selbst bewusst sein
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OKTOBER 2015 ICON ICON Oktober 2015 SELBST BEWUSST SEIN ARMANI.COM/ATRIBUTE DER CHANEL MOMENT www.chanel.com CHANEL-Kundenservice - Tel. 01801-24 26 35 (3,9 Ct/Min. aus dem Festnetz, max. 42 Ct/Min. aus Mobilfunknetzen). Düsseldorf Martin-Luther-Platz 32 0211 135 40 92 Frankfurt Grosse Bockenheimerstr. 13 069 219 96 700 Hamburg Neuer Wall 39 040 430 94 90 München Residenzstrasse 6 089 238 88 50 00 Wien Tuchlauben 8 01 535 30 53 Akris Boutique auf www.akris.ch Selbst und bewusst sein D DAL CALENDARIO PIRELLI, 2005 DI RICHARD AVEDON 11 ie Chance, dass einem so ein Model beim Spaziergang durchs Herbstlaub begegnet, ist wohl eher gering. Der Fotograf Richard Avedon hat die Szene für den Pirelli-Kalender 1995 inszeniert. Das Bild stammt aus dem Best-of-Band „50 Jahre und mehr“, den Taschen kürzlich verlegt hat. Wir haben es ausgewählt, klar, wegen der Laub-Assoziation, aber vor allem, weil Christy Turlington ein Typ ist. Denn das ist doch eine der großen Herausforderungen heute. Eine (elegante) Marke zu sein, eine Identität zu haben, eine Basis, auf der alles andere wächst. Das gilt für Labels wie für Leute. Oder um es mit Tomas Maier von Bottega Veneta zu sagen: „Es geht um mehr als das übliche Branding. Es geht eher um Sensibilität und Empfinden, eine Würdigung von Individualismus.“ Und so finden Sie in dieser Ausgabe auch eine Geschichte über die Anfänge von Jil Sander, die wie keine das deutsche Stil-Empfinden geprägt hat, oder auch eine Modestrecke mit den so berühmten wie zugleich bodenständigen Schauspielern Alexandra Maria Lara und Sam Riley. Modisch haben wir Kurs auf die Cruise-Kollektionen genommen, einst als Reisekleidung für die „Happy Few“ erfunden, inzwischen die umsatzstärksten Teile der großen Häuser. Schon weil uns die UrIdee daran so gut gefällt. Weniger vielleicht den „Few“-Aspekt, aber die Unbeschwertheit, das Träumen, brauchen wir unbedingt. Also, gehen Sie nicht durchs Laub. Springen Sie doch einfach hinein. JIL SANDER & PETER LINDBERGH „Strand geht immer“. So ein typischer Satz von Peter Lindbergh. Er bezog das auf die Kulisse für Fotoaufnahmen. Auch für Jil Sander, die Norddeutsche, geht Strand immer, vor allem als Ort der Erholung, der Besinnung, der reinen Freude. Beide verbindet seit Jahrzehnten eine enge Freundschaft. Unabhängig davon, dass sie sich nur noch selten begegnen. „Wir knüpfen immer da an, wo wir aufgehört haben“, sagte Peter Lindbergh nur, und lachte sein warmes Lachen, als die Designerin ihn kürzlich anrief. Schon früh haben sie auch zusammen gearbeitet, und als die Kampagne mit Linda Evangelista für die Herbst-Winter Kollektion 1993 am Strand von Arles in der Camargue entstand, bat Lindbergh auch Freundin Jil vor die Kamera. Ein rarer Moment. Wir danken sehr, dass wir die Bilder abdrucken dürfen. Ab Seite 76 COVER: CHRISTIAN ANWANDER; DIESE SEITE: MARIO TESTINO; PETER LINDBERGH, OLIVER MARK INGEBORG HARMS Wie nähert man sich Jil Sander? Am besten über Arbeit und Ethos. In ihnen spiegelt sich die Seele der Designerin. So gesehen hat Ingeborg Harms einen ungewöhnlich direkten Zugang zu einer sonst eher als verschlossen geltenden Frau. Seit 2009, als Frau Sander ihre Kooperation mit dem japanischen Modekonzern Uniqlo verwirklichte, stand Ingeborg Harms ihr immer wieder beratend zur Seite. Die Autorin und Professorin für Designtheorie an der UdK Berlin attestiert ihr absolute Integrität und eine charmante Kompromisslosigkeit bei ihrer Arbeit: „Sie würde nie mit dem Fuß auftreten, um ihre Linie zu bestimmen. Sie bleibt immer freundlich und leise, aber sie weiß genau, was sie will, und setzt es auch durch.“ Mit dieser Strategie ist Jil Sander weit gekommen. Die Autorin erzählt in dieser Ausgabe vom Aufstieg der Designerin aus Hamburg, die sie bis heute als „durch und durch Avantgarde“ beschreibt. Ab Seite 76 Die Berge von Österreich bieten schon viel. Die Wolkenkratzer von New York aber noch viel mehr, fand auch unser Fotograf Christian Anwander. Seit rund zehn Jahren lebt und arbeitet der gebürtige Bregenzer nun in Brooklyn im Stadtteil Williamsburg. Dort schätze er besonders das internationale Klima und die Weltoffenheit, mit der Neuankömmlinge empfangen würden. Beruflich musste er sich am Anfang dennoch durchboxen. Es hat sich gelohnt. Heute hat sich der 31-Jährige einen Namen als Modefotograf gemacht, dazu inszeniert er Stars wie die Rennfahrer Lewis Hamilton und Jenson Button. Die Heimat hat Anwander aber nie ganz aus den Augen verloren. Er bringt sie sich bei seinen regelmäßigen Besuchen mit, in kleinen Brocken in Form von Käse. Für unser Shooting ist er gen Westen gereist, ins kalifornische Palm Springs, um dort die Cruise Collection von Louis Vuitton ins rechte Wüstenlicht zu setzen. Mehr ab Seite 54 Auf dem Cover: Model Egle trägt ein Kleid von Louis Vuitton CHRISTIAN ANWANDER IMPRESSUM ICON Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger; Nicola Erdmann, Julia Hackober (Icon.de) Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. Fashion Editor in New York: Nadia Rath. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Tölke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver, Rebecca Bülow Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter Fotoredaktion: Julia Sörgel; Elias Gröb Bildbearbeitung:Thomas Gröschke, Tom Uecker, Kerstin Schmidt Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet (roseline.nizet@axelspringer.de) Objektleitung: Carola Curio (carola.curio@axelspringer.de) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 15. November 2015. Sie erreichen uns unter ICON@weltn24.de Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit. 15 ICON OKTOBER 2015 AUSGEWÄHLT NE UE JAHRESZEI T, NE UE S GLÜCK Unsere Stil-Experten freuen sich auf neue Kollektionen, Kunst und Kulinarik 32 FALLING F OR FALL Icona und Iken lieben den Herbst – und sich natürlich auch 34 COCO CON F IDEN TI AL Die Attribute „privat“ und „ausgestellt“ scheinen sich zu widersprechen. Nicht jedoch in der Ausstellung „Mademoiselle Privé“ – Inga Griese hat geluschert 38 GLÄNZ EN DE REI S EBEGLEI TER Dieser Schmuck braucht Licht, Luft und Leidenschaft – Juwelen für die Kreuzfahrt ind rs ke ec m r s t p. c o Oh bo en yle art st ap er ie i üb : D kr uf Ma na a ge ean Au n Il vo SCHMUCK y da i „To Ta h ing ina r R ah De n V n: vo hö t sc “ is um row nd or R u To m & 22 Vor 83 Jahren konzipierte Coco Chanel eine Ausstellung für ihre erste und einzige High-Jewellery-Kollektion in London. Nun findet sie statt. Mehr zu „Mademoiselle Privé“ auf Seite 34 48 E IN HE RBS T WIRD KOMM EN Und hoffentlich auch ein Schiff. Für alle Fälle sollten Sie sich die Cruise Collections von Gucci, Chanel und Dior ansehen 54 KING VUI TTON Coole Kleider, dachten wir uns – und widmen der Cruise-Kollektion von Louis Vuitton eine Fotostrecke in Palm Springs 66 E NTROP I E? UN D WIE! Rodolfo Paglialunga über die Übernahme von Jil Sanders Posten, die Verjüngung eines Erwachsenenlabels und Chaos 72 STOFF GEBEN ! Viel Stoff gegeben haben das Haus Zegna für ein Sondermodell von Maserati und auch Philip Cassier bei einer Testfahrt durchs Piemont 76 DUFT E KARRI ERE Kosmetik bildete das solide Fundament der Marke Jil Sander. Und auch ihre Mode war niemals abgehoben. Ingeborg Harms erzählt von den Anfängen einer mutigen Frau EDITH HELD WIR SIND DANN M AL WEG Damit die Gesichter nicht so lang werden wie der Winter in Mitteleuropa, gibt es Cruise-Kollektionen. Wir haben schönste Looks für Sie rausgesucht. Gute Reise! s 44 uli BILDE RBUCH Bilder sagen (und verkaufen) mehr als Worte. Ein Fotobuch zeigt nun die imposantesten Kampagnen von Bottega Veneta o sK iko nN m vo n.co ng io Ri ash en esf ! D ch ze at pit r m els be pp s ü Do bt e gi 40 or No m o n r. c o e v rte ng o rri a-p Oh etie i n : D be lnd Sie ge n flü de Be s fin re Fa ILLUSTRATION: MARIA AGERKOP; FOTOS:CHANEL; MONTAGE: ICON MODE Traumpaar: Schauspielerin Alexandra Maria Lara und ihr Angetrauter Sam Riley sind für unser Shooting durch Moorlake in Berlin flaniert. Diese und alle anderen Outfits gibt es ab Seite 90 19 ICON OKTOBER 2015 DESIGN 86 LE BE N MI T LIAI GRE Der Möbeldesigner Christian Liaigre ist für raffiniertes Interieur bekannt. Und für seine berühmte Kundschaft. Über die er auch gern mal lästert 88 LÜCKE NFÜLLER Diese Möbel lassen sich gern in die Ecke stellen. Und sehen dabei auch noch gut aus GESCHICHTEN 68 I’M A WA N DERER Allein, um dort zu flanieren, reiste Autor Wolfgang Büscher nach Biarritz. Plus: Schönste Begleiter für den Weg ohne Ziel 90 FOTO LOVE STORY Ein Ausflug mit Alexandra Maria Lara, ihrem Mann Sam Riley und herrlicher Herbstmode. Außerdem: ein Happy End! 110 GROSSSTADTCOWBOYS Vergessen Sie die Hamptons! Silke Bender war in Millbrook, wo nicht nur Manhattan ganz locker zu sich selbst kommt 113 GLOBAL DI ARY Diesmal geht es nach Toronto und Sansibar 114 DE R BAU P LAN Insiderwissen: Wir durften zusehen, wie die „Inside Bag“ von Prada gefertigt wird KOSMETIK 100 SCHÖN DURCH DEN HERBS T Mit diesen Produkten leuchten Sie mit der goldenen Jahreszeit um die Wette 101 FLÜSSIGE P ROVOKATION Frédéric Malles neuer Duft „Cologne Indélébile“ orientiert sich an seinen Vorgängern: Er fordert heraus. Wir stachelten den Parfümeur zu einem Gespräch an 102 ALLE NASE LAN G ... ... bringt die Industrie neue Düfte auf den Markt. Und es gibt Nasen wie Alberto Morillas. Wir haben ihn in Genf besucht Exquisite Mode verlangt nach extravaganten Orten. Für die Präsentation ihrer CruiseKollektion wählte (von oben) Chanel das Dongdaemun Design Plaza von Zaha Hadid in Seoul und Dior das Privathaus „Palais Bulles“ von Pierre Cardin an der Côte d’Azur, Louis Vuitton mietete hingegen das Haus von Bob Hope in Palm Springs und bei Gucci wurde in einer alten Garage im New Yorker Stadtteil West Chelsea defiliert AGENCE / BESTIMAGE USA; GETTY IMAGES(2); DIOR 104 NE W D OC S ON THE BLOCK „Dr. Brands“ erfreuen sich schon seit einigen Jahren an Beliebtheit. Zu Recht, finden wir: Die besten Produkte – ohne Rezept 105 GRUSS VON DER KÜS TE Warum ein schwedisches Ehepaar sich voll und ganz auf Naturkosmetik stürzte und Erfolg damit hat, weiß Caroline Börger 108 TANZ DER M OLEKÜLE Die Poesie des Francis Kurkdjian Hätte auch den Schauen gut gestanden: Sessel „Tokyo Pop“ von Tokujin Yoshioka. Über unseren Wohnblog iconist.de. Übrigens: The Iconist wurde für den LEAD Designaward 2015 in der Kategorie „Webmagazin des Jahres“ nominiert 21 STILISTEN ES IST HERBST – UND UNSERE STILWEISEN FEIERN DIE BUNTE JAHRESZEIT BRIGITTE LACOMBE Guck mal, wie gemütlich hier! Nachts sind alle Katzen grau. Aber tagsüber ist die eine schicker, dachte sich Fotografin Brigitte Lacombe. Für den guten Zweck lud Moncler-Chef Remo Ruffini sie und einige ihrer Kollegen wie Annie Leibovitz und Bruce Weber ein, die Maya-Daunenjacke in Szene zu setzen. Die „Art for Love“-Ergebnisse wurden versteigert und die Einnahmen „Amfar“ einer Stiftung zur Aids-Forschung, gespendet. BLAUE WINTERZEIT Halloween im Anmarsch: Schöner gruseln mit Glow-in-the Dark-Spinnennetz V O N C H A R L O T T E O LY M P I A 22 Immer schwanken wir zwischen den Reizen, uns der kurzlebigen Faszination des Augenblicks hinzugeben oder lieber auf die Sicherheit von Produkten mit ästhetischen Werten zu vertrauen, die Trend und Saison überleben und für immer Teil unserer modischen Identität sein werden. Die Fähigkeit zur Orientierung wird von multimedialen Botschaften immer mehr geschult – oder schleichend zerstört –, doch der Stil, den wir aus unserer Kultur schöpfen, und den wir im Laufe der Zeit weiter ausgeprägt haben, verleitet uns zu einer „persönlichen“ Auswahl. Ganz oben auf meiner Wunschliste dieser Wintersaison, die Tradition und Innovation einzigartig verbindet, steht der Füllfederhalter Montblanc „M“ nach einem Entwurf von Marc Newson. Blau und Schwarz durchziehen die Musthaves der Saison: von der Bottega Veneta Tasche in Blau, über die Herrenjacke für den Abend mit geometrischen Motiven von Tom Ford und die maßgeschneiderte Bluejeans von Valentino bis zum, klar, blauen Filzmantel in Übergröße von Balenciaga. Und gern natürlich der Blazer aus blauem Rossleder von Pal Zileri, kombiniert mit einem Rollkragenpullover aus blauem Kaschmir und Hosen aus Schurwolle von Neil Barret. Bei den Schuhen fällt der Blick auf die unvergänglichen Church’s oder die neuen Chelsea Boots von Lanvin. Nun kann der Winter kommen. Mauro Krieger Kreativdirektor von Pal Zileri in Mailand FLANIEREN MIT HERMÈS Informationen unter: Tel. 089/55 21 53-0 Hermes.com Anzeige HOW TO ART – TEIL V: Kitsch me if you can www.unuetzer.com + 49 89 255427-49 FLORENTINE JOOP; GETTY IMAGES Man kommt nicht daran vorbei, spätestens wenn man Kinder in einem bestimmten „Oh wie süß“-Alter hat, dann scheint der Kitsch einen förmlich zu umzingeln. Meine Tochter und mein Sohn leben in einer rosa, pinken, türkisen Glitzerchen- und Sternchen-Welt, die sich aus glupschäugigen Stofftieren und geflügelten Plastikpüppchen zusammensetzt. Mein Versuch, dieser Welt ab und an eine „gute“ Käthe-Kruse-Puppe beizusteuern, scheiterte kläglich (von dem peinlichen Streit mit der Verkäuferin darüber, dass diese Puppen erst seit Kurzem aus Plastik sein können, schließlich habe ich doch noch die mit den zerbrechlichen Köpfchen gehabt, und die mir dann etwas sarkastisch sagte, dass seit Kurzem in meinem Fall eben schon 35 Jahre sein dürften, möchte ich hier nicht berichten). Der Begriff „Kitsch“ muss neu definiert werden. Auch in der Kunst hat er ja längst eine Reformation erhalten, denn nicht wenige meiner ehemaligen Studienkollegen verdienen sich, nun als gestandene Maler von Füchsen und Häschen im Zwielicht, goldene Näschen. Sei es die Kuckucksuhr (Danke, Herr Strumbel) oder das Porzellanfigürchen mit Goldlasur (Herr Koons lässt im Erzgebirge seine pornografischen Figuren drechseln). In Florentine Zeiten von Manga-Graphics und Disney-3-D-Animationsfilmen (Elsa sei Joop Dank, trägt meine Tochter immerhin Mütze, Ohrschützer und gekämmtes llustratorin Haar), können wir uns nicht mehr einfach so verschließen und uns schau- und Autorin dernd abwenden, wenn im Vorgarten ein Plastikzwerg rumsteht. Kitsch ist in Berlin einer der am schwierigsten zu definierenden Begriffe. Niemand weiß genau, woher er stammt, ob aus dem Jiddischen „verkitschen“, jemandem etwas andrehen, was er nicht braucht, oder aber von „kitschen“, was „Schmutz zusammenkehren“ bedeutet. Kunst und Kitsch kamen sich immer wieder sehr nah, manchmal berühren sie sich auch, neuerdings tauschen sie auch mal die Plätze. Da wird sich der Eindeutigkeit beziehungsweise der Unzweideutigkeit des Kitsches bedient und mit dieser Erwartung lässig gespielt. Unzweifelhaft ist, dass sich der Begriff „Kitsch“ früher leichter eingrenzen ließ, denn man wusste, wo er einem begegnet. Meist in sogenannten Souvenirläden, wer schon mal nach Lourdes gepilgert ist, weiß, wovon ich rede. Heute ist man nirgendwo mehr sicher, nicht in Museumsshops (ich sag nur: Edvard Munchs „Der Schrei“ als Plastikballon zum aufblasen) und nicht mehr in den ehrwürdigen Hallen selbst – „dem Innovationsdruck der modernen Kunst“ geschuldet –, und es wird immer komplizierter, Kunst und Kitsch auseinanderzuhalten. Auf die Frage: „Mama, ist mein Einhorn schön?“, ist eine schlichte Antwort unmöglich geworden. „Nein“, liegt auf der Hand, doch das Glück in den Augen des Kindes, gepaart mit dem emotionalen Wert, den eine pinke Glitzerplastik für das noch junge Leben zu haben scheint, inklusive mythischer Bedeutung der Sagenfigur an sich, macht „Nein“ unaussprechbar und sie zum Konzept. Die Figur erfährt eine Mehrdeutigkeit. Ergo wird sie Kunst. Und die Kunst spricht auch nur aus, was Eltern schon lange vermuten: Der Kitsch ist ÜBERALL. Wir müssen damit umgehen oder wir werden darin untergehen. Es ist nicht damit getan, ihn zu banalisieren und abzutun. Die eindeutige Emotion, die sich nicht umdeuten lässt, ist nichts, wovor man sich fürchten muss. Er sollte eben gut gemacht sein. Ein paar rote Zipfelmützen im Zwielicht im Birkenwäldchen, oder so. Am Urlaubshimmel 2015 JOSEF HOFLEHNER. ALL RIGHTS RESERVED Ferien: endlich Ruhe. Nicht so am Strand von St. Maarten. Nebenan befindet sich nämlich der Flughafen. Fotograf Josef Hoflehner schaute daher nur zum Arbeiten vorbei. Der Österreicher kommt viel rum, fängt ein, was er sieht – mit Vorliebe in Schwarz-Weiß. Das Fotobuch „Retrospective 1975–2015“ wirft in rund 150 Fotografien einen Blick zurück, teNeues Verlag. TRENDBAROMETER VON WOLFGANG JOOP Herr Haka Marken sind eigentlich völlig out, denn der Konsument ist ziemlich enttäuscht. Frustriert auch davon, dass im einstigen Sehnsuchtsland Italien zunehmend chinesische Arbeiterkolonnen in den wunderbaren alten Fabriken sitzen. Die Reaktion, natürlich auf die Welt überhaupt: Freestyle ist in. Mode nicht als Kleid, sondern individuell und als intelligentes Chaos. Fusion ist der neue Code. ANACHRONISMUS Die Winter in Berlin sind lang, kalt und düster ... in diesen unendlichen Monaten, in denen die Dämmerung schon um 15 Uhr einsetzt und der Himmel in seinen Grauschattierungen unseren Gemütszustand widerspiegelt, ist jeder Lichtblick willkommen. Bei uns im Corner Berlin heißt die wirksame Medizin: The Cruise Collection! In den ersten mürrischen Novembertagen erhalten wir erste Teile. Farben, Muster, leichte Stoffe, Beschwingtheit ... Schnell in unsere Auslagen gestellt, sind sie Vorboten des Frühlings. Viele Betrachter denken dabei sicher an einen Trugschluss, eine Verrücktheit. Weshalb beim Einbruch der winterlichen Temperaturen plötzlich leichte, bunte, transparente Modelle zeigen? Wäre es nicht der richtige Zeitpunkt, um dicke Pullover und warme, kuschelige Wintermäntel zu lancieren? Ja, und weshalb zeigt man mitten im Juni, bei 30 Grad Sommerhitze Lammfelljacken Du meinst die Couture-Puffärmel von und Winterstiefel, wo das Wetter doch nach einer leichten, ärmellosen Bluse verlangt? J. W. Anderson mit Schleifenband Willkommen in der wunderbar verrückten Welt der Mode und des Anachronismus! zusammengehalten, Adidas HooDie Heldin dieses internationalen Spektakels: la Fashionista! Ihr Motto: so schnell wie die drüber, Bomberjacke vom Pomöglich die Paradestücke der kommenden Saison erwerben. Bevor sie ausverkauft Emmanuel lenmarkt, seine Sachen, ihre Sachen, morde Bayser sind oder vielleicht gar von einer Freundin ergattert, die ihr Foto womöglich bereits bei gens, abends – alles gemischt ohne gesellInstagram gepostet hat. Schnell, schnell die mit Pelz gefütterten Slippers aus der GucMitbesitzer von schaftliche Grenzen? So als wäre alles The Corner ci-Werbung, die neue Patchwork-Puzzle-Tasche von Loewe, in limitierter Auflage und gleichgültig? Aber man darf dabei nicht Berlin innerhalb von zwei Tagen überall ausverkauft, genauso wie das rosa Kübeltäschchen vergessen: Das Regellose ist eine Kunst. von Mansur Gavriel. Man kauft nicht mehr überlegt und innerhalb der herrschenden Saison, man kauft nach Laune und nicht nach Jahreszeiten, egal ob Winter, Sommer, Cruise ... Der Ursprung der Verrücktheit? Die reiUND SONST NOCH chen Amerikanerinnen, die in ihren Villen in Palm Beach und auf ihren Yachten in der Karibik FRÜHSTÜCK IN PRADA: Gutes muss bewahrt werden. Die Fondazione Prada hat daher in überwinterten. In den Winterkollektionen der Mailand eine Filiale der Traditionskonditorei „Pasticceria Marchesi“ eröffCouturiers gab es nichts Adäquates für diese net. Ganz in Prada-Optik, versteht sich. (Via Montenapoleone 9) ——— DIE LIEBEN Breitengrade, voilà, die Geburt der Cruise ColKOLLEGEN: Die Ausstellung „Daniel Biskup Budapest – Berlin. Mein Weg zur Einlections. In der Zwischenzeit reisen wir alle unheit“ und der gleichnamige Fotoband einen entwegt in verschiedene Zeit- und Klimazonen. sehr persönlichen Blick auf die WiederDie Cruise Collections sind wichtige kommervereinigung (The Kennedys Museum, Berzielle Bestandteile der internationalen Modeindustrie. Und von mutigen Fashionistas können lin, bis 29. November; Buch: Salz & Silber die sommerlichen Sandalen auch in den winterliVerlag) ——— AUS ALT MACH NEU: Die Koreanechen europäischen Metropolen getragen werrin Dylan Ryus peppt in die Jahre gekommeden: als Fashionstatement, mit dicken Wollsone Chanel-Taschen mit handgenähten Vercken angezogen, sind sie viel mehr trendy als ein zierungen wieder auf. Exklusiv über AproAufenthalt auf St. Barth oder den Seychellen! pos The Concept in Köln, Hamburg, München 26 COURTESY OF PRADA Frau Dob Top Pop Wenig hat heute das Potenzial, zum Begleiter einer ganzen Generation aufzusteigen. Das Berliner Magazin „Style & The Familie Tunes“ dagegen war von den 80er- bis in die 2000er-Jahre bei allen zu finden, die sich in Sachen Popkultur vorn sahen: Mode, Musik und Kunst bestimmten Inhalte und Optik, wie hier von Hung N’Guyen. Zeit, die besten Fotos aus 130 Ausgaben in einem Buch zu bündeln. „Style & The Family Tunes – The Book“, Hatje Cantz Verlag. BLIESWOOD SPAZIERT IN ERINNERUNG Leben heißt, unvergessliche Augenblicke zu zaubern – ein Paradies der Erinnerungen. Hellmuth Karasek, 81, ist im Himmel. Letzte Schwimmbahnen im Hamburger „Club an der Alster“. Er wollte noch zum Spiel Deutschland-Polen kommen – leider zu müde. Er ging zu schnell, aber sanft. Ach! Als wir in der Karibik eine Flasche Moët auf der „MS Europa“ tranken! Ach! Ahoi. HUNG N GUYEN Oktoberfest. Mittags is o’zapft. Die erste schaumige Maß im Käfer-Zelt. Sonne. Sorglosigkeit. Freunde. Der Rest verfließt. Viele Visitenkarten bleiben. Aufwachen im „Bayerischen Hof“. Blasmusik. Ein Frei-Bier am Trachtenzug (9 km lang!). Gott ist Bayer. Fliegen wie früher. Hamburg–London City Airport. Die Dornier Turboprop umkreist die glitzernde Glas-Pyramide an der Tower Bridge. Gefühl wie Indiana Jones auf Business-Trip im Privatjet. Rotkäppchen würde heutzutage wohl dieses Cape von Missoni M tragen. Gute Wahl. Kino-Legende Robert de Niro (72, 320 Mio. schwer) mit NY Times, Nokia-Handy auf der Couch im Soho House: „Sie sind 61!? That’s nothing, boy!“ Mit krankem Bruder, 70, im ICE nach Regensburg. Die Fenster werden zum Heimatfilm: „Die Bäume – wie früher auf der Jagd! Die Kirchen haben Zwiebel-TürmDavid Blieswood chen.“ Glocken-GeConnaisseur aus Hamburg läut. Heimat umarmt dich. Schweinsbraten im „Bischofshof“ (Papst Benedikts Lieblings-Lokal) vom Ex-Thurn-und-Taxis-Koch – dazu zwei Knödel und den guten „L’ Osservatore Romano“. Amen. Lese im Zug parallel zwei Krimis: „Das Schloss in der Normandie“ von Ulrich Wickert und „Nullnummer“ von Umberto Eco. Wickert ist spannender. 28 Ü B E R FA S H I O N I D . C O M SCHRÄGLAGE Ich sitze auf der Bank vor meinem Restaurant und schaue aufs Wasser. Hinten am Horizont schippern Yachten und Kreuzfahrtschiffe vorbei. Irgendwann verschwinden sie hinter der magischen Kante, fallen einfach hinten runter von der Scheibe des Sichtbaren. Ich sitze lieber hier. Mir wird auf Booten schwindelig. Das hängt vielleicht mit meinen schwäbischen Wurzeln zusammen. Einmal im Jahr lade ich auf die „MS Europa“ – ein fabelhaftes Schiff mit allem Komfort und Komzurück. Ich bleibe zur Party und rette mich noch, bevor die Schiffsschrauben zum Leben erwachen an Land. Konträre Sinneseindrücke, die vermeintlich feststehenden Wände und der durchgeschüttelte Gleichgewichtssinn, senden SOS. Einmal habe ich mich Herbert Seckler durchgerungen, eine Kreuzfahrt in den Süden zu machen, hinunter bis zum Kultwirt vom Sylter „Sansibar“ Suezkanal. Auf dem Lido-Deck ließ sich das gerade so aushalten. Den Blick fest auf den Horizont gerichtet, mit einem Glas fruchtig-süßem Château Pigoudet Classic Rosé in der Hand. Die Pose ist geblieben, der Wein wechselt gelegentlich. Nur in die Ferne muss ich nicht mehr. Den besten Fernseher, das beste Bett und die beste Dusche habe ich hier. So reduzieren sich die Wünsche. Herbst-Power: Kerze „Gypset“ von Baobab GIBT’S NUR BEI APROPOS ( T E L . 0 2 21 / 2 7 0 5 71 0 ) JOHANNES HAAS TSCHAKKA! Im Herbst rollen die Würfel aus. Das bisherige Jahr hat entweder die eigenen Erwartungen erfüllt und die geplanten Vorhaben wurden umgesetzt oder das Leben hat durch unerwartete Turbulenzen einen anderen Weg genommen. Träume sind realisiert ... oder geplatzt. Der Herbst ist für mich eine hervorragende Zeit, um Bilanz zu ziehen, beruflich und privat. Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um gegebenenfalls noch Korrekturen vorzunehmen und noch einmal auf das Wesentliche zu fokussieren. Bin ich bereits mit den Ergebnissen zufrieden, dann nutze ich den Herbst zum Entschleunigen und Dankbarkeit zu leben. Sind aber noch Punkte offen, so ist jetzt gerade noch genügend Zeit, die Umsetzung anzugehen und nicht im Jahreswechsel wehmütig in das kommende Jahr zu ziehen oder Vorgenommenes komplett fallen zu lassen. Gleichzeitig ist der Herbst der perfekte Anlass, über die nächsten Vorhaben zu sinnen. Bereits jetzt eine stichpunktartige Visualisierung für das kommende Jahr auf einem weißen Blatt Papier festzuhalten wirkt Wunder. Jeder Nina Klein kennt die Euphorie des Jahresbeginns, ich empfinde diese Euphorie Agentin für bereits jetzt im Herbst. Ich liebe es, frei und frisch ins neue Jahr zu Make-up-Artists und Stylisten starten – mit neuer Vision und Vorfreude. Mein persönlicher Frühund Business jahrsputz ist eigentlich ein Herbst-Cleansing und er ist ein Coach hervorragendes Detox, um unbeschwert das Jahresende genießen zu können. 30 Talent gesichtet! Der Fashion Council Germany, eine Initiative zur Förderung deutscher Designtalente, wird neben der Modedesignerin Marina Hoermanseder im kommenden Jahr auch Nobi Talai begleiten und mit Rat zur Seite stehen (rechts: Look aus ihrer aktuellen Kollektion) Manchmal braucht es nicht viel, um Bekanntes wieder neu und inspirierend wirken zu lassen. Der Künstler Alex Katz stilisiert bei seinen Landschaftsmalereien Gesehenes, lässt aus schnellen Pinselstrichen Blätter werden und bei seinem Werk „Sunset“ keinen Zweifel an der Tageszeit. Im Guggenheim Museum Bilbao zeigt der Amerikaner bis 7. Februar in der Ausstellung „This is now“ eine Auswahl. UND SONST NOCH THINK BIGGER: Der Tom Ford Flagshipstore in München ist jetzt umgebaut und hat eine zusätzliche, riesige Menswear-Etage (Falckenbergstr. 9) ——— BLAU SEHEN: Bildschirme von PCs und Smartphones belasten die Augen häufig mit einem zu hohen Blauanteil. Die Screenbrille von seeconcept.com filtert 40 Prozent des Blauanteils heraus, schont die Augen und sieht auch noch gut aus. ——— PINK HILFT: Im Oktober sammelt Estée Lauder wieder mit einer Sonderedition von acht Produkten Geld für die Brustkrebsforschung. Dabei sind unter anderem: La Mer, Aveda und Clinique (bcacampaign.com). ——— LOGOMANIA: Das Buch „Logo Modernism“ zeigt, wie sich die Logos verschiedener Marken zwischen 1940 und 1980 verändert haben (Taschen). Interessant? Na logo. TOM FORD ALEX KATZ, VEGAP, BILBAO, 2015, VG BILDKUNST BONN 2015 Waidmannsheil! OH, LOOK! UNSERE ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM) Geht drunter und drüber: Pullover von Christopher Kane über mrporter.com + Stadtlich, auch auf dem Land: Trenchcoat aus Kaschmir von Burberry Iken vertritt sich gern die Beine in Chinos von Uniqlo + Goldenes Laub: Die Ohrringe sind von H.Stern + Geerdet in Halbschuhen von Dr. Martens Originals ROMANTIKEN Flauschig: Baby-Kaschmirpullover „Girocollo Mosaik“ von Loro Piana LOVELICONA + + Stets blauer Himmel mit der Brille von Paul Smith + Dufter Tag mit „Acqua Essenziale“ von Salvatore Ferragamo Schönstes Blattwerk: Kaschmir-Schal von 8 Eden Avenue ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER 32 Gute Zeit: die „Geographic True Second“ von Jaeger-LeCoultre + + + Prima Rückendeckung: Rucksack „Christopher PM” von Louis Vuitton + Hält bombig warm: Bomberjacke von Tommy Hilfiger Denim „Schiefer“ Schick: Brille „Leopold Quarz Slate“ von Kerbholz über misterspex.de Junge, Junge, ist die schön! Die Tasche „Boy“ von Chanel = 11.563 € In denen streift Icona gern durch’s Herbstlaub: Stiefel von Hermès Herbst-Blues? Ja! Dunkelblaue Lederhose von Schacky = 19.899 € AUSTELLUNGSJUWEL Feine Privatsache Im Dutzend prächtiger, jedenfalls wenn es um Schmuck geht. Das wollte Coco Chanel schon 1932 den Londonern zeigen. Nun ist es so weit LEILA SMARA(5) Begleitend zur Londoner Ausstellung „Mademoiselle Privé“ hat Karl Lagerfeld Prominente und Freunde des Hauses (wie Lily-Rose Depp mit Perlenbrille, Anne Hathaway im berühmten verspiegelten Treppenhaus und Model Stella Tennant) in der Pariser Privatwohnung von Mademoiselle Chanel fotografiert. Alle tragen Stücke aus der „Bijoux de Diamants“-Reedition, der einzigen High-Jewellery-Kollektion von Gabrielle Chanel aus dem Jahr 1932 sowie extra angefertigte Haute Couture G 34 ut Ding will Weile haben. Wobei – 83 Jahre sind dann doch eine lange Zeit. Eigentlich wollte Coco Chanel nämlich im Dezember 1932 ihre aufregende „Bijoux de Diamants“ Kollektion, ihre einzige je gefertigte High Jewellery, in London ausstellen. Doch da war der britische Zoll vor. Nun aber hat es geklappt. Sie selbst erlebt es nicht mehr. Und wohl auch der damalige Zollbeamte nicht. Das Haus Chanel widmet seiner Gründerin in der Londoner Saatchi Gallery unter dem Titel „Mademoiselle Privé“ eine sehr persönlich konnotierte Ausstellung, die die Besucher auf einen verträumten Ausflug durch fünf Themenräume mitnimmt und dabei der Kreativität und den (durch Karl Lagerfeld) unvergänglichen Codes von Mademoiselle huldigt. Der Schmuck, die Haute Couture, ihr bis heute unverändertes Appartement in der Rue Cambon (in der Nacht ihres Todes im Januar 1971 ver- schwanden von dort allerdings die kostbaren Juwelen), ihr geliebter Place Vendôme, die erste Boutique in Deauville, alles wird zitiert und eingebettet – und natürlich das Parfum, Chanel No. 5, das den ganz großen Erfolg erst finanzierte und dem ein eigenes Zimmer, das fünfte, gewidmet ist. Ein sehr gegenwärtiger Raum mit interaktiven Spielereien und Vorführungen zeigt, welche handwerklichen Fähigkeiten noch heute kultiviert werden. Überraschend mag der Auftakt draußen sein: ein Garten!? Doch, Mademoiselle war sehr naturverbunden. Sie ritt wie ein Kerl (in Hosen, nicht im Damensitz), und von Winston Churchill ist ein Brief vom Oktober 1927 an seine Frau überliefert, in dem er bei einem Besuch auf dem schottischen Anwesen seines Kumpels, des Duke of Westminster, von Cocos Anglerkünsten schwärmt: „Sie fischt von morgens bis abends und hat innerhalb von zwei Monaten 50 Lachse erlegt.“ Der nun von den Landschaftsgärtnern Harry und David Finch komponierte zeitgenössische Garten zitiert allerdings andere große Lieben der Modeschöpferin: ihren unbedingten Freiheitswillen, ihr Sternzeichen, den Löwen und die wohl größte, Boy Chapel. Ganz am Ende gibt es dann noch einen Garten, „à la française“, 18. Jahrhundert (Lagerfelds Lieblingsära) trifft auf das große CC. Das die kleine Waise Gabrielle schon bevor sie wegen eines Liedes, das sie in der Öffentlichkeit vortrug, den Spitznamen Coco bekam, in den Fenstern bei den Nonnen von Auberzine studiert. Drinnen betritt man als Erstes eine Reminiszenz an ihr Appartement in der Rue Cambon, zu dem die berühmte verspiegelte Treppe führt, von der aus Coco Chanel bei ihren Schauen unbeobachtet die Gäste beobachtete. Wenn man sich in Paris dort aufhält, dann ist man nicht allein, selbst wenn sonst kein Mensch im Raum ist. Etwas ist präsent, umgeben von den ganzen persönlichen Schätzen ist selbst für nüchterne Betrachter eine Aura spürbar. Ohne dass es allzu museal wirkt, staubig schon gar nicht, was vielleicht auch 3 shop at santonishoes.com 36 3 damit zu tun hat, dass in dem Haus ansonsten noch Leben herrscht, die Haute-CoutureKunden eine Etage tiefer betreut werden und noch eine Etage tiefer in der Boutique der Umsatz unaufhörlich und in vielerlei Sprachen brummt. Drei Zimmer, üppig dekoriert, die Wände mit Goldstoff bezogen, was vor lauter Büchern aber nicht zu protzender Geltung kommt, überhaupt ist alles ausgestaltet in kultivierter Pracht, mit dem großen Kamin, Spiegeln, die die Sinne täuschen, mit den berühmten Coromandel-Wandschirmen, mit kostbarem Nippes und Symbol-Sammlungen, vieles paarweise wie ihr Signet CC. Dazu Fotografien. Sehr innig mit Boy Chapel. Aber oft ist sie allein darauf zu sehen. Die Kissen auf dem Sofa sind diagonal gesteppt wie das Muster auf den Handtaschen. Es gibt ein Speisezimmer mit sechs Stühlen um einen Tisch aus Walnussholz, aber ein Schlafzimmer gibt es nicht. Gab es nicht. Hier war Mademoiselle wach. Träumte, döste, ruhte mal, aber übernachtet hat sie woanders. Im Hotel „Ritz“ hatte sie bis zum Ende ihres Lebens ein schlichtes Hotelzimmer in der obersten Etage. Fast so karg wie der Raum in dem Kloster, in dem sie aufwuchs. Erstaunlich. Denn an diese Zeit, so heißt es allenthalben, wollte sie sich doch nie erinnern. Dieser „twist“ zieht sich auch durch die Ausstellung – schließlich findet Karl Lagerfeld einen direkten Blick zurück in die Vergangenheit generell langweilig. Coco Chanel hat den Frauen das Korsett abgenommen, sie von dem übertrieben Kopfputz, all dem Jahrhundertwende-Gerüsche und -Getüdel befreit. Das ganze Zuviel war ihr ein Graus. Es sei denn, es ging um Schmuck. Da konnten es gern Perlen und Diamanten satt sein. Dass das nicht automatisch zu neureicher Geschmacklosigkeit führt, ist ebenfalls in London zu besichtigen. Die Franzosen haben die komplette High-Jewellery Kollektion von Inga Griese 1932 noch einmal aufgelegt. „Mademoiselle Privé“, Saatchi Gallery in London, täglich bis 1. November 2015 LIPNITZKI/ROGER VIOLLET/GETTY IMAGES LEILA SMARA(5) Kristen Stewart ruht in typischer Pose auf dem Originalsofa von Coco Chanel in ihrem Pariser Appartement. Niemand spielt die Modeschöpferin in ihren späten Jahren so überzeugend wie Geraldine Chaplin. Karl Lagerfeld hatte sie vor zwei Jahren für einen Kurzfilm engagiert, seither gehört sie auch zu den Freunden des Hauses (Mitte). Das sind auch die türkische Schauspielerin Tugba Sunguroglu und ihre britische Kollegin Jemima Kirke. Das Schmuckstück (oben) stammt aus der „Bijoux de Diamants“-Kollektion Coco Chanel vor den Coromandel-Wandschirmen in ihrem Pariser Appartement (1937) HUGOBOSS.COM HUGO BOSS AG Phone +49 7123 940 Südsee-Blau: TürkisCollier aus der „Mystique“-Serie von Elmar Grupp STEINZEIT Abtauchen mit der Kette aus der „Sea Stars“Reihe von Sévigné Meeresleuchten: Ohrhänger von Brahmfeld & Gutruf Ein Kunstwerk! Brosche „Vagues Mystérieuses“ von Van Cleef & Arpels Glitzernde Gischt: Ohrschmuck aus der „Blue Book 2015“Kollektion von Tiffany „Giardini Italiani“ Collier mit Smaragd-Anhänger von Bulgari Meeresglitzern: Ohrringe mit Saphiren aus der ExtremelyPiaget-Kollektion Pretiosi heil! Edle Tropfen: Ohrringe mit Saphiren von Bucherer Im November werden die Cruise-Kollektionen ausgeliefert. Doch nicht nur die Mode sticht zu dieser Jahreszeit am liebsten in See. Auch die Schmuckwelt taucht jetzt ab in die unendlichen Weiten des Ozeans. Diese prächtigen Reisebegleiter glitzern so mysteriös wie das Meer Kristallklar: Ohrhänger „Lily Ice“ von Vieri Fangfrisch: Ohrringe „Big Shell“ von H.Stern Deep Blue Sea: Ring aus der Haute Joaillerie-Kollektion von de Grisogono Traumhaft: Brosche „Fish’s Dream“ von Wallace Chan Blaues Wunder: Armband mit Saphiren von Wempe Blaupause: Kette „Capri“ von Pomellato 38 Berauschend: Anhänger aus der „Shellies“Serie von Susa Beck GETTY IMAGES(6); ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER Ring aus der „Paris Nouvelle Vague“Kollektion von Cartier Fishing for compliments: Ohrringe „Coffret de Victoire“ von Dior B E R L I N - D Ü S S E L D O R F - F R A N K F U R T- A M - M A I N - M Ü N C H E N HAMBURG - STUTTGART - BADEN-BADEN - NÜRNBERG HANDSCHRIFT Übersaisonal Tomas Maier, Kreativdirektor von Bottega Veneta, macht vieles anders: Seine Arbeit ist von Ruhe, Langfristigkeit, Überlegung und Ästhetik geprägt. Dass das selbst in der Werbung funktioniert, zeigt er nun mit einem Bildband über die Kampagnen des Luxushauses Herr Maier, was hat es mit dem Buch auf sich? Es gibt ja schon ein großes „Coffee-table Book“ zur Marke. Reichte der Platz nicht aus? Ich wollte alle Kampagnen vereinen, die wir unter der Serie „Art of Collaboration“ fotografiert haben. Für jede Saison haben wir seit 2002 einen Fotografen oder Künstler für die jeweilige Werbekampagne beauftragt. Inzwischen haben wir mit 27 verschiedenen Künstlern zusammengearbeitet. Und ich dachte mir, dass es doch interessant wäre, alle diese Bilder zu einer ganzheitlichen Arbeit zu bündeln. Wofür steht „Art of Collaboration? Alles, was wir produzieren, ist das Ergebnis von Teamarbeit zwischen Menschen, angefangen bei meiner Rolle als Kreativdirektor bis hin zu den Designern und Handwerkern, die die Artikel fertigen. Wir sind sehr stolz auf unsere Handwerker, die im Atelier in Montebello Vicentino arbeiten. In gewisser Weise ist die Kampagne eine Erweiterung dieses Konzepts: Nach der Fertigstellung der eigentlichen Produkte schafft die Zusammenarbeit mit den Fotografen zusätzlich Wert und Qualität. Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen? Es gibt keine vorgegebenen Szenarien oder Einflussnahmen. Die Kampagne, die wir kreieren, entsteht vollständig aus dem ausgewählten Fotografen selbst heraus. Einige Bilder wurden direkt im Atelier aufgenommen. Andere Bilder haben eine komplizierte Geschichte, die erst einmal entdeckt werden muss. Mein kreativer Prozess nimmt Einflüsse aus verschiedenen Bereichen wie Kunst oder Design auf, doch auch der Film spielt eine 3 Wie passt das zum Markenmotto „When your initials are enough“? Eine meiner Aufgaben in diesem Unternehmen ist auch das Kreieren der Werbekampagnen, und es war wichtig für mich, über das Übliche hinauszugehen, denn ich weiß, wie emblematisch solche Bilder werden können. Ich wollte die Kampagnen nutzen, um die Wahrnehmung von Kreativität und Handwerkskunst, für die Bottega Veneta ja steht, zu stärken, über die normalen Grenzen der Mode hinaus. Hat diese Arbeit Ihre persönliche Sammlerleidenschaft geweckt? Ich habe fast mein ganzes Erwachsenenleben lang Fotografie gesammelt. Das war schon so, bevor es einen Markt gab, bevor ein Bewusstsein für die Rolle der Fotografie in der zeitgenössischen Kunst aufkam. Ich habe mit Fotografen wie Erwin Blumenfeld, William Klein oder George Platt Lynes begonnen, bevor sie als Künstler anerkannt waren. In den Jahren danach habe ich mich dann den Arbeiten von zeitgenössischen Fotografen zugewandt, und meine Kollektion hat an Breite und Tiefe gewonnen. Es hat große Freude gemacht, mit vielen dieser Fotografen wie Sam Taylor-Johnson, Nan Goldin und Philip-Lorca diCorcia während der Kampagnen zusammenzuarbeiten. 40 ROBERT LONGO / COURTESY SCHIRMER/MOSEL VERLAG Einfach mal loslassen: In den späten 70er- und frühen 80er-Jahren ließ Fotograf Robert Longo Geschäftsleute über den Dächern von New York tanzen. Unter dem Titel „Men in Cities“ bewegten sich die nach ihrem eigenen Rhythmus, ohne Musik. Kraft und Macht sprengten das Korsett der Geschäftsgebaren. Das gleichnamige Fotobuch (Schirmer/ Mosel Verlag) mit Texten von Cindy Sherman und Richard Price zeigt 94 Aufnahmen der Reihe. Jahre später dient dem Amerikaner seine Arbeit als Vorlage für Bottega Venetas Herbst-WinterKollektion 2010. Zum ersten Mal präsentiert das Modehaus die Damen- und Herrenkollektion in einer gemeinsamen Kampagne (oben) BOTTEGA VENETA: ART OF COLLABORATION BY TOMAS MAIER, RIZZOLI NEW YORK, 2015 Erwin Olaf studierte erst Publizistik, bevor er sich der Fotografie widmete. Klarheit kennzeichnet seine Arbeiten. Auch die Bottega Veneta Herbst/ Winter Kampagne 2012, die der Niederländer fotografierte. Heute sind seine Fotografien in Kunstgalerien auf der ganzen Welt zu finden. Diese und einige der folgenden Fotos stammen aus dem Bildband „Bottega Veneta: Art of Collaboration“ von Tomas Maier, erschienen im Rizzoli Verlag Im Whaler’s Cottage auf Staten Island setzte die Fotografin Nan Goldin die Kollektion Frühjahr/ Sommer 2010 in weiches Licht. Entwürfe und Kampagnen stellten damals die sensible Seite der Frau in den Fokus. Ein Kontrast zu Sex, Drogen und Gewalt, die sonst die Fotos der Amerikanerin thematisch bestimmen. 2007 wurde sie mit dem „Hasselblad Award in Photography“ ausgezeichnet 41 3 wichtige Rolle, wie im Übrigen auch für die Laufsteginspirationen. Das emblematische Beispiel ist die Kampagne Frühjahr/Sommer 2011 von Alex Prager mit ihrem deutlichen Bezug auf Alfred Hitchcocks Filme. Doch ich sehe auch Kinoinspirationen bei Ralph Gibson für die Herbst-Winter-Kollektion 2013/2014, die die unheimliche Noir-Stimmung der 50erJahre-Filme widerspiegelt. Oder auch in den Fotos von Peter Lindbergh mit einem Szenarium, das mich an die Filme von Bertolucci erinnert. Ein bisschen Einfluss nehmen Sie aber schon? Der Arbeitsprozess ist sehr klar. Hat sich der Fotograf oder Künstler bereit erklärt, mit uns zusammenzuarbeiten, setzen wir uns an einen Tisch und besprechen, wie die Kampagne aussehen könnte. Es ist immer jemand, den ich stark bewundere, und es macht mir ungeheuren Spaß, die Kollektion mit den Fotografen zu besprechen und zu sehen, was sie bei ihnen auslöst. Wenn wir uns darauf geeinigt haben, wie die Kampagne aussehen soll, werden die Aufnahmen ohne Einmischung von außen gemacht, sodass das Ergebnis so rein wie möglich ist. Wenn man mit ihnen zusammenarbeitet, tritt man praktisch in ihre Welt ein. 42 häufig in unseren ersten Diskussionen angesprochen. Oft ist sie ein prägender Aspekt in den Bildern, wie die Wall Street in der Kampagne von Philip-Lorca diCorcia. Die Models, die wir einsetzen, haben immer Charakter und individuelle Züge, die von einem Leben jenseits des Bildes zeugen. Wir wählen sie nicht, weil sie berühmt oder gefragt, sondern weil sie für die Zusammenarbeit geeignet sind und sowohl in die Welt von Bottega Veneta als auch in den Blick des Fotografen passen. Wie unterscheidet sich ein Modefotograf von einem anderen, der keine spezifische Verbindung zur Mode hat? Einige meiner Lieblingskampagnen sind mit Fotografen entstanden, die normalerweise nicht in der Modebranche arbeiten. Modefotografen sind darauf trainiert, die Einzelheiten eines Gewebes, eines Accessoires zu sehen und zu erkennen, was ein Kleidungsstück über seinen Träger aussagt. Wenn sie dann kommen und eine Werbekampagne fotografieren, bringen sie alle diese Fähigkeiten mit und fotografieren die Kleidungsstücke, als ob sie bereits ein Leben nach dem Laufsteg hätten, als ob sie getragen würden und in das Leben einer Person Einzug gehalten hätten. Unsere Kunden sind kluge Menschen. Sie verdienen mehr Leistung, angefangen bei den Kreationen bis zu den Werbekampagnen. Mit wem würden Sie gern noch arbeiten? Da gibt es einige. Ich möchte zum Beispiel gern mit Martin Parr arbeiten, aber dazu brauche ich die richtige Kollektion. Bei der Auswahl achte ich sorgfältig darauf, dass ihre Arbeit auch zu unserer Kollektion passt, und Martin brauchte etwas mit der richtigen Farbe und den richtigen Details. Das ist ein langfristiges Projekt, und die passende Kollektion kommt sicher eines Tages. Die aktuellste Kampagne stammt von Juergen Teller. Der ist ja recht inflationär in der Modefotografie vertreten. Die Herbst-Winter-Serie 2015/2016 stammt von ihm. Seine Arbeit habe ich schon immer wegen ihrer Ehrlichkeit und Intensität gemocht und wollte sehen, was er für Bottega Veneta kreieren würde. Ich mag die Üppigkeit und die Haltung der Aufnahmen, die er für uns gemacht hat, und finde sie sehr real. Was denken Sie, wenn Sie die Strecken der letzten 14 Jahre betrachten? Waren Sie schon mal von einem Ergebnis enttäuscht? Für mich ist das immer spannend. Die Kampagnen entstehen in echter Zusammenarbeit, ich bin während der Arbeiten anwesend. Wichtig ist, dass jede Kampagne etwas Einmaliges und Originelles über unsere Welt sagt. Ich lasse die Künstler die Kollektion auf ihre Weise interpretieren und der Peter Lindbergh gehört zu den renommiertesten Mode- und Porträtfotografen Kampagne ihre eigene weltweit. Nebenbei macht er auch noch Filme. 2013 fotografierte er in den Universal Prägung auferlegen. Studios in Los Angeles die Frühjahr/ Sommer-Kampagne. Rechts ein Foto vom Set Es wäre sinnlos, sie um Mitarbeit zu bitten und dann von ihnen zu Die Herangehensweise der „Künstler“ hat Ich sehe die Bilder gern als ein Ganzes, und verlangen, an ihrer eigenen Vision Abstriche mehr von einer Annäherung an die Seele des die vergangenen 14 Jahre als ein Gesamtwerk zu machen. Es macht mir richtig Spaß, da mit- Objekts wie zum Beispiel bei Nan Goldin oder aus unterschiedlichen Erzählungen und Idezumachen, denn ich arbeite hier ja mit Per- Tina Barney – oder der sehr persönliche Sinn en und Bottega Veneta als etwas, das in der sönlichkeiten, deren Arbeit ich stark bewun- für Kompositionen wie bei Polidori oder wirklichen Welt existiert, in der Taschen oder dere. Meine Erwartungen an die Serie sind Ralph Gibson. Das Nichtwissen um Kleidung Kleider zum Bestandteil des Lebens irgendimmer sehr hoch – und meistens werden sie wurde wettgemacht durch das Verständnis für welcher Menschen geworden sind. Wenn ich noch übertroffen. Figur, Volumen, Farbe. mir alle Kampagnen anschaue, vermitteln sie mir diesen Eindruck, denn die Bilder erzählen Muss Werbung eigentlich bunt sein? Mode ist ja sehr schnelllebig. Werden die früheGeschichten und Szenarien, die über das typiDas Wichtige ist das Bild. Die meisten unserer ren Kampagnen von den aktuelleren überholt? sche Modeimage hinausgehen. Kampagnen sind in Farbe, aber wenn ein Foto- Es ist schön, dass die ersten Kampagnen graf für seine Schwarz-Weiß-Aufnahmen be- nichts von ihrer Frische eingebüßt haben. Ich Zum Schluss eine Anekdote bitte! kannt ist, gibt es auch in der Werbekampagne freue mich, dass sie kein Opfer der Zeit geDie Bilder von David Armstrong für die Kamkeine Farbe. Für eine grafischere Ausrichtung worden sind, sondern dass sie über die Saison pagne „Cruise 2013“ sind ein perfektes Beisind Schwarz-Weiß Fotos die einzige Option, hinaus leben, für die sie in Auftrag gegeben spiel für Zufall und Spontaneität in der Zuwie in unserer Kampagne mit Lord Snowdon. worden waren. Im Endeffekt erhoffen wir uns sammenarbeit. Wir hatten geplant, die Bilder das für all unsere Arbeit bei Bottega Veneta, bei Sonnenlicht in New York aufzunehmen, Muss das Produkt stets die Hauptrolle spielen ? dass sie nämlich die Zeit überlebt. aber der Tag war grau und trübe. Es regnete Es ist immer ein Bestandteil der Erzählung, ständig, und die Sonne kam den ganzen Tag aber ich ziele darauf ab, es fast im Bild ver- Welche Rolle spielt Printwerbung heute noch? nicht hervor. David fotografierte still und ohschwinden zu lassen. Das wünsche ich mir Werbekampagnen sind ein notwendiges Elene zu klagen den ganzen Tag. Es kamen perauch für die Kleidung: Sie sollte nicht ablen- ment in der Arbeitsweise der modernen Mofekte Bilder dabei heraus, und obwohl es eiken. Ich möchte, dass man nur die Person deindustrie. Für mich sind sie eine Chance, gentlich hätte anders sein sollen, war dann sieht. Das gilt auch für die Kampagnen. Sie um etwas anderes und Großzügigeres als das IG doch alles genau richtig. sollten mehr zeigen als Kleidung. Übliche zu tun. Wenn ich mir eine Kampagne anschaue, möchte ich nicht an die Tasche oder Wie wichtig sind der Ort und die Models? die Kleidung denken. Viel wichtiger ist es, eiSie sind entscheidend. Die Location ist we- ne Stimmung oder ein Gefühl zu erzeugen, „Bottega Veneta: Art of Collaboration“, sentlich für die gesamte Erzählung und wird damit die Kollektion mit Leben erfüllt wird. von Tomas Maier, auf Englisch, Verlag Rizzoli Das Museum Casa Mollino in Turin wurde jüngst zum Schauplatz der Herbst-Winter-Kampagne 2015 für die Damen- und Herrenkollektion. Der Dirigent hinter der Linse: Juergen Teller. Für die auf Perfektion getrimmte Modewelt ein Spiel mit Gegensätzen. Der Wahl-Londoner liebt das Unperfekte, ungeschminkt und gern mit Schönheitsfehlern Im Botanischen Garten in New York setzte Ryan McGinley die CruiseKampagne 2014 um (rechts). Der Amerikaner begann seine Karriere mit Polaroids von Freunden. Obwohl inzwischen sorgsam inszeniert, haben seine Arbeiten noch heute Schnappschusscharakter, der auch vor nackten Tatsachen nicht zurückschreckt (kl. Bild r.). Das Foto ist dem Buch „Ryan McGinley: Way Far“ von David Rimanelli, Rizzoli Verlag entnommen RYAN MCGINLEY/ RIZZOLI BOOK © BOTTEGA VENETA: ART OF COLLABORATION BY TOMAS MAIER, RIZZOLI NEW YORK, 2015 Wenn Fotograf Ralph Gibson arbeitet, ist es, als würde er träumen. Grobkörnig und in Schwarz-Weiß. Der Amerikaner veröffentlichte mehrere Fotobände mit seinen Arbeiten. Für die Herbst-Winter-Kampagne 2013 von Bottega Veneta mixte er in Mailand Farb- mit SchwarzWeiß-Aufnahmen (links eine Set-Aufnahme; rechts ein Kampagnen-Foto) PIETER HUGO; COURTESY | PRISKA PASQUER,COLOGNE Als Künstler beschäftigt sich der Amerikaner Jack Pierson neben Fotografie auch mit Malerei, Kollagen, Skizzen und Installationen. 2012 setzte er die Kampagne Frühjahr/ Sommer um Der Südafrikaner Pieter Hugo konzentriert sich normalerweise darauf, die vielen Gesichter seiner Heimat einzufangen. Die verstörenden sind ihm dabei die liebsten (oben, ausgestellt in der Priska Pasquer Kunstgalerie, Köln). Darüber: Für Bottega Veneta fing er die Kollektion Frühjahr/ Sommer 2014 in New Jersey ein. Ganz, oben eine „Behindthe-scenes“-Aufnahme LAND IN SICHT ZWISCHEN WELTEN UND ZEITEN GETTY IMAGES; HERSTELLER; MONTAGE ICON Die Cruise- oder auch Resort-Kollektion steht historisch für eine Saison, die nichts mit Jahreszeiten zu tun hat – sie war die Garderobe für die Reisemonate der Hautevolee. Heute richtet sie sich an alle, denen der Winter bereits im Herbst zu lang wird. Und das sind viele FENDI ALTUZARRA RALPH LAUREN BOTTEGA VENETA MAX MARA CALVIN KLEIN DONNA KARAN TORY BURCH BOSS diesel.com this ad is gender neutral FRAUEN ZUERST LICHT UND FARBE GETTY IMAGES; HERSTELLER; MONTAGE ICON Wenn gedeckte Töne nicht nur draußen, sondern auch in den Boutiquen und im Kleiderschrank dominieren, bieten die Cruise-Kollektionen der Designer belebende Akzente MARNI PRADA AKRIS TOMAS MAIER MICHAEL KORS VERSACE NTA OSCAR DE LA RE GIORGIO ARMA NI KUNSTSTÜCK SCHWESTERN VON GESTERN GETTY IMAGES (5); AP (5); GUCCI; MONTAGE ICON Niemand lässt den Retrolook derzeit so zeitgemäß aufleben wie der neue Liebling der Fashioncrowd – Guccis Designer ALESSANDRO MICHELE 48 Besonderes Merkmal der Präsentationen der Cruise-Kollektionen: Sie finden oft nicht im Stammland des Labels statt, und es wird an nichts gespart, um die Mode zu inszenieren. Für den sinnlich verspielten Mädchen-Nerd-Look von Gucci wurden im New Yorker Galeristenviertel die Perserteppiche übereinandergelegt. Knallfarben auf Mustermix – das kann nur ein Label, dessen Charme stets auch in der Übertreibung liegt shop online www.brax.com IMMER DEN EIGENEN WEG GEHEN. ASIASHOP RELOADED K(ARL)-POP ISTOCK(3); CHANEL; MONTAGE ICON Weit weg von zu Hause, im südkoreanischen Seoul, in einem Gebäude von Zaha Hadid, zeigte KARL LAGERFELD, dass er die Signets südkoreanischer Kleidungskultur leichter Hand in die Luxusspähren von Chanel erhebt 50 FIND OUT MORE AT alsterhaus.de . kadewe.de . oberpollinger.de DIOR; MONTAGE ICON RETROFUTURISMUS 52 DER ARCHITEKT DER MODE Bei Dior überbieten sich die Zitatebenen gegenseitig: RAF SIMONS präsentierte seine Cruise-Kollektion im futuristischen Anwesen „Palais Bulles“ des 92-jährigen Designers Pierre Cardin an der Côte d’Azur. Scharfe Taillen, Strick und aufgezogene Muster gingen mit der Umgebung eine organische Verbindung ein 53 HINTERGRUND „Ihr macht Fashion. Wir haben es kapiert!“ Das Getöse bei Louis Vuitton ist vorbei. Nun gilt es, eine DENIS ROUVRE/LOUIS VUITTON Handschrift für die Mode zu finden. Deshalb spielt die CruiseKollektion plötzlich eine wichtige Rolle. Vor – das versteht sich dann doch – großartiger Kulisse. Inga Griese fuhr mit Das feine Lächeln ist Programm: Michael Burke steuert als CEO von Louis Vuitton seit 2012 mit Rückgrat und Weitblick die kostbarste Luxusmarke der Welt nach Kalifornien D er Morgen danach. Der Blick von der Terrasse des neuen „Ritz Carlton“ in Palm Springs ist fantastisch. Wüste, Weite, Amerikas Freiheit. Es ist Anfang Mai, wir sitzen weich gepolstert im Schatten, Michael Burke, der eloquente CEO von Louis Vuitton, trägt Sonnenbrille, ich auch. Die Party unter freiem Himmel ging lang, die Präsentation der Cruise-Kollektion zuvor war so stimulierend wie der verwunschene Garten vom „Parker Hotel“ und die Großzügigkeit der Gastgeber. Eigentlich wollte Louis Vuitton auch in Seoul zeigen, wie Chanel es tat, man hatte sich verabredet, die Termine aufeinander abzustimmen, schon aus Gründen der Journalisten-Logistik. Ein hoher Feiertag kam dazwischen, die spektakuläre Location, der Königspalast, musste für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben am geplanten Tag. Es hätte nicht besser kommen können. Denn das aufregende Glashaus, das sich Bob Hope und seine Frau Dolores Anfang der 1970erJahre in die kalifornischen Wüstenberge bauen ließen, war eindeutig der passendere Rahmen für die Kollektion von Nicolas Ghesquière, wie überhaupt die neu erwachte Kreativität und Coolness dieser Region. Ein gutes Stück weg vom Silicon Valley. 54 Monsieur Burke, nach dem Erfolg gestern Abend – war es nicht eine glückliche Fügung, dass Sie umdisponieren mussten? Ich hätte die Show in Seoul nur im Königspa- last gemacht. Aber um ehrlich zu sein, war dies hier Nicolas auch sehr viel lieber. Dieses Szenario hatte als Bühne so viel mehr Bezug, es wirkte nicht überwältigend, obwohl es so spektakulär war. Denn es war zugleich natürlich und bildete eine organische Einheit mit seinem Gefühl für Design. Es war interessant, die Gäste zu beobachten. Gar keine Amerikanerinnen mit zu viel Haar und zu viel Botox. Zwar so manche in VuittonTotal-Look, aber keiner hatte zu dick aufgetragen, selbst die Prominenten wirkten insgesamt unaufgeregt. Ich fand es wie in einem Spielfilm. Apropos: Es ist inzwischen offensichtlich wichtig für eine Marke wie Louis Vuitton, die Cruise-Kollektion mit einer großen Show wie dieser zu präsentieren. Liegt das daran, dass Chanel und Dior das auch machen? Nein, die Frage ist eher: Warum haben wir das nicht schon früher getan? Und es hat mit dem neuen Kapitel zu tun, das wir bei Louis Vuitton aufschlagen. Das erste Kapitel von Marc Jacobs war genial, er hat alles immer auf den gegenwärtigen Moment zugespitzt. Da ist die Fashion Week der Moment, in dem man sich beweist. Bei der Cruise-Kollektion geht es eher darum, eine Erzählperspektive aufzubauen. Cruise ist die Saison mit der längsten Lebensdauer. Es geht also weniger um die Zuspitzung als um das, wofür Louis Vuitton steht. Das kann man sehr viel wirksamer mit der Cruise-Kollektion ausdrücken. Man ist etwas entfernt von dem ganzen Fashion-Week- Rummel, bei dem der tiefere Sinn verloren gehen kann, weil sich alles um „den Moment“ dreht. Der ist natürlich auch wichtig, aber manchmal verdrängt der Trend die tiefer liegende Botschaft. Bei der Cruise-Präsentation steht man sozusagen allein auf der Bühne und sollte sich in Acht nehmen, dass man dabei nicht nackt ist. Die Cruise ist für die Perspektive also viel geeigneter als die Fashion Week. Auch deshalb, weil ich drei Tage Zeit habe, über meine Botschaft zu sprechen. Bei der Schau in Paris habe ich nur zwölf Minuten Zeit. In der 13. Minute haben Sie mich schon vergessen, denn da sprechen Sie mit jemand anderem ... Wie könnte ich! Und ich geb’ mir auch Mühe! Das ist eigentlich eine gute Aufgabenbeschreibung: Wie sorge ich dafür, dass Sie mich nicht vergessen? (wir lachen, der Kellner bringt Cappuccino. Trinkt man inzwischen auch in der Wüste) Zu diesem neuen Kapitel gehört auch, dass der Rahmen nicht die Kleider überstrahlt. Dabei spreche ich nicht nur von Louis Vuitton, sondern ganz allgemein von der Mode. Ich persönlich glaube, dass der Rahmen manchmal zu erdrückend ist, dass es mehr um ihn als um die Mode zu gehen scheint. Das richtige Setting spielt aber eine Rolle, um die Mode erst lebendig werden zu lassen. Aber das ist eine unterstützende Aufgabe. Bob Hopes Haus hat diese Unterstützung geleistet. Das Tal und die Berge – das alles dient als Rahmen. Es ist Zufall, dass Hollywood gleich um die Ecke liegt, aber es ist wie ein großartiger Film: Das Set ist wichtig, aber im Mittelpunkt stehen das Drehbuch und die Helden. Schreiben Sie schon am nächsten? Wenn der Oktober vorbei ist, werde ich mich mit Nicolas zusammensetzen, um zu erfahren, wohin er sich bewegt und was seine Botschaft unterstreicht und bekräftigt. Und das ist der Grund, weshalb wir reisen: um Orte wie diesen zu finden. Geht es nicht eigentlich noch immer genau darum bei Louis Vuitton: das Reisen? Ist also bei diesem Markenkern eine Cruise-Kollektion ganz einfach naheliegend? Ja, denn das ist ja die ursprüngliche Bedeutung der Cruise-Kollektion. Man kaufte sie, weil man in den nördlichen Klimazonen lebte und zu den 0,0001 Prozent der Menschheit zählte, die in den Süden reisen konnten, wenn es kalt wurde. So begann es in den 50er-Jahren, als diese winzige Minderheit begann, sich Reisen in wärmere Gefilde zu leisten. So ist es heute nicht mehr. Vielmehr geht es darum, dass wir einen Großteil unseres Geschäfts in diesen Ländern machen. Unsere Kunden dort sind nicht auf Reisen, sondern sie leben dort. In Singapur, Dubai, Miami, Dallas, Südkalifornien und Shanghai. Das sind alles Orte mit warmem Klima … Aber auch in Europa leben noch Modekunden. Manchmal scheint es, dass die Luxusmarken vergessen, dass es diesen Markt gibt. Europa steht als Markt ganz vorn. Irgendwann wird China die Nummer eins sein, aber das Luxussegment ist immer noch hauptsächlich europäisch. In China weiß man nie, ob sich nicht die Spielregeln plötzlich ändern? Das sehe ich anders. Was passiert, ist, dass die Chinesen nicht im eigenen Land konsumieren. Sie kaufen doppelt so viel im Ausland ein wie in China. Und sie kaufen dieses Jahr mehr als im Jahr davor. Deutlich mehr. Bezogen auf die Wirtschaft in China haben Sie also absolut recht, nicht aber, was die Chinesen als Kunden betrifft. Das Geschäft mit ihnen ist sehr stabil, das wird nicht wegbrechen. Auf keinen Fall. Die Chinesen haben ein unbedingtes Bedürfnis danach, denn sie haben ihre eigene Geschichte und kulturelle Abstammung zerstört. Sie haben keinen Bezug zu ihrer eigenen Vergangenheit, denn das Parteimotto lautete: Zerstört die Vergangenheit. Sie sind wirklich losgezogen und haben es buchstäblich zerschlagen. Wir haben unsere kulturelle Vergangenheit noch. Wenn man im Luxussegment wirklich bestehen will, braucht man einen dynastischen Unternehmensansatz. Es heißt, Sie möchten Louis Vuitton eine neue Art von Luxus-Image verleihen. Weniger ist mehr und kostet mehr, so in der Art? Es ist nicht neu. Ich möchte wieder anknüpfen an das Bestehende. Es mag eine kurze Zeit gegeben haben, in der wir von unseren Grundwerten abgewichen sind; die Handwerkskunst, die Kreativität wurden weniger deutlich. Der wichtigste Wert aber ist Mut. Wer nicht mutig ist, geht unter. Dass wir noch heute da sind, nach 160 Jahren, liegt daran, dass wir es immer waren. In der Selbstgefälligkeit der letzten zehn Jahre ist das eventuell ein wenig verloren gegangen, darum knüpfen wir jetzt wieder an unsere Tradition an. Aber das tun wir auf moderne, relevante Weise. Wir sprechen nicht nur über die Vergangenheit. Was bedeutet Luxus heute? Diese Definition zu finden gilt es doch heute. Das Schwierigste ist, die richtige Balance zu finden. Wenn man zu sehr im gegenwärtigen Moment lebt und zu viel Gewicht auf die Zukunft legt, dann ist es nur noch Mode und entfernt sich zu weit vom Luxus. Andererseits kann man auch nicht zu rückwärtsgewandt sein und nur die Tradition erhalten. Man muss den goldenen Mittelweg finden. Das ist es, was Nicolas schaffen muss. Diese Shows müssen also auf das verweisen, was wir waren, und gleichzeitig ein neues Kapitel aufschlagen. Es scheint, als gelänge es Nicolas Ghesquière, das 70er-Jahre-Gefühl von Freiheit und Bohème, das uns in gewisser Weise alle geprägt hat und bei den jungen Leuten vielleicht andere, aber ebenfalls Emotionen auslöst, zu transportieren, ohne dass er zum Archivar wird. Allerdings hat er auch insofern einen Vorsprung, als Louis Vuitton in den 70er-Jahren keine Mode gemacht hat. Wir können also gar nicht zum Opfer unserer eigenen Vergangenheit werden. Wir sind nicht Sklaven unserer Geschichte. Wir können auf die Siebziger Bezug nehmen, ohne uns auf unsere damalige Mode beziehen zu müssen. Das gibt uns eine gewisse Freiheit. Manche Designer können besser als andere die Looks aus dem eigenen Hausarchiv neu interpretieren; manche können besser ein neues Kapitel aufschlagen und einen neuen Stil prägen. Und darin liegt seine große Chance. Ich persönlich glaube, dass diese Freiheit einer der wichtigsten Gründe war, weshalb Nicolas zu uns gekommen ist. Aber sie kann auch sehr beängstigend sein, denn man muss das dann auch leisten: Man muss eine Silhouette erfinden. Wie reagieren Ihre Kunden auf den Wandel? Gehen sie mit oder gehen sie? In den letzten Jahren haben sich unsere Kunden mehr Langlebigkeit gewünscht, etwas Dauerhafteres in den Designs und der kreativen Arbeit. Sie haben sich manchmal verloren gefühlt, denn wir haben sie im Grunde jede Saison aufgefordert, eine ganz neue Frau zu sein. Wenn man, wie wir damals, darauf aus ist, sich Glaubwürdigkeit auf einem Gebiet aufzubauen, nämlich in der Mode, dann ist das angemessen. Wir hatten vorher keine Mode gemacht, also musste Marc uns etablieren, und das tat er mit extremer Mode, die jede Saison komplett anders aussah. Im Prinzip sagten die Kunden schließlich: „Schon gut, okay, ihr braucht euch nicht mehr so anzustrengen. Wir haben’s kapiert! Ihr macht Prêt-à-porter, alles klar!“ Aber was sie wirklich wissen möchten, ist, wofür wir stehen. Und dann entscheiden sie, ob ihnen das gefällt oder nicht. Aber sie möchten Orientierung. Heute mehr denn je, oder? Genau. Man muss sich entscheiden. Man kann nicht alles sein. Haben Sie denn das Gefühl, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben? O ja, sehr! Kein Platz für Zweifel! Wie sagt Karl Lagerfeld immer: Kein Plan B! Er fährt gut damit. Er macht einfach, hält sich nicht auf mit Vergangenem und erst recht nicht mit Zweifeln. Wobei er eine Weile gebraucht hat, um sich diese Freiheit zu erarbeiten. Dabei hat er ein so langes Gedächtnis. Und alles verweist auf etwas, das es schon gab, aber er zitiert eben nicht einfach. Wissen Sie, ich habe bei Fendi zehn Jahre lang mit ihm gearbeitet, manchmal redet er viel, aber wenn er sagt, dass er sich nie die Archive ansieht, dann stimmt das. In der ganzen Zeit hat er nicht einmal gesagt: Kannst du mir mal raus suchen, was ich 1973 gemacht hab? Nein, es hat sich einfach in sein visuelles Gedächtnis eingeprägt. Er kennt alles und kann alles zeichnen. Das ist wie mit seinen Büchern, richtig furchterregend – er könnte Ihnen jetzt hier genau sagen, in welchem Haus und auf welchem Regal dieser oder jener Band steht. Karl wuchs zu einer Zeit auf – und ich auch –, in der Informationen nicht so leicht zugänglich waren. Man musste in die Bibliothek gehen und einen ganzen verfluchten Tag lang nach einem einzigen Zitat aus einem bestimmten Buch suchen; man musste den Leihzettel ausfüllen, ihn der Bibliothekarin aushändigen und dann warten, bis das Buch kam. Und wenn es da war, musste man es tatsächlich lesen, um etwas darin zu finden. Heute weiß man, dass alles überall sofort zugänglich ist, also muss man sich nichts mehr merken, sondern hat sein Gedächtnis ausgelagert. Das Google-Syndrom. Und das ist gefährlich, denn wahre Kreativität entsteht dann, wenn man neue Verbindungen knüpft und die Synapsen neu verschaltet werden. Das ist das Wesen der Kreativität. Man konfiguriert immer wieder neu. Niemand ist zu 100 Prozent originell. Das gibt es einfach nicht. Wir konfigurieren das Bekannte auf neue, originelle Weise, aber unser Rohmaterial ist nicht völlig neu. Das meiste ist schon da; es kommt darauf an, wie wir damit spielen. Darin liegt die Originalität, und das ist es, was Karl so gut kann. Und Nicolas kann es auch. Denn er ist ein Modeschüler, ein echter Lernender. Er kann Bezüge zu etwas bilden, ohne es zuerst zurate ziehen zu müssen. Für einen solchen Abend muss man eine Menge Geld ausgeben ... Was meinen Sie? (lächelt) Das Haus war da, ich musste nichts bauen! Ich hab nur die Tür geöffnet und Leute zu mir eingeladen. Ich könnte ja jetzt mal alles aufzählen: die Miete oder allein die Buffets hinterher. Es ist jeden Cent wert, jeden. Entscheidend ist aber nicht, dass man es sich leisten kann. Sondern, dass man sich traut. Ich erzähle Ihnen mal etwas inoffiziell: Ich hatte dafür gar keine behördliche Genehmigung. So etwas gibt es nämlich nicht. Das ist ein Privatgrundstück in einer Gated Community, dafür gibt es keine Genehmigungen. Wenn man so eine Veranstaltung mit einigen Hundert Leuten beantragt, sagen die nur: „So was gab es noch nie und so was soll es auch nicht geben, also sprechen Sie nicht weiter.“ Das war also das Schwierigste. Es gibt viele Leute mit sehr viel Geld. Ich könnte einige Unternehmen nennen, die sehr erfolgreich sind, aber die hätten nie den Mut, so etwas zu organisieren. Vielleicht morgen, da es ja jetzt schon mal jemand gemacht hat. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich in leere Gesichter gesehen hab, als ich Palm Springs sagte. Als wollten sie mich fragen: ‚Was hast du denn geraucht? Gehen da nicht die Leute zum Sterben hin?‘ Von wegen! Das war einmal. Jetzt wissen sie es. 55 DURCH DIE OASE CRUISEN Kaufhausbesitzer Edgar Kaufmann wünschte sich ein Refugium in der Wüste von Palm Springs. Gute Idee, fanden wir und haben uns an seinem Pool mit der Mode niedergelassen, die Louis Vuitton tags zuvor beim Nachbarn vorgeführt hatte. Ja, in die Zimmer haben wir auch mal geschaut Fotograf: Christian Anwander c/o Schierke Artists; Styling: Nadia Rath; Model: Egle Tvirbutaite c/o Next Models; Haare: Nathan Jasztal; Make-up: David Jones; Produktion: Beatrice Barkholz c/o Isabel Scharenberg Creative Management LLC; Produktions-Koordinatorin: Gabrielle Roussos; Produktionsassistenz: Derec Patrick; Fotoassistenten: Matthew Hawkes, Michael Moser, Styling-Assistentin: Malyssa Lyles GETTY IMAGES, ULLSTEIN BILD; MONTAGE ICON Asymmetrisches Maxikleid aus Leinen mit schwarzen Lochspitzenstickereien, Spitzeneinsätzen und Rüschen. Lederbesatz an der ärmelfreien Seite. Dazu ein Taillengürtel aus Lack- und Glattleder mit Nieten. Alles von Louis Vuitton PICTURE ALLAINCE; MONTAGE ICON Diese Seite: Maxikleid aus Seiden-Mousseline mit Nieten. Der Stoff darunter ist in Biesen genäht. Linke Seite: Langarm-Top aus Seide, bestickt mit Lammleder-Plättchen. Gürtel aus Lack- und Glattleder und mit Nieten besetzt. Maxirock mit hüfthohem Schlitz. „Steamer Bag“ aus Kalbsleder. Alles von Louis Vuitton Rock und Bluse aus Seide mit PaisleyMuster und Ledereinsatz in der vorderen Mitte, eingefasst mit einer Rüsche. Daran befestigt sind vier mit Nieten besetzte Gürtelfragmente, die hinten geschlossen werden. Am Rockbund sind zwei mit Nieten verzierte Lederklappen aufgesetzt. Alles von Louis Vuitton REUTERS, GETTY IMAGES; MONTAGE: ICON Model Egle trägt ein kurzes Leder-Jackett in Karamell mit schwarzer Kreuzschnürung und einem schwarzen Maxirock aus Seide mit angesetzten Gürtellaschen und Cut-outs an der Hüfte. Poche-Tasche aus Kalbsleder mit Nieten. Alles von Louis Vuitton 63 Bauchfreies, diagonal geripptes Strick-Top aus Kaschmir mit Lederapplikationen an Armausschnitt und Dekolleté. Dazu ein schwarzer Taillengürtel aus Glatt- und Lackleder und ein doppellagiger Maxirock aus Seide. „Twist Bag“ mit Palmenmotiv aus Epi-Leder PICTURE ALLIANCE/WEINTRAU; MONTAGE/ICON Diese Seite: Knöchellanges Lammleder-Kleid mit von Spitze inspirierten Cut-outs Linke Seite: Knöchellanges Lammleder-Kleid mit hohen Seitenschlitzen und durchgehendem Reißverschluss in der vorderen Mitte. Die „Petite Malle“-Taschen sind aus Krokoleder und Plexiglas mit Kalbslederbeschlägen. Alles von Louis Vuitton AUFGERÄUMT Im Chaos liegt die Präzision Androgynität ist aber immer noch ein Thema, das bei Jil Sander mitschwingt. Ist es eigentlich einfacher, maskuline Akzente in weibliche Mode einfließen zu lassen als umgekehrt? Grundsätzlich ja. Die maskuline Mode ist für weibliche Einflüsse nicht so offen. Aber auch das ist in Bewegung, denn die jungen Leute stehen solchen Einflüssen wesentlich offener gegenüber. Man sieht das zurzeit zum Beispiel daran, dass junge Männer ganz selbstverständlich Schluppenblusen aus Seide tragen. Auch ich möchte beide Kollektionen immer auch in die jeweils andere Richtung öffnen. Das ist heutzutage sehr wichtig. Seit gut einem Jahr ist Rodolfo Paglialunga Kreativdirektor bei Jil Sander. Heike Blümner erzählte der Italiener, was sich seitdem bei ihm im Haus, Insgesamt hat man das Gefühl, dass die Mode, die derzeit aus Mailand kommt, verspielter und weniger konzeptionell wirkt. Hat das auch Einfluss auf Ihre Arbeit? Ich sehe das anders. Es wird immer noch sehr viel mit konzeptionellen, wiedererkennbaren Motiven und Elementen, zum Beispiel bei den Accessoires, gearbeitet. Das Logo spielt bei einigen Labels traditionell eine große Rolle. Wir bei Jil Sander haben allerdings noch nie mit einem Logo gearbeitet. Von daher sind wir grundsätzlich mit dieser Art von Ansatz nicht vergleichbar. Bei uns geht es um Understatement. in Mailand und im Rest des Landes alles getan hat H Herr Paglialunga, wie fühlen Sie sich nach der Fashion Week. Eher erschöpft oder erleichtert? Ich fühle mich ganz entspannt und bin glücklich über die positive Resonanz auf meine Kollektion. Liegt die Entspannung auch am „Rebirthing“, das Sie praktizieren? Was ist das genau? „Rebirthing“ ist eine Atemtechnik, bei der es darum geht, durch gezielte Mundatmung mehr Sauerstoff in den Körper zu pumpen. Wenn man gestresst ist, ist das eine sehr nützliche Praktik, um sich zu entspannen. Jil Sander stand historisch nicht nur für einen starken Look, sondern auch für einen emanzipatorischen Lebensstil. Was macht heute eine radikal moderne Frau aus? Ich glaube, die moderne Frau kann sich heute mehr Weichheit leisten, sich problemlos weicher und romantischer kleiden, ohne an Autorität zu verlieren. Früher war das anders, da mussten Frauen noch, vor allem bei der Arbeit, durch gewisse maskuline Akzente in ihrer Kleidung ein Signal setzen. Ist die Übernahme von Jil Sander durch Sie auch eine Art kreative Wiedergeburt? Das wünsche ich mir, denn natürlich möchte ich das Label mit meinem persönlichen Touch versehen und eine neue Perspektive auf den Minimalismus werfen. Es geht darum, das Erbe von Jil Sander weiterzuentwickeln und nicht alles radikal umzukrempeln. Ganz ehrlich: Können Sie die Worte Minimalismus, Purismus und Perfektion noch hören? Natürlich passen diese Worte immer noch gut, um Jil Sander zu beschreiben, aber ich möchte die Kollektionen öffnen und zeitgemäßer machen, auch im Hinblick auf eine jüngere Kundschaft – denn Jil Sander war bisher eher ein erwachsenes Label. Die Verjüngung lässt sich beispielsweise an bestimmten Accessoires erkennen, wie den Hüten aus der kommenden Sommerkollektion. 66 GETTY IMAGES Zuletzt zeigten Sie bereits weichere Linien. Ist das der Schritt in eine neue Richtung, oder testen Sie Ihre Grenzen? Ich würde sagen, es ist beides, und zwar jede Saison aufs Neue. Ich liebe es zu experimentieren. Dieses Mal haben wir etwa versucht, den Jil Sander-Look fließend zu gestalten, und diese Leichtigkeit war neu für das Label. Der gegenläufige Ansatz bekommt aber derzeit viel Aufmerksamkeit. Ja, aber davon lasse ich mich gar nicht beirren. Wir folgen unserem eigenen Code. Klar sehe ich auch, dass die Mode gerade insgesamt lauter wird, dass Sachen vom Flohmarkt neu interpretiert werden. Die Leute lieben das, aber all das passt nicht zu einem Label wie unserem, das für Chic und Eleganz steht. Was die Leute doch an Jil Sander besonders lieben, ist, dass wir nicht so laut sind wie die anderen. Weichere Linien, eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber Mustern und Farben – Rodolfo Paglialunga treibt die Evolution bei Jil Sander voran. Looks oben aus der aktuellen Herbst-Winter-Kollektion Und jenseits einzelner Labels: Befindet sich Mailand gerade im Aufbruch? Ja, in Italien allgemein und in Mailand ganz besonders ist einiges in Bewegung. Viele Labels haben den Designer gewechselt, sie müssen frischen Wind zulassen. In Ihrem Job werden Sie jeden Tag mit aufgeräumten Konzepten konfrontiert. Ist in Ihrem Leben auch Platz für eine Prise Chaos? Nicht nur eine Prise! Chaos ist absolut fundamental für kreative Prozesse. Und wahre Präzision findet sich oft mitten im Chaos. W W W.O L E LY N G G A A R D.C O M O L E LY N G G A A R D C O P E N H A G E N C O R P O R AT E PA G E O L E LY N G G A A R D C O P E N H A G E N C H A R LOT T E LY N G G A A R D _ D K W W W.C H A R LOT T E LY N G G A A R D. D K Unser Autor Wolfgang Büscher, ein eleganter Flaneur – in geliehenem Mantel und Schuhen von Hermès – beim Spaziergang am Strand von Biarritz Und immer bleibt das Meer Jedes Jahr gibt es eine Zeit, in der der Sommer noch nicht vorbei ist, und der Herbst noch nicht begonnen hat. Wolfgang Büscher flanierte dort, wo sich das gut erleben lässt: Im Seebad Biarritz. Massimo Rodari begleitete ihn mit seiner Kamera 68 L etzte Wärme auf dem Gesicht, die Augen geschlossen, noch mal Sand zwischen den Zehen, ein letzter Sprung ins Meer – und über allem diese gewisse Stimmung, wenn der Sommer endet. Jeder spürt es und möchte den Abschied ein wenig hinauszögern. Noch einmal barfuß die Grande Plage entlang, noch einmal vor dem Lieblingscafé in der Sonne sitzen, wer weiß, wie lange das noch geht. Still wirken die letzten Sommergäste auf der Promenade, in sich gekehrter als noch vor Wochen. Alles schaut hinaus auf die Wellen und kehrt der Stadt und dem Festland den Rücken zu, wie Figuren auf einem Caspar-David-Friedrich-Bild. Es heißt: „Der Mensch am Meer“. Wohin auch sonst schauen? Biarritz ist ruhig geworden, der Sommerlärm ist verebbt, das Strandmobiliar abgeräumt, das große Kinderkarussell dreht sich nicht mehr, die Sensationen auch dieses Sommers sind abgereist. Nur la mer bleibt, es ist immer da, war immer da, sein immerwährendes Rauschen bei Tag und bei Nacht. Dunkel herandonnernd, in heller Wut anbrandend, dann das Spektakel, wenn Welle auf Welle hoch aufschäumend die Felsen peitscht oder einen Flokati aus Gischt nach dem anderen über den Strand ausrollt. Mit dem Meer ist nicht zu spaßen, die Kreuze auf etlichen vorgelagerten Felsen bezeugen es – wie viele Schiffe mögen an ihnen zerschellt sein? Und der Vieux Port, der alte Hafen von Biarritz, erzählt von der Härte des Seefahrerlebens. Wie hoch seine Mauern sind, sie überragen die ankernden Boote mehrfach. So klein er ist, beinahe niedlich, so sehr ist er dem wütenden Meer abgetrotzt. Wer einst diesen Hafen erreichte, der hatte die Fahrt durch den stürmischen Golf von Biskaya, hatte Klippen und Felsen überlebt. Der eigenwilligste Fels von Biarritz ist der Rocher de la Vierge, eine weiße Marienstatue bekrönt ihn. Auch hier oben letzte Sommergäste, die Blicke aufs Meer gewandt. Als ob es sich davon provoziert fühlte, nimmt es wieder und wieder Anlauf, und jede fünfte, sechste Welle schafft es und spritzt bis ganz hinauf – dann kreischt eine Dame und hüpft ein paar Schritte zurück vor der Gischt. Ein alter Baske zeigt auf die Küste, die nach Süden hin bergiger wird. „Ça c’est déjà l’Éspagne!“ Das sei schon Spanien da drüben. „Et ce château-là“ – er deutet auf ein großes Haus an der Küste, mit seinen Türmchen schaut es aus wie eine Villa aus einem Schauerroman – „das Schloss dort hat ein verrückter Milliardär gekauft.“ Eh bien, ein Verrückter mehr. Die Leute von Biarritz haben sich im Lauf der letzten 150 Jahre an allerlei schwerreiche und manchmal schwer schräge Vögel gewöhnt, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts anfingen, sich ausgerechnet deren bis dahin ziemlich unbedeutendes Walfängernest zu ihrer Sommerfrische auszuerwählen. Den Anfang machte Kaiserin Eugenie, eigentlich María Eugenia Ignacia Augustina Palafox de Guzmán Portocarrero y Kirkpatrick, Tochter des Grafen – um es noch einmal in seiner ganzen spanischen Grandezza zu sagen – Don Cipriano Palafox de Guzmán y Portocarrero, Conde de Teba, Conde de Montijo, und dessen schottisch-spanischer Ehefrau Maria Manuela Kirkpatrick. Das schöne Mädchen aus Granada gefiel dem letzten Kaiser der Franzosen so gut, dass er standesgemäßere Heiratspläne aufgab und Eugenie zu seiner Frau und letz- ten Kaiserin machte. Der Hof giftete, die englische Presse spottete über diesen albernen Anfall von Romantik in Paris, aber dann geschah etwas, das auch in heutigen Königshäusern mitunter vorkommt – Eugenia erwies sich als die richtige Wahl. Eugenie verschaffte dem dritten Napoleon noch einmal Ausstrahlung und seinem Hof Eleganz, sie war gebildet und klug, verstand etwas von Mode, und politisch ambitioniert war sie auch. Von all ihren Taten in der damaligen Weltpolitik blieb jedoch eigentlich nichts – mit Ausnahme von Biarritz. Als Kaiserin hätte sie ihre Sommer auch in einem eingeführten Seebad verbringen können – aber nein, es musste dieses Fischernest sein. Wenige Hundert Einwohner, nichts Besonderes. 1854 kam Eugenie für zwei Monate nach Biarritz, woraufhin ihr sie liebender Kaiser ihr dort eine Sommerresidenz errichten ließ, in der das hohe Paar dann tatsächlich seine Sommer zu verbringen pflegte. Eugenie setzte Biarritz beim europäischen Hochadel als Sommerfrische der Belle Époque durch. Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich-Ungarn kam. Könige kamen, etwa die von Portugal und Belgien. Man sah englische Lords und spanische Granden auf der Promenade spazieren. Am Ende des 19. Jahrhunderts beehrten rund 10.000 Sommergäste das ehemalige Fischerdorf. Diese elegante Welt ist erloschen. Sie flackerte zwischen den Weltkriegen noch einmal auf, als man in Biarritz CharlestonKlänge aus den großen Hotels hörte und Silhouetten in Frack und Bubikopf dazu tanzen sah. Aus und vorbei. Sie stehen noch hier, die Villen der Belle Époque, die Hotels, aber ihre hochadeligen Sommergäste sind längst weitergezogen. Eugenies Sommerpalast ist jetzt ein Hotel, das prächtigste von allen, unbestritten, aber der russische Herr am Nebentisch raunzt und poltert in sein Cellphone, völlig unbekümmert um so etwas wie Etikette, und der Kellner im schwarzen Anzug ist zu höflich, um es überhaupt wahrzunehmen. Genug gesehen, „l’addition, s’il vous plaît!“ Vor dem Palais tröstet der Anblick einiger antiker Maseratis über das Erlebte hinweg. Doch Biarritz ist zu schön, um alten Zeiten nachzutrauern. Es gibt ja neue. Und neue Sommergäste. Es sind die Surfer, sie haben die Belle Époque beerbt. Statt eleganter Uniformen und Kleider sieht man jetzt Männer und Frauen in hautengen Neoprenanzügen am Strand, das Brett unterm Arm. Sie suchen nicht die Sommerfrische und nebenbei allerhand Liebschaften und diplomatische Spiele, sie suchen den Rausch der idealen Welle. Es zieht sie ins Meeresrauschen hinein wie einst die Walfänger – aber aus freien Stücken, nicht notgedrungen wie jene Männer in ihren Booten. Schon frühmorgens, bevor erste Sonnenstrahlen den Strand vergolden, eilen die Wellenanbeter zum Strand. Sie gehen nicht, sie rennen, Brett unterm Arm, die Passage Gardères hinab und weiter über den Sand und in die Wellen hinein. Ihr Tempo hat etwas Kultisches. Man macht das so, man schlendert, man spaziert nicht zum Surfen, man eilt zum Strand und rennt in die Brandung, so gehört es sich. Das rituelle Rennen der Surfer zum Meer erinnert an den eiligen Schritt der Frommen von Jerusalem auf dem Weg zum Freitagsgebet oder zur Klagemauer – was man liebt, will es sagen, zu dem schlendert und trödelt man nicht, dahin rennt man. Der Gott der Surfer ist die perfekte Welle. Die Surfer sind schön, wenn sie auch längst nicht alle perfekt sind. Schälen sie sich, wenn die Sonne sinkt, aus ihrer Surferhaut wieder heraus, sieht man Halbgötter und Göttinnen, aber auch gedrungene, mitunter massige Körper. Sie sind trotzdem schön. Schönheit ist nichts, was mit Maßband und Waage zu messen wäre. Schon eher ist das Maß der Schönheit eine gewisse Stimmigkeit der Erscheinung. So wie man über das Blatt eines Zeichners sagt: Er hat den Strich. Schlank gleich schön, das stimmt ja nicht. Ein Schlanker kann klapprig sein, ein Dicker schön wie ein praller Fisch. Als unschön empfinden wir, was holpert und hapert und sich nicht zu einem bewegten Ganzen fügt. Einem Surfer kann das nicht passieren. Wer ganze Tage in der Tiefebene zwischen zwei Wellenkämmen auf der Lauer liegt, um die beste Welle zu reiten, der wirft sich ganz aufs Meer, und er kommt als ein Ganzes wieder heraus. Dutzende sind es immer noch jetzt im Herbst, schwarze Körper, hier und da ein bunter Fleck. Eine Kolonie seltsamer Seewesen, die sich da draußen niedergelassen hat, in sicherer Entfernung zu Land und Mensch, aber auch zum offenen Ozean. Stunde um Stunde lauern sie auf ihre Wellen. Zehn Sekunden vielleicht reitet die Welle, wer sich im richtigen Moment aufs Brett stemmt, nur die Besten halten sich etwas länger oben beim Meeresrodeo. Die Coolsten von allen sind die Rettungsschwimmer. Sie tun gar nichts. Sitzen reglos da und tragen orangene Westen, darauf steht ihr Ehrentitel: Sauveteur de Biarritz. Die Kapuzen ihrer Hoodies tief in die Stirn gezogen, schauen sie hinaus, das reicht für heute. Nichts los. Am 22. August 1862 war das anders, da war hier was los. Ein groß gewachsener Deutscher, nicht mehr der Allerjüngste mit seinen 47 Jahren, schwamm aufs Meer hinaus, und er war nicht allein. „Die köstlichste aller Frauen“ schwamm mit ihm, so nannte er sie in seinen Notizen: Katharina Orloff, 21 Jahre alt, die Frau des russischen Fürsten Orloff. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie für Otto von Bismarck die Liebe seines Lebens war. Und anscheinend wurde seine Liebe erwidert. Die beiden schwammen an jenem Augusttag hinaus, Bismarck geriet in Seenot und wäre wohl ertrunken, wenn nicht ein baskischer sauveteur – die gab es damals schon – ihn aus den Wellen gerettet hätte. Bismarck war so dankbar, dass er der Patenonkel des Sohnes seines Retters wurde. Nun kann man spekulieren. Was wäre, wenn: Bismarck ertrunken wäre; er nicht den siegreichen Krieg gegen Frankreich 1870/71 geführt hätte; er Napoleon III. und seine Eugenie nicht ins Exil gezwungen hätte; es noch ein Weilchen weitergegangen wäre mit dem französischen Kaisertum und das deutsche Kaiserreich nicht im Spiegelsaal von Versailles ausgerufen worden wäre. Kein WK I? Kein WK II? Alles auf null? Ach, lassen wir das, es bringt ja nichts, schauen wir lieber aufs Meer. Sein wildes, alles übertosendes Rauschen, jetzt im Herbst wird es stärker. Alleiniger, wenn die Sommermusik verklingt. So wie heute der ozeanische Rhythmus in den Schlaf letzter Hotelgäste dringt, so drang er vor Jahrhunderten in die Träume der Männer, die auf Walfang hinausfuhren, in den Schlaf der Frauen und Kinder in ihren Fischerkaten. Wo ist die Belle Époque? Wo der dritte Napoleon? Wo Bismarck? Nur das Meer ist immer noch da. Und Eugenies Sommerpalast. 69 ACCESSOIRES Im Windkanal 1 Jetzt im Oktober heißt es: Raus! Die letzten schönen Tage auskosten. Es ist noch nicht so kalt, dass man dicke Daunen brauchte. Darum hüllen wir uns jetzt besonders gern in Capes. Wir fanden passende Modelle und die richtigen Accessoires zum Flanieren – durch Stadt oder Wald 2 22 3 21 4 13 6 20 14 5 7 8 12 18 19 15 9 16 17 11 1. Gut behütet: Modell „Kate“ von Maison Michel. 2. Kleine Taschen passen über jedes Cape: von Furla. 3. Umhang und Daune gibt’s von Fay. 4. Auf hohen Hacken durchs Laub: Stiefel von Etro. 5. Weich und warm: Stiefel „Abree“ von Ugg. 6. Kaschmir-Geometrie: Cardigan von Barrie. 7. Fransig: Poncho von Iris & Ink (theoutnet.com). 8. Mrs Sherlock Holmes: graues Cape von Miu Miu (mytheresa.de). 9. Gewagt? Nö, gewalkt. Von Marc O’Polo. 10. Trägt sich bestens: Tasche von Giorgio Armani. 11. Gut kombiniert: Kaftan „Camille“ mit Lederfransen von Antonia Zander. 12. Stilvoll wärmen: Handschuhe von Dior. 13. Flotter Biber: mit Fellbesatz von Inès & Marechal (matchesfashion.com). 14. Blau ist und bleibt Trend: Stiefel von Unützer. 15. Kuschelig: Kaschmir-Cape „Murillo“ von Iris von Arnim. 16. Außen grau, innen taupe: aus Double-Face von Joseph. 17. Windundurchlässiges gibt’s von Belstaff. 18. Zwei in eins: Bag-in-Bag-Tasche von Boss. 19. Streifen-Capechen: von Moncler. 20. Nicht nur für Offiziersanwärterinnen: Umhang von Valentino (stylebop.com). 21. Meiner! Burberry verziert den Poncho aus einem Woll-Kaschmir-Mix auf Wunsch mit einem Monogramm. 22. Zugeknöpftes gibt es diesen Winter bei Cos. Schön kurz: Cape „Rocabar“ von Hermès Flausch: Bei Michael Kors Collection gibt’s Capes mit Fellkragen GETTY IMAGES(2);MONTAGE: ICON; ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER 10 FAMILIENSACHE Ganz großer Stoff Wenige Familien haben einen Landstrich so geprägt wie die Zegnas die Gegend um Trivero. Nun kooperiert das exklusive Männerlabel mit Maserati. Philip Cassier und Massimo Rodari (Fotos) haben erfahren, was Italien kann O asen sind aus der Mode gekommen. Was dem Verdurstenden einst in der Wüste Labsal versprach, kann sich heute als 24-Stunden-Schnapshandel entpuppen – oder gar als eine dieser „Wellnessoasen“, die dem Mann für ein paar Handvoll Euro kurzfristige Erleichterung versprechen. Wenn nun eine exklusive Bekleidungsmarke eine ganze Region in den italienischen Alpen als „Oasi“ bezeichnet, könnte man deshalb falsche Schlüsse ziehen: Es liegt nah, zu glauben, das sei ein Ort, an dem im Akkord Füße massiert werden und man bei entsprechenden Gelüsten dazu Würfelzucker in die Ohren gepustet bekommt. Manche Menschen halten so etwas ja für die Krone der Erholung. In Zegnas Oase würde dieses Klientel allerdings so gut passen wie ein Glitzersmoking ins Sonnenblumenfeld. Tiefrot leuchtet beispielsweise der Teppich im Treppenhaus des vorsichtig renovierten Hotels „Bucaneve“, an der Wand des Speisesaals grüßt ein Hirschgeweih in Richtung massivhölzerne Tische. Den Blick hinab auf das von Orange beleuchtete Städtchen Trivero bezeichnet Zegnas „Fashion Communication Director“ Andreas Bergbaur auf Österreichisch als „Äl-Äj Stääihjl“ (Anm. des Übersetzers: L.A.-Style). Doch fragt man sich beim Genuss des Risottos aus Reis und Pilzen, die vor der Haustür gedeihen, ob er seinem Arbeitgeber damit einen Gefallen getan hat; Kalifornien, das ist noch immer eine recht neue Welt. Hier im Piemont aber, auf bis zu 1500 Meter Höhe, zeigt Europa mal ganz nebenbei, auf was für einer langen Tradition es fußt, ohne dabei alt zu wirken Den Effekt könnte das Unternehmen kalkuliert haben. Es geht diesmal darum, die Partnerschaft mit dem Sportwagenbauer Maserati erlebbar zu machen, da sind Tradition und Innovation ein großes Thema. Wie bei der Inneneinrichtung des Modells „Quattroporte S“: Wer mag (und zahlt), erhält eine veredelte Seide aus der Weberei unter dem Dach und in die Türen eingebaut. Die Stoffart ist schon lange bekannt, aber sie so zu behandeln, dass er sich im Fond eines Autos nicht schnell abnutzt, hat Zegna Jahre an Entwicklungszeit gekostet. Keine schlechte Investition – die Landschaft besteht hier im Frühherbst aus allen Arten von Grün, dazu kommen Serpentinen und steile Winkel: Die Augen befinden sich also beim konzentrierten Fahren im Zustand ständiger Überflutung, da wirkt der ruhige Innenraum als entspannender Kontrast. Noch dazu ist das Gefährt trotz seiner vier Türen ein wahrer Sportsmann. Touchiert man das Gaspedal auch nur minimal, geht es sofort brutal voran, da mag die Straße noch so ansteigen, 410 Pferdestärken lassen sich nur mühsam zähmen. Zegnas deutsche Besucher kommen jedenfalls rasch überein, den Job des Fahrens in die Hände des Profis an ihrer Seite zu legen: Pasquale ist ein Mann um die 50, mit Bäuchlein und kurzem, grauem Haar. Sein Kommunikationsbedürfnis belegt, dass man sich südlich der Alpen befindet – und die Inbrunst, mit der er die Worte „Spaghetti Carbonara“ ausspricht, lassen vermuten, dass seine Frau am Herd einiges zu tun haben dürfte. Um das Geschoss zu ergänzen, hat die Firma eine Kollektion herausgebracht. Zentral ist der ultraweiche Nappalederblouson mit den Hightechfaser-Ärmeln, er hält bei offenem Fenster warm und passt sich dem Körper an. Sneaker, Sonnenbrille, Schal, Weekender und Lederwaren runden das Paket ab. Und wie das bei italienischem Design so ist, braucht man keine Angst zu haben, in den Stücken unbemerkt zu bleiben. Fahrer Pasquale befindet passend dazu: „Mit der Brille sieht man aus wie James Bond.“ Daniel Craig trägt als James Bond übrigens Anzüge von Tom Ford, der auch ein Kunde der Lanificio Zegna ist. Den Werbeeffekt nimmt der CEO Gildo Zegna sicher gern mit. Doch das ist nicht der Kern seiner Marke. Obwohl man global mehr als eine Milliarde Euro erwirtschaftet, handelt es sich nach wie vor um ein reines Familiengeschäft. Gildos Schwester Anna beispielsweise kümmert sich um eine Stiftung, ist Image-Beraterin der Group und Mitgründern der „Oasi“, Cousin Paolo ist Vorsitzender der Gruppe – und so geht es weiter. Doch überstrahlt werden sie alle noch immer vom Firmengründer Ermenegildo Zegna. Man kann sagen, dass dieser Mann im schweren Mantel, der 1965 starb, die ganze Region veränderte: Seit er 1910 als 18-Jähriger in die Firma seines Vaters einstieg, der hier eine kleine Weberei unterhielt, blieb in den Bergen buchstäblich kein Stein auf dem anderen. Zegna ließ die Straßen bauen, über die Pasquale nun den Maserati lenkt; er ließ in den 30er-Jahren die Stofffabrik errichten, die noch heute feinstes Tuch produziert; er sorgte dafür, dass seine Arbeiter in einem eigenen Krankenhaus medizinisch versorgt werden konnten; er ließ 500.000 Nadelbäume in die Berge pflanzen – und all das sind nur die sichtbarsten Taten dieses Mannes, der heute auf einem Friedhof mit Sichtachse zu seiner Fabrik liegt. Nostalgiker könnten nun sagen: Das ist tiefstes 20. Jahrhundert, da gab es eben noch Unternehmer, die Kapitalist, Gewerkschaftsboss und Naturschützer in einer Person waren, die glaubten, sie hätten es nur dann am besten, wenn es allen anderen gut gehe. Doch wer so etwas behaup3 tet, der hat die Nachkommen des Gründers nicht erlebt. Was das Zwischen den Gipfeln entstehen einige der besten Stoffe der Welt – manche finden sich neben Leder in Zegnas Capsule Collection für den Maserati Quattroporte S Impressionen aus Zegna-Land: Satte Farben, steile Winkel, ein Maserati mit Sonnenbrille und kommunikativem Fahrer, das erste Geschäft des Unternehmens atmet noch heute in Sachen Interieur den Geist der 30er-Jahre. Anna Zegna gönnt sich im Hauptquartier ein Lächeln (unten), die Fabrik ist stilecht mit Schornstein; Und Zegnas Maßkleidung kann man sich – bei entsprechendem Körperbau – so stark taillieren lassen, dass der Look ins Britische geht 74 3 Arbeitsethos und den Habitus betrifft, könnte man Gildo oder Anna Zegna für – Verzeihung – Protestanten halten. Die Kleidung schlicht geschnitten, kommen sie in Gesprächen direkt zum Punkt – und wenn sie in Trivero sind, essen sie in der Kantine mit den Arbeitern an weißen Tischen Dinge wie Gnocchi. So sehr man sich dann bemüht, aus den Angestellten ein kritisches Wort herauszubekommen, es wird nicht zu hören sein: „Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagt die PR-Referentin Alessia Milan, eine Mittzwanzigerin im Blazer aus der Region, ohne einen Hauch von Ironie. Im sogenannten „Baby Forest“ in der „Oasi“ wird für jedes neugeborene Kind der rund 7000 weltweit Angestellten ein Baum gepflanzt, manchmal im Beisein der Familie; eine merkwürdige Vorstellung, Gildo Zegna da mit einer Schaufel in der Hand ein Loch in den Boden buddeln zu sehen. Doch auch dieses Imperium verändert sich rasant. Im Museum hängen die Anzüge und Mäntel des Firmengründers als Zeugen der Vergangenheit hinter Glas, so massig, dass sie heute auf dem Markt keine Chance mehr hätten. Selbst die hochgeknöpften Stücke aus den Neunzigern wirken schwer – damals verkaufte das Unternehmen längst weltweit eigene Kleidung und stellte nicht nur wie unter Ermenegildo Tuche her. Doch ist derzeit auf dem Markt exklusiver Stoffe für Männer ein Wettrüsten im Gange: Wer stellt die leichteste Ware mit der dünnsten Faser her, die man noch verarbeiten und tragen kann? Zegna ist da mittendrin. Einst brach man die Vorherrschaft der Briten mit ihren schweren Qualitäten – daran gilt es stets anzuknüpfen, denn außer den eigenen Kollektionen beziehen eben Labels wie Tom Ford ihre Stoffe weiter aus Trivero. So wird man in der Fabrik Beobachter eines beinahe absurden Aufwands: Da werden Merino, Seide, Kaschmir und Vikunja angeliefert, Fasern für Kammgarne parallelisiert und Fäden gesponnen, die zu fein fürs bloße Augen sind; da werden Farben und Garne gemischt, Zentimeter um Zentimeter auf vollelektronischen Stühlen komplizierte Muster gewoben, von Frauen in Kitteln kontrolliert, korrigiert, wieder kontrolliert, gewaschen und gebügelt, bis sie endlich aus dem lauten Tohuwabohu der Hallen entlassen werden. Es macht einfach viel Mühe, einen Anzug auf diesem Niveau von der Faser bis zum Knopfloch ganz aus einem Unternehmen anzubieten. Hinzu kommt, dass Luxuskunden nicht dafür bekannt sind, Abstriche zu verzeihen, es muss also ein geradezu Oli-Kahn’scher Druck herrschen. Die zweite bedeutende Herausforderung kann das Unternehmen nicht allein im Zegna-Land meistern. Längst hat die digitale Revolution dafür gesorgt, dass sich die ganze Idee des Exklusiven gewandelt hat – das, wofür man früher ein Geschäft aufsuchen musste, kann man heute mit ein paar Klicks kaufen. Spricht man Anna Zegna hinter ihrem weißen Schreibtisch im ultramodernen Mailänder Hauptquartier darauf an, so wird sie zunächst leicht unwillkürlich mit dem Kopf nicken. Selbstredend, erläutert sie dann, müsse eine Firma wie die ihre im ECommerce und überhaupt im Netz präsent sein: „Die meisten Informationen kommen ja dort her.“ Ihr Bruder Gildo hat dazu einmal gesagt, man könne profitieren, weil Männer sich dadurch auch immer mehr mit ihrem Äußeren beschäftigten. Doch abseits dieser Strategie baut Zegna sein Geschäft mit Maßkleidung aus. Nicht nur im Mailänder Flagshipstore gibt es dafür eine eigene Etage. Wer sich hier am langen Holztresen in die Hände Angelo Semeranos begibt, merkt sofort, was hinter dem Konzept steht: Man will ein Gesicht zum Anzug präsentieren – in Semeranos Fall sieht es aus wie das des jungen Robert „I make him an offer no refuse“ De Niro; man will eine Geschichte erzählen, und man will einen Begleiter bei der Auswahl zur Verfügung stellen. Speziell der letzte Punkt scheint wichtig zu sein: Semerano beginnt seine Sätze oft mit einem „In diesem Fall schlage ich vor ...“, denn die Möglichkeiten können selbst modebewusste Italiener überfordern, von Deutschen wollen wir hier nicht reden. Viele reguläre Konfektionsanzüge können mit einem Preisaufschlag nach Maß geordert werden, es gibt zwei Macharten: Bei der einen kommen mehr Maschinen zum Einsatz, bei der anderen wird alles, was geht, mit der Hand geschnitten und genäht. Drei Wochen braucht Zegna vom Messen und Besprechen der Passform bis zum Ausliefern. Das ist weniger als bei der Konkurrenz. Doch manchem ist das noch immer nicht schnell genug – ein russischer Kunde, der 20 Stück kaufen möchte, will gerade von einem von Semeranos Kollegen wissen, warum er warten müsse. Darauf gäbe es nun viele Antworten – die beste aber stammt aus der Familie. Auf die Situation angesprochen, zitiert Anna Zegna im Interview ihren Großvater Ermenegildo. Der erklärte ihr, es sei besser, Zeit und Geld in höhere Qualität zu investieren, weil die von größerer Dauer sei und dadurch wieder günstiger werde. Dann gönnt sich die Frau im Hosenanzug die Andeutung eines Lächelns: „Eigentlich könnte man sich mal fragen, was man mit 20 neuen Anzügen machen will. Man kann sie ja nicht alle auf einmal anziehen.“ So sprechen Menschen, die von sich behaupten können, eine echte Oase geschaffen zu haben. Lay your trust in the world´s finest white T-shirt. Andreas Murkudis/Berlin, Stiesing/Bremen, Schlösser/Hannover, Schnitzler/Münster, Wirschke/Düsseldorf, Engelhorn/Mannheim, Breuninger Stuttgart/Nürnberg, Lodenfrey/München, Sträuli/Zürich, Sagmeister/Bregenz, Astile House/Tokyo. www.meystory.com MIT DICKER SCHRIFT ES KÖNNTE DER ELBSTRAND SEIN. ODER DER VON SYLT. DER NORDEN HAT JIL SANDER, GEBOREN IN WESSELBUHREN, GANZ NAH DER KÜSTE, GEPRÄGT UND NIE HAT SIE IHN BEI ALLER INTERNATIONALEN KARRIERE VERLASSEN ODER VERLEUGNET. DAS NORDDEUTSCHE IST BEI IHR IMMER DER INSTINKTIVE PERFEKTIONISMUS, DAS GESPÜR FÜR PROPORTIONEN, DIE ÄSTHETIK. UND DIE MODERNITÄT, DIE SICH IM RÜCKBLICK ZEIGT. IRVING PENN HAT IHRE BADSERIE FOTOGRAFIERT! SIMS, MCDEAN, SCAVOLO, KNIGHT UND IHR GUTER FREUND PETER LINDBERGH: GANZ FRÜH SCHON HAT SIE MIT DEN GROSSEN FOTOGRAFEN GEARBEITET. DABEI WAR IHR ANSINNEN STETS, DASS MODE „NICHT SO OFFENSICHTLICH“ SEIN DÜRFE. INGEBORG HARMS HAT PETER LINDBERGH AUFGESCHRIEBEN, WIE ALLES BEGANN 77 lles in Jil Sanders Karriere scheint sich beiläufig und wie von selbst ergeben zu haben. Immer soufflierte der Instinkt ihr den nächsten richtigen Schritt. Die Räumlichkeiten für ihre erste Boutique boten sich ihr an, als sie eine Freundin in Hamburg in ein Lampengeschäft begleitete. Der Besitzer erwähnte plaudernd, dass er an den Mittelweg umziehen und seinen aktuellen Laden vermieten wolle. „Dann nehme ich den!”, sagte Jil Sander ohne nachzudenken, machte die kühne Eingebung wahr und stieg 1968 in die Selbstständigkeit ein. Ganz ähnlich klingt die Geschichte ihres ersten Parfüms. Die junge Frau mit der feinen hellen Haut debütierte 1974 vor der Kamera des Stern-Fotografen Werner Bockelberg als Model für CD-Seife („An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD”). Kurz darauf meldete sich ein Headhunter, um sie für eine Estée Lauder-Werbung zu gewinnen. „Nein”, sagte sie spontan, „so etwas würde ich gern selber machen”. Und so, setzt sie im Rückblick auf die Genese ihres ersten Parfüms hinzu, „ging die Kosmetikgeschichte los.” „Woman Pure” kam drei Jahre später auf den Markt und war wie alles bis ins kleinste Detail von ihr mitgestaltet worden. Jürgen Scholz, der mit seiner Agentur Scholz & Friends gerade nach Hamburg gezogen war, übernahm die Werbekampagne. „Wenn Sie so dahinterstehen, dann bewerben Sie es doch selber”, schlug er vor. Auch Peter Schmidt, der den Flakon entwarf, drängte dazu, „dass sie mit ihrem tollen Gesicht die Werbung trägt”. Also A 78 flogen sie nach Paris zu Guy Bourdin, einem der renommiertesten Modefotografen seiner Zeit. Doch dieser sex- und popfarbenverliebte Helmut Newton auf Speed vermochte der verhaltenen Aura der Hamburgerin nicht gerecht zu werden. Nach dem Flop brachte die spätere „Vogue“-Chefin Angelica Blechschmidt den Amerikaner Francesco Scavullo ins Spiel. „Ich musste in New York meinen Kopf hinhalten”, erinnert sich Jil Sander. „Ich war sehr nervös, es ging um viel Geld. Es stellte sich auch noch ein Zucken in meinen Gesichtsnerven ein, das ein Heilpraktiker in China Town beseitigt hat. Und dann war es ein solcher Erfolg. Vielleicht hat man etwas über das Aussehen erreicht. Durch die Glaubwürdigkeit.” Die Zeitschriftenkampagne lief auf einer Doppelseite, links das Porträt der Designerin mit bloßen Schultern, ungeschützt, nackt wie Yves Saint Laurent für seinen „Opium”-Auftritt, rechts der Flakon auf schwarzem Grund. Das Spiegelverhältnis sagte alles: Ihre Essenz steckte in dieser magischen Flasche. Die Besessenheit, mit der Jil Sander die Produktgenese begleitete, machte sich bezahlt. Auch in den für ihre Avantgardemode schwierigen 80er-Jahren unterstützte sie das Parfümgeschäft. Sie hatte auf dem deutschen Markt eine Revolution eingeleitet. Zu einer Zeit, in der sich die Damen französische Duftwolken wie Shalimar und Mitsouko aufsprühten, modernisierte sie den Geruchssinn: „Als jemand aus dem Norden bin ich empfindlich mit Gerüchen, viele finde ich zu haftend und intensiv. ,Woman Pure’ war von einer pudrigen Leichtigkeit. Es war ungewöhnlich, seine Essenzen 3 hatten einen schönen Zusammenklang. Ich muss in den PETER LINDBERGH Am Strand von Arles in der Camargue hat Peter Lindbergh 1993 die Porträtserie auf dieser und den folgenden Seiten seiner guten Freundin Jil Sander aufgenommen FRANCESCO SCAVULLO (PORTRAIT) UND IRVIING PENN (STILL) FÜR DIE JIL SANDER PARFÜM KAMPAGNE PETER LINDBERGH Barfuß im Sand. Ein Moment und ein Lebensgefühl. Alles immer möglichst pur. Die Nähe zum Wasser hat Jil Sander geprägt 3 Gesprächen mit Scholz & Friends immer ,pure, pure, pure’ gesagt haben. So kam der Name zustande.” Längst ist der nicht mehr erhältliche Duft zum Mythos geworden, neben „Jil Sander Sun“, der noch heute ein Selbstläufer ist, ist er für einen großen Teil der Fanpost verantwortlich, der sich Jil Sander, vor allem in Internet-Blogs, weiter erfreut. Für den „Woman Pure“-Flakon fuhr Peter Schmidt nach Italien: „Ich war wochenlang in Parma und habe von den Handwerkern dort erst richtig gelernt, wie man mit Glas arbeitet. So sind enge Freundschaften entstanden. Das war die schönste Zeit meines Lebens. Sie haben mir Mut gemacht, diesen Flakon zu entwickeln. Die hatten auch eine Sehnsucht nach einer neuen Form. Die Spitzen an den Außenflächen sind so ausgereizt, dass wir am Anfang nur Bruch hatten. Trotzdem haben wir es durchgesetzt.” Für das Parfüm entstand ein perfekter Kubus mit vier quadratischen Seiten, das Eau de Toilette nahm die Gestalt eines aufrechten Doppelwürfels an. In ihrer Schwere, massiven Dichte und konstruktiven Klarheit waren die Flakons von zukunftsweisender Klassizität. Die Wahl von Frosted Glas gab ihnen eine elegante, vornehme Aura, während die kantige Form auf sublimierte Weise an industrielle Kolben, kondensierte Kraft und das Einrasten technischer Gelenke denken ließ. Dieser spannungsvolle, wahrhaft androgyne Flakon hatte nichts mit dem Themenspektrum schwüler Nächte und üppiger Boudoirs zu tun, die damals die Duftproduktion inspirierten. Statt von ätherischen Valeurs und femininem Geheimnis sprach „Woman Pure” von einer klar umrissenen Persönlichkeit mit strahlendem Kern. „Es war bei uns überhaupt nicht so üblich, den Unterschied zwischen Mann und Frau hervorzuheben”, bemerkt Peter Schmidt, “auch nicht in den Düften”. „Ich bin immer sehr von mir selber ausgegangen”, kommentiert Jil Sander die spätere Pflegeserie „Face Pure". „Ich bin viel geflogen. In der Parfümerie erhielt man für die Haut eine ganze Tüte mit Produkten. Ich wollte die Gesichtspflege einfacher gestalten und bin von der sensiblen normalen Haut ausgegangen. Ein dermatologisches Institut in Wien hat uns unterstützt.“ Peter Schmidts Flakon-Briefing durch Jil Sander war sehr bezeichnend für die Königin des Weniger: „Sie hat angefangen mit allem, was sie nicht haben möchte. Nicht den Wiener Chic, dessen Auswüchse in den Parfümerien standen, darüber würde man heute nur lachen.” Jil Sanders kreative Entscheidungen waren instinktiv subversiv, auch wenn sie, die ihre Marke im Jahr der Studentenbewegung gründete, „für Revolte keine Zeit hatte”. Denn ihr Auge war unbestechlich und bedingungslos modern. „Es ist immer beweglicher und feingliedriger geworden”, sagt sie heute. Ihre Subversivität war dialektischer Natur, auf ihren Marsch durch die Parfümerien und Boutiquen vergaß sie nicht, Tradition und Handwerk mitzunehmen. In einer Modewelt, die sich anschickte, zur Massenproduktion zu werden, setzte sie als eine der ersten in Deutschland auf Prêt-à-porter und verbannte doch die damit einhergehende Nichtigkeit aus ihren ornamentlosen Entwürfen. Dass Peter Schmidt für „Woman Pure“ die Glasbläserei in Parma studierte und über Scherbenhaufen zum Erfolg schritt, war ihr gerade recht. Sie lud Handwerk, Solidität 3 Es war eine Sensation, etwas ganz Neues, dass Jil Sander selbst für ihre Kosmetik- und Parfümlinie warb. Den Anfang machte der Duft „Woman Pure“. Die Kampagnenfotos (links) wurden unter anderem von Irving Penn geschossen. Das „Frottee“-Porträt der Modeschöpferin selbst ist von Francesco Scavullo 81 PETER LINDBERGH SHALOM HARLOW BY CRAIG MCDEAN FOR JIL SANDER S/S 1995 LOOKBOOK Die Aufnahme folgte aus einer Laune heraus, aber man darf sie auch symbolisch verstehen. Denn so ikonisch Jils Sanders Porträt in der Kosmetik-Werbung wurde, so ungern lässt sie sich eigentlich fotografieren 3 und Erfahrung in ihr Zukunftslabor ein. „Mach etwas ganz Kräftiges, Starkes, nichts Schwächliches, sonst kriegen wir auch die entsprechenden Frauen”, diktierte sie ihm ihren Markenschriftzug. „Das Logo durfte alles sein, nur nicht verspielt”, sagt Peter Schmidt: „Als ich dann mit meinem Assistenten vor einem Briefbogen saß, habe ich gesagt, wir müssen einfach den Raum gebrauchen mit der dicksten Schrift, die wir finden.” Indem der Assistent die Order befolgte und so die Jil-SanderBlockschrift kreierte, schlug er eine Brücke zwischen Modeästhetik und der neuen Macht politischer Plakate und Pamphlete, die rund um Hamburgs Universität gang und gäbe waren. „Wir hatten einen verrückten Werbetexter”, erzählt Peter Schmidt, „und als er den Schriftzug gesehen hat, sagte er, den müssen wir am Flughafen anbringen: ‚Jil Sander, zieh uns Nackte an!’ Weil wir lieber nackt sein wollten, wenn sie uns nicht anzieht. Dieses Plakat hat es dann auch wirklich gegeben, es war ganz aus dieser Schrift gemacht, das war eigentlich die Taufe des Labels. Wir waren ja auch so kleine Revoluzzer, oder große, und haben nach Deutlichkeit verlangt.” Die Schwarz-Weiß-Ästhetik der ersten Jil Sander-Kampagne, das Direkte und schnell Erfassbare stehen in der Tradition der Neuen Sachlichkeit, die im Interesse der Klarheit den Effekt nicht unterschätzte. „Der Schriftzug ist ja keine Satzschrift”, betont Peter Schmidt, „er ist ja modifiziert, wenn Sie ihn genau anschauen. Da sind ganz kleine Ausspitzungen, die die Schrift noch schärfer machen. Das konnte man sich nur mit Jil leisten, weil sie auch total verrückt mit ihren Nähten war, das waren ja die schönsten der Welt, Doppelnähte und so weiter, das war alles Wahnsinn. Als ich ihr die Ausspitzungen an den Ecken gezeigt habe, das hat sie geliebt!” Bei dieser Lösung kam Peter Schmidt seine Lithographielehre an der Kunsthochschule Kassel zugute, die noch von der Bauhaus-Tradition profitierte: „Man arbeitete seitenverkehrt auf Stein, und um die Schärfe zu erreichen, haben wir Ausspitzungen gemacht.” Jil Sander selbst spricht mit Blick auf ihren Schriftzug von einer „energetischen Typo”. Auf den Einwand, dass es sich bei den ausgespitzten Ecken fast schon um Dekor handelt, sagt sie entwaffnend: „Funktionalität ist wichtig, aber nicht absolut”. Und vielleicht ist gerade dies das Geheimnis Jil Sanders, dass sie dem Seriellen eine Seele gibt. Immer wieder kommt sie auf die Energie in der Reduktion. Das verbindet sie mit dem Geist der Moderne, der Naturwissenschaft, die in ihren Formeln nach der einfachsten möglichen Lösung sucht, getreu der Devise: Less is more. Dieses Beharren auf der der richtigen Lösung wirkte sich auch auf die Wahl ihrer Sparringpartner aus. Was ihr als Unternehmerin half, war ihr immenses Gespür für Talente. Denn wer an den Schlüsselstellen richtig besetzt, kann sich die Nachbereitung sparen. Für die Modefotografie nahm sie den jungen David Sims, für die Gestaltung ihrer Geschäfte den Minimalisten Michael Gabellini, für eine Fotoserie, die ihre Persönlichkeit einfangen sollte, ging sie mit Peter Lindbergh an den Strand. Und für ihre „Bath & Beauty”-Kampagne wünschte sie sich keinen Geringeren als Irving Penn, den weltbesten Porträtfotografen. „Das war mein 3 Traum.” Er setzte die Bodycream so berückend ins Licht, Kaum zu glauben, dass diese Kampagne 20 Jahre alt ist: Shalom Harlow fotografiert von Craig McDean für das Jil Sander Frühjahr/Sommer 1995 Lookbook 83 3 dass man mit Jil Sander, die auf der Spiegelseite wie ein Boxer mit Frotteehandtuch auf bloßen Schultern figurierte, in der Steam Lounge zu sitzen meinte. Zeitgleich mit der Gründung des Jil Sander-Labels kam in den USA Clinique auf den Markt, eine Pflegeserie, die inhaltlich und optisch auf Natürlichkeit und klinische Nüchternheit setzte. Ihr Geist entsprach dem „American Sports Girl”, das in den 20er-Jahren als mühelose Alternative zur Sufragettenbewegung Furore gemacht hatte und derzeit auch auf das deutsche Frauenbild Einfluss nahm. Am kalifornischen Strand konnte man dieser athletischen Gestalt des Weiblichen in Reinkultur begegnen. Für Jil Sander, die nach ihrer Ausbildung zum Textilingenieur als Austauschstudentin zwei Jahre in Los Angeles verbrachte, musste sie eine Offenbarung gewesen sein. Ihr Design übersetzte die attraktive Nacktheit des Beach Girls in europäische Kleider und distinguierte Produkte. Insofern hatte der verrückte Werbetexter ganz recht, sie zog Nackte an, ohne das Bedürfnis des Körpers nach freier Bewegung zu vergessen. Was schließlich ihre Vision von etwas „Kräftigem, Starken” für ihren Markenschriftzug betrifft, so ist er der in Kalifornien allgegenwärtigen Billboard-Ästhetik vergleichbar. Ihre Nagellack-Fläschchen und Lippenstifte gestaltete sie revolutionär klein, damit erstere nicht austrocknen und letztere in die Hosentasche passen. Dass sie in der Magazinwerbung dann trotzdem und erst recht übergroß, wie Blickfänge am Straßenrand auftraten, war auch ein Gruß an die transatlantische Werbekultur. Das graphische Denken überhaupt und ein Gefühl für visuelle Aussagen führt Jil Sander vor allem auf ihre 84 Redaktionstätigkeit zurück. Dabei war ihr Ziel von Anfang an statt Bauernfängerei das Coaching: „Als Moderedakteurin habe ich auch das Missionarische erlernt, nicht nur gegenüber dem Konsumenten, auch im Gespräch mit den Herstellern. So bin ich überhaupt zum Design gekommen.” Doch auch die Multiplikatoren wollten vom Jil Sander-Duft erst überzeugt werden. Die Designerin erinnert sich an ein Treffen mit den „Douglas”-Chefs und die entgeisterte Frage: „Finden Sie die Flasche wirklich schön?” Der Duft kam trotzdem ins Programm. „Man kann sich gar nicht mehr vorstellen”, sagt Peter Schmidt, „wie radikal das damals für Douglas war”. Als einmal drei der bedeutendsten deutschen Produktdesigner in einer Jury beisammen saßen, fiel die Bemerkung: „Peter Schmidt haben wir verloren. Der macht jetzt Parfüm-Flakons.” Eine fataler Fehler, denn nicht auf das Was, auf das Wie kommt es an. Jil Sander ging das frivole Geschäft der Mode mit der Ernsthaftigkeit eines Buchumschlaggestalters oder Karosseriedesigners an. Das war völlig neu, und deshalb sind auch ihre Flakons bis heute Ikonen und die Düfte Legenden. „Woman Pure“ war im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt. „Da ist so eine Zeitlosigkeit in meinen Entwürfen”, bemerkt sie in ihrem gedämpften, fast kritischen Tonfall über den vor ihr ausgebreiteten Kampagnenstrecken. „Vielleicht, weil ich Antimode bin und die Trends auf meine Art interpretiere, nicht so offensichtlich.” Ihr Wegbegleiter Peter Schmidt spricht von einem „erhabenen Gefühl”, das tief im Jil Sander-Brand steckt: „Das kriegt man Gott sei Dank auch nicht mehr weg, da können die machen, was sie wollen”. PETER LINDBERGH Im Jahr 2007 kam Stylessence auf den Markt. Der dunkle, lila schimmernden Flakon deutet es an: Nichts für kleine Mädchen, dieser Mix aus Orangenblättern, Petitgrain und Kardamom „Kein Mensch braucht ein Che-Guevara-Sofa“ Was haben Roman Abramowitsch, Roland Berger, Rupert Murdoch, Calvin Klein und Bryan Adams gemeinsam? Sie leben in Christian-Liaigre-Design. Jetzt eröffnet der französische Gezähmte Grandeur: der Stil des Möbeldesigners Christian Liaigre zeigt sich etwa im Ferienhaus von Galerist Larry Gagiosian auf St. Barth, der Rupert Murdoch-Yacht „Rosehearty“ und im Hotel „Puerta America“ in Madrid (von links) 86 INTERTOPICS; GETTY IMAGES; CHRISTIAN LIAIGRE Edel-Einrichter auch eine Dependance in Deutschland. Silke Bender fühlte vor C hristian Liaigre ist Distinktion auf zwei Beinen. Schlank, vornehm, zurückhaltend hat er die tadellose Haltung eines Dressurreiters. Ton in Ton sind das dunkelblaue Jackett und die Wildlederschuhe, die Jeans selbstverständlich nicht blau sondern makellos cremefarben. Bevor Liaigre als Autodidakt zum Möbeldesigner und Einrichter der internationalen High Society wurde, studierte er Kunst in Paris und verließ die Stadt während der „idiotischen Studentenrevolution“ 1968 wieder, um zehn Jahre lang Pferde in der Vendée zu züchten. Seine in französischen Manufakturen hergestellten Möbel sind etwa so wie er: Mit dem zeitgenössischem Zügel gezähmte Grandeur. Schlichte Formen, dezente Farben, noble Materialien und eine perfektionsgetriebene, handwerkliche Ausführung bis in den letzten Nadelstich. Wir sprachen mit dem sehr selbstbewussten Designer über die Modernität des 18. Jahrhunderts und die innere Sicherheit des Geldadels. 30 Jahre nach Gründung Ihres Hauses kommen Sie nun auch nach Deutschland. Sind wir jetzt erst reif für französischen Luxus? So kann man das nicht sagen (lacht). Wir haben erst seit 2009, durch den Verkauf an die Rothschild-Gruppe, die Möglichkeit zu expandieren, und haben dann drei Jahre lang nach einer guten Adresse in München gesucht. Warum gerade München? Alle unsere bisherigen Kunden aus Deutschland kommen aus München. Familie Strehle, Familie Roland Berger. Also lag es nahe. Wie empfinden Sie als Franzose den deutschen Wohngeschmack? Er ist nicht anders als überall. 90 Prozent unserer Kunden sind Ausländer, viel reisende und erfahrene Menschen. Die meisten sind auch Sammler und wählen unseren Stil, weil er unaufdringlich ist und die Kunst im Raum aufwertet, statt mit ihr zu konkurrieren. Ihre Kunden sind dabei jedoch ziemlich heterogen – was ist der gemeinsame Nenner von Karl Lagerfeld, Roman Abramowitsch und Bryan Adams? Und warum glauben Sie, möchten diese Menschen in Christian Liaigre leben? Vielleicht, weil wir nie den Trends hinterhergelaufen sind oder versucht haben, welche zu kreieren. Ich glaube, wir stehen für so etwas wie neutralen, zeitlosen Chic. Es gibt Menschen, die sich in diesen Kreisen bewegen und nicht trendy sein wollen. Mit dem, was wir wollen und tun, sind wir wohl am ehesten mit Hermès zu vergleichen. Gibt es also keine nationalen Unterschiede mehr in Fragen des Geschmacks? Die Codes im Luxus sind global geworden, ja. Zudem kennen sich meine Kunden meist untereinander, das führt zu Mund-zu-Mund-Propaganda. Meine erste berühmte Kundin war Carole Bouquet, dann kamen andere Schauspieler und so entwickelte sich das. Wie bekommen Sie den Spagat hin, einerseits erkennbar Christian Liaigre zu sein und für jeden dieser Kunden dennoch das Besondere, Individuelle zu geben? Ich bin wie ein Schriftsteller, der die gleiche Handschrift hat, aber immer wieder eine neue Geschichte erzählt, in die die Biografie der Kunden eingebunden wird. Es ist meistens gar nicht einmal so kompliziert: Meine Kunden haben mehrere Häuser und keine Zeit sich lange mit Einrichtungsfragen zu beschäftigen. Man trifft sich ein paar Mal und dann geben sie mir einfach einen Schlüssel und die Carte blanche. Richten Sie diese Wohnungen oder Häuser dann einfach so ein, wie Sie das für sich persönlich tun würden? Im Prinzip schon – die Frage, die ich klären muss, ist meist nur: Wollen die Bewohner viele Gäste empfangen oder nicht? Braucht man einen großen Ess- und Sitzbereich oder nicht? So etwas. Apropos sitzen: Die Sitzstreiks im Paris der 68er haben Sie, damals noch Kunststudent, weglaufen lassen ... Was für eine idiotische sogenannte Revolution! Ich kam nach Paris, um Malerei zu studieren und zu lernen. Und ein Jahr ging gar nichts mehr. Tagelange Diskussionen in den Auditorien – alle taten politisch und wollten eigentlich nur Party machen. Sie waren 23 Jahre damals, wollten Sie nicht auch Rock ’n’ Roll? Nö. Ich war extrem begeistert von der Kunst und Malerei. Es war eine Revolution, die mich nicht betraf und die ich nicht brauchte. Ein Jahr lang war das Land lahmgelegt von diesen Volltrotteln. Als mein Großvater starb und niemand sich um das Gestüt kümmern wollte, bin ich also zurück aufs Land gegangen, um die Geschäfte zu übernehmen. Und wie sind Sie von dort zur Inneneinrichtung gekommen? ‚Elle‘ war damals das einzige Magazin in Frankreich, das regelmäßig einige Seiten über Interior Design brachte. Ein mit mir befreundeter Fotograf bat mich, die Studiodekoration für ihn und die Fotostrecken zu machen. Damals sah die Möbellandschaft noch ziemlich dürr aus: Zwischen Antiquitäten und den modernen Klassikern gab es fast nichts. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, immer nur Knolls zu inszenieren, und fing an, selbst Möbel zu entwerfen. Inspiration finden Sie im 18. Jahrhundert? Es war das kreativste Zeitalter im Interior Design! Dort wurden die raffiniertesten Holzvertäfelungen entwickelt, kunstvolle Türschlösser, die gesamte Kunstfertigkeit der Möbelgestaltung kam zur vollen Blüte – das war eine moderne Revolution für die Epoche und französisches Design setzte weltweit Maßstäbe. Sehen Sie Parallelen zwischen der Zeit des Sonnenkönigs und seinen Nachfolgern und dem Geschmack der Oberschicht heute? Wie die Könige und Kirchenoberhäupter früher, wollen auch die Firmenchefs heute ein Interieur haben, das ihre Macht widerspiegelt. Das Kunstsammeln ist heute das beliebteste Statussymbol in diesem Club, und mir fällt auf, dass Manager oft nicht kaufen, worauf sie Lust haben, sondern was der Repräsentation nach außen dient. Und wie bereits seit dem 18. Jahrhundert beauftragt diese internationale Klientel französische Inneneinrichter. Welcher Wohnstil hat Sie geprägt? Mein Vater war Tierarzt in der Nähe von La Rochelle, das war damals eine stark protestantisch geprägte Region. Reichtum zu demonstrieren war ein Tabu. Innenräume waren fast schon klösterlich karg, dafür aber die wenigen Stücke darin exquisit. Diese aufgeräumte, diskrete Schlichtheit habe ich wohl verinnerlicht. Ich kann gar nicht sagen, warum ich einen Tisch, ein Sofa oder einen Stuhl heute so oder so entwerfe, der kreative Prozess bleibt für mich immer noch ein Mysterium. Warum haben Sie eigentlich nie für Hermès gearbeitet? Es gab eine Zeit, als Hermès mit seiner Wohnkollektion anfing, da wäre es fast dazu gekommen. Allerdings war die Frau des damaligen Präsidenten selbst Interior Designerin, und ich glaube, sie war neidisch auf das, was ich bereits schon lange machte (lächelt). Gibt es etwas, was Sie im zeitgenössischen Design ärgert? Oh ja, diese um Show-off bemühten Interieurs. Diese Fußballspieler-Kultur. Sie hatten noch keine Anfragen von Fußballspielern? Nein, dafür fehlen mir wohl die Tätowierungen (lacht). Immerhin – mit Bryan Adams haben Sie einen Rockstar im Kundenkreis ... Er ist aber eher ein klassischer Typ, genauso übrigens wie Mick Jagger. Auch die Rolling Stones sind Konservative nach Gutsherrenart. Wenn Sie in Jaggers Schloss in der Touraine kommen, würden Sie niemals glauben, dass dort ein Rock ’n’ Roller wohnt. Dagegen das Haus von Lenny Kravitz in Paris – das Paradebeispiel dessen, was ich im heutigen Interieur verabscheue. Trendheischendes, Grelles, Poppiges. Eine Lampe mit vergoldetem Maschinengewehr, wie sie Philippe Starck machte – einfach nur vulgär. Wer will denn schon im Show-off und in Zeichen der Gewalt wohnen? Ein schönes Zuhause bedeutet für mich eine Oase der Ruhe. Man kann das Maschinengewehr als Kommentar gesellschaftlicher Verhältnisse lesen ... Aber Möbeldesign, so finde ich, ist nicht das richtige Medium dafür. Dafür gibt es Schriftsteller, Sänger, Maler oder Filmemacher. Kein Mensch braucht ein Che-Guevara-Sofa. Und wie war Ihre Zusammenarbeit mit Karl Lagerfeld? Wir haben einige Möbel für sein Haus in Paris entworfen und das Konzept für das Haus in Biarritz. Es ist eine meiner schlimmsten Erinnerungen. Wie er sich manchmal in Wut hineinsteigerte. Uff, schwierig. Sie wissen schon, dass ich das aufzeichne? Ach, ich sollte vielleicht nicht so daherreden über Kunden, aber was soll’s. Sie sind dieses Jahr 70 geworden. Keine Lust, sich zurückzuziehen? Das wäre ja langweilig, ein Leben ohne Arbeit. Doch ich habe mein Kreativteam erweitert, heute unterstützen mich meine Frau Deborah und eine deutsche Mitarbeiterin, Frauke Meyer. Sie arbeitet bereits seit 18 Jahren mit mir. Ich habe sie bei einem Studentenwettbewerb entdeckt, wo ich in der Jury saß. Beide haben durchaus ihren eigenen Stil, der aber den Geist weiterträgt. 87 DESIGN schönsten von ihnen genauer angesehen Spot an für die Ecke! Architekten wie Daniel Libeskind oder Frank Gehry sind durch sie berühmt geworden, kürzlich wurde Libeskinds erstes Wohngebäude in Berlin eingeweiht – ein Block mit mächtig spitzem Winkel. Doch in der Inneneinrichtung werden Ecken vernachlässigt. Dunkel oft, schenkt ihnen kaum ein Designer Beachtung. Dabei ist das Sofa längst von der Wand in die Mitte des Raumes gewandert, die Essecke in der offenen Küche als Verlängerung des Arbeitsbereiches angekommen. Viel Raum für neue Lieblingsecken! Zum Beispiel mit einem Regal, das wie ein Vogelhaus auf Stelzen thront und im rechten Winkel einer Zimmerecke lehnt. Es dient als Zwischenablage für „ungenaue Gegenstände“, so Designerin Marie Dessuant, deren „Étagère de Coin“ das Ergebnis einer Forschungsarbeit über das Fantasieren und dessen Platz im Alltag ist. Lila Jang, Designerin aus Südkorea, lässt ihr Canapé die Wand hinaufklettern, wodurch ein Teil der Sitzfläche automatisch zur Rückenlehne wird. Designerin Aljoud Lootah aus Dubai entwirft Möbel, die wie Skulpturen jede Ecke zum Hotspot werden lassen. Ihre „Oru“-Serie bezieht sich dabei auf das japanische Falten (= oru). „Die Idee war, zu zeigen, dass man aus einem zweidimensionalen Papier dreidimensionale Formen und Objekte gestalten kann“, erklärt Lootah, die ihre Entwürfe am Ende aber doch aus Holz und Filz fertigt. Die niederländischen Produkt-Designer Peter van der Jagt, Erik Jan Kwakkel und Arnout Visser haben mit „DTile“ eine Nische gefüllt: „Kacheln sind flach, aber die Welt ist rund“, stellen sie fest. Weswegen sich ihre Erfindung in Küchen, Bädern, Bars oder Restaurants (unter anderem in Philippe Starcks „La Cocotte“ in Paris) über spitze Ecken und scharfe Kanten schlängeln. „Edgy“ könnte man das Sofa von Ron Arad finden, das er jüngst entworfen hat. „Ich bin durch die Straßen von Tel Aviv spaziert und da stand diese alte Matratze auf dem Gehsteig“, berichtet der britische Architekt und Designer und zeigt eine Handy-Aufnahme von seiner Inspirationsquelle. Friedrich Hebbel hat es einmal so formuliert: „Jedenfalls ist es besser, ein eckiges Etwas zu sein, als ein rundes Nichts.“ Ordnungs-Stab: Garderobe von Kkaarrlls (Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe) Klettermaxe oder Lieblingsecke: Canapé von Lila Jang Winkeln ein Comeback. Esther Strerath hat sich die die Ecke Toter Winkel? Nicht mit der Wandleuchte „Wall Lamp“ von anothercountry.com Matroschka-System: Metallregale „Corners“ von Kyuhyung Cho. Über menu.as 88 Eckige Sache: An einer Straßenecke entdeckte Ron Arad die Ur-Version seines Matratzen-Sofas für Moroso Auf Zack: Futuristische Version eines fliegenden Teppiches „Tapisofa“ von Olivier Gregoire 3-D-Schminkspiegel „Anamorphosis“ von Valérie Windeck. Über atelierdexercices.com Hochsitz für Gegenstände: Eckregal „Etagère de Coin“ von Ligne Roset Spitzenstuhl von Aljoud Lootah Ab in Lange vernachlässigt, feiern Möbelstücke mit spitzen FRAU UND MANN Grenzgänger Alexandra Maria Lara und Sam Riley sind Schauspieler – und außerdem ein Paar. Für uns präsentieren sie Mode dort, wo Deutschland vor 25 Jahren sichtbar die Teilung überwand: An der Glienicker Brücke, die Berlin und Potsdam verbindet Foto: Edith Held Assistenten: Kosta Tzaniilidis & David von Kampe Haare/Make-up: Sonja Shenouda c/o Bigoudi Styling: Daniel Sartore Produktionstrailer: Mike Car Connection Wir danken dem „Wirtshaus Moorlake“ in Berlin D 90 as Schönste ist hier, dass dieser Ort, an dem all diese Monstrositäten passierten, heute nur noch die Kulisse für Fotos ist. An der ehemaligen innerdeutschen Grenze, wo Berlin und Potsdam sich so nah sind wie sonst nirgends, steht sie: die Glienicker Brücke. Schauplatz vielmaligen Agenten-Austausches – so im Jahr 1986 des letzten echten, filmreifen zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Unten fließt die Havel, beim OstWest-Deal genau wie heute. Damals gammelte von der Westseite im Park Glienicke das Johanniter Tor mit den Löwen vor sich hin. Heute funkeln die Raubtiere frisch vergoldet als Teil des Unesco-Weltkulturerbes Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin. Touristen flanieren über die (Stadt-)Grenze, die so bedrohlich war, zücken die Kameras und sind mit Recht erfreut darüber, dass in Potsdam nun auch restaurierte Klassizismus-Villen locken. Edith Heldt zückt ebenfalls die Kamera. Die Umgebung ist ihr allerdings nicht Kulisse für einen Agentenstoff, wie sie es vor knapp einem Jahr war: Da drehte Steven Spielberg „Bridges of Spies“ (im Kino Anfang 2016) und sogar Angela Merkel schaute vorbei. Heute sind Brücke und Umgebung Set für eine Lovestory, die erst einmal aus Deutschland wegführt: Ein Engländer trifft bei Dreharbeiten in Nottingham auf eine Deutsche. „Control“, der Film über die Band Joy Divsion, war der Durchbruch für Sam Riley. Für Alexandra Maria Lara war es eine spannende Rolle – aber vor allem war es für den deutschen Star der Beginn ihrer großen Liebe. Sie war es dann auch, die Sam Riley nach Berlin importierte. Seit nunmehr zehn Jahren lebt der Brite in der deutschen Hauptstadt. Ob er Großbritannien vermisse? „Ich bin ja oft genug da. Gerade heute Morgen bin ich von Dreharbeiten aus Brighton zurückgekommen und daher auch ein bisschen müde.“ Rileys Stadtentdeckung an der Seite seiner Frau begann mit einem ganz schlichten Spaziergang. „Alexandra ging neben mir mit gesenktem Kopf, und ich dachte: Warum macht sie sich so klein?“ Die Begründung folgte auf den Fuß – die Ersten drehten sich nach der Schauspielerin um, und „einer rannte gegen einen Pfosten“, erzählt Riley in einem Mix aus Deutsch und Englisch. Da habe er das erste Mal verstanden, dass er einen Star an seiner Seite habe. Alexandra Maria Lara empfindet sich allerdings nicht so: „Das, was mich an unserer Arbeit fasziniert, ist nicht in erster Linie das Rampenlicht und was dazugehört. Ich freue mich am meisten über gute Dreharbeiten, über kreative Kollegen und die Zeit am Set. Aber wenn wir doch auf Premieren oder Events unterwegs sind, macht es immer Spaß, alte Bekannte zu treffen.“ Spaß haben. Das Stichwort. Gerade auch wenn es um Mode geht. Alexandra Maria Lara macht vieles mit, nur bei einem da ist sie strikt: „„Mode hat für mich auch etwas mit Identität zu tun. Wenn man sich in Sachen wirklich wohlfühlt, kann man sie auch selbstbewusst tragen.“ Man könnte auch sagen: Alexandra Maria Lara ist präzise, nicht nur was ihren Beruf angeht. Auch bei der Auswahl der Outfits ist sie diejenige, die genau abwägt, ob das, was fotografiert werden soll, zu ihr gehört. Ein Prada-Outfit aus schwerem Bouclé übt auf der Stange eine starke Anziehungskraft auf sie aus. Angezogen fällt der Zweiteiler aus Rock und Oberteil aber durch: „Ich glaube, wir passen nicht zusammen!“ Sam Riley outet sich während des Shootings als Anzugliebhaber – seine Frau ist begeistert von ihm im Burberry-Trenchcoat über dem Slimline-Anzug. Und egal in welcher Location: Die Kamera liebt sie alle beide. Wäre eine Modelkarriere eine Option für sie? Gelächter im Duett. Dass ein Brite Ironie versteht, setzt man voraus. Bei Deutschen hält sich ein Vorurteil der Humorlosigkeit wacker: „Dabei bin ich diejenige, die gern auch mal schlechte Witze erzählt“, sagt Alexandra Maria Lara grinsend inmitten der Outfits. Prada, Hermès – große Marken. Wie halten Sie es mit dem Luxus? Immerhin fährt die kleine Familie ein Auto aus dem oberen Preissegment. „Wir sind begeistert von unserem Jaguar Sportbrake, es ist für uns das ideale Familienauto … und was heißt hier nicht glamourös?“, sagt Alexandra Maria Lara und spielt ein wenig die Empörte. Was soll man sagen? In der Haute-Couture-Robe von Elie Saab auf dem roten Teppich in Cannes ist Alexandra Maria Lara ganz einfach zu hundert Prozent Hollywood. Das Paar, derweil am „Wirtshaus Moorlake“ angekommen, genießt die Pause. Und das Miteinandersein: „Ich fliege morgen zum Dreh nach Südafrika, Sam nach Brighton.“ Moment? Da war doch noch der Nachwuchs? Dass Ben immer mitkommt, ist möglich, da es freundliche Geister gibt, die Alexandra Maria Lara unterstützen. „Und so lange er nicht in die Schule muss, versuche ich so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen“, sagt sie. Sam Riley muss los. Vom Waldweg in den Flieger. In seine Heimat – ohne Anzug. „Ich bin eher casual“, behauptet er. So casual, dass der Jil-Sander-Kaschmirpulli zum Streichelobjekt wird. Dass mit dem Zegna-Anzug zwischen den Fingern gespielt wird: „Material, gutes Material finde ich sehr tempting – wie sagt man? – verlockend.“ Das Lieblingsstück des Paares ist eine Lederjacke von Hermès. Das Ende der Liebesgeschichte an der Grenze steht an. Ein letztes Bild mit einer schönen Frau, die in der Jury von Cannes sitzt, die Rollen erarbeitet, mal leichtfüßig wie bei „Rubbeldiekatz“, mal intensiv wie im neuen Streifen „Suite Française“, der am 19. November startet. Da ist das Paar Riley-Lara mal wieder in einem gemeinsamen Film zu sehen. Eine Besatzungsgeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich. Als Brückenschlag zwischen Franzosen und Deutschen spielt ein Klavier eine Rolle. Das Schönste ist doch, Andreas Tölke wenn Grenzen fallen. Sam lehnt an seinen Jaguar Sportbrake in einem Pullover von Pal Zileri und einer Hose von Prada, Mantel: Hermès. Schuhe: Santoni Alexandra Maria trägt einen Mantel aus der Herrenkollektion von Brunello Cucinelli Sam in einem Anzug von Pal Zileri, Rollkragenpullover: Gucci. Alexandra Maria trägt einen Pulli von Brunello Cucinelli; Rock von Odeeh Sam: Pulli: Pal Zileri. Hose: Prada. Schuhe: Santoni. Alexandra Maria: Top: Patrizia Pepe. Rock: Talbot Runhof. Schuhe: Hermès Diese Seite: Alexandra Maria schreitet voran im Top von Patrizia Pepe, Hosen von Sportmax und Schuhen von Salvatore Ferragamo. Auf dem Kopf ein Borsalino-Hut. Sam folgt ihr im Anzug von Boss Black, Pulli von Jil Sander und Stiefeletten von The Kooples. Linke Seite: Alexandra Maria trägt einen Mantel von Sportmax und Sam einen Trenchcoat von Burberry, darunter einen Pullover von Jil Sander Diese Seite vor dem Jaguar Sportbrake: Sam trägt einen Pulli von Pal Zileri mit einer Hose von Prada, Schuhe von Santoni und eine Sonnenbrille von Oliver Peoples. Alexandra Maria trägt ein Top von Patrizia Pepe. Rock: Talbot Runhof. Schuhe: Hermès. Linke Seite: Kleid von Ralph by Ralph Lauren Nicht nur modisch Hand in Hand: Sam trägt einen Anzug von Boss Black mit einem Hemd von Ermenegildo Zegna, Alexandra Maria einen Mantel mit Pythonbesatz von Miu Miu PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT Entdecken Sie neue Beauty-Perspektiven! Volumen und Struktur sind das Geheimnis jung wirkender Haut. Deshalb sorgt das neue New Dimension Shape + Fill Expert Serum für sichtbar mehr Volumen, Struktur und Definition. Überzeugen Sie sich selbst und lassen Sie sich von unseren Hautpflegeexperten der PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT individuell beraten: Die Gesichtskonturen wirken schon nach kurzer Zeit straffer und definierter. Die Hautstruktur wirkt glatter, fester, strahlender – wie „remodelliert“. REVOLUTIONÄR? ABSOLUT! EL K N I KW ÖN BLIC H SC EM D D EN S JE F ER AU W UM NEW DIMENSION SHAPE + FILL EXPERT SERUM Erleben Sie die Verwandlung Ihrer Haut. In nur 2 Wochen wirken Ihre Gesichtskonturen sichtbar definierter. Die Wangen- und Kieferpartie sieht deutlich straffer und konturiert aus. Sie werden Ihr neues Aussehen lieben. Ihre PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT freuen sich auf Ihren Besuch! Tauchen Sie ein in die großartige Welt der inhabergeführten PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT und finden Sie Ihren Pflege-Experten: www.parfuemerien-mit-persoenlichkeit.de Besuchen Sie uns auch auf Facebook! BEAUTY STILISTEN HIER KOMMEN UNSERE KOSMETIKEXPERTEN ZU WORT Küss mich. Küss mich nicht. Wie eine Leinwand wirkt das weiß abgepuderte Gesicht. Lippenstiftfarben in allen Schattierungen durchschmieren das Grau – akkurat wäre ja kein Signal. Irving Penn fotografierte „Mouth“ 1986 für L’Oréal. Ab 23. Oktober wird die Aufnahme in der „Irving Penn: Beyond Beauty“-Ausstellung im Smithsonian American Art Museum in Washington zu sehen sein. THE IRVING PENN FOUNDATION Flakon-Kokon: Wie bitte soll man Seide verflüssigen? Parfümeurin Marie Salamagne hat für Sensai ihre Ideen dazu verpuppt und das erste Parfüm überhaupt für die Japaner entwickelt. „Der Duft sollte transparent und warm zugleich sein.“ Wie der kostbare Stoff eben. Hat geklappt. „The Silk“. EINFACH MANN AUSGESTRAHLT? Wann der Mann ein Mann ist? Tja, wenn er sich eincremt. Denn längst kommen die männlichen Kunden nicht mehr nur in unsere Parfümerie, wenn es darum geht, Weihnachtsgeschenke für die Gattin zu kaufen. Viele begeistern sich für Cremes und Tinkturen, die speziell für ihre „sensible“ Männerhaut gemacht ist. Und damit kein Mann ratlos vor dem Regal steht, empfehle ich gern eine neue deutsche Marke: „Ebenholz“. Sie verzichtet auf Parabene, Silikone, tierische Bestandteile und auf komplizierte Namen. Die Anti-Aging-Creme nennt sich nämlich einfach „Kraftpflege“. Will Mann mehr? Neee, net nötig. Und einfach in der Anwendung ist es auch. Übertreiben wollen wir den Beauty-Tick ja auch nicht, oder? Dass unsere Haut im Sommer leidet, ist nicht jedem bewusst. Sie trocknet durch die Sonneneinstrahlung aus, verliert bei allem Teint an Ausstrahlung. Und die wollen wir im trüben Herbst natürlich zurückgewinnen. Helferlein 1: das Puderpeeling von SBT. Einfach das feine Puder morgens in den Handinnenflächen mit Wasser vermengen. Gern täglich. Helferlein 2: Im Anschluss an das Peeling verwenden Sie das „Cell Life Activation Serum“ von SBT. Es soll die Langlebigkeit der Zelle sichern. Und für die ultimative Ausstrahlung könnten Sie die neue „Skin Caviar Luxe Cream“ von La Prairie cremen. Sie ist reichhaltig, lässt die Haut jedoch nicht glänzen. Und ja, zwischen Ausstrahlung und Glanz liegt ein himmelweiter Unterschied. Susanne HinkerFinkbeiner Claudia Stetter Inhaberin der Parfümerie „Carl Butta“ in VillingenSchwenningen Inhaberin der Parfümerie „Hinker“ in Baiersbronn Pfötchen-Peeling: Das Eincremen der Hände ist längst Alltagsroutine. Doch haben Sie – außer vielleicht bei einer Profi-Maniküre – schon einmal ein Handpeeling ausprobiert? Von Molton Brown gibt’s nun den „Alba White Truffle“-Exfoliator (duftet nach Muskat). In den feuchten Handflächen verteilen, verreiben und schwups, sind die Hände samtweich. Ei. Super-Duper: Ob das „Superstart“Fluid wirklich für eine schönere, ebenmäßigere Haut sorgt, weil es einen so klangvollen Namen hat? Vielleicht. Vielversprechend liest sich die Information allemal. Der Skin Renewal Booster von Elizabeth Arden soll die oberste (bislang eher sträflich beachtete) Hautschicht schützen und noch unter (!) Serum und Tagescreme aufgetragen werden. Tiefenpflege! Eine Hand voll Pflege: Der Schwede Ben Gorham ist mit seiner Marke Byredo für Parfüms bekannt. Doch nun hat er eine Pflegeserie für die Hände kreiert und eigens dafür zwei neue Düfte entwickelt: „Vetiver“ und „Suede“. Die Handlotion gibt’s im puristischen Pumpspender (450 ml), die reichhaltigere Creme in einer ähnlichen Tube. Nase zu, Lack ab: Nagellackentferner stinkt. Ist so. Der „Gentle Nail Polish Remover“ von Treat Collection will das ätzende Vorurteil widerlegen. Denn er riecht nach? Nix. Und funktioniert so: Der Entferner wird selbst wie Lack über den Lack gestrichen und nach 30 Sekunden nimmt man die Farbe komplett ab. Gibt’s etwa über lanur.de Instincts Basic BRIGITTE LACOMBE; MONTAGE ICON FÜR DIE NASE B ekannt ist, dass Frédéric Malle gern provoziert. Im persönlichen Umgang ist er ein Mann mit ausgesucht feinen Manieren, einer, der leise spricht. Umso größer ist dann der Effekt, wenn er, watteweich verpackt, Bemerkungen raushaut, die – nun ja – recht weit gehen. An diesem Tag empfängt er in seiner Boutique in der Pariser Rue du Mont Thabor. Wie ein Therapeut sitzt er hinter einem antiken spanischen Reisetisch aus dem 17. Jahrhundert; es geht um eine delikate Frage der Persönlichkeit, nämlich welcher Duft zu einem passt. Vor ihm sind diverse Flakons aufgereiht. In ihnen haben sich die besten Parfümeure der Welt verwirklicht: Duftverleger Frédéric Malle will mit seinen „Editions de Parfums“ den Parfüm-Blockbustern quasi eine Art mit Herzblut betreutes Programmkino entgegensetzen. Dann geht es auch gleich los: Seine erste Frage nach Lieblingsdüften ist ja noch einfach zu beantworten. Aber schon setzt er nach: „Sind Sie gerade in einer sexuell aktiven Phase?“ „Möchten Sie eher verführen oder sich binden?“ So distinguiert Malle über die Kunst der Parfümkomposition parlieren kann, so direkt spricht er über dessen Wirkung. Und der neue Duft „Cologne Indélébile“ (waschechtes Cologne) sei ein „Killer“, der bei Frauen und Männern gleichermaßen funktioniere. Sein 18jähriger Sohn würde in den Pariser Clubs die Mädels damit reihenweise schwach machen. Dahinter steht der Parfümeur Dominique Ropion, der auf der ganz großen Bühne bereits Düfte wie „Alien“ von Thierry Mugler oder „La vie est belle“ von Lancôme erschuf. Malle gibt eine Probe: „So duften Sie, wenn Sie mit dem Parfüm an jemanden vorübergehen.“ Er erwartet nicht sofort eine Antwort, ob und wie der Duft gefällt. Man soll sich Zeit lassen. Genauso wie er. toshop schickten. Orangenblüten, Neroli, Zitrone und Bergamotte – all das findet sich auch in 4711, nur haben wir die staubigen Duftkomponenten wie zum Beispiel Kumarin oder Lavendel entfernt und moderne, natürliche und extrem kostbare Aromen hinzugefügt, die es haltbar auf der Haut machen. In den 15 Jahren Ihrer Editions de Parfums haben Sie mit 12 Parfümeuren gerade mal 22 Düfte herausgebracht. Sie lassen sich also Zeit. Woher wissen Sie, wann ein Duft reif ist? Dieser Duft allein hat über drei Jahre Konzept und 300 Versuche gebraucht, um unsere Ansprüche an ein gutes Parfüm zu erfüllen. Eines, das modern riecht, auf jeder Haut funktioniert und sich linear entfaltet. Dominique zum Beispiel schickt mir immer 15 Varianten, von denen ich die besten vier auf meiner eigenen Haut teste. Mehrmals am Tag schnuppere ich daran, mache Notizen und schreibe den Parfümeuren meine Bewertung. Unsere Frage ist immer: Würden wir mit einer Frau schlafen wollen, die so duftet? Würden unsere Frauen diesen Duft an uns mögen? Wenn Sie und Ihre Parfümeure nicht an die breite Masse bei Ihren Kreationen denken , an wen dann? Unsere Arbeitsweise ist völlig gegenteilig zu den großen Häusern. Wir definieren keine Zielgruppe und machen keine Markttests. Ich lasse den Supernasen die komplette Freiheit. Allerdings muss ich sagen, dass unsere vier erfolgreichsten Parfüms die sind, bei denen ich eine bestimmte Person im Sinne hatte. Das Kölnischwasser 4711 stand Pate bei „Cologne Indélébile“, dem 22. Duft des Pariser Parfümeurs Frédéric Malle. Wer bei dem Namen glaubt, das Ergebnis rieche altbacken, irrt gewaltig. Silke Bender sprach mit ihm über Düfte als Instrumente der Verführung Monsieur Malle, was macht diesen Duft Ihrer Meinung nach zum Killer? Weil er wie ein Doppelagent arbeitet. Zunächst einmal nehmen Sie eine zitrische, leichte Frische wahr, aber dahinter befindet sich ein Ozean aus Moschusdüften. Es hat 18 Monate gedauert, diesen Cocktail zu mixen, er entfaltet sich einen ganzen Tag auf ihrer Haut. Moschus waren ursprünglich ja Lockstoffe, Pheromone, mit denen die weiblichen Moschustiere im Himalaja die Böcke verrückt machten. Seit Jahrhunderten wird der Duft in synthetischer Form für Seifen und Parfüms verwandt, sodass unser Duftgedächtnis Moschus heute mit „sauber“ gleichsetzt. Dieses Parfüm schaut uns an wie Nabokovs Lolita. Unschuldige Kinderaugen, die gleichzeitig sagen: Nimm mich. Kölnischwasser hat für uns Deutsche eher die Assoziation von 4711. Ein Duft, der nach Nachkriegszeit riecht. Das war genau die Idee von Autor Dominique Ropion und mir! Ein luxuriöses, modernes 4711 zu schaffen, das wir quasi durch den Pho- Zum Beispiel? Dank meines Großvaters, der ‚Parfums Christian Dior‘ gründete und meiner Mutter, die später die Kreativabteilung dort leitete, kannte ich die elegantesten Menschen von Paris. So auch die schönste Französin, deren Namen ich jetzt nicht nennen möchte. Mit 18 schenkte ihr mein Opa ‚Miss Dior‘ – heute ist sie 80 und trägt das Parfüm immer noch. Als ich mit Dominique ‚Portrait of a Lady‘ entwickelte, war sie mein Bezugspunkt. Das Parfüm war für mich, wie ein Kleid zu entwerfen, in dem ich sie gern sehen würde. Und welcher Ihrer Düfte ist ein Ladenhüter? Eigentlich keiner, aber ‚Une Fleur de Cassie‘ ist so speziell, dass er sich nicht so oft verkauft. Aber wenn, dann an die elegantesten Leute von Paris, London oder New York. Das sind Frauen, die niemals in Turnschuhen herumlaufen würden und die eine klassische, im gewissen Sinne elitäre Stil- und Geschmacksprägung haben, die heute rar geworden ist. Wir sind dennoch sehr stolz auf diesen Duft und würden nie auf die Idee kommen, ihn aus dem Programm zu nehmen. Wie passt dazu Ihre Entscheidung, die Firma dem Konzern Estée Lauder zu verkaufen? Ganz einfach, ich habe vier Kinder und noch scheint keines in meine Fußstapfen treten zu wollen – und ich will ihnen auch nicht meinen Weg aufzwingen. Zudem beobachte und schätze ich Leonard Lauder seit Jahrzehnten, der Mann, der das Familienunternehmen zu dem gemacht hat, was es heute ist. Sein Angebot war für mich schmeichlerischer als wenn mich Marilyn Monroe auf den Mund geküsst hätte. Ich vertraue ihm, dass mein Baby in der Firma in guten Händen ist und wir die gleiche Vision teilen: So wie Hermès die Luxusreferenz für Leder und Seide ist, soll Frédéric Malle einmal für die Welt des Parfüms stehen. 1 01 HAUSBESUCH Der Duft von Wasser Alberto Morillas macht nicht Parfüms – er erschafft sie. Silvia Ihring beobachtete ihn in seinem Genfer Wohnzimmer dabei, wie viel Gefühl dafür nötig ist. Zu Besuch bei einem, dessen Nase man gern hätte 10 2 Alberto Morillas – der Mann mit der feinen Nase liebt seinen Garten und Hundedame Heidi MASSIMO RODARI (7) D as wichtigste Werkzeug eines Parfümeurs, so viel lässt sich behaupten, ist seine Nase. Doch wer Alberto Morillas „in Aktion“ erleben darf, bekommt eher den Eindruck, dass sich der Zauber in seinen Augen abspielt. Während seine rechte Hand einen weißen in Iris-Essenz getauchten Papierstreifen unter seine Nase hält, starrt er fast wie in Trance ins Leere. Kein Blinzeln, kein Zucken in seinem Gesicht. Unmöglich zu sagen, was in seinem Kopf vorgeht, während er den Duft der Iris aufsaugt. Das sonderbare Eisblau seiner Augen lässt ihn fast mystisch erstrahlen. Dabei ist der 65-Jährige ein herzlicher Mann. Dass sein Vater ein Dandy mit einer Vorliebe für Maßschuhe war, hat abgefärbt. Morillas trägt ein Navy-blaues Sakko zu einem weißen Hemd mit Haifischkragen, eine pastellblaue Strickkrawatte schaut heraus, die Rolex glitzert am Handgelenk. Die Vorführung seiner Arbeit vollzieht er in seinem Wohnzimmer. Weiße Flügeltüren, Stuck an der Decke, eine Vitrine stellt seine Sammlung von Parfümflakons zur Schau. Seit 20 Jahren lebt Morillas mit seiner Frau in einer Villa in einem grünen Vorort am Genfer See; die drei Kinder sind ausgezogen, die zwei Jack Russel Terrier genießen die volle Aufmerksamkeit. Auf einem Schreibtisch sind einige seiner Instrumente ausgebreitet: viele kleine Sprühflakons mit neutralem weißen Etikett, Papierstreifen, ein Notizblock, in den Morillas seine Einfälle und Formeln per Hand notiert und seine zwei iPads, in denen er seine gesamte Bibliothek aus Formeln und Konzepten aufbewahrt. Normalerweise arbeite er jedoch nicht in diesem Wohnzimmer, sagt er, „der Geruch wäre viel zu stark“. Nur drei Minuten entfernt habe er sein Atelier. Und dann ist da ja noch der Hauptsitz des Schweizer Duftentwicklers Firmenich, einem der wichtigsten Produzen- Handwerkszeug und Archiv: Morillas’ Sammlung von historischen Flakons kann man als beeindruckend bezeichnen. Noch dazu hat er für Marken wie Armani, Calvin Klein und Kenzo selbst berühmte Düfte (wie rechts „Flower by Kenzo – L’Élixir“) erschaffen ten der Branche. Morillas, der 1950 in Sevilla geboren wurde und später für das Studium an der École des Beaux-Arts nach Genf zog, arbeitet seit 1970 für das Unternehmen. Einst las er einen Artikel über den Parfümeur Guerlain, es war eine Offenbarung. „Ich habe plötzlich verstanden, dass hinter einem Parfum überhaupt ein ‚Créateur‘ steckte.“ Inzwischen ist er selbst zu einem der bedeutendsten Parfümeure der Gegenwart aufgestiegen. „Acqua di Giò“ von Giorgio Armani, „cKOne“ von Calvin Klein, die „Daisy“-Düfte von Marc Jacobs und die „Omnia“-Linie von Bulgari, Parfums für Lancôme und Estée Lauder – Morillas’ Portfolio umfasst die bekanntesten Namen. Für die Marke Kenzo entwickelte er den Klassiker „Flower by Kenzo“. In diesem Herbst ist dessen Weiterentwicklung „Flower by Kenzo L’Élixir“ erschienen, ein wegen seines intensiven, süßen Charakters sogenannter „Gourmand-Duft“. Himbeere, Bulgarische Rose, Vanille und Praline. Bei dieser Kombination überrascht es, dass der Duft zwar süß, aber nicht aufdringlich wirkt. „Ich habe noch nie allzu schwere Düfte mit zu viel Körper gemacht“, erzählt Monsieur Morillas. „Mir ist es lieber, wenn sie luftiger sind. Wie ein Gemälde, das dem Betrachter die Möglichkeit gibt, sich vorzustellen, was er sehen möchte.“ Er beschreibt Parfüms mit Bildern, die manchmal wenig greifbar sind. Aber faszinieren Düfte nicht gerade, weil sie so vergänglich, so substanzlos und gleichzeitig so mächtig sind? Und es ist immerhin sein Job, auf der Grundlage von Bildern, Gegenständen und Gefühlen, Düfte zu entwickeln. Zu allem findet er in seinem inneren Duftlexikon die passende Note. Manchmal bekomme er von seinen Auftraggebern einen Lavastein oder ein Schmuckstück als Leitmotiv. Oder, wie im Fall von „Flower by Kenzo“, eine Mohnblume, die nicht mal einen eigenen Duft besitzt. „Die ersten Worte, mit denen ein Auftraggeber seine Vorstellung von einem Parfüm beschreibt, sind immer die wichtigsten“, sagt Morillas. „Gleichzeitig ist man als Parfümeur von Beginn an Egoist. Man möchte eben einen Duft entwickeln, der einem sofort Lust und Freude bereitet, der Gefühle hervorruft, während man ihn erschafft. Ein richtig guter Parfümeur schafft es, seine Vorstellung mit der des Kunden in Einklang zu bringen.“ Die Erinnerungen an seine Kindheit stecken voller Aromen. „Wir Kinder nahmen uns Orangenschalen und machten uns einen Spaß daraus, uns damit einzureiben. Wissen Sie, in Spanien haben wir sogar die Katzen parfümiert“, sagt er. Am Abend verteilte man den Duft von verbranntem Lavendel oder Weihrauch in jedem Zimmer. Er könne durchaus verstehen, warum manche Menschen gar eine Abneigung gegen das Auflegen von Düften verspürten. „Sich zu parfümieren bedeutet, dass man seine Persönlichkeit offenbart.“ Selbstverständlich reagiert er selbst empfindlich auf Gerüche, doch anders, als man es erwartet. „Mir ist es immer noch lieber, jemand riecht nach Schweiß als nach einem schlechten Parfüm“, sagt er und lacht. Monsieur Morillas reist für seinen Beruf ständig um die Welt, doch keine Erfahrung hat ihn je endgültig aus Genf herausgelockt. Das Grün, das Wasser – der Parfümeur arbeitet mit den edelsten Aromen, aber die schönsten erwarten ihn zu Hause. „Ich kam mit zehn Jahren erstmals nach Genf und sofort packte mich der Geruch des Sees. In Spanien hatten wir einen Brunnen. Der Duft von Wasser ist etwas Wundervolles. Das ist Leben.“ Der See liegt direkt vor der Tür, das Haus umgibt ein Garten, ein lang gehegter Traum, den sich Morillas beim Einzug erfüllte. Bäume, Hecken, Blumenbeete und Sträucher sind so angeordnet, dass sie verschiedene Stufen bilden, das sorgt für Tiefe. Die Pflanzen säumen kleine Gassen mit Kieswegen, hinter jedem Busch versteckt sich ein Baum, ein großer toskanischer Terrakotta-Topf oder eine antike Büste: „Wie ein Geheimgarten“, schwärmt der Besitzer. „Nachts ist es hier noch schöner.“ Wenn er von Reisen zurückkehrt, geht er als Erstes in den Garten. Die Blumen und Pflanzen machen es ihm nicht immer leicht, nicht alle fühlen sich in dem eher dunklen Umfeld wohl. Aber Morillas sieht das, natürlich, mit Poesie. „Erst das Vergängliche ist doch wirklich schön“, sagt er. „All das hier gehört uns eigentlich nicht. Es ist wie mit einem Parfum.“ Wer ist hier der Herr im Haus? Jack Russel Terrier Althea Lina und Alberto Morillas nehmen während des Interviews auf dem Sofa Platz, Heidi bleibt auf dem Boden 10 3 PSSS t! S Die Neulinge DR. --: - : -------Problemlöserin Fr. Dr. Weiß Bescheid Dr. Christine Schrammek gilt als die Ärztin, der man Problemhaut besonders gern anvertraut (ihre „BB Creme“ ist ein Bestseller). Nun gibt es ein neues Serum für alle Hauttypen jeden Alters. „Hyaluron Performance“ soll viel Feuchtigkeit in die Haut pushen und diese erfrischen. Was ja alle wollen. Über schrammek.de Von innen und außen Sie wissen schon, bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt. Oder zum Beispiel The Organic Pharmacy, die Kosmetikmarke der Londoner Apothekerin Margo Marrone. Neben Cremes und Tinkturen gibt’s nun auch „Beauty Drops“ im Sortiment, quasi Nahrungsergänzungsmittelchen und Hautpflege in einem. Fünf Tropfen in Wasser aufgelöst trinken, drei Tropfen der Creme beimischen. Und strahlen. Über greenglam.de Wer, wenn nicht ein Dermatologe sollte wissen, was der Haut gut tut, oder? Und darum macht auch die Regensburgerin Jutta Knauer seit 2013 „in Kosmetik“. Sie stopft in die Produkte ihrer „Dr. JK Cosmeceuticals Privée“-Linie selbstverständlich jede Menge Wirkstoffe. Das Starprodukt ist die „Uplift“-Maske. Soll die Haut ohne Skalpell straffen. Hui. Mehr unter dr-jk.de Royal Power Dass der Königsfarn ungeahnte Heilkräfte birgt, ist dem Münchner Dermatologen Dr. Timm Golüke nicht etwa beim Waldspaziergang aufgefallen. Vielmehr inspirierte ihn die Studie eines New Yorker Krankenhauses, gemeinsam mit einem Biochemiker einen einzigartigen Wirkstoffkomplex zu entwickeln, der nun in seinen vier „Royal Fern“-Kreationen steckt. Die sogar bei Bergdorf Goodman verkauft werden. Schub-iduuu Noch ein Tiegel, mögen Sie beim Anblick der neuen „Intensiv Cell Redensifying Cream“ von SBT denken. Aber der kann mehr als gut aussehen. Die hautglättenden Inhaltsstoffe, die der Hamburger Dermatologe Prof. Dr. Volker Steinkraus entwickelt hat, werden von der sogenannten „Airless“-Technologie beschützt. Die Creme kommt nur heraus, wenn man über einen weißen Plastikdeckel streicht. Luft und Verschmutzungen bleiben draußen, die Creme bleibt frisch. Clever! In Sachen „Wie kriege ich eine faltenfreie junge Haut?“ sind uns die Amerikanerinnen voraus. Besonders beliebt sind dort bereits seit 2005 die Produkte von „iS Clinical“ (steht für innovative Skincare). Seit Juni gibt es sie auch bei uns. Gründer der Marke sind ein Finanzmanager und ein Anti-Aging-Forscher aus, klar, L.A.. Ihr neuester Coup: das „Youth Serum“. Gibt’s etwa in der Kosmed-Klinik in Hamburg. Außen hui, innen pfui? Lassen Sie sich nicht von der schwarzen Formel der „Masque Noir Détox“ täuschen. Sieht vielleicht komisch aus, was der Franzose Antoine Le Galloudec (stammt aus einer Arzt-Familie) da gemixt hat, aber helfen soll es: Zweimal pro Woche sollte die Maske von Apotcare mit AHA-Fruchtsäure (entgiftend) für 15 Minuten einwirken. Danach bloß das Abwischen nicht vergessen. Über ausliebezumduft.de ; 10 4 Schwarze Petra ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER Fortschrittlich IM NORDEN Das Meer birgt die Kraft Erst war es ein Surferparadies. Dann machten Monica Kylén und Mats Johansson ein Mekka der Naturkosmetik daraus. Caroline Börger pilgerte mal an die schwedische Westküste M itten im Raum steht eine mit Wasser gefüllte Holzwanne, die aussieht, als ob da sonst alle sieben Bullerbü-Kinder drin planschen. Doch etwas ist anders als bei Astrid Lindgren: Ein ganzes Bündel Algen hängt (noch dekorativ) am Rand. Und drinnen sitzt die Autorin, die gleich von der Spa-Therapeutin gründlich mit dem Grünzeug abgerieben wird. Selbst für Wellness-Erprobte eine ungewöhnliche Anwendung. Nach 20 Minuten zwischen den schwimmenden Algen geht’s zurück in den Bademantel, dann auf die Liege. Die entgiftenden und pflegenden Wirkstoffe zeigen Wirkung: Der Körper ist schwer, die Haut samtweich. Und bei dem grandiosen Ausblick von der Liege des „Kurhotels“ im schwedischen Varberg auf das im Nebel fast verschwundene Meer wird die Seele ganz leicht und der Mensch sehr bequem. Doch draußen warten bereits Monica Kylén und Mats Johansson in ihrem tannengrünen Landrover, stilecht in Gummistiefeln und Daunenmantel. Sie sind die Gründer von L:a Bruket, der Marke, die das Algen-Bad populär gemacht hat. „Das Tångbad ist unser Signature-Produkt. Neun Monate im Jahr werden die Algen Tag für Tag geerntet, unser Freund Bosse holt sie hier aus dem Meer. Sie trocknen und werden dann in Boxen gepackt. So hat man ein Stück schwedische Westküste überall dort, wo man möchte“, erzählt die 52-Jährige mit der sanften Stimme. Zufrieden sieht sie aus, ist wie die meisten Schwedinnen kaum geschminkt und hat die gesunde Gesichtsfarbe einer Frau, die an der Küste, knapp 70 Kilometer südlich von Göteborg, lebt und surft. „Wir lieben es, kamen schon vor 25 Jahren im VW-Bulli aus Stockholm hierher. Vor 15 Jahren sind wir ganz ins Surferparadies gezogen.“ Damals arbeitete das Ehepaar noch in der Textilbranche, beide für dasselbe Unternehmen. Mats entwickelte Konzepte und Marken, Monica arbeitete im Merchandising. Doch sie wollten etwas Eigenes stemmen. „Hauptsache zusammen arbeiten“, erinnert sich Monica, die sich zu dem Zeitpunkt bereits mehr und mehr für die Keramikprodukte, die sie zu Hause töpferte, interessierte. Sie fertigte kleine Seifenschalen unter dem Label L:a Bruket (sprich: Laaaaa Brrrruket; bedeutet übrigens Kleine Werkstatt) an und stellte sie 2009 auf Damit begann es: aufwendig von Hand gefertigte Seifen zum Aufhängen. Oben: die naturverbundene L:a Bruket Gründerin Monica Kylén der Design Week in Stockholm aus. Damit sie dort richtig zur Geltung kämen, produzierte sie eigens Seifen dafür. Verkauft hat sie dann beides. Der Erlös? Deckte die Standkosten. „Immerhin“, sagt der 54-jährige Mats, Herr über die Zahlen und lacht. Monica freut sich noch immer über den kleinen Erfolg von damals. Es gab schließlich Menschen, die ihre Produkte wollten. Davon motiviert, ließen beide ihre gut bezahlten Jobs hinter sich und stürzten sich ins Abenteuer Naturkosmetik, „ganz jung war ich mit 45 damals schließlich nicht mehr“, gibt Monica zu. Bis heute sind die nach Kräutern wohltuend duftenden Seifen Bestandteil der Marke und werden noch immer in recht mühseliger Handarbeit hergestellt. Und ja, der Name blieb. Körperöle folgten, ein logischer Schritt, denn die ätherischen Öle wurden bereits zur Seifenproduktion verwendet. Heute umfasst die Kollektion knapp 40 Produkte unterschiedlicher Art – vom Shampoo über Kerzen bis hin zu Gesichtscreme und sogar Spülmittel. Alles wird mit natürlichen Zutaten aus der Umgebung hergestellt, immer noch in dem 27.000 Einwohner Ort Varberg. Fünf Mitarbeiter arbeiten in der Entwicklung, zwölf in der Produktion. Alles bleibt handmade in Sweden. Die Badesalze etwa werden sehr appetitlich direkt hinter dem Showroom, einem Lieblings-Souvenirziel der Sommerurlauber, gemischt und abgefüllt. Ja, von blonden, jungen Schwedinnen. Bevor jedoch neue Produkte auf den Markt kommen, testet das Ehepaar selbst. Mats ließ sich vor zwei Jahren extra einen Bart wachsen, um einen neuen Rasierschaum auszuprobieren. Danach hat er ihn dann behalten. Es gibt mittlerweile ein „Beard Oil“... Ebenso wie ein Hundeshampoo, zur Vater-Mutter-Teenager-Familie zählt nämlich auch Irish Terrier Frasse, Monicas Begleiter auf ihren morgendlichen Strandspaziergängen. Und klar, haben sie eine Seife für Surfer entwickelt, „um den Geruch der Neoprenanzüge schneller loszuwerden“. Ein Verkaufshit in Los Angeles. Die Amis sprechen übrigens von: L.A. Bruket. Aber auch das sehen die Schweden entspannt. 10 5 * ) * ) !$# "&! 6*"+-*-%"+,"&&,+!"&%'*&*,"'&"9*%-& 9$, $"!1"," .*+,*:%,*"+!',&,*&-/*%*##'*%"&"& 3'*$',&-&'+!-+ #&%&% %'#% ;* $$ ,"%%-& & -& ,"$*"!,-& & ", + & (++&& -, " " " *-%+ 2&& " !* -,*9-% ;* $$ &+$ & /!* /*& $++& .**,&!&&"#'%(,&,& -,0(*,&**;%*"&%",*+:&$"!#", "#%#%&! - " *'2+ "& -&+*& *;%*"& " " )-$"21"*, -& "&"."-$$ " !** -+/!$*,&#:&&&"+"!"%%*.*$++& &"+"!-"& &1 (*+:&$"!"+&*&&*(++& -,-"/*,, !*87 *-&+"!-!*&+-! -!&""&"&" *'5*," $,*"&!* ;!*,& 87-& &&"!"* !*& -,0(*,& ///(*-%*"&%",(*+'&$"!#", PARISER LUFT GETTY IMAGES (1), MONTAGE ICON Französische Kathedralen haben den Parfümeur Francis Kurkdjian beim Ladenbau inspiriert Melodien aus Molekülen Er wollte Pianist sein und tanzen. Doch dann wurde der Franzose Francis Kurkdjian zum Wunderkind der Parfum-Szene er Blick wandert noch suchend in der unauffälligen Seitengasse nahe der Place Vendôme. Doch die Neugier ist bereits geweckt: Eine Molekülmelodie schwebt heran. Zärtliche Piano- und Parfumnoten vermischen sich in der kleinen Boutique, im goldenen Licht präsentiert sich das vollständige Ensemble des Maison Francis Kurkdjian Paris (sprich: Kurkjean) und das Herz des Parfumjunkies schlägt vivace. Die Solisten heißen „Lumière Noire“, „Cologne pour le Matin“ und „pour Le Soir“, „Oud Satin Mood“, „Pluriel, „Amyris“, das neueste Ensemblemitglied ist „Aqua Vitae forte“. Auch wenn die Düfte stets die erste Geige spielen, erst mit dem Komponisten, Dirigenten und Interpreten, dem Künstler Francis Kurkdjian, erschließt sich die Faszination der Marke MFK vollends. Mit acht Jahren begann er, Klavier und Ballett in Versailles zu studieren, scheiterte in der Aufnahmeprüfung an der Pariser Oper, beschloss mit 15 Jahren Parfümeur zu werden, ging mit 21 an die berühmte ParfümeursSchule ISIPCA. Gleich nach dem Examen ge- D 10 8 wann er einen großen Pitch – mit einem minzig-seifigen, aber vanilligen Lavendelduft für den Mann. Eine Provokation und ein Paukenschlag: „Le Male“, Jean Paul Gaultiers erster und heute noch, nach 20 Jahren, BestsellerHerrenduft. Kein schlechtes Debüt für einen 25-Jährigen. Fortan komponiert der Franzose armenischer Herkunft, dem nun wahlweise das Etikett Wunderkind oder Rebell anhaftet, vor allem für die großen Designer: Giorgio Armani, Dior, Ferragamo, Ungaro, Lanvin, YSL, Versace, Kenzo und immer wieder Gaultier. Sein „For her“ für Narciso Rodriguez gilt schon bei Erscheinen als Klassiker. 2001 eröffnet er sein Atelier für maßgeschneiderte Düfte, setzt damit einen neuen Trend und bietet Workshops an. Im gleichen Jahr wird er mit dem „Prix François Coty“ ausgezeichnet, dem bedeutendsten Parfumpreis – für sein Lebenswerk. Mit 32 Jahren. 2008 folgt die Ernennung zum Chevalier des Arts et des Lettres des französischen Ministeriums. Und 2009 dann sein eigenes Haus. Ausgerechnet in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Doch Kurkdjian folgt dem einstigen Rat seines Vaters: „Mache gute Arbeit, dann kommt auch der finanzielle Erfolg.“ Mit seinem engsten Vertrauten, Marc Chaya, einem ehemaligen Partner von Ernst & Young, realisiert er seinen Plan. Er verwendet Moleküle wie Musikinstrumente, orchestriert neue Aromen mit ungekannter Tiefe, gleichzeitig transparent, elegant – und immer emotional. Manche nennen es: neue Formen in der Luft. Wem das zu theoretisch klingt, einfach mal der Nase „Oud“ oder „Lumière Noire pour femme“ vorspielen. Sein Wunsch, dem Duft ein Zuhause zu geben („Ich sehe mich auch in der Tradition der französischen Parfümeriekunst, die die alltäglichen Dinge des Lebens beduftet“), nimmt Gestalt an. Der Bühnenbildner Jean Hugues de Châtillon kreiert für’s Schaufenster ein Pas de deux zwischen Paris und Parfum; die Künstlerin Anne Lévine verziert die Decke und den Tresen der Boutique mit goldenen Blättern als Zitat aus französischen Kathedralen und Landschaften. Béatrice Ardison komponiert einen Soundtrack inklusive einer Aufnahme von Ravels „Pavane für eine tote Prinzessin“, eigens für Kurkdjian von den Pianistinnen Katia und Marielle Labèque interpretiert. Auch für die Düfte schwebt ihm exklusiver Stoff vor. „Da ich die Haute Couture liebe und gern ein Modedesigner sein wollte, aber überhaupt nicht zeichnen kann, wollte ich eine Garderobe der Düfte kreieren. Ganz unterschiedliche Outfits. Manche Stücke trägst du oft, manche nur zu bestimmten Gelegenheiten.“ Wie ein fließendes Seidenkleid in flimmernder Farbe („Oud Satin Mood“), ein extravaganter Kaschmirmantel („Oud Cashmere Mood“) oder ein transparenter Morgenmantel, schnell übergeworfen, weil der Kaffee auf dem Tisch steht („Pour le Matin Cologne“). In üblichen Details will er sich nicht verlieren. „Fragt jemand einen Maler, welche Farbnummern er für sein Porträt verwendet hat?“ Sicher, der Konsument müsse wissen, was ungefähr enthalten ist, aber für das Erlebnis bedeute das doch rein gar nichts. „Es geht um Emotionen, um pure Freude.“ Noch weniger gefällt ihm die Diskussion um „Nische, Kunst oder Kommerz?“ Alles habe seine Berechtigung, wenn es nur gut sei. „Mein „À la rose“ ist ein sehr kommerzieller Duft, wie ein schlichtes weißes T-Shirt. Oder wie Jeans. Die sind auch kommerziell, aber jeder wird zugeben, dass die von Hedi Slimane doch anders sind als die von H&M. Ich mache also einen kommerziellen Rosenduft, aber einen mit Qualität. Ich brauche Denim in meinem Kleiderschrank.“ Parallel konzipiert Kurkdjian regelmäßig Installationen und Veranstaltungen. Etwa für die Expo in Shanghai, die Genfer Oper oder Schloss Versailles, wo er beduftete Fontänen aus Brunnen schießen und parfümierte Seifenblasen über den Gästen schweben ließ. Aktuell bestaunen Besucher der Expo in Mailand „Stratus 2015“ – einen duftenden Nebelschatten für das Kloster des „Palazzo delle Stelline“. „Ich will mich nicht beschränken. Es ist ja eine unabhängige Firma, ich allein bestimme, wie mein Haus aussieht und was ich dort anbiete.“ Gerade hat er nach parfümierten Waschmitteln, Seifenblasen, Papier und Armbändern das Sortiment um eine Lederkollektion erweitert. Hüllen für Visitenkarten, Smartphone oder iPads, die ihren speziell konzipierten Duft über Jahre bewahren sollen. Und soeben hat im Marais eine Dependance eröffnet. Nein, man muss nicht nach Paris, um MFK-Produkte erwerben zu können. Doch wer würde nicht einmal gern hören wollen, wie die Lieblingsarie am OriginalSusanne Opalka schauplatz klingt? T H E C U L T U R E O F T O TA L B E A U T Y DERMOSTHETIQUE Hocheffiziente Kosmetikprodukte auf Basis aktueller biologischer Zellforschung und deren Einfluss auf die Physiologie von Haut, Kopfhaut und Haarwurzeln. In ausgesuchten Friseur – Salons und auf www.labiosthetique.de UNTERWEGS N imm Gummistiefel mit statt High Heels“, riet Daniel Adams vor der Reise. Würde man nicht gleich darauf kommen. Denn in einem Atemzug hatte er Namen von Menschen heruntergerattert, die wie er im Dutchess County leben und denen man jederzeit auf dem Wochenendmarkt mit Porreestangen unterm Arm oder – noch besser – bei einem privaten Dinner begegnen könnte: Alain Wertheimer, Eigentümer von Chanel, der Hotel-Impresario André Balazs, die Schauspieler Bette Midler, Liam Neeson und Richard Gere; Valeska Hermès, die Ferragamos, die Bulgaris, der New Yorker Star-Friseur Frédéric Fekkai, das ehemalige Topmodel Paulina Porizkova, Talkshow-Ikone David Letterman – nur ein kleiner Auszug, versteht sich. Doch gilt auch hier: Man sollte sich nicht von Namen beeindrucken lassen, sondern auf einen Insider hören. Und so stehe ich leicht overdressed, ich hatte das mit den Gummistiefeln natürlich nicht ernst genommen, mit falschem Schuhwerk und falschem Gastgetränk – ein Sauvignon blanc – unterm Arm an einem verregneten Samstagnachmittag knöcheltief in Matsch und Pferdemist und schaue Bruce Colley und seinen Freunden beim Polospiel zu. Der New Yorker Bonvivant, Geschäftsmann und Spieler im US-Poloteam hatte mich am Abend zuvor beim Dinner der deutschen Auswanderer Alicia und Daniel Adams eingeladen. Seit 2006 züchtet Adams, Mitbegründer von „Design Hotels“ hier Alpakas, 2009 gründete seine Frau die Mode- und Homewear-Linie „Alicia Adams Alpaca“. Ihr köstliches Home-Cooking, das regelmäßig für bis zu zwölf Leute an der privaten Tafel im Haus sorgt, hat sich schnell herumgesprochen – besser als bei den Adams kann man in die Gesellschaft von Dutchess County nicht eingeführt werden. „Komm morgen zum Polo vorbei und bring was zu trinken für uns Cowboys mit“, meinte Colley zum Abschied. „Bei gutem Wetter spielen wir auf dem Platz unserer Ranch, sonst in der Halle.“ Die Cowboys und -girls aus Manhattan, die jetzt mit uns an der Bande des überdachten Platzes stehen, trinken Flaschenbier, keinen Wein, tragen Reitkleidung, ausgebeulte Sweatshirts und Regenjacken. „Du bist das erste Mal hier?“, fragt eine Frau lachend. „Das sieht man. Das sind nicht die Hamptons, dear. Bei uns im Dutchess County geht es lockerer zu.“ Früh am Morgen, so erzählt sie, waren alle auf Kojoten-Jagd, zu Pferd und mit Hunden. Selbst Colleys Vater Dean war dabei, ein 84-jähriger ganzer Kerl und McDonald’s-Betreiber im großen Stil, der mir von seiner Zeit in München in den frühen Siebzigern vorschwärmt, als er dort die ersten deutschen Restaurants der Kette eröffnete. Das Geschäft und die Liebe zum Landleben hat er dem Sohn vererbt: 46 Pferde, Hunderte von Rindern und eine ganze Jagdhundemeute halten sich beide zu ihrem Wochenend-Vergnügen. Jeder spricht hier mit jedem. Kennst du einen, kennst du alle. „Die Pferdefreunde“, so erklärt mir ein anderer Gast, „treffen sich samstags immer bei Bruce. Die Fußballfans bei Massimo Ferragamo auf der Farm.“ Der Vorsitzende des USZweigs des italienischen Luxuslabels Salvatore Ferragamo habe sich nämlich ein eigenes Fußballfeld bauen lassen, wo er stets mit DorfPolizisten, Hauswarten, Nachbarn, Starfriseur Frédéric Fekkai und allen kickt, die sonst noch Lust darauf haben. Nur heute nicht: der Regen. Nach dem Polo lädt Bruces Polo-Kumpel Eddie Taylor deshalb in sein neues Bar-Restaurant „Purdy’s Farmer & the Fish“ ein. Erst vor zwei Jahren eröffnete der ehemalige Fischer, heute ein Großhändler für Meerestiere, seine erste Gaststätte außerhalb Manhattans. Die Kombination aus familiärer Kneipe und einem exquisiten Homegrown-Menü, das Gemüse kommt von der angeschlossenen BioFarm, ist ein Erfolg: Es ist proppenvoll, das Bier fließt in Strömen, heitere SocietyKlatschgeschichten aus erster Hand kursieren – und spätestens jetzt versteht man den besonderen Charme der Gegend, die sich so betont leger vom Hamptons-Jetset distanziert und spätestens seit „9/11“ wieder als Wochenenddomizil in den Fokus wohlhabender New Yorker gerückt ist. Die Cowboys von New York Vergessen Sie die Hamptons! In Dutchess County, anderthalb Stunden Fahrt vom Big Apple entfernt, liegt ein viel entspannteres Bilderbuch-Amerika. Silke Bender ließ mal locker. Katharina Poblotzki fotografierte 110 Anderthalb Fahrtstunden von Manhattan beginnt die nordamerikanische Idylle, in der schon zur Belle Époque die New Yorker Geldund Geisteselite die Landfrische suchte. Der Zug, gefüllt mit Fahrrad- und Wander-Ausflüglern, gleitet gen Norden: Wälder, so weit das Auge reicht, Weiden, auf denen Pferde wiehern, grüne Hügel, in die sich prachtvolle Landhäuser und postkartenschöne Farmen schmiegen. Eine seltsam vertraute Landschaft, die mich an meine Heimat, den Teutoburger Wald, erinnert, nur in XXL-Dimension. Hält man sich hier im Dutchess County doch schon für Nachbarn, wenn man 50 Kilometer entfernt wohnt. Das County umfasst neben der Hauptstadt Poughkeepsie rund 40 Puppenstuben-Ortschaften mit alten Holzhäusern und kaum mehr als 2000 Einwohnern, ein properes Ideal-Amerika wie bei den Waltons. In der Vanderbilt Mansion und dem Franklin D. Roosevelt House kann die Geschichte von Dutchess County, geprägt von niederländischen Einwanderern, besichtigt werden. In Millbrook residierte einst der geschasste Harvard-Professor und Drogenpapst Timothy Leary, wo er von 1963 bis 1967 im Schutz seines reichen Gönners die wohl berühmteste LSD-Kommune der Welt unterhielt. Das zehn Quadratkilometer große private Anwesen namens „Daheim“ wurde im 19. Jahrhundert im bayerischen Stil von einem deutschen Einwanderer erbaut und später von der Bankiersfamilie Hitchcock gekauft. Deren Spross, der PoloSpieler Tommy Hitchcock Jr., soll in den 20erJahren das Vorbild zu Tom Buchanan im F.-Scott-Fitzgerald-Roman „The Great Gatsby“ gewesen sein. Leider hat der heutige Bewohner und Nachkomme keine Lust auf Besucher, die sich speziell für die Leary-Episode seines Anwesens interessieren. Dafür öffnet sich am nächsten Tag leise summend und bei strahlender Sonne ein anderes Tor in Millbrook. Man fährt einige Minuten durch steile, grüne Hügel hinauf bis man standesgemäß unter Kieselknirschen vor das Haus der Bulgaris rollt. Von dem 1934 im Kolonialstil erbauten Herrenhaus hat man eine endlose Sicht auf das Hudson Valley und seine Wälder. „Es ist der Ort, an dem ich durchatmen kann“, sagt Veronica Bulgari, die Tochter des einstigen Bulgari-Chefs Nicola, der in den 70er-Jahren nach New York kam, um die Expansion des römischen Schmuckimperiums voranzutreiben. Sie selbst arbeitete 14 Jahre lang im Familienunternehmen, bis es 2011 an LVMH verkauft wurde. Heute ist sie als Markenbotschafterin aktiv und kümmert sich um die Charity-Projekte der Familie. „Hier habe ich die Muße, Freunde zu treffen, Fahrradtouren zu machen und meine Kinder unbeaufsichtigt spielen zu lassen. In Greenwich Village in New York geht das nicht“, erzählt sie. Ihre Mutter Anna gesellt sich zu uns an den Tisch in der Landküche, wo die Köchin selbst gebackenen Bananenkuchen und Cappuccino serviert. „Ich kam damals ja aus Rom nach New York“, sagt sie. „Ich liebte es, aber irgendwann schienen mich die Hochhäuser zu erdrücken. 1990 dann fand ich dieses Anwesen und diesen Blick, seitdem bin ich jedes Wo3 chenende hier. Die Gegend um Poughkeepsie ist jetzt im Indian Sommer besonders schön Vom Tegernsee an den Hudson: Alicia und Daniel Adams züchten jetzt Alpakas in Upstate New York Pferde, Pferde, Pferde: Samstags spielen die Wochenend-Cowboys Polo oder gehen zur Jagd, hier Bruce Colley Landlust auf Amerikanisch – Hunde und Gummistiefel sind zwingend erforderlich 111 Ross und Reiterin: Diandra Douglas mit ihrem Hengst Mexicano Zu Hause bei den Bulgaris: Auf dem Landsitz gibt es viel Platz zum Spielen Das Hotel „The Beekman Arms“ von 1766 nennt sich „das älteste Amerikas“ „Hier im Dutchess County sind die Menschen sehr auf dem Boden geblieben, hier kann ich entspannen“ D I A N D R A M O R R E L L D O U G L A S , Fa r m b e s i t z e r i n 112 3 Das Schöne an Millbrook ist, dass es mitten in der Natur liegt, aber überhaupt nicht provinziell ist. Die interessantesten Leute aus New York trifft man hier.“ Veronicas Sohn Oliver stürmt mit Neffe Simon und Carla, der Tochter der Köchin, herein. „Mama, wann fahren wir denn endlich?“ Die Kinder wollen zur Sister’s Hill Farm, ein Bio-Anbau-Projekt örtlicher Nonnen. Gegen eine Jahresgebühr kann man jedes Wochenende dort Gemüse selbst ernten oder abholen. „Sister’s Hill Farm ist der In-Treff von Millbrook“, sagt Veronica lachend. „Und die Kinder lieben es, ihre Tomaten selbst zu pflücken, die Karotten aus der Erde zu ziehen und zu wiegen.“ Und während sie ihre Gummistiefel anzieht, ruft sie uns noch zu: „Guckt euch un- bedingt das Dia Beacon Kunstmuseum und den Storm King-Skulpturenpark auf der anderen Hudson-Seite an. Und geht zum Essen unbedingt ins ‚Serevan‘, ein Armenier mit der besten orientalischen Fusionküche.“ Leider haben wir keine Zeit, die nächste Einladung wartet 20 Autominuten weiter. Diandra Morrell Douglas hat sich hier mit ihrem brasilianischen Lebensgefährten, dem GastroUnternehmer Paulo de Oliveira, vor zwei Jahren einen Lebenstraum erfüllt: Sie erwarben nach langer Suche eine eigene Farm. Noch leben sie in einer umgebauten Scheune und dem alten Farmhaus, das „richtige“ Haupthaus soll erst noch gebaut werden. Die ganze Familie samt Angestellten und Tierpark erwartet zum Picknick in der Sonne: ihre drei Kinder, die Zwillinge Hawk und Hudson, Tochter Imara, Viviane, die Freundin ihres Sohnes Cameron, die Hunde Blanca, Pasha und Namate und der andalusische Hengst Mexicano. Auf dem offenen Jeep, einem Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg, den sie mit der Farm erwarben, stapeln sich Picknickkörbe mit Kaffee, Tee, Nüssen und Keksen. Zu Fuß ist das Anwesen kaum zu fassen – eine ehemalige Schaf- und Maisfarm, die sich auf fast einen Quadratkilometer, drei größere Weiher und einen Privatwald erstreckt. Während Diandra mit dem Jeep eine kleine Tour durchs idyllische Gelände gibt, erzählt sie von ihren Zukunftsplänen: Auf der Farm sollen bald fast alle Blumen, Gräser, Sprossen und Kräuter wachsen, die sie für ihre neu gegründete Naturkosmetiklinie „Carpe Diem Farm“ benötigt. „Wissen Sie, ich bin auf Mallorca aufgewachsen, sehr ländlich und behütet. Genau dieses Gefühl und ein europäisches Flair habe ich hier in Millbrook wiedergefunden – und das möchte ich meinen jüngsten Kindern vermitteln. In Los Angeles habe ich mich nie wirklich zu Hause fühlen können.“ Die Diplomatentochter war Politikstudentin und Praktikantin im Weißen Haus, als sie mit 19 dort Michael Douglas kennenlernte. Hals über Kopf heiratete sie den 13 Jahre älteren Schauspieler, zog zu ihm nach Los Angeles. Die Scheidung 23 Jahre später ging als eine der teuersten in die Geschichte der Hollywood-Annalen ein. „Hier im Dutchess County sind die Menschen sehr auf dem Boden geblieben, hier kann ich entspannen“, erzählt sie weiter. „Mein Lieblingsplatz ist der japanische Innisfree Garden, einer der schönsten von Amerika.“ Die besten Restaurants für sie: Das „Café Le Baux“ in Millbrook und das „Stissing House“, wegen ihrer französisch-mediterranen Küche mit ausschließlich lokalen Produkten. Die Zugstrecke zurück führt den Hudson entlang. Nach Tagen im ländlichen Luxusidyll erreicht einen der Anblick der Großstadt nur noch bedingt – aber wenigstens sind die High Heels dort nicht deplatziert. Anzeige SONNTAG, 18. OKTOBER 2015 Global Diary LIFE PERFORMANCE SOLUTIONS Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer. Illustriert von Tim Dinter TORONTO Schwarze Lobbywände, auf ihnen weiße Stadtskizzen, knallbunte Loungesessel: Das „Thompson Boutique Hotel Toronto“ führt von Beginn an Kontraste vor – in der Bar mit Livemusik setzt sich das fort. Hier geht es unkompliziert zu, wie überall in der Stadt. Schwarz-Vorliebe im Design auch auf den Fluren und im Fahrstuhl. Umso erhellender erscheinen die Zimmer und Suiten: Holzboden, orange- oder lilafarbene Stoffe, ein Bad mit Ausblick. Durch die Räume weht eine Vintage-Brise, durch das glücklicherweise zu öffnende Fenster eine andere, meerähnliche Brise herüber vom Lake Ontario. Doch wozu dort verweilen, wenn es im 16. Stock die Rooftop-Bar gibt? Abends sind hier kaum Ü-30-Besucher auszumachen. Die Sicht auf die City bis nach Mississauga mit spektakulärem Sonnenuntergang ist sicher ein Grund. Der andere das Snack-Angebot, das sich deutlich von der verbreiteten Fast-Food-Kultur unterscheidet. Nationenauthentisch zubereitete Antipasti, Tacos oder Tapas, bunte Cocktails, internationale Weinauswahl samt kenntnisreicher Barchefin. Glasbalustraden sichern den Pool, in ihm zu schwimmen vermittelt mir die Illusion, über der Stadt mit ihrem Sound zu schweben. Das Faible der Kanadier für europäische Küche ist enorm, dem Hotel angeschlossen ist das Restaurant „Colette“ mit französischer Haute Cuisine, die kein bemühter Abklatsch ist, dafür sprechen die vielen Franzosen, die sich hier regelmäßig einfinden. Samstags am frühen Morgen die Überraschung: Auf der großen Sonnenterrasse des Hotels kommen gefühlt 150 Leute zusammen zum gemeinsamen Yoga und Sonnengruß – ein magischer Moment angesichts der optischen Umarmung durch das Skyline-Halbrund. Uta Petersen hat sich fest vorgenommen, Europa bald wieder Richtung Kanada zu verlassen SANSIBAR FALKE ULTRA ENERGIZING Tiefenwirksame Stimulierung der inneren und äußeren Blutbahnen F A L K E · P.O.BOX 11 09 - D-57376 SCHMALLENBERG / GERMANY Wo sonst findet man das: Imperiale Kolonialarchitektur trifft weißen Palmenstrand. Der Sand so fein, dass er durch eine Eieruhr rieseln könnte. Und nicht nur das. In Sansibar und seinem Unesco-Weltkulturerbe Stone Town wirbelt bei jedem Schritt uralte Geschichte auf. Exotische, elitäre und grausame Geschichte. 2000 Jahre lang war Sansibar nämlich bedeutender Umschlagplatz im indopazifischen Handelsverkehr, mit allem Glanz und Elend. Zigtausend afrikanische Sklaven wurden hier verschachert, ein Großteil erlag bereits vor Ort Hunger und Durst. Arabische Kaufleute brachten den Islam ins Land. Dazu kamen Zimt aus Sri Lanka, Nelken aus Indonesien, Ingwer aus China – Reichtum entstand. Dem konnte auch der Sultan von Oman, zugleich Regent über Ostafrika, nicht widerstehen. Er verlegte 1840 seine Residenz von Muskat auf die Insel. Kaiserreich Deutschland und die englische Krone unterhielten in jener Epoche Konsulat und Handelshäuser. Auf meinem Bummel durch das Gassenlabyrinth von Stone Town staune ich quasi an jeder Wegbiegung über das koloniale Erbe – vierstöckige Bauten mit geschnitzten Türen und hölzernen Veranden. Dennoch mischt sich in den Zauber eine gewisse Melancholie. Denn die sozialistische Regierung hat wenig Sinn für den Erhalt von Feudalbauten: Zahlreiche von ihnen verfallen. Andere aber fanden private Liebhaber und wurden sorgfältig restauriert. Märchenhafte Gästehäuser wie „Emerson on Hurumzi“ mit romantischem Rooftop-Restaurant entstanden. Ein ehemaliges Kontorhaus am Meer fungiert jetzt als historischer Flügel des neuen „Park Hyatt Zanzibar“. Ein zweiter im angeglichenen Orient-Stil kam dazu. Viel Marmor, Säulen und Springbrunnen sowie breite Himmelbetten in Zimmern und Suiten verpassen dem Hotel Pracht und zeitgemäßes Flair. Auf seiner hundert Meter langen Terrasse über dem Strand schwelge ich zum Abend gewissermaßen in zwei Welten. Vor meinen Augen segeln altertümliche Holzschiffe vorbei. Ich lasse die Eiswürfel im Gin Tonic klimpern und denke an Sindbad den Seefahrer. Tapas werden gereicht, anschließend eine Shisha. Das originale Tausendundeine-Nacht-Gefühl. Und wie einst auf der Promenade von Stone Town flanieren SansibarSchönheiten wispernd auf und ab. Farbenfrohe Gewänder fließen um schlanke Körper, Mandelaugen blitzen, schwerer Goldschmuck funkelt an Hals und Händen. Ich ahne, dass der Sultan damals noch einen weiteren Grund hatte, um von Oman nach Sansibar zu ziehen. Der Mix von Strand und Altstadt hat Autorin Kiki Baron den Abschied schwer gemacht FALKE Ultra Energizing, Art. Nr. 15730 FEEL THE 24 HOUR ENERGIZING EFFECT BAUPLAN 2 3 4 7 5 6 8 9 PRADA 1 DIE „INSIDE BAG“ VON PRADA In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden weiterhin Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu Bei Prada sieht man nun doppelt. Wer das neue Modell „Inside Bag“ aufzippt, wird durch eine zweite kleine Tasche im Inneren überrascht, beide sind aus Krokodil-, Straußen- oder Kalbsleder. Experimentierfreudige wählen Innen- und Außentasche in Kontrastfarben. Oder doch lieber ganz trendbewusst in Monochrom? In jedem Fall darf die Innere cool rausgucken. Gefertigt wird traditionell in der Nähe von Florenz. Wir haben uns angeschaut, wie aus 90 Einzelteilen in rund sechs Arbeitsstunden eine Tasche wird: 1. Basis ist die technische Zeichnung. 2. Aus einem Stück Nappaleder entstehen die Einzelteile mittels Schablonen und einem Zuschneidemesser. Den Anfang macht die Innentasche. 3. Alle da? Die ausgeschnittenen Einzelteile werden mit der technischen Zeichnung abgeglichen. 4. Auf links gedreht werden sie zusammen mit dem Reißverschluss vernäht. Das läuft bei beiden Taschen gleich ab 5. Die Innentasche ist fertig. Mit den Seitenflügeln wird sie später im Innern der Außentasche fixiert. 6. An der Außentasche wird der erste Teil der glockenförmigen Griffbefestigung genäht. Der Henkel liegt später gut vernäht zwischen dem ersten und zweiten Teil 7. Eine Paspel säumt die Außenränder und schafft einen sauberen Abschluss. Später wird hier der Reißverschluss befestigt 8. Die verbliebenen Teile der Außentasche können vernäht werden. 9. Innen- und Außentasche finden endlich zueinander. Finito! Übrigens: Die Inside Bag gibt es in drei Größen. Wir haben uns für die größte Variante entschieden. 114 Tel. 0211 / 86 47 00 louisvuitton.com