteilung
durchzuhalten. Zu Mitarbeitern und Gruppenleitern nimmt er von sich aus Kontakt auf.
Auszüge aus der Schülerakte des Kindes D. Mayer (Name geändert)
Matthias Hayer
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TRAGEN
TRAGBAR
UNTRAGBAR
ZWIEGESPRÄCH
Lieber Norbert,
bei der letzten, fröhlichen Runde war es einfach, das Du sagen. Doch als ich Dich im Brief so persönlich
anreden sollte, zögerte ich. Es ist wohl nicht üblich, den Vater eines Schülers so anzusprechen und einen
solchen Brief zu schreiben. Doch die vielen Jahre haben uns näher- gebracht. Wir haben so oft
miteinander gesprochen - meist Belangloses - und doch haben wir vieles von uns gesagt. Du hast mir
von Deinem Jungen erzählt, von seinen Krankheiten, von seinem Lächeln und von der Zeit, die er Dir
nimmt. Einmal habe ich Dich sagen hören: Wenn er mal gehen kann ....
Du hast es nie mehr wiederholt. Du hast viel getrunken. Ich kann Dich verstehen, im "Nebel" sind die
Konturen und Umrisse nicht so klar, die Wirklichkeit nicht so hart: Er wird nie gehen und sprechen
können. Oft habe ich Deine ungeweinten Tränen gesehen. Du hast dann in die Tasche gegriffen, eine
weiße Packung mit schwarzer Schrift hervorgeholt und den warmen Rauch tief eingesogen und hörbar
herausgeblasen. Manchmal liefen einige Schweißperlen über Dein Gesicht. Unruhig sind wir beide
geworden und haben meist eine Flachserei dazwischengeschoben. So abgelenkt, konnten wir dann über
Geschäft oder Hobby weiterreden.
Eigentlich wollte ich Dir alles persönlich sagen, bei einer Tasse Kaffee oder so. Ich habe es nicht
geschafft. Ich hätte Dir auch gerne ein Gedicht von Ulla Schmidt vorgelesen, doch ich weiß, dass wir
dann beide hätten weinen müssen, weil die Dichterin so offen zu ihrem Kind spricht:
78
AUSBRUCH
dein Lächeln
macht mir Mut
die Sorge hat sich mir verschwiegen
seit Tagen schon
ich hoffe
wähne
dass die Krankheit dich verlässt
und ich verberge dein Gebrechen
unter hübschen Kleidchen mir
niedlich sollst du sein
und auch für fremde Augen
passen in die Welt
die sich für ein gesundes Kind bereitet
jäh
bricht aus dir ein Krampf
ein geller Schrei
unglaublich schrill
zerbricht
mein junges Hoffen
Lieber Norbert, dieses junge und alte Hoffen kennst Du. Du hast mir immer gesagt, das macht Dir nichts
aus, nur Deiner Frau. Wegen ihr machst Du Dir Sorgen. Sie schlafe so schlecht und sei so abgemagert.
Sie brauche dringend eine Kur. Deine Sorgen sind berechtigt, aber ich sehe auch, wie Du eine neue
Zigarette anzündest und dabei zitterst. Ich bewundere Dich, wie Du dies alles schon über zwei Jahrzehnte schaffst. Woher nimmst Du die Kraft, die Energie, immer neu anzufangen, aus der Ohnmacht einen
Weg zu finden?
Die Dichterin und Mutter Ulla Schmidt hat es im Zwiegespräch mit ihrem Kind auf ihre Weise ausgedrückt:
79
OHNMACHT
kraftlos
versagen deine Füße
dir jeden jungen Dienst
und deine Hände lernen
nichts zu greifen nichts zu fassen
taub sind dir deine Ohren
blind die Augen allem Außen
es ist so still um dich in mir
was immer ich in deine Wiege lege
berührt dich wenig
du hast die alte Richtung mir verkehrt
so bleib ich stehen
endlich
machtlos fallen mir die Hände
wohin ich höre
bleib ich stumm
und meinem Blick
entgleiten alle alten Bilder
Erstaunlicherweise findet sie auch einen Weg aus ihrer Situation:
80
DER WEG
dein Dasein
Kind
lässt mich mein Werden spüren
mich deiner Niederlage still verbinden
verwandelt alle meine Ziele
vielleicht darf ich verweilen lernen
nun
in deiner Nähe
die die Zeit nicht kennt
und deiner Stille lauschen
einen Weg mir suchen
der mich zu deinem Lächeln führt
ich will dich finden
in meiner Dunkelheit
Für mich wurde dies ein Weg, mit Deinem Kind zusammenzusein. Denn früher fiel es mir sehr schwer,
im Gespräch keine Antwort zu bekommen, nur zufällige Berührungen zu spüren oder das Essen zu
geben. Dein Kind hat mir geholfen, meine "Ziele zu verwandeln".
Ich war gewohnt, dynamisch, forsch und leistungsorientiert auf Menschen und Dinge zuzugehen, meine
Vorstellungen und Sichtweisen zu verwirklichen. Das hatte gute Seiten, ließ aber manchen Menschen
und manche Kreativität unberücksichtigt. Dein Kind ließ mich ahnen, teilweise erfahren, dass Leben
auch andere Seiten hat. Ich lernte, die sprachlose Sprache zu verstehen und zu sprechen und die
nichtgemachte Berührung zu spüren. Die Körpertemperatur, die Hautstruktur, der Atem, die zufälligen
Bewegungen erzählten mir von der Befindlichkeit und dem Empfinden. Es war eine Veränderung, die
mein Leben bereicherte.
81
Lieber Norbert, dies wollte ich Dir schon lange erzählen; doch mir fehlten dann die richtigen Worte. Du
wirst das verstehen.
Ich bin froh, Dir diesen Brief geschrieben und meine Gedanken und Empfindungen anvertraut zu haben.
Vielleicht können wir einmal darüber reden.
Helmut
Helmut Jänen
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MEIN KIND IST BLIND
STREIFLICHTER EINES MÜTTERLICHEN BEWÄLTIGUNGSVERSUCHS
Als wir Daniel als Pflegekind in unsere Familie aufnahmen, wurde uns gesagt, dass er blind sei. Dies sei
sein Problem. Sonst hätte er alle Möglichkeiten, sich normal zu entwickeln, trotz eines shunt-versorgten
Hydrocephalus. Wegen Daniels Blindheit hatte man speziell uns gefragt, ob wir eine Pflegefamilie für
ihn wüssten. Der Vater unserer Familie ist Sonderschullehrer für Sehbehinderte. Er ließ damals die
ganze Restfamilie (außer mir noch zwei Buben, damals 8 und 9 Jahre alt) an seinen zahlreichen
Kontakten zu vollblinden Kindern teilnehmen. Wir hielten uns also für "erfahren" und somit durchaus
fähig, mit Daniels Blindheit zurechtzukommen.
Es kam alles ganz anders. Als erstes mußten wir lernen, dass die Grundvoraussetzung zur Förderung
eines Kindes sein körperliches Wohlbefinden ist. Daniels anfängliche Ernährungs- und Verdauungsstörungen stürzten uns vom stolzen Sockel unserer Förderpläne in ein chaotisch aufgewühltes Meer von
Alltagsproblemen. Es dauerte Wochen, bis dieses Meer sich geglättet hatte und unser Familienschiffchen
wieder einigermaßen ruhig dahinsegelte.
Als ich endlich nicht mehr auf Daniels Bauch fixiert war und mein Blick wieder frei wurde, sah ich seine
Hände. Beide Händchen waren fest zur Faust geschlossen. "Und wie soll ich das Kind lehren, seine
Augen durch tastende Hände zu ersetzen, wenn es diese fest geschlossen hält?", fragte ich voll Erschrecken den fachkundigen Pflegevater. Nun, wir suchten über die Ohren einen ersten Zugang zu
Daniel zu gewinnen.
Über seine Ohren war Daniel von Anfang an sogar sehr zugänglich. So sehr, dass wir gleich wieder
lernen mußten, mit dieser Empfänglichkeit "sparsam" umzugehen: Nicht zu viel, vorsichtig mit neuen
Tönen (Glöckchen waren jahrelang erschreckend), nicht zu laut, nicht zu lange andauernd. Alles war
selbstverständlich schöner und weniger erschreckend in Schmusehaltung. Diese Schmusehaltung war
sowieso von Anfang an unsere "basale Stimulation". Aber: Unsere simple Annahme, dass ein blindes
Kind - wie alle Kinder - automatisch den Kopf oder gar die Hand der Klang- oder Geräuschquelle
zuwendet, bestätigte sich nicht. Wieso sollte es auch? Daniel hatte ja keinerlei Seh- oder Greiferfahrung
und somit keine Motivation, sich für Seh- oder Greiferfolge irgendwie anzustrengen und sich entsprechend zu bewegen. Wir waren mit dieser falschen Erwartung übrigens nicht allein. Eine gleichaltrige,
"fast nur blinde" Freundin Daniels wurde vom zuständigen Arzt des Gesundheitsamtes zum Hörtest
geschickt, weil sie den Kopf nicht zur Schallquelle drehte. Sie hört ausgezeichnet.
Trotz unserer Ohr-Erfolge gab ich selbstverständlich die Händchen noch nicht verloren. Ich gestand
meine Hilflosigkeit einer Ergotherapeutin. Gemeinsam suchten wir im Zickzackkurs nach Wegen,
Daniels Hände zu öffnen. Heute hält er die Hände geöffnet; er lässt sich zur Benutzung der rechten und
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der linken Hand motivieren, spontan nutzt er nur die linke Hand. Von differenziertem Tasten aber ist er
meilenweit entfernt.
Gleichzeitig hätten wir einsehen müssen, dass Daniel zu seiner Blindheit und zu seiner Körperbehinderung auch noch geistig behindert ist. Das Schlimmste für uns ist: Es fehlt ihm fast völlig die Sprache.
Er hat nur zwei, drei aktive Wörter und einige als Antwort einsetzbare Laute. Sein passives Wortverständnis ist deutlich größer, im Ausmaß aber schwer einschätzbar und vermutlich vom Allgemeinbefinden abhängig.
In unserer Erfahrung ist ein mehrfachbehindertes Kind "blinder als blind". Mit jeder weiteren Behinderung werden ja die Möglichkeiten kompensatorischer Wege geringer; die Folgen solch versperrter
Wege haben für uns geradezu potenzierte Ausmaße. Folglich sahen wir uns bald in der Situation, Daniels
Blindheit als eine "Blindheit in Potenz" akzeptieren zu müssen. Das war schwer und ist es noch. Aber
es gibt Lichtblicke.
Das erste Problemchen, das uns Daniels Blindheit bescherte, war unnötig und lange Zeit unbemerkt. Erst
als ich deshalb explodierte, sah ich es überhaupt und war es gleichzeitig auch los.
Wir wohnen an einer Parkanlage, und diese schöne Tatsache brachte mir unentrinnbar tagtägliche
Kommentare der Spaziergänger ein:
"Wie schön das Kind schläft." "Sehen Sie nicht, dass das Kind müde ist?" "Dem Kind fallen ja schon
die Augen zu." Und immer wieder: "Wie schön das Kind schläft." Eines Tages fiel dieser Satz auch in
einer Metzgerei: Ich hatte Daniel über der Schulter, so dass ich sein Gesicht selbst nicht sehen konnte.
Ich widersprach - noch ohne Emotion: "Er schläft nicht." Da kam in etwas besserwisserischem Ton, dass
er die Augen geschlossen habe, was ich ja nicht sehen könne, und er also sehr wohl schlafe. Ich
explodierte mit kalter Stimme: "Für ihn rentiert es sich gar nicht, die Augen aufzumachen. Er ist blind."
Es wurde sofort totenstill, und ich ging ohne ein weiteres Wort. Draußen konnte ich plötzlich lachen.
Gleichzeitig wurde mir nämlich meine hohe Identifikation mit meinem blinden Kind bewusst. Daniel war
wirklich mein Kind geworden. Seine Blindheit war unser gemeinsames Problem; und Gemeinsamkeit
macht ja bekanntlich stark.
Daniels Blindheit hatte tatsächlich, ohne dass es mir im Alltag bewusst wurde, verändernden Einfluss auf
mich: Ich begann, viel intensiver zu hören; die Grenze zum "Lauten" war viel näher. Ich begann zu
"tasten", bei alltäglichen Handlungen fand ich mich oft spontan auch im Dunkeln zurecht. Ich begann,
Wind und Sonne viel stärker wahrzunehmen. Aber immer wieder würde ich Daniel so gerne wenigstens
für einen kurzen Moment meine Augen leihen: Wenn das Grün im Frühling immer intensiver wird, wenn
ein Eichhörnchen unseren Weg kreuzt, wenn Klatschmohn im Wind schaukelt, wenn die Sonne einen
Regenbogen in den Springbrunnen malt, wenn Schnee die Landschaft verzaubert. Zehn lange Jahre hat
mir der erste Schnee Tränen in die Augen getrieben. Diese herrliche Verzauberung der ganzen Welt
konnte ich doch Daniel nicht "begreifbar" machen. Er zog nur erschrocken sein Händchen aus dem
kalten Schnee zurück.
Eines Tages fiel mir auf, dass durch den Schnee plötzlich alle Geräusche in den Straßen gedämpfter,
leiser wurden. Daniels "Weltbild" besteht ja aber vornehmlich aus Geräuschen. Also wird auch seine
Welt durch den Schnee verzaubert. Meine Probleme mit dem ersten Schnee sind verschwunden.
So vieles wollten wir unseren Daniel lehren und seine Blindheit damit besiegen. Wir haben uns abgemüht, und nur weniges hat er infolge der Mehrfachbehinderung lernen können. Wir aber haben durch
ihn viel gelernt. Wir haben gelernt, uns aufmerksam in ein ganz anderes Erleben, in ein ganz neues
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Weltbild hineinzutasten. Wir haben unser eigenes Erleben dadurch intensiviert, unser eigenes Weltbild,
unseren Horizont erweitert.
Ein letztes Beispiel. Zu Anfang erschrak ich oft, wenn Daniel abends sein linkes Ohr zu reiben versuchte.
Ich dachte sofort an Ohrenweh, an Mittelohrentzündung. Heute weiß ich, dass Daniel einfach müde ist,
wenn er sein Ohr reibt; nicht anders als ich, wenn ich mir abends vor Müdigkeit die Augen reibe. Wenn
ich Daniel dann auf den Schoß nehme, mich mit ihm ans Klavier setze, er seine Hände auf meine Hände
legt und Papa zu unseren Abendliedern singt, dann ist auch für Daniel die Welt in Ordnung.
Ursula Gerlinger
85
VISION - AUSBLICK
Schwerstbehinderte Schüler haben wie alle anderen Schüler Anspruch auf angemessene Beschulung.
Spezielle, individuelle und therapeutische Förderung muss gewährleistet sein (z.B. Krankengymnastik).
Die wohnortnahe Beschulung ist anzustreben. Entsprechende behinderungsspezifische Angebote sind
bereitzustellen.
Schwerstbehinderte sehgeschädigte oder hörgeschädigte Schüler sollen weitestgehend in den
richtungen beschult werden, in denen sie die ihrer Sinnesbehinderung
Förderung erfahren.
Die Konzentration von Schwerstbehinderten in einzelnen Schulen
Einentsprechende optimale
ist zu vermeiden.
Der Elternwunsch ist angemessen zu berücksichtigen.
Um den besonderen Bedürfnissen von Schülern und Lehrern gerecht zu werden, müssen entsprechende
Fort- und Weiterbildungsangebote bereitgestellt werden.
Der Erfahrungsaustausch unter den Schulen sollte in Form von Hospitationen, Konferenzen, Veranstaltungen u.a. möglich sein.
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NACHLESE
ANTOINE DE SAINT-EXUPÉRY
Der kleine Prinz (Auszug)
Der kleine Prinz ging, die Rosen wiederzusehen: "Ihr gleicht meiner Rose gar nicht, ihr seid noch
nichts", sagte er zu ihnen. "Niemand hat sich euch vertraut gemacht und auch ihr habt euch niemandem
vertraut gemacht. Ihr seid, wie mein Fuchs war.
Der war nichts als ein Fuchs wie hunderttausend andere. Aber ich habe ihn zu meinem Freund gemacht,
und jetzt ist er einzig in der Welt."
Und die Rosen waren sehr beschämt.
"Ihr seid schön, aber ihr seid leer", sagte er noch.
"Man kann für euch nicht sterben. Gewiss, ein Irgendwer , der vorübergeht, könnte glauben, meine Rose
ähnle euch. Aber in sich selbst ist sie wichtiger als ihr alle, da sie es ist, die ich begossen habe. Da sie es
ist, die ich unter den Glassturz gestellt habe. Da sie es ist, die ich mit dem Wandschirm geschützt habe.
Da sie es ist, deren Raupen ich getötet habe (außer den zwei oder drei um der Schmetterlinge willen).
Da sie es ist, die ich klagen oder sich rühmen gehört habe oder auch manchmal schweigen. Da es meine
Rose ist."
Und er kam zum Fuchs zurück:
"Adieu", sagte er ....
"Adieu", sagte der Fuchs.
"Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für
die Augen unsichtbar."
"Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar", wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
"Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig."
"Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe ...", sagte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
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"Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen", sagte der Fuchs. "Aber du darfst sie nicht vergessen.
Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.
Du bist für deine Rose verantwortlich.... "
"Ich bin für meine Rose verantwortlich..."
"Ich bin für meine Rose verantwortlich... ",
wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
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LITERATUR
Es gibt eine Fülle von Literatur und Texten zur Thematik:
"SCHWERSTBEHINDERT"
Ganz Klar: Ich kann nicht alles kaufen (und nicht alles lesen).
Manches ist "zu wissenschaftlich" und es fällt mir schwer, Zugang zu finden.
Der eine oder andere Autor "bringt" was rüber, andere sind weniger hilfreich für mich (auch in der
allgemeinen Literatur z.B. bei Hermann Hesse gibt es vieles für uns zu entdecken).
Viele Möglichkeiten gibt es, an Bücher zu kommen:
in der Buchhandlung zur Ansicht bestellen, reinschauen, etwas entdecken. Kaufen oder nicht,
für die Lehrerbücherei anschaffen (da gibt es Geldquellen, die viel zu wenig genutzt werden),
Bibliotheken, Büchereien, Ausleihe, Fernleihe
oder doch kaufen, sich schenken lassen.
Auf unserer Suche nach hilfreicher Literatur sind wir auf "hunderte" von Titeln gestoßen.
Jeder, der sich mit unserem Thema echt beschäftigt (oder beschäftigen will), wird immer wieder auf
"NEUES" gestoßen, auf Bücher, Texte, Hinweise; der Interessierte wird ein Suchender und ein Finder
sein!
Wir haben uns deshalb entschieden, unsere Literaturliste zu begrenzen.
Was auf jeden Fall in der Lehrerbücherei zur Ausleihe bereitstehen sollte:
STAATSINSTITUT FÜR SCHULPÄDAGOGIK UND BILDUNGSFORSCHUNG MÜNCHEN (ISB):
Erziehung und Unterricht, Diagnostik und Förderung schwer geistigbehinderter Schüler.
Schritte ins Leben.
89
Liegen, Sitzen, Gehen, Stehen.
(Vertrieb: Alfred Hintermeier, Druckerei und Verlag, Edlingerplatz 4, 81543 München).
Was man haben sollte:
ANDR EA S FRÖHLICH : Basale Stimulation, Düsseldorf 1991
von dem gleichen Autor gibt es noch viele wichtige Beiträge z.B.:
CHRISTEL BRENSTEIN, A. FRÖHLICH: Basale Stimulation in der Pflege
Bundesverb. für Spastisch Gelähmte und anderer Körperbehinderte e.V.
Aus dem Inhalt:
- Grundlagen der basalen Stimulation
- Sensorische Integration
- Materielle Erfahrung und Bewegung
- Haut-/Körperkontakt und Kommunikation
- Fallbeispiele aus der Pflege
- Bedeutung der Berührung
- Mundpflege und Oralstimulation u.v.a.m.
auch wichtig:
ANDR EA S FRÖHLICH : Lebensräume, Förderung und Lebensbegleitung
schwerstbehinderter Menschen in Europa, Luzern 1993
wird leider nicht mehr neu aufgelegt (muss man halt ausleihen).
Handbuch der Sonderpädagogik, Band 12. Pädagogik bei schwerster Behinderung, Berlin 1991
das ist ein umfassendes Werk mit vielen wichtigen Beiträgen von namhaften Autoren
Eine ausführliche Literaturliste zum Thema: T OD
Freiumschlag) schicken.
UND
STERBEN wird Ihnen VOLKER DAUT (bitte
Volker Daut, Schule für Körperbehinderte, St. Paulusstift, 76829 Landau (einfach anfordern)
90
Zum Thema Apallisches Syndrom erhalten Sie bei
FRITZ STUMPF, Neugasse 41, 55234 Albig
eine kleine Literaturliste.
Interessant auf jeden Fall das Buch von CHRISTEL BIENSTEIN UND ANDR EA S FRÖHLICH: Bewußtlos, Eine
Herausforderung für Angehörige, Pflegende und Ärzte, Düsseldorf 1994.
Empfehlenswerte Zeitschriften, die auch von Ihrer Einrichtung abonniert werden können (und nicht
im Archiv verschwinden sollten):
VDS, Zeitschrift für Heilpädagogik, Ohmstraße 7, 97076 Würzburg
LERNEN KONKRET, Verlag Dürr und Kessler GmbH, 53604 Bad Honnef
GEISTIGE BEHINDERUNG, Lebenshilfe, 35043 Marburg Deutsche Behinderten Zeitschrift, Reha Verlag,
Postfach 201161, 53141 Bonn
DAS BAND, Zeitschrift des Bundesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte, 40239 Düsseldorf.
Vielleicht hat auch Ihre Schule Zeitschriften abonniert - oder einer Ihrer Kollegen; fragen Sie, seien Sie
neugierig, suchen Sie!
Bei der Lebenshilfe (Bundesverband) Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg gibt es viele Publikationen zum
Thema Schwerstbehinderte in der Kleinen und Großen Schriftenreihe (Liste anfordern):
z.B. JAN HULSEGGE UND AD VER HE UL : Snoezelen - Eine andere Welt, Band 21
Ebenso beim BUNDESVERBAND FÜR KÖRPER- UND MEHRFACHBEHINDERTE in 40239 Düsseldorf:
z.B. Lebensberichte und Analysen aus der Sicht behinderter Menschen, Düsseldorf 1989
Bei der LEBENSHILFE NORDRHEIN -WESTFALEN sind Band 1 und 2 "Annehmen und Verstehen"
erschienen. (1991/92):
Förderung von Menschen mit sehr schweren Behinderungen
(Bezugsadresse: Lebenshilfe, Abtstraße 21, 50354 Stotzheim)
weitere hilfreiche Literatur:
THE RE SE NEUER-MIEBACH, RUDI TARNEDEN: Vom Recht auf Anderssein (Anfragen an pränatale
Diagnostik und humangenetische Beratung), Düsseldorf 1994
ANDREAS BIER: Zärtlichkeit und Sexualität autistischer Menschen (eine deskriptive Studie aus der Sicht
der Eltern), Weinheim 1989
91
REGINA HILSBERG: Körpergefühl (Die Wurzeln der Kommunikation zwischen Eltern und Kind), TB
Hamburg 1993
J. STOLK UND M.J.A. EGBERTS (Hrsg.): Über die Würde geistig behinderter Menschen, Lebenshilfe
Marburg, Große Schriftenreihe Band 16
LAURA PERLS: Leben an der Grenze (Hrsg. Milan Sieckovic). Vertrieb: Moll und Eckhardt, Köln
AHLEY MONTAGU: Körperkontakt, Stuttgart 1992
MONIKA ALY: Kopfkorrektur, Rotbuch Verlag Berlin
FRANZ CHRISTOPH: Tödlicher Zeitgeist, Köln 1990
H.J. JAKOBS: Förderungskonzepte und psychische Problematik bei schwerstmehrfachbehinderten
Kindern und Jugendlichen, Heidelberg 1991
ANDR EA S FRÖHLICH: Die Mütter schwerstbehinderter Kinder, Heidelberg 1986
CARL R. ROGERS: Therapeut und Klient, München 1981
STANISLAV UND CHRISTINA GROF: Jenseits des Todes, München 1984
STANISLAV GROF:
Geburt, Tod und Transzendenz, München 1984
Das läßt dich nicht kalt, Bethel-Verlag 1992
A.J. AYRES: Bausteine der kindlichen Entwicklung, Heidelberg 1986
A. TOMATIS: Der Klang des Lebens, Reinbeck 1987
HEINZ SEVENIG : Materialien zur Kommunikationsförderung von Menschen mit schwersten Formen
cerebraler Bewegungsstörungen, Düsseldorf, (Verlag selbstbestimmtes Leben)
ein grundlegendes Werk von WILHELM PFEFFER :
Förderung schwer geistig Behinderter, Würzburg 1988 (sollte unbedingt für die Lehrerbücherei
angeschafft werden!)
BERND VOGEL: Lebensraum Musik, Stuttgart 1991
In den MAINZER SCHR IFTE N ZUR SONDERPÄDAG OGIK sind erschienen (Centaurus-Verlagsgesellschaft,
Pfaffenweiler):
U. HAUPT/HARRY BERGE EST :
G. HANSEN :
U. HAUPT /R. KRAWITZ :
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Sonderpädagogen helfen lernen
Sonderpädagogische Diagnostik
Anstöße zu neuem Denken in der Sonderpädagogik
BIRGER SELLIN : Ich will kein inmich mehr sein (Botschaften aus einem autistischen Kerker) Hrsg.:
Michael Klonovsky, Köln 1993
ein tiefsinniges, kleines Büchlein
Der Seelenvogel von MICHAEL SNUIT, NA'AMA GOLOMB, Hamburg '94
RENATE WELSH: Drachenflügel, Innsbruck 1988
CHRISTOPHER NOLAN : Unter dem Auge der Uhr, Köln 1989
ROLF KRENZER: Nur weil ich 5 Minuten zu langsam denke (dtv-junior, München 1992)
von betroffenen Müttern und Vätern
ROSI MIETTENMEIER: Werde ich Dich lieben können, Düsseldorf '94
LAURA DOERMER: Moritz mein Sohn, München '92
ULLA SCHMIDT: Johanna (Erinnerungen einer Mutter an den Weg mit ihrem schwerstbehinderten Kind)
Lebenshilfe Marburg '92
KURT KALLENBACH (Hrsg.): Väter behinderter Kinder, rororo Hamburg '94
EDITH ZEILE (Hrsg.): Ich habe ein behindertes Kind, TB München '88
MONIKA JONAS: Behinderte Kinder - behinderte Mütter, Frankfurt 1990
3 Bücher von KATHARINA ZIMMER:
Das Leben vor dem Leben, München '84
Das wichtigste Jahr, München '87
Schritte ins Leben, München '91
- - - - - - - - FÜR DIE B ÜCHEREI - - - - - - - - - - - - - - - - -
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HIELCHER, HANS (Hrsg.): Du und ich, ihr und wir (konkrete Arbeitshilfen für die soziale Erziehung)
Weinsberg: Agentur Dieck 1987
LEBENSHILFE : Begegnung
zu beziehen über die St.-Martin-Schule, Bitburg
SUSANNE DANK: Individuelle Förderung Schwerstbehinderte. Verlag modernes Lernen, Dortmund 1987
BUNDESVERBAND FÜR SPASTISCH GELÄH MTE .... : Eingriffe - Angriffe (Beiträge zur Ethik-Debatte)
Hrsg.: Verlag selbstbestimmtes Leben, Düsseldorf 1992
LILLI NIELSEN: Greife und du kannst begreifen Edit. Bentheim, Würzburg 1992
D. WEIS: Augenpflege (Augenkrankheiten werden erklärt) Goldmann 13553
J. TAYLOR : Licht wird mein Tag (eine Blinde erzählt, wie sie sehen lernte) Bastei Lübbe 61209
KÜKELH AUS, H.: Organismus und Technik, Olten 1972
AFFOLTER, F.: Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache, Villingen-Schwenningen 1987
BERNARD-OPITZ , V. u.a.: Sprachlos muß keiner bleiben. Handzeichen und andere Kommunikationshilfen für autistisch und geistig Behinderte, Freiburg 1988
BETTELHEIM , B.: Die Geburt des Selbst, München 1977
DALFERTH, M.: Behinderte Menschen mit Autismussyndrom, Heidelberg 1987
FEUSE R, G.: Grundlagen zur Pädagogik autistischer Kinder,
Weinheim/Basel 1979
INNERHOFER, P./K LICPERA , CH.: Die Welt des frühkindlichen Autismus, Befunde, Analysen, Anstöße,
München/Basel 1988
RÖDLER, P.: Diagnose: Autismus. Ein Problem der Sonderpädagogik,Frankfurt 1983
SCHOPLER, E./R EIC HLER, R.: Förderung autistischer und entwicklungsbehinderter Kinder. Bd. 1:
Entwicklungs- und Verhaltensprofil, Dortmund 1981
TINBERGEN, E.A./T INBERGEN, N.: Autismus bei Kindern. Fortschritte im Verständnis und neue
Heilbehandlungen lassen hoffen, Berlin 1984
WEIHS, TH.S.: Das entwicklungsgestörte Kind: Heilpädagogische Erfahrungen in der therapeutischen
Gemeinschaft, Stuttgart 1971
WENDELER, J.: Autistische Jugendliche und Erwachsene. Gespräche mit Eltern, Weinheim/Basel 1984
WING, L.: Das autistische Kind. Wie Erziehungsschwierigkeiten und Ver- haltensstörungen überwunden
werden können, Ravensburg 1973
94
ZÖLLER, D.: Wenn ich mit euch reden könnte. ..... Ein autistischer
Junge beschreibt sein Leben aus seiner Sicht, Bern/München/Basel 1989
BERNARD-OPITZ , V.,/B LESCH, G/HOLZ, K.: Sprachlos muß keiner bleiben. Handzeichen und andere
Kommunikationshilfen für autistisch und geistig Behinderte, Freiburg 1992
HANNE RAPPENGLÜCK: Wenn Du mir hilfst, dann kann ich das auch (1992)
zu bestellen bei der Autorin, Wessobrunner Platz 6, 81377 München
ULRICKE THEILEN: Mach doch mit ! München '94
GAEDT, CHRISTIAN/BOTHE, SABINE /MICHELS, HENNING (Hrsg.): Psychisch krank und geistig behindert,
Dortmund '93
KLA US HENNICKE /WILHELM ROTTH AUS (Hrsg): Psychotherapie und geistige Behinderung, Dortmund
'93
ALBERT LINGG/GEORG THEUNISSEN: Psychische Störungen bei Geistigbehinderten
Eine Lebensgeschichte, die unter die Haut geht !!!
RUTH SIDRANSKY: Wenn ihr mich doch hören könntet (Kind sein in einer stummen Welt),
Bern/München/Wien 1992
JORG OS CANACAKIS: Ich sehe Deine Tränen. Ich begleite dich durch deine Trauer, Stuttgart '90
ROLAND KAMPE:
Im freien Raum: Lyrische Gedanken über schwerst mehrfach behinderte Kinder.
Stimmen aus dem Glashaus: Lyrische Gedanken über schwerst mehrfach behinderte Kinder.
Kontaktadresse: Roland Kampe, Neufeld 1, 6741 Wilgartswiesen.
Fritz Stump
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MITGLIEDER DER FACHDIDAKTISCHEN KOMMISSION
Hayer Matthias
Maria-Grünewald-Schule Wittlich
Jänen Helmut
St.-Martin-Schule Bitburg
Reimann Gisela
Landesschule für Blinde und Sehbehinderte Neuwied
Schneider Maria
Schule mit dem Förderschwerpunkt motorische Entwicklung Ludwigshafen
Stumpf Fritz
Schule mit dem Förderschwerpunkt motorische Entwicklung Nieder Olm
Vieregg Volker
Schule mit dem Förderschwerpunkt ganzheitliche Entwicklung Wissen
Klauk Winfried
Landesschule für Gehörlose und Schwerhörige Neuwied
WISSENSCHAFTLICH BERATEN DURCH:
Prof. Dr. A. Fröhlich
Universität Landau
Prof. Dr. U. Haupt
Universität Landau
LAYOUT UND GESTALTUNG
REALISIERT:
Volker Vieregg
email: post@vieregg-online.de
Bedanken möchten wir uns insbesondere bei allen Eltern, Kolleginnen und Kollegen, die sich in ihren
Beiträgen mit der Thematik der Schwerstbehinderten intensiv auseinander gesetzt und zum Gelingen des
L ESEBUCHES beigetragen haben.
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