Geschichte der Gartenkunst – Inhaltsübersicht
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Geschichte der Gartenkunst – Inhaltsübersicht
Geschichte der europäischen Gartenkunst Skripte zur Vorlesungsreihe im Masterstudiengang Redevelopment auf Schloss Dyck Autor: Prof. Dr.-Ing. Hajo Lauenstein RWTH Aachen / Fakultät für Architektur Lehrgebiet Freiraum- und Grünplanung Inhaltsübersicht I. Vorgeschichte neuzeitlicher Gartenkunst (1_Vorgesch_neuzeitl_GaKu.pdf) 1. Gärten der Antike 1.1 Mesopotamien 1.2 Ägypten 1.3 Griechenland 1.4 Römisches Reich 4 5 5 7 2. Gärten des Mittelalters 2.1 Das Ende der Spätantike 2.2 Kloster- und Burggärten 2.3 Städtische Bürgergärten 10 11 12 II. Neuzeitliche europäische Gartenkunst (2_Neuzeitl_europä_GaKu.pdf) 1. Gärten der Renaissance 1.1 Der Beginn der Neuzeit 1.2 Villengärten in Italien 1.3 Schlossgärten nördlich der Alpen 14 14 19 2. Gärten des Barock 2.1 Die Konsolidierung des Absolutismus 2.2 Französische Barockkunst – Versailles 2.3 Hauptmerkmale barocker Gartenkunst 1 20 21 23 III. Gartenkunst des Industriezeitalters (3_GaKu_Industriezeit.pdf) 1. Englische Landschaftsgärten 1.1 Das vorindustrielle England 1.2 Entwicklungsstadien des Landschaftsgartens in England 1.2.1 Die Initialphase: Bruch mit den formalen Prinzipien 1.2.2 Die Ära William Kent: Dominanz der Emblematik 1.2.3 Die Ära Lancelot Brown: Dominanz des Pittoresken 1.2.4 Die eklektische Intervention: Exotik und Ornamentik 1.3 Einzug des englischen Landschaftsgartens in Deutschland 2. „Back to the roots“: Architektonische Gärten IV. Historie des öffentlichen Stadtgrüns 28 32 34 38 41 44 48 (4_Hist_öff_Stadtgrün.pdf) 1. Anfänge der Stadtbegrünung 49 2. Bürgergärten und Volksparks 50 3. Parks nach 1945 – Gartenschauen 54 V. Literatur 55 Anmerkungen: 1. Zu den Kapiteln I. – IV. gibt es jeweils eine pdf-Bilddatei, deren Abbildungen im Skript mit [Nr.] gekennzeichnet sind. Neben eigenen Fotos des Autors sind etliche Abbildungen aus den in der Literaturliste aufgeführten Quellen oder dem Internet verwendet worden. Von Herkunftsnachweisen wurde aus Zeitgründen abgesehen. Eine Entnahme von Abbildungen aus den pdf-Dateien für Veröffentlichungszwecke ist deshalb nicht statthaft! 2. Die in den Skripten klein gedruckten farbigen Passagen sind zusätzliche Hintergrund-Informationen; wichtige Begriffe und Kernaussagen sind durch Fettdruck hervorgehoben. 2 I. Vorgeschichte neuzeitlicher Gartenkunst 1. Gärten der Antike Der Mythos vom Garten Eden [3] … … beschreibt die fundamentale Sehnsucht des Menschen nach Frieden, Harmonie, Ruhe, Einklang mit der Natur und Freiheit von Ängsten. … ist im europäischen Kulturraum Synonym für einen Lust- oder Wonnegarten als utopisches Wunschbild. Erste Gärten … … können frühestens mit Beginn der Sesshaftigkeit entstanden sein, sind mithin an die Anfänge menschlicher Zivilisation und Kultur zu stellen. … waren anfangs mit Sicherheit dem Anbau von Nährpflanzen vorbehalten, da Sesshaftigkeit eine Folgeerscheinung von Ressourcenknappheit im Siedlungsgebiet war. … waren – zum Schutz vor Gefahren und Unwirtlichkeit der Natur – immer eingehegte (daher: Hag, Hecke u. engl. Hedge) bzw. eingefriedete Freiräume. Gartengestaltung [4] entspringt dem Bedürfnis … … die Natur zu beherrschen, … eine zweckdienliche und wohlgefällige Ordnung herzustellen und … den Unwirtlichkeiten der Natur etwas entgegen zu setzen: - der bewegten Topografie - gerade Linien, rechte Winkel und ebene Flächen, - der zerstörenden Wildheit der Fließgewässer - den „gebändigten“ Wasserlauf, in Stein gefasste, geometrisch geformte Kanäle, Quellbrunnen, Wasserbecken, - dem Wind – die Einhegung und/ oder eine dichte Abpflanzung im Randbereich, - der Hitze und Trockenheit - die kühlende künstliche Bewässerung der Schatten spendenden Bäume, berankten Lauben und Beete, - der ungeregelt wachsenden und sich spontan ausbreitenden Vegetation - die reguläre Pflanzung und den Formschnitt von Sträuchern und Bäumen sowie die in geometrisch gefassten Beeten geordnet kultivierten Nutz- und Zierpflanzen, - den gefährlichen Wildtieren - die gezähmten und gezüchteten Tiere im umfriedeten Hof- u. Gartenareal. „Naturnahe Gartengestaltung“ … … konnte in den Anfängen der Gartenkultur kein Thema sein, denn die setzt voraus: - ein von äußeren Zwängen, Existenznot und Bedrohungen freies Leben, - ein tiefes Verständnis für Naturzusammenhänge und Naturschönheit, - eine Lebenshaltung, die den Einklang mit der Natur als kulturelles Gut begreift. … als Ausdruck eines aufgeklärten Naturverständnisses und kultivierten Naturgefühls beginnt in Europa Anfang des 18. Jahrhunderts in England mit dem Landschaftsgarten. „Neuzeitliche Gartenkunst“ … … meint die Gartenkunst seit Beginn der Renaissancezeit und ist anfangs nicht neu, sondern eine Wiederbelebung von Gestaltungsprinzipien der antiken Kulturen des Mittelmeerraumes: 1.1 Mesopotamien 1.2 Ägypten 1.3 Griechenland 1.4 Römisches Reich 3 1.1 Babylonien und Assyrien Mesopotamien [5], das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris wird gemeinhin als Wiege der Zivilisationsgeschichte der Menschheit angesehen. Gesichert ist die Kenntnis mindestens 6000 Jahre alter Siedlungen; neuere Ausgrabungen gehen von noch älterer Herkunft gefundener Siedlungsreste aus. Die Kenntnisse über Gärten dieser Kulturen sind spärlich und gründen sich hauptsächlich auf schriftliche Überlieferung der Griechen. In der Geschichtsschreibung wird zunächst das gesamte Flussgebiet vom Austritt des Euphrat u. Tigris aus dem Taurusgebirge im Norden (heute = türkisches Territorium) bis zum Delta des Persischen Golfs als Nord- u. Südbabylonien geführt. Ab 1800 v. Chr. stößt das assyrische Bergvolk in die Tigrisebene vor; der Name Assyrien taucht ab etwa 1400 v. Chr. für das Gebiet beiderseits des Tigris nördlich von Samarra auf. Babylonien ist seitdem nur noch das Gebiet des fruchtbaren Schwemmlandes südlich vom heutigen Bagdad bis zum Delta beider Flüsse am Persischen Golf. Ab 1400 v. Chr. wird dem entsprechend die „klassische Kultur Babyloniens“ datiert, die rund 350 Jahre bis etwa 1050 v. Chr. - währt. Babylonien und Assyrien mussten ab etwa 1050 ihre Gebiete zunächst gegen vordringende aramäische Nomaden verteidigen, bekämpfen sich aber auch immer wieder gegenseitig, was schließlich 689 zur totalen Zerstörung der Stadt Babylon durch den assyrischen Herrscher Sanherib führt. Babylon wird von dessen Sohn in den folgenden 20 Jahren wieder aufgebaut, steht aber in ständigem Zwist mit dem aramäischen Bevölkerungsteil Babyloniens. Ab 626 v. Chr. gelingt den Babyloniern die Vertreibung der Assyrer; Assyrien wird zwischen Babyloniern und Medern aufgeteilt und gerät als Provinz schließlich in die Bedeutungslosigkeit. In Babylonien etabliert sich das so genannte Chaldäerreich, und unter König Nebukatnezar II. (ab 605) erhebt sich Baylonien nochmals (für ca. 60 Jahre) zur Großmacht, bis es - 539 v. Chr. - vom Perserkönig Kyros erobert wird. Die Babylonier legten Gärten nicht nur als Repräsentationsobjekte an, sondern als Orte der Besinnlichkeit und Sinnlichkeit, Raum für einen Teil täglichen Lebens und der Lebensfreude. Die besondere Wertschätzung der Gartenfreuden mag vor allem darin begründet liegen, dass – zumindest im alten Babylonien – an ein Leben nach dem Tod nicht geglaubt wurde. Glückseligkeit war also nur zu Lebzeiten zu erlangen.Legendären Ruf erlangten die sog. „Hängenden Gärten der Semiramis“ [6] in Babylon, - ein ca. 30 m hohes Bauwerk aus gestuften Gartenterrassen, deren üppige Begrünung mit Wasser aus dem Euphrat künstlich versorgt wurde. Unter den Terrassen befanden sich – ähnlich wie bei der Isola Bella – Räume und Gänge [7]. Die Dachbegrünung ist also nicht etwa eine Erfindung der Neuzeit! Die Assyrer sollen das Umfeld von Tempelanlagen gärtnerisch gestaltet und – nach babylonischem Vorbild – ebenfalls Terrassen bepflanzt haben [8]. Überliefert ist auch, dass die Assyrer – wie später in gleicher Weise die Perser – sogar in ursprünglich kargen Landschaftsteilen ausgedehnte parkähnliche Anlagen schufen, in denen die gepflanzten Gehölze künstlich bewässert, Teiche als Wasserreservoirs und zur Fischzucht angestaut und Tiere für die Jagd angesiedelt wurden. Die Perser nannten diese Anlagen „Paradeisos“, woraus später das „Paradies“ wurde; „Eden“ soll im altpersischen „Umwallung“ und zuvor im sumerischen „Steppe“ bedeutet haben. 4 1.2 Ägypten Als Hochphase ägyptischer Kultur sind die rund 500 Jahre zwischen 1550 und 1080 v. Chr. anzusehen; es war die Phase in der z.B. Echnaton, Ramses II und Tutanchamun regierten. Ab 525 v. Chr. ist Ägypten Provinz des Persischen Reiches; die Perserherrschaft wird erst 332 v. Chr. (nach fast 200 Jahren) mit Hilfe der Söldnertruppen Alexanders des Großen beendet. Um 150 vereinnahmt Rom das Alexanderreich, belässt aber Ägypten relative Autarkie (allgemein bekannt: „Cäsar und Kleopatra“); erst unter Oktavian werden – nach Selbstmord Kleopatras 30 v. Chr. – Teile Ägyptens annektiert. Die Gärten des alten Ägypten entlang des Nil von Gise am Delta bis südlich von Abu Simbel (heutige Grenze zum Sudan) sind als erste hinreichend dokumentarisch belegt. Das Wissen über diese Gartenanlagen verdanken wir z.T. erhaltenen Papyrus-Schriften wie auch den Inschriften und Wandmalereien in Gräbern [9]. Dokumentiert sind dadurch Gärten in der Umgebung von Tempeln, Palästen, Landhäusern von hohen Würdenträgern, von Offizieren und Priestern [10]. Gartenanlagen im alten Ägypten waren selten größer 3000 m2, - nach heutigen Maßstäben also keine Parks. Diese Gärten dienten der Verehrung von Göttern und Pharaonen, aber auch als Orte der Entspannung. Auch die Pyramiden, heute in kahler Wüste, waren einst von Gartenanlagen umgeben. Gestaltungs- und Funktionsprinzipien: [11] - geometrisches Ordnungsprinzip, Axialsymmetrie bevorzugt - rechteckige bis quadratische Grundrissformen, keine Rundungen - deutliche Ähnlichkeit zwischen Gebäude- und Gartengrundriss - Umfassungsmauern als Abgrenzung und Windschutz - berankte Lauben (meist Wein), Bäume, Großsträucher als Schattenspender - Bewässerungsrinnen und Wasserbecken (meist rechteckig) als „Kühlelemente“ - abgesenktes Terrain, sofern die Bewässerung aus Fluss oder See erfolgte Gestaltungselemente: - höhere Baumarten zur Betonung der Raumgrenze an der Peripherie - Eingangslauben und Gartenlauben als architektonische Raumelemente - kleinere Zier- oder Obstgehölze in Reihen und Blöcken zur Raumdifferenzierung - Blüten-, Duft- u. Nähr- u. Heilkräuter als Gehölzunterpflanzung u. auf Rabatten - Zentralbecken od. mehrere kleine Becken in symmetrischer Anordnung - gerade Wasserrinnen in axialer bzw. axialsymmetrischer, paralleler Lage 1.3 Griechenland Die älteste europäische Hochkultur ist die minoisch-mykenische Kultur zwischen 2800 bis 1075 v. Chr. (Knossos und Phaistos auf Kreta sowie Mykene und Tiryns auf dem Peloponnes). Durch archäologische Befunde belegt sind ab dem 12. Jh. v. Chr. in diesem Kulturkreis zerstörte Siedlungen und Bevölkerungsrückgang in großem Umfang. Belegt sind auch die sog. „Ägäische Wanderung“ und ein deutlicher kultureller Verfall, der nicht nur im Rückfall vom Stein- zum Lehmbau, sondern auch im Fehlen der mykenischen Schrift gesehen wird. Neuere geologische Befunde lassen für genau diese Zeit einen katastrophalen Ausbruch eines unterseeischen Vulkans bei Santorin vermuten, dessen Tsunami-Flutwelle, Asche und Rauch im gesamten Mittelmeerraum vernichtende Folgen gehabt haben dürfte und möglicherweise der Ursprung der Atlantis-Sage ist. Licht in dieses von der Geschichtsschreibung sogenannte „Dunkle Zeitalter“ kommt erst wieder mit der „Geburt“ der griechischen Schrift und den Dichtungen Homers ca. 800 v. Chr. sowie durch Hesoids Schrift „Werke und Tage“ um 700 v. Chr. 5 Das 6. Jahrhundert ist dann die Zeit des Überganges von der Tyrannis zur Polis als Staat, die ihren Anfang nahm mit der Schaffung von Gesetzen und Rechtsprechung in den Gebieten von Sparta, Korinth, Athen (um nur einige zu nennen). Als Blütezeit der griechischen Polis, in der es gelungen war, den Adel in die politische Organisation der Stadt einzubinden und ein demokratisches System (mit Volksversammlung u. Volksgericht) zu installieren, gilt – zumindest für Athen – die Zeit zwischen 500 u. 400 v. Chr. Die demokratische Staatsform der griechischen Polis hatte immerhin einen dreißigjährigen Friedensschluss und die Bündnispolitik Athens mit Sparta zur Folge und Athen konnte sich in dieser Zeit relativ stabiler Ruhe zwischen 500 und 400 v. Chr. zu einem kulturellen Zentrum Griechenlands entwickeln: Es ist - die Zeit der Philosophen Sokrates (470 – 399) und des bedeutendsten Sokratikers Plato (427 – 347), der 13 Jahre nach Sokrates’ Tod (387) die Akademie in Athen gründet, - die Zeit, in der Sokrates’ Schüler Aristoteles (384 – 322), ab seinem 41. Lebensjahr drei Jahre lang (343 – 340) Alexander d. Großen von Makedonien unterrichtet, - die Zeit der Dichtungen des Euripides und Sophokles und - die Zeit in welcher der „Schöne Stil der Zweiten Klassik“ entsteht – ausdrucksvolle Götterstatuen, Reliefs und das Korinthische Kapitell. Im Jahr 403 v. Chr. wird in Athen das ionische Alphabet eingeführt und zur verbindlichen Staatsschrift. Alles in allem – eine wissenschaftliche und kulturelle Hochphase, aber … dauerhaften äußeren Frieden (oder gar die Abschaffung der Sklaverei) hat diese Zeit nicht gebracht, denn in sie fallen zunächst die Perserkriege (in deren Ergebnis es u.a. den Spartanern gelingt, den Fortbestand griechischer Städte in Kleinasien zu sichern) und schließlich der Peleponnesische Krieg.Während Athen und Sparta sich auch bis ins 3. Jh. v. Chr. in Kriegen gegen die Perser und schließlich sogar wieder gegeneinander aufreiben und den Niedergang der Poliswelt einleiten, erstarkt Phillip II. von Makedonien und erlangt 359 v. Chr. die Vorherrschaft über Griechenland. Phillips Sohn und Aristoteles-Schüler Alexander (356 – 323 v. Chr.) baut diese Macht aus, besiegt die Perser, zieht bis nach Indien und schafft damit das riesige hellenistische Weltreich, dessen Existenz aber bald mit der Einverleibung durch die Römer endet. Sizilien wird schon 241 v. Chr. von den Römern erobert, Spanien 201 und seit 146 v. Chr. ist „Macedonia“ mit Teilen Griechenlands (u.a. nach Zerstörung Korinths) bereits Römische Provinz. Es folgt die Einnahme von Teilen Nordafrikas und Asiens durch Rom. Nicht nur ihrer ständigen Kriegshändel wegen blieb den Griechen für die Gartenkunst wenig Muße, sondern es war auch in den dicht besiedelten Städten für Gartenanlagen nicht genug Raum [12]. Privates Leben im Freiraum spielte sich in Innenhöfen ab, bei denen zu unterscheiden ist zwischen Atrium und Peristyl [13]. Das Atrium, quasi Empfangshof, hatte rundum ein nach innen geneigtes Schrägdach, dessen abtropfendes Regenwasser direkt in einem Zentralbecken aufgefangen wurde. Das Peristyl war i.d.R. größer und hatte säulengestützte Schrägdächer auf zwei gegenüberliegenden Seiten oder rundum (= Vorbild des mittelalterlichen Kreuzganges). Nur im Peristyl war eine – allerdings bescheidene – Begrünung möglich. “Gärten“ waren allenfalls die wesentlich größeren Peristylhöfe von Gymnasien und an den Privathäusern von Philosophen und Gelehrten – zur ungestörten Ausübung der Lehr- und Lerntätigkeit. [14]. In diesen soll es Obst- und Ziergehölze, weinberankte Pergolen u. dergl. gegeben haben. Die aus Ägypten bekannte Einheit von Gebäude und einer umgebenden gestalteten Gartenanlage scheint bei den Griechen nie in Mode gekommen zu sein. Größere Gartenanlagen gab es nur außerhalb der Städte und die waren reine Nutzgärten; Baumgärten mit Äpfeln, Birnen, Feigen und Oliven, Weinspalieren und Gemüsebeeten. Sie waren von Hecken und Mauern umgeben und wegen der Bewässerung bevorzugt an Hängen angelegt. 6 Als quasi „städtisches Grün“ gab es im Umfeld von Tempelanlagen Baumhaine, die der Verehrung von Göttern und Helden dienten, aber eher den Charakter von Wäldchen hatten, d.h. nicht gestaltet waren. Die Gestaltung der Stadträume beschränkte sich auf einzelne Schatten spendende Großbäume (meist Platanen), kühlende Brunnen und Wasserrinnen sowie plastische Schmuckelemente. Gärten und parkartige Anlagen in griechischen Städten sind erst in der Zeit Alexanders des Großen (336 – 323 v. Chr.) aufgekommen. 1.4 Römisches Reich In der Zeit etwa, in der Homer seine Epen geschrieben haben soll, beginnt in Rom die sog. Königszeit; sie währt von 753 v. Chr. (Romulus als erster römischer König) bis ans Ende des 6. Jh. v. Chr. Schon vor der Blütezeit der griechischen Polis gibt es in Rom die „Volksversammlung“ und über ihr den Senat als Beratergremium der Könige. Aber demokratisch im echten Sinne war diese Struktur nicht, denn die Könige hatten unumschränkte Machtbefugnis. Ab 510 datiert die erste Republik, die sog. Alte Republik: Die Adelsstände stürzen Tarquinius Superbus als letzten römischen König und … der Senat fungiert fortan als Institution der Konsensfindung innerhalb des Patriziats, d.h. des grundbesitzenden Geburtsadels. Dem gegenüber organisieren sich schon wenig später die Plebejer (Bauern, Handwerker, Besitzlose) im sogenannten „concilium plebis“ und … wählen Volkstribune als Vertreter ihrer Interessen und Rechte, die ihnen jedoch nicht zugestanden wurden. Das hatte mehr als 200 Jahre währende innere Ständekämpfe zur Folge. In dieser Zeit hatten die Römer Kämpfe zur Sicherung ihres Territoriums zu bestehen, - gegen die 387 v. Chr. einfallenden Kelten, …. und rund 50 Jahre später begann ihre Expansionspolitik: 338 unterwarfen sie Latium und anschließend Mittel- und Unteritalien. Zu einer formalen Anerkennung des Volkstribunats kommt es erst 100 Jahre nach dem Keltenkrieg: Ab 287 v. Chr. etabliert sich das römisch-republikanische System, die sog. Klassische mittlere Republik. In der Klassischen mittleren Republik zwischen 287 u. 133 v. Chr. expandiert Rom zur Weltmacht. Ab 241, beginnend mit Sizilien, werden in den nächsten rund 100 Jahren nacheinander Sardinien, Spanien, Mazedonien (148) mit Teilen Griechenlands (146) erobert, dann (ebenfalls 146) Karthago und anschließend Teilgebiete Kleinasiens. Die sog. Späte Republik ab 133 bis zu Cäsars Ermordung 44 v. Chr. ist zunächst gekennzeichnet durch soziale und politische Desintegration. In Sizilien kommt es zu zwei Sklavenaufständen. Es folgt der Bundesgenossenkrieg mit den Latinern, in dem Rom aber letztlich die Oberhand behält. Nach außen wird Rom in kriegerische Auseinandersetzungen mit aus dem Norden vordringenden Volksstämmen verwickelt und in Kleinasien muss sich Rom zwischen 88 und 81 v. Chr. gegen Übergriffe des Mithradates, König von Pontos, auf römische Provinzen zur Wehr setzen. Gleichzeitig (86 v. Chr.) wird – nach einjähriger Belagerung – Athen durch den Feldherren Sulla erobert und geplündert …. … und 4 Jahre danach – im Jahre 82 v. Chr. – gelangt Sulla in Rom an die Macht und wird Diktator. Unter Sulla wird das Volkstribunat entmachtet und der Senat als Vertreter des Adels soll die alleinige Kontrolle über das politische Leben erhalten. Durch die Konsuln Pompeius und Crassus werden die Rechte der Volksvertreter wieder hergestellt; beide waren zuvor an der Niederschlagung des Spartacus-Aufstandes (73 – 71 v. Chr.) maßgeblich beteiligt. Zusammen mit Julius Caesar, der 59 v. Chr. zum Konsul gewählt wurde, bilden sie das sogenannte 1. Triumphirat, ein Bündnis, welches Caesar aber nur eingeht, um sich das Wohlwollen des Imperiums auch für die Zeit seiner Abwesenheit während des geplanten Feldzuges nach Gallien und Germanien zu sichern. Schon vorher beherrschte Rom die gesamte kleinasiatische Mittelmeerküste einschließlich Bythinia (das spätere Byzanz) und vereinnahmt worden waren zudem im Süden Syrien und Palästina (63 v. Chr.). Bald darauf wurde Hispania römische Provinz, anschließend Gallien. Von dort dringt Caesar in rechtsrheinisches Gebiet vor, durchzieht Germanien und setzt im Jahre 55 v. Chr. erstmalig nach Britannien über. (Denselben Weg nimmt ab 29 n. Chr. auch Gaius und vereinnahmt Britannia im Jahr 44 n. Chr. – 99 Jahre nach der ersten Caesar-Unternehmung – als römische Provinz.) 7 Pochend auf seine Siege hatte Caesar einen erblichen Imperatortitel sowie das lebenslange Recht, als Diktator zu regieren eingefordert und schließlich zugestanden bekommen. Aber gerade die darin zum Ausdruck kommende Missachtung republikanischer Prinzipien führt zu einer Verschwörung, die in der Ermordung Caesars auf einer Senatssitzung am 15. März 44 v. Chr. gipfelt. Der Erbe Caesars, Octavian, bildet danach mit Antonius und Lepidus ein Triumphirat, das am Anfang des sog. „Prinzipats“, d.h. der Römischen Kaiserzeit steht, welche datiert wird ab Caesars Tod, von 44 v. Chr. bis 285 n. Chr. Erster Kaiser wird 27 v. Chr. Oktavian als „Imperator Caesar divi filius Augustus“, unter dem – nach dem Selbstmord Kleopatras 30 v. Chr. – erst Ägypten, dann Alexandria und Zypern römische Provinz werden. Oktavians Regentschaft währt bis 14 n. Chr. – immerhin 41 Jahre(!); bis 285 folgen 47 weitere (west-) römische Kaiser (pro Kaiser – im Schnitt jeweils nur knapp 6 Jahre Regentschaft). Nach 285 v. Chr. beginnt wegen der Unbeherrschbarkeit der Lage im riesigen Reich das sogenannte Mehrkaisertum. Byzantium wird durch Konstantin I. als Hauptstadt eines weitgehend autarken Oströmischen Reiches erkoren und ab 325 umgebaut und heißt fortan Konstantinopel. Ab 285 – mit der Gewaltenteilung zwischen dem Weströmischen und dem (von Potentaten griechischer Abstammung regierten) Oströmischen Reich (später = Byzantinisches Reich) – datiert die Geschichtsschreibung die Periode der Spätantike. Erst ab dem 2. Jh. v. Chr. – im Zusammenhang mit der Eroberung von Teilen des hellenistischen Weltreiches – war das römische Machtzentrum so sicher und waren adlige Feldherren oder deren Erben durch Eroberungszüge zum Ruhme Roms so reich geworden, dass die Etablierung von Gartenkunst in den Bereich des Möglichen rückt. Die Landwirtschaft war wichtigster Wirtschaftszweig des Imperium Romanum. Die meisten Römer der Oberschicht waren Landwirte und verbrachten, soweit der Staats- oder Kriegsdienst es erlaubte, ihre Zeit auf ihren von Sklaven bewirtschafteten Landgütern und bezogen ihre Stadtvillen zu besonderen Anlässen und in den Wintermonaten. Zu unterscheiden sind die „villa urbana“ als Herrensitz in der Stadt und die „villa rustica“ als Wohngebäude auf dem ländlichen Wirtschaftsgut [15]. Die Stadtvillen waren im Prinzip derselbe Typus wie schon bei den Griechen und auch meistens von Bebauung eingezwängt; seitlicher oder rückwärtiger Anbau und Zugang waren i.d.R. allenfalls bei Ecklage des Grundstücks möglich [16]. Für die Landvillen bevorzugte man – wie schon bei den griechischen Landgütern – die Hanglage. Es gab Wasser vom Hang oberhalb des Anwesens, frische Luft, Licht auf allen Gebäudeseiten und für die begüterten Römer wurde die „villa rustica“ immer mehr zum bevorzugten Wohnsitz (später als „villa suburbana“ bezeichnet). Nachdem durch den Bau der Aquädukte eine ausreichende Versorgung mit Frischwasser gewährleistet war, wurden größere Höfe üppiger begrünt und aus Quell-becken bewässert. Die Wasserbecken der Atrien erfuhren zusätzliche Kühlung durch Springstrahlen und mit Fresken an den überdachten Wandflächen wurden die Höfe noch wohnlicher – kleine Oasen in der „steinernen Stadtwüste“. Die Landvillen erhielten gegen Ende vorchristlicher Zeit immer ausgedehntere und aufwändiger gestaltete Gartenanlagen. Um 13 v. Chr. hatte Vitruv sein 10 Bände umfassendes Werk „De Architectura“ vollendet, in dem dieser Typus ausführlich behandelt wird. Tatsächlich scheint sich etwa in dieser Zeit die sogenannte „villa suburbana“ als reine Erholungs- und Vergnügungsstätte und mit ihr die Gartenkunst fest etabliert zu haben. Im Jahr 79 hat der Ascheregen des Vesuvs nicht nur Baugrundrisse, sondern auch Wandmalereien mit Darstellungen der Gärten solcher Villen konserviert. 8 Eine bildhafte Beschreibung, nach der man sogar Rekonstruktionszeichnungen fertigte, lieferte Plinius der Jüngere (62 – 114 n. Chr.) von seinen Villen in Laurentium [17] und Tusculum [18]. Die von Vitruv – und zuvor auch bereits von Varro (116 – 27 v. Chr.) – beschriebenen Lage- und Gestaltungsaspekte finden sich hier alle wieder. Kriterien für die Lagewahl der „villa rustica“ bzw. „villa suburbana“: - Bewässerungsmöglichkeit - gute Bodenverhältnisse - hinreichende Besonnung (keine nordseitige Hanglage) - günstige Belüftung (aber keine windexponierten Lage) - schönes landschaftliches Panorama, Blick auf die Acker- und Obstanbauflächen Gestaltungselemente des ländlichen Villengartens: - Säulengang (porticus) an der Villenfront mit Blick in die offene Landschaft - vorgelagerte Terrasse (xystus) mit regelmäßig angeordneten Beeten - Beete mit geschnittener Buxeinfassung, Rasen oder Blumen - Skulpturen u. Terrakottenschmuck - verschiedene Gartenteile: Blumengarten (floralia) Wildgarten (paradisus) Küchengarten (hortus pinguis o. rusticus) Obstgarten (pomarium) - Wege zwischen den Gartenteilen von Blumenrabatten gefasst - Treppe an der Brüstungsmauer zur Ebene unterhalb der Terrasse - unten vor der Brüstungsmauer – Laubengang mit Sitzplätzen (meist mit Wein berankt) - auf der Fläche vor dem Laubengang – Spaziergang (ambulatio) - Wege mit geschnittenen Heckeneinfassungen (Buche, Buxus, Lorbeer, Rosmarin) - bei Plinius: Rundweg in Form eines Hippodroms und ein Teilbereich mit Badebecken - Umfassungsmauer durch Gehölze kaschiert (Granatapfel, Myrthe, Oleander, Oliven) Eine Anlage, die all diese Elemente aufwies, war die Hadriansvilla in Tivoli, erbaut von 118 – 138 während der Regentschaft des Kaisers Hadrian [19]. Anmerkung im Vorgriff auf die Renaissane: Da im 15. Jahrhundert Leon Battista Alberti bei der Abfassung seiner 10 Bücher über die Baukunst (1. Druckausgabe: Florenz, 1485) darauf zurückgreift, sind dann in der Renaissance in Italien die Prinzipien und Elemente der Gestaltung weitgehend dieselben. Mit dem Ausbau der privaten ländlichen Gärten ging dann auch die Anlage öffentlicher Gärten in den Städten einher. „Öffentliches Stadtgrün“ ist also nicht etwa eine Erfindung der nachmittelalterlichen Zeit. Typische Elemente des öffentlichen Stadtgrüns waren: - Haine und Alleen aus Platanen, Schirmpinien, Zypressen - Geschnittene Baumhecken, Laubengänge, berankte Pergolen - Wasserkanäle und -becken, Springbrunnen, Grotten mit Quellen - Heroenhaine, Nymphäen, Skulpturenschmuck (erbeutete Statuen aus aller Welt). 9 2. Gärten des Mittelalters [20] 2.1 Das Ende der Spätantike Im Jahr 476 endete mit der Absetzung des weströmischen Kaisers die Herrschaft Roms über den gesamten Mittelmeerraum und die Historiker stimmen weitgehend darin überein, dass dieses Ereignis das Ende der Spätantike (285 – 476) markiert. Den Anfang des Mittelalters hingegen kann man nicht datieren ohne Berücksichtigung der z.T. großen regionalen zeitlichen Differenzen zwischen Ereignissen, die symptomatisch für das Ende der spätantiken bzw. den Anfang der mittelalterlichen Epoche sind. Als Anfangsdaten des europäischen Mittelalters werden genannt: 375 – Beginn der Völkerwanderung 410 – Eroberung und Plünderung Roms durch die Goten unter Alerich 455 – (kein „Eckdatum“) nochmalige Plünderung Roms durch die Vandalen 476 – Absetzung des letzten weströmischen Kaisers [Ein Ereignis ca.100 Jahre nach Ende des weströmischen Kaisertums wird (aus der Sicht Italiens nicht unbegründet) ebenfalls als Beginn des Mittelalters angesehen: 568 - die Besetzung Italiens durch die Langobarden, welche erst 200 Jahre später (774) die Macht an die Karolinger abtreten müssen.] Im 5. Jahrhundert findet der allmähliche Rückzug der Römer aus den germanischen und fränkischen Gebieten statt; zumindest für Teile Germaniens ist das der Beginn des Mittelalters. Der Grund für den römischen Rückzug aus den germanischen und fränkischen Provinzen (und damit auch aus Britannien) dürfte weniger darin zu sehen sein, dass 410 die Goten und 455 die Vandalen in Rom hausten oder die Römer germanischer Übermacht wichen, sondern eher darin, dass die Agrarausbeute nicht mehr reichte, um nördlich der Alpen die Truppen noch ausreichend zu ernähren: Eine Klimaabkühlung im 5. Jahrhundert minderte empfindlich die Erträge; dieser Umstand wird als Auslöser der Völkerwanderung angesehen – die Suche nach ertragreicherem Lebensraum. In südlichen Gefilden – sofern dieser Klimawechsel weltweit wirksam war – könnte das dort dann vermutlich gemäßigtere Klima zu höheren Erträgen und zu einem Aufschwung beigetragen haben; jedenfalls mehrt sich von dorther der Druck auf Rom und Byzanz. Auffällig ist, dass im 7. Jh. die Großoffensive islamischer arabischer Volksstämme gegen die römischen Provinzen einsetzt, in denen sich (seit etwa dem 4. Jh.) das Christentum etabliert hatte. 632 war der Prophet Mohamed gestorben – ein „Kreuzzug“ gegen die Ungläubigen? Tatsache ist, dass schon fünf Jahre später (637) die Römer Jerusalem an die Araber unter Omar verlieren. 674 – Konstantinopel wird vier Jahre von Arabern belagert, setzt sich aber letztlich durch 711 – Iberien (Südspanien) fällt in maurische Hand (und bleibt es bis 1492) 827 – Sarazenen in Sizilien 846 – Sarazenen plündern das päpstliche Rom (Leo IV.) östlich desTiber und können erst drei Jahre später von den Karolingern (Ludwig II.) vertrieben werden. Zu dieser Zeit (Mitte des 8. Jh.) hatte das Byzantinische Kaiserreich, dessen Hauptstadt Konstantinopel von Kaiser Konstantin I. ab 324 zum Machtzentrum auf- und ausgebaut worden war, schon über 500 Jahre festen Bestand. Byzanz war zu hoher kultureller Blüte gelangt und die christlich-orthodoxe Kirche hatte beträchtlichen Einfluss bis weit in den europäischen Raum hinein gewonnen. Das Ende des Mittelalters wird – weitgehend übereinstimmend – in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert: Zu dieser Zeit existierte Byzanz nun schon über 1100 Jahre, konnte aber die jahrelang immer wieder erfolgenden Vorstöße muslimischer Truppen (inzwischen mit Kanonen ausgerüstet) letztlich nicht mehr verkraften, - 1453 fällt Konstantinopel in die Hand der Sarazenen ... und in eben diese Zeit fällt der der Beginn der Renaissance in Italien. Ein (sicherlich aus Spanien stammender) Alternativ-Vorschlag für die Datierung des Endes der mittelalterlichen Epoche ist das Jahr 1492: 1. Die Entdeckung Amerikas (500 Jahre zuvor waren allerdings die „Wikinger“ schon dort!) 2. Die Vertreibung der Mauren aus Iberien. 10 Zurück ins 5. Jahrhundert: Bereits 470 hatten die Franken eineigenes Reich in Nordostgallien etabliert, das sie dann über 500 Jahre beherrschen und – unter den Karolingern – beträchtlich (wie oben angedeutet – u.a. bis nach Italien) ausweiten. Die Franken hatten keine Enteignung der gallorömischen Aristokratie und Vertreibung der verbliebenen Romanen betrieben, sondern auf politisch-soziale Integration der gallorömischen und fränkischen Oberschichten gesetzt. Der Integrations- und Assimilationspolitik der merowingischen und karolingischen Könige ist zu verdanken, dass (im Unterschied zu anderen germanischen Eroberungsvölkern) mit der Ausweitung ihres Herrschaftsraumes zum karolingischen Weltreich materielle und geistig-kulturelle Hinterlassenschaften nicht sinnlos vernichtet wurden. Im fränkisch-germanischen Raum waren Politik, Wirtschaft, Rechtsprechung wie auch die soziale und kulturelle Entwicklung stark durch das weströmische wie auch byzantinische Vorbild beeinflusst. Die Franken hatten sich allerdings nicht der byzantinischen, sondern sehr früh schon der römischkatholischen Glaubensrichtung ihrer römischen Besatzer zugewandt und nach der Machtübernahme in ihrem Herrschaftsraum den Missionaren freie Hand gelassen. Mönchsorden erhielten Lehen wie der Feudaladel und so war – auch durch Inanspruchnahme von Frondiensten (Sklaverei gab es nicht mehr) – die materielle Existenz der römisch-katholischen Geistlichkeit im fränkischen Raum gesichert. Die allerorten errichteten Klöster und Kirchen konnten dadurch Kulturträger der Gesellschaft werden. Zur Zeit Karls des Großen gab es im fränkischen Herrschaftsraum bereits ca. 1000 Klöster. Die Klöster bewahrten antikes Schrifttum und Wissen und entwickelten es auf verschiedensten Gebieten intensiv weiter. Klosterschulen waren die ersten Bildungseinrichtungen nördlich der Alpen und ihnen folgten im 13. u. 14. Jh. über 30 Universitätsgründungen. Den Franken und dem von ihnen protegierten Klerus ist also zu verdanken, dass die Machtübernahme durch die „Barbaren“ nach Abzug der Römer nicht einen Rückfall in die Barbarei zur Folge hatte. Es blieb geschichtliche Kontinuität gewahrt und es gab mehr wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Fortschritt, als gemeinhin wahrgenommen wird, auch wenn angesichts der Inquisition und blutiger Kreuzzüge die Bezeichnung „finsteres Mittelalter“ nicht ganz ungerechtfertigt erscheint. 2.2 Kloster- und Burggärten Wenn auch die 1000-jährige mittelalterliche Epoche für die Entwicklung der Gartenkunst keine wesentlichen neuen Impulse brachte, bedeutet das nicht etwa, dass gestaltete Gärten als erweiterter Wohn- und Lebensraum nicht dennoch von Bedeutung waren. Unzählige Gemälde als Wand- oder Tafelbilder, Kupfer- und Holzstiche als Buchillustrationen, Texte von Epen oder Minneliedern belegen das. Allerdings beschränken sich bildliche Darstellungen überwiegend auf Gärten von Klöstern und Burgen. Deren fortifikatorischer Funktion entsprechend ist auch der Garten in der Regel ein ummauertes Areal, der für das Mittelalter typische „hortus conclusus“ (umschlossener Garten) [21]. Die Klostergärten waren in erster Linie Nutzgärten mit Obst, Gemüse, Heil- und Gewürzpflanzen. Ihre meist streng regelmäßige Anlage geht – ebenso wie der frühe Baustil der Klöster und Kirchen – deutlich auf römisches Vorbild zurück, wie ein Plan des Klosters Sankt Gallen aus dem Jahr 816 zeigt [22; 23]. In den Ziergärten reicher Stadtbürger des Spätmittelalters findet sich diese formale Strenge ebenfalls wieder. Die Burggärten scheinen überwiegend Ziergärten und Freizeiträume [24] gewesen zu sein. Platz war knapp auf den Burganlagen und ein kleiner Gemüsegarten hätte im Belagerungsfalle für die Ernährung der Zuflucht suchenden „Bürger“ (kommt von: zur Burg gehörend) ohnehin nicht lange herhalten können [25]. 11 Eine reguläre Grundrissgeometrie der Burggärten gab es selten, da dies wegen der notwendigen Anpassung der Baugrundrisse an das Gelände (meist Bergkuppen) kaum realisierbar war. Gab das Burgareal den Platz nicht her, nutzte man eine umzäunte oder ummauerte Fläche am Fuße der Burg als sog. Angergärten [26]. Ebenfalls außerhalb der Burgen angelegt wurden mitunter Tiergärten, die aber weniger der Zurschaustellung als für das Jagdvergnügen dienten [27]. Die Burggärten waren nicht nur für den kontemplativen Aufenthalt bestimmt, sondern vorwiegend Lustgärten, in denen man zur Musik speiste, spielte, tanzte oder sich der Liebeslust und Badefreuden hingab [28; 29]. Die vorgenannten Nutzungen lässt die Betrachtung mittelalterlicher Bilder leicht erkennen, was wir heute aber nur schwer „ablesen“ können, ist die tiefe Symbolik der Bilder und Texte. Pflanzen, Tiere, Gesten, Worte, Zahlen, … hatten Symbolwert, – für Jungfräulichkeit ("Verschlossenheit" Marias durch den verschlossenen Garten symbolisiert), für Reinheit, Bescheidenheit, Rechtschaffenheit, Reichtum, Sündhaftigkeit, … und die Größe dargestellter Personen steht für deren Bedeutung [30]. Aus vielen Darstellungen ablesbar ist auch eine gewisse morgenländische Exotik, – nicht nur in der Pflanzenverwendung, sondern auch in der Bekleidung [31] und deren Accessoires. Auch in Stein oder Holzbohlen gefasste Hochbeete, die später wieder aus der Mode kamen, dürften dem islamischen Garten entlehnt sein [32]. All das ist mit Sicherheit auf die im Verlaufe der zwischen Ende des 11. und Ende des 13. Jahrhunderts unternommenen Kreuzzüge zurückzuführen. Die in den Darstellungen von Burggärten erkennbare Sinnlichkeit und Lebenslust könnte – wie das ähnlich später zu Beginn des französischen Barock der Fall ist – im Zusammenhang mit der Todeserfahrung der mehr verlust- als siegreichen Kreuzzugsunternehmungen zu sehen sein. Typische Elemente der Burg- und Angergärten: - kleine Rasenfläche oder Wiese mit blühenden Kräutern - eingefasste Quelle mit Wasserbecken, meist in Gartenmitte - ein vom Quellbereich durch die Wiese abfließender Bachlauf - einzelne Obstbäume u. -sträucher - Rasenbänke mit Holz- o. Steineinfassung als Sitzplätze - holz- o. steingefasste Hochbeete mit Blütenstauden und Sommerblumen - Rabatten mit duftenden Heil- u- Würzpflanzen - Bäume und Sträucher im Randbereich als Sonnen- u. Windschutz 2.3 Städtische Bürgergärten Die Bürgergärten lagen größtenteils vor den Toren der Stadt [33] und dienten überwiegend dem Nutzpflanzenanbau. Gärten gab es aber auch im Stadtraum, aber dann auf den Gebäuderückseiten der geschlossenen Straßenfronten bzw. durch Mauern gegen den Straßenraum abgegrenzt [34]. Durch die gegenseitige Abgrenzung hatten sie im Prinzip ebenfalls den Charakter des „hortus conclusus“. 12 Die Zierelemente, soweit sie überhaupt zum Einsatz kamen, waren dieselben wie in den Burggärten. Im öffentlichen Stadtraum gab es – abgesehen von einzelnen Bäumen auf einem Kirchen- oder Rathausvorplatz – kein Grün. Das gilt nicht nur für den fränkisch-deutschen Raum, sondern auch für Italien. So gab es z.B. in der Toscana die sog. „Prati“ als öffentliche Stadträume, aber auch die waren allenfalls mit einigen wenigen Bäumen als Schattenspender begrünt und im Idealfall mit einer Brunnenanlage ausgestattet. „Öffentliches Grün“ gab es nur außerhalb der Stadtmauern: Mit Bäumen und Strauchwerk gesäumte Wiesenflächen für Volksfeste, Repräsentations- und Empfangsfeste sowie Turnierspiele [35]. Einen sichtbaren formalen Einfluss des im 13. Jahrhundert aufkommenden gotischen Baustils [36] auf die Gartengestaltung scheint es nicht gegeben zu haben. 13 II. Neuzeitliche europäische Gartenkunst 1. Gärten der Renaissance [3] 1.1 Der Beginn der Neuzeit Der Begriff Renaissance stammt nicht aus dem Ursprungsland dieser Stilepoche, sondern ist erst viel später in Frankreich aus dem italienischen „renascita“ = Wiedergeburt gebildet und nördlich der Alpen geläufig geworden. Seinerzeit sprach man in Italien auch von restitutio = Wiederherstellung, regeneratio = Regeneration und meinte damit die Wiederbelebung der Antike auf den Gebieten der Kunst und Baukunst wie auch des philosophischen und mathematischen Wissens. Irrig wäre die Annahme, die Italiener des „quattrocento“ hätten das Wissen der Antike „aus der Versenkung“ geholt und in die Neuzeit gerettet, denn dieses Wissen hatte über 1000 Jahre lang Ostrom fortgeschrieben und ist danach auch in den 1000 Klöstern des Frankenreiches bewahrt, übersetzt und „weitergedacht“ worden. Die geläufige Floskel „finsteres Mittelalter“ ist insofern nicht ganz gerechtfertigt. Richtig ist, dass in Italien das aufkommende humanistische Bildungsbedürfnis das Wissen der Vergangenheit aus der finsteren Enge klösterlicher Bibliotheken befreien und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. (Der Vatikan hat sich übrigens bis in unser Jahrtausend hinein geweigert, gewöhnlichen Sterblichen Zugang zu seinen Archiven zu gewähren). Der Aufbruch in die Neuzeit beginnt um 1450: Antike griechische und römische Handschriften wurden ins Italienische übersetzt, eifrig studiert und disputiert. Die in Italien zahlreich vorhandenen Ruinen aus griechischer (z.B. die Tempel von Paestum) und römischer Zeit (z.B. das Forum Romanum und der Palastkomplex des römischen Kaisers Hadrian in Tivoli bei Rom) wurden freigelegt, vermessen, zeichnerisch dokumentiert und auf ihre Formen und Proportionen hin analysiert. Im 12. Jahrhundert bereits hatte der Niedergang des Feudaladels in Italien eingesetzt. Immer mehr Leibeigene flüchteten sich in die Städte, denn in den Städten wurde mit Handel und Handwerk reichlich Geld verdient und allein mit Lohnarbeit hatte man in der Stadt schon ein besseres Auskommen als auf dem Lande. Bis Mitte des 13. Jh. war die Befreiung aus der Leibeigenschaft schon weitgehend fortgeschritten und die italienischen Stadtstaaten blühten immer mehr auf. Die vor allem durch überseeischen Handel, aber auch durch einträgliches Handwerk zu Reichtum gelangte städtische Oberschicht kaufte vom verarmten Landadel Grund und Boden und teilte sich - mit sog. Halbpächtern aus der Landbevölkerung - die Erträge. Das waren für die Landbevölkerung ungleich bessere Konditionen als zu Zeiten der Leibeigenschaft und so kam es dann auch in der Landwirtschaft wieder zu einem Aufschwung. In den Besitz von Landgütern gelangte jedoch nicht nur die vermögende städtische Oberschicht, sondern infolge des mit Papst Innozenz III. (Ende des 15. Jh.) aufkommenden Nepotismus kamen auch päpstliche Verwandte und Günstlinge durch Schenkungen aus Kirchenbesitz zu Geld und Gut. 1.2 Villengärten in Italien Die 10 Bücher von Vitruv unter dem Titel „De Architectura“ (aus ca. 13 v. Chr.) waren als Abschriften im Umlauf und darin hatte Vitruv bereits die Villa außerhalb Roms mit all ihren Vorzügen propagiert: Vor allem die Hanglage mit freier Sicht in die Landschaft sei zu bevorzugen und auf ein günstiges Klima (Besonnungs- u. Windverhältnisse) sei – neben weiteren Aspekten, wie Wasserversorgung, Nutzbarkeit des Umlandes, Erreichbarkeit u.a.m. – Bedacht zu legen. Leon Battista Alberti (1404 – 1477) verfasste (von Vitruv inspiriert und teils abschreibend, teils eigene Ansichten und Erkenntnisse einbringend) seine „Zehn Bücher über die Baukunst“, deren Traktate längst als Abschriften kursierten, bevor 1485 – 8 Jahre nach seinem Tode – in Florenz die erste Druckausgabe erschien. 14 In seinem Traktat über die Villa pries Alberti deren Sinn: - sichere Geldanlage, - Ort des Entweichens (aus der lasterhaften, lauten, hektischen, stickigen Stadt), - Erholung bei körperlicher Bewegung, - Tafelfreuden in angenehmer Gesellschaft und gelehrter Konversation. Sieben übergeordnete Gestaltungsprinzipien für die Villa und ihr Umfeld: Erstes gemeinsames Prinzip aller ländlichen Villenbauten ist, dass sie bewusst zur Landschaft orientiert und geöffnet sind. Die durch Nachbarbauten meist eingezwängte Stadtvilla schottet sich überdies auch zur Straße hin noch ab; die freistehende Landvilla hingegen bezieht Licht und Luft durch die Fenster der Außenfassade und aus den Innenräumen hat man den Blick in die Landschaft – Villa Medici, Fiesole (um 1450) [4]. In den Räumen wird die Aussicht in den Garten regelrecht inszeniert und häufig wird durch Wandgemälde mit Pflanzenmotiven oder Garten- und Landschaftsszenen das visuelle Naturerlebnis ergänzt. Die der Landschaft zugewandte Loggia vermittelt das Gefühl, dass Gebäude und Außenraum miteinander verschmelzen, sich gegenseitig durchdringen – Palazzo Piccolomini, Pienza (ab 1458) [5]. Eine zweite Gemeinsamkeit ergibt sich aus der Hanglage: In allen Fällen kommt es zu einer Terrassierung des Geländes. Auch von den Terrassen aus wird die Fernsicht in die Landschaft inszeniert [6]. Im Regelfall ist das Gebäude oben; häufig wird es teils in den Hang eingegraben und der Aushub wird hinter einer – zuvor errichteten – talseitigen Stützmauer verfüllt. Ist das Gelände steiler, so dass der Aushub nicht reichen würde, wird vor der Villa im Bereich der geplanten Terrasse die Hangseite unterbaut und es entstehen so – eine Etage tiefer – Wirtschaftsräume, Ställe oder Loggien, vor denen man gegebenenfalls eine nächste Gartenterrasse oder die Zufahrt zu den Wirtschaftsräumen etc. anlegt [7]. Über diesen Gewölben wird für das Gartenparterre vor dem Villenbau Erde aufgebracht (sofern diese Fläche nicht als Vorfahrt dienen muss) und so entstehen „hängende Gärten“, von denen schon aus der Antike berichtet wird, - eine Vorform der Dachbegrünung - Villa Gamberaia, Settignano (ab 1618) [8]. Ein den „hängenden Gärten der Semiramis“ im alten Babylon wohl kaum nachstehendes Wunderwerk italienischer Bau- und Gartenkunst der späten Renaissance ist die mehrfach terrassierte Anlage der Isola Bella im Lago Maggiore [9]. Die dritte Gemeinsamkeit aller Gartenanlagen ist ein axialsymmetrisch in Quadrate oder Rechtecke gegliedertes Parterre vor der zum tiefer liegenden Landschaftsraum gerichteten Hauptfront des Gebäudes. Im Idealfall war das Parterre mit der Mittelachse auf die Gebäudemitte ausgerichtet und dieses durch die Gartenanlage an drei Seiten gerahmt [10]. Eine vierte Gemeinsamkeit ist der als intimer Rückzugsbereich fungierende „giardino segreto“ (wie der mittelalterliche „hortus conclusus“ meist mit Mauer oder dichter Hecke umschlossen). Der Giardino segreto liegt i. d. R. seitlich des Villenbaus, mitunter aber auch neben dem Parterre, wenn beide Seitenflächen des Gebäudes als Zugangs- bzw. Zufahrtbereich dienen sollten; so z.B. bei der Villa Medici in Castello [11], deren Mittelachse übrigens nicht auf die Gebäudemitte, sondern die herrschaftlichen Räume im Seitentrakt gerichtet ist. 15 Als fünfte Gemeinsamkeit setzt sich bei der Gestaltung der Villengärten immer mehr eine konsequente Befolgung der Prinzipien der Raum- und Flächenproportionierung durch: Die Flächengrundrisse und Höhen der Hecken, Spaliere, Pergolen, Laubengänge, Mauern (als Elemente der Raumbegrenzung) folgen, wenn irgend möglich, den von Alberti benannten Proportionsverhältnissen aus der pythagoräischen musikalischen Harmonielehre (1:2 Oktave; 1:3 Duodezime; 2:3 Quinte; 3:4 Quarte) [12 re.]. Überprüft man die Grundrisse langer Rechteckräume, stellt man fest, dass sie (meistens) in zwei oder mehrere harmonische Rechtecke teilbar sind und sich Höhen der Randelemente zu Flächenmaßen wiederum „harmonisch“ verhalten [12 li.]. Ein sechstes Prinzip ist die Berücksichtigung der Regeln der Zentralperspektive bei der Festlegung von kurzzeitigen Verweilpunkten an Raumeingängen und Sitzplätzen. Die Zentralperspektive war von Piero della Francesa um 1450 ergründet und in seiner Malerei zur Anwendung gebracht worden. Insbesondere wird die Kulissenwirkung sowie die Höhen- und Tiefenstaffelung von Randelementen des Blickfeldes unter Berücksichtigung der Augenhöhe bewusst für die Raumwirkung eingesetzt [13]. Es wird siebentens die Gartenanlage – wie das Bauwerk – als (thematisch) geordnetes Neben- und Nacheinander einzelner Räume, d.h. als Raumfolge konzipiert [14] und es gibt klar definierte Ziele bzw. Endpunkte bei den verbindenden Wege- und Raumachsen: Villeneingang, Wasserbecken, Skulptur, Sitzplatz, Grottennische, Aussichtspunkt, … Zentrale Bedeutung bei der Inszenierung der Gärten haben 1. die Spannung bzw. die Kontrastwirkung, – nicht nur der Farbkontrast bei der Bepflanzung, sondern z. B. auch der Formkontrast, Materialkontrast, der Kontrast von hell zu dunkel, nah zu fern, horizontal zu vertikal und 2. das Überraschungsmoment (ein sich plötzlich auftuender Blick auf eine neue Szenerie). Elemente des Ausstattungsprogramms: Terrassen [15] Terrassen schoben sich – abgestützt durch mächtige Mauern über die Hangkontur hinaus – aus dem Garten in die Landschaft hinein und fungierten als Aussichtsplattform: „belvedere“, „bella vista“ [16]. Treppen [17] Anfangs wurden gerade Treppenläufe rechtwinklig vor oder in die Stützmauer gelegt oder aber innen bzw. außen parallel zur Stützmauer geführt. Die Periode repräsentativen Treppenbaus wurde Anfang des 16. Jh. eingeleitet durch Bramante, der den relativ steilen Hang zwischen dem Vatikan und dem Belvedere für einen bequemen Aufstieg mit einer Treppenanlage versehen sollte. Bramante schuf den Typus der symmetrischen, vor der Stützmauer liegenden repräsentativen Doppeltreppe mit geschwenkter Laufrichtung [18]. Treppenanlagen wurden zum immer attraktiveren Gestaltungsmittel, das eine Synthese von Architektur und Freiraum verkörperte und mit den von Balustraden begrenzten Absätzen als Aussichtsplattform und Bühne zugleich fungierte [19]. 16 Parterres [20] Ein Parterre, i. d. R. direkt auf der Terrasse vor der Hauptfront angelegt, ist eine größere horizontale Fläche mit einer streng geometrisch geordneten Komposition von Beeten, die dekorativ bepflanzt und meist mit Heckchen aus geschnittenem Buchsbaum (Buxus) eingesäumt sind. Grundform ist eine kreuzförmige Teilung in 4 gleiche Felder, wobei die Mitte meistens durch ein Wasserbecken, einen Brunnen, einen Pavillon oder einen großen Pflanzenkübel akzentuiert wurde [21]. Laubengänge [22] Laubengänge und Pergolen (= einreihig) sind schon aus der Antike bekannt, aber als raumbildendes und raumgliederndes Mittel im Garten wohl erstmalig in der Renaissance eingesetzt. Laubengang = Doppelreihe von Pfeilern aus Naturstein, Ziegeln oder Holz mit darüber auf Längsträgern aufgebrachten hölzernen Querlatten od. gewölbter Gitterkonstruktion; durch Berankung mit Kletterpflanzen zu grünen „Gewölbegängen“ ausgebildet [23]. Skulpturen [24] Die Statuen wurden geschickt für die räumliche Inszenierung, Akzentuierung und Gliederung eingesetzt, - zur Markierung von besonderen Orten, Sichtachsen oder Zielpunkten von Wegen. Weitere Zweckbestimmungen waren: - formale Vermittlung zwischen den harten Konturen der Architektur und der filigranen Struktur der Vegetation, - Verdeutlichung des Hell-Dunkel-Themas durch Kontrast von weißem Marmor zu dunklem Vegetationshintergrund, - Kontrastierung und Gliederung dominierender Horizontalerstreckung von Maueroder Heckenfluchten [25], - Vermittlung mythologischer und allegorischer Bedeutungen, wie z.B. Flora – Göttin der Blumen, Diana – Göttin des Waldes und der Jagd, Amor – Gott der Liebe, Götterfiguren als personifizierte Flüsse u.a.m. In Verbindung mit Wasser: Flussgötter, die Wasser aus Amphoren gießen (nach antikem Vorbild z.B. Statuen des Nil und Tiber) [26], wasserspeiende Löwen, Adler, Delphine, aus den Brüsten sprühende Göttinnen (Symbol für alle Quellgewässer) [27]. Hinzuzurechnen sind dem Skulpturenschmuck auch die – meist aus Buxus – geschnittenen geometrischen Körper oder Tierfiguren, die oft zentral in Parterrebeeten standen. Wasseranlagen [27] Das Thema „Wasser im Garten“ dürfte Italien am ehesten über die islamischen Gärten in Südspanien erreicht haben [28]. In der Renaissance gewinnt sinnlicher Reiz des Wassers, das Vergnügen an dessen Spiegeleffekten und Bewegtheit eine hohe Bedeutung. Ruhendes Wasser [29]: - Wasserflächen in Form rechteckiger oder runder bzw. beiden aus Formen zusammengesetzter Grundrisse gehören obligatorisch zum italienischen Renaissancegarten. 17 - Im Zentrum größerer Becken wurde oft eine kleine runde Insel („isolotto“) gebaut, die über Stege erreichbar war. Bewegtes Wasser [30]: - Figürliche Gestaltung des Wasseraustritts, z. B. Löwe als Quellfassung - Wasserbecken mit Fontainen - Springbrunnen mit übereinander gestaffelten Schalen - Wassertreppen und -kaskaden - Wasserorgeln (z.B. Villa d‘ Este), - Wasserscherze (z.B. Villa Lante) Grotten [31] Grotten wurden überwiegend in Stütz- und Begrenzungsmauern von Terrassen und Freitreppenanlagen geschaffen. In der Regel bargen sie eine Quelle oder Wasserbecken bzw. -schalen und dienten erfrischendem Aufenthalt an heißen Tagen. Meist aufwendig mit Muschelornamenten oder Mosaiken ausgekleidet, mit Statuen oder mythischen Terracottafiguren ausgestattet [32]. Bosci [33] Der Bosco ist ein Baumhain mit meist regulärem äußeren Umriss (Quadrat, Rechteck), aber nie regelmäßig gepflanzt (Abb. 33, unten Mitte = falsch!), als hinterer Abschluss oder beidseitiger Rahmen des Gartenareals und diente als Aufenthaltsbereich im kühlen Schatten [34]. Auch hier spielen die Gegensätze eine wichtige Rolle: - das kühle Dunkel zur Wärme im gleißenden Sonnenlicht - das Ungestaltete zur Regelgeometrie der Parterre-Gestaltung Die mitunter geäußerte Ansicht, der Bosco könnte ein erster Gedanke an „naturnahe Gestaltung“ sein, ist Unsinn und war auch beim Sacro Bosco [35] nicht die zentrale Absicht (s. unten)! Wie Grotte und Quelle beeindruckt der Wald als archetypisches Bild, zumal in früheren Kulturen Bäume als Götter verehrt wurden. Alle diese Elemente werden in der nachfolgenden Stilphase des Barock beibehalten und lediglich z.T. formal modifiziert. Beispiele aus der Hochrenaissance sind - Gartenanlagen der Villa d’ Este, Tivoli (ab 1550) - Villa Lante, Bagnaia, Nähe Viterbo (ab 1566) - Giardino Boboli am Palazzo Pitti (ab 1575) [36; 37] [38] [39] Bauten und Gärten der Spätrenaissance trugen z.T. schon deutlich barocke Merkmale, wie z.B. - Palazzo Aldobrandini in Frascati (ab 1598) - Villa Garzoni in Collodi, Nähe Lucca (ab 1652) [40] [41; 42] Eine Gartenschöpfung der Hochrenaissance verdient noch Erwähnung, weil sie in ungewöhnlicher, für diese Zeit geradezu provokanter Weise gegen das Gebot regulärer harmonischer Gestaltung und den geltenden Schönheitsbegriff verstößt: Der „Sacro Bosco“ in Bomarzo (1550 - 1580, Fürst Vicino Orsini) [43; 44]. Die politisch-moralischen Hintergründe der Entstehung dieses „Heiligen Waldes“, der als „unübertroffenes Beispiel einer manieristischen Verbindung von Natur und Bildhauerkunst“ interpretiert wird, sind von Bredekamp (Bomarzo. Worms 1991) hervorragend wissenschaftlich aufgearbeitet [45]. 18 Der Sacro Bosco ist nicht renaissancetypisch, aber erwähnenswert, weil es eine frappierende Parallele zur späteren Gartengeschichte gibt, die bislang unbeachtet blieb: 1. Für diese Anlage wurden die Gegebenheiten des natürlichen Geländes genutzt – z.B. durch den Anstau eines Sees – und z.T. landschaftsgestalterisch verändert. 2. Es gibt eine ideologisch motivierte Abkehr vom tradierten Gestaltungs-Kanon. 3. Das Ausstattungsprogramm zielt überdeutlich auf die „Ansprache“ von Empfindungen ab, wie Überraschung, Verwunderung, Nachdenklichkeit, Beklemmung. Das alles sind Merkmale des „Landschaftsgartens“, d.h. es war im Prinzip – 200 Jahre vor dessen Entstehung in England – der Landschaftsgarten in Italien schon einmal erfunden worden! 1.3 Schlossgärten nördlich der Alpen Die Bau- u. Gartenkunst der italienischen Renaissance kam schon relativ früh nach Frankreich, vermutlich hauptsächlich durch König Karl VIII., der nach der Heimkehr von seinem Feldzug gegen Neapel 1495 unverzüglich mit der Umgestaltung der Gärten von Schloss Amboise an der Loire begann [46]. Allerdings gibt es hier noch einen entscheidenden Unterschied: Es fehlen die für Italien typischen Treppenanlagen zwischen den Terrassenebenen und die formale Einheit von Bauwerk und Gartenanlage. Erst unter Franz I. (ab 1515) kam der Renaissance-Stil an der Loire auch in der Architektur zur Anwendung, – bei Umbauten an den Schlössern in Blois [47], Chambord, Fontainebleau, Saint Germain en Laye [48]. Im Renaissancestil neu errichtet wurde u.a. Anet (Mitte 16. Jh.) [49], das der Architekt de l’Orme für die Maitresse des Königs Heinrich II. bauen musste. Ein auf jeden Fall anders Flair als das italienische Vorbild hatten diese Anlagen durch das umgebende Wasser [s. 49]. Neu war die große kanalartige Wasserachse in Fontainebleau [50], die von einem Parterrebereich aus weit in den Landschaftsraum führt. Dieses Element findet sich später in Versailles wieder. Anders als in Italien war auch auf den Parterres die aus Eibe oder Buchsbaum geschnittene spanisch-maurisch inspirierte Ornamentik der Zierbeete und deren Einfassung mit zierlichen Lattenzäunchen, denen allerdings die vollendete Symmetrie als wesentliches Prinzip erhalten blieb. Ab Mitte des 16. Jh. entstanden nach französischem Vorbild auch in England [51; 52] und in deutschen fürstlichen Residenzen so genannte „Lustgärten“, von denen allerdings die meisten später – nach zwischenzeitlicher „Barockisierung“ – leider ebenso rigoros „englisch“ umgestaltet wurden, wie zuvor schon im Mutterland des englischen Landschaftsgartens [53]. Frühe Renaissance-Gärten in Deutschland: - um 1550 – Residenzgarten zu Stuttgart (Herzog Christoph v. Württemberg) - um 1610 – Lustgarten zu Hessen (Herzog v. Braunschweig- Wolfenbüttel) Eine der wenigen noch erhaltenen (resp. wieder hergestellten) Renaissanceanlagen in Deutschland mit der für das Ursprungsland typischen Terrassierung ist der 1620 entstandene Heidelberger Schlossgarten, der „Hortus palatinus“, angelegt vom französischen Architekten Salomon de Caus [54]. 19 2. Gärten des Barock [55] 2.1 Die Konsolidierung des Absolutismus Der Name „Barock“ war erst etwa 100 Jahre nach der Etablierung dieser Stilrichtung in den Ländern nördlich der Alpen zum festen Begriff geworden für die Kunst des europäischen Absolutismus. In Italien allerdings existierten schon fast 100 Jahre vor den transalpinen Anfängen barocke Formen in der Architektur wie auch in Gartenanlagen, die mit Sicherheit als Vorbilder für die Bau- und Gartenkunst dieser neuen Stilrichtung in Frankreich, Deutschland, Österreich, Russland gedient hatten. In Italien aber war das neue stilistische Gepräge nicht Status- u. Machtsymbol weltlicher Herrscher, sondern der katholischen Kirche, welche durch Glanz und Herrlichkeit der maßgeblich von Jan Hus (schon 100 Jahre vor dem Baubeginn am Petersdom) ausgelösten Reformationsbewegung begegnen wollte, – in erster Linie natürlich in Rom: 1. Der Prunk von Petersdom und Belvederehof, unter Julius II. von Bramante 1506 begonnen, nach Bramantes Tod von Raffael und ab 1547 von Michelangelo weiter geplant und gebaut (geweiht 1626; rund 140 Jahre Bauzeit) [56]. 2. Die von Bernini (1598 – 1680) geplante riesige Platzanlage vor St. Peter mit ihren umlaufenden Kolonnaden, die das Weltumfassende des katholischen Machtzentrums symbolisieren sollte [57]. In Italien ist die Barockkunst der Kurie die Kunst der Gegenreformation. Barockkirchen, die später in ganz Europa entstehen, sind katholische Kirchen. Während hinter der Renaissancekunst das Bemühen um einen aufgeklärten Humanismus steht, soll die barocke Baukunst klerikalen bzw. monarchistischen Anspruch auf Weltgeltung zeigen, der jedoch weniger durch veränderte Formen und Elemente als vielmehr durch gewaltige Dimensionen und verschwenderischen Prunk der barocken Anfänge in Rom und Versailles ausgedrückt wird. Träger einer Veränderung in der Gartenkultur ist allerdings nicht die Kirche, sondern Veränderungen in der Gestaltung und Nutzung von Gartenanlagen sind Folge der Veränderung der weltlichen Machtstrukturen. Der 30jährige Krieg, ausgelöst 1618, als Kurfürst Friedrich v. d. Pfalz die böhmische Krone an sich reißen wollte, und dann so endlos lange andauernd, weil sich in der Folgezeit die Anhänger von Reformation und Gegenreformation – unter Beteiligung Dänemarks, Schwedens und (in den letzten 12 Jahren) auch Frankreichs – blutige Kämpfe lieferten, hatte die Bevölkerung ganzer Landstriche ausgerottet, - in Deutschland ~ 50%. Die 30 Kriegsjahre, von Anbeginn zugleich ein Glaubenskrieg, wurden 1648 mit dem Westfälischen Frieden beendet. In dessen Ergebnis wurde allen drei christlichen Konfessionen Rechtsgleichheit zuerkannt und war zugleich die Integrität der zentraleuropäischen Landesgrenzen vorerst gesichert, was jedoch nicht das Ende kriegerischer Auseinandersetzungen in den europäischen „Randbereichen“ bedeutete: Frankreich→Spanien, Spanien→England, Nordischer Krieg, Niederländischer Krieg, Türkenkrieg, Pfälzischer Krieg – alle noch bis Ende des 17. Jahrhunderts. Fakt ist, dass die Notwendigkeit der Überwindung jeweiliger Kriegsfolgen, des Wiederaufbaus und der Absicherung territorialer Grenzen den Ruf nach einer „starken Hand“ und damit die Herausbildung der absolutistischen Zentralmächte in Europa zur Folge hatte und damit zugleich die Zementierung des europäischen Staatensystems, dessen Entstehung bereits im ausgehenden 15. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Verallgemeinerbar sind folgende wirtschaftliche u. politische Entwicklungstendenzen: Ähnlich wie vorher schon in Italien hatte auch nördlich der Alpen gegen Ende des Mittelalters die expandierende bürgerliche Ökonomie dazu beigetragen, die feudalen Strukturen zu zersetzen. 20 Alle Schichten bzw. Stände, deren Einkommen auf festgesetzten Naturalabgaben beruhte, erlitten Einbußen, weil steigender Geld- und Warenumlauf und die steigenden Preise all diejenigen benachteiligte, die in althergebrachter Weise von Frondiensten und den Abgaben ihrer Bauern lebten. Während der alte Ritteradel unaufhaltsam verarmt, profitieren die Könige bzw. Landesfürsten, denn diese bezogen nun ein Geldeinkommen vom städtischen Bürgertum, welches sich mittels Zahlung an die Höfe von den Naturalabgaben und von der Heeresfolge (einer „Wehrpflicht“ quasi) freikaufte. Auf diese Weise kamen die Landesfürsten an Mittel für ein stehendes Heer sowie einen Beamtenund Verwaltungsapparat, welcher seinerseits Handel und Gewerbe fortan gezielt und planmäßig förderte („Merkantilismus“). Der Staat gewährte z.B. Monopolrechte, dadurch stiegen die Steuereinnahmen und das wiederum hatte steigenden Reichtum und – zumindest vorerst – die weitere Konsolidierung der absolutistischen Macht zur Folge. Die materielle Grundlage dafür, gegenüber der Kirche den Anspruch auf Gleichstellung weltlicher Macht demonstrativ in Szene zu setzen, war jetzt gegeben. Man konnte sich einen der katholischen Kirchenkunst vergleichbaren Pomp und Stil in der Architektur sowie die Schaffung repräsentativer Parkanlagen im Umfeld der Residenzen leisten. 2.2 Französische Barockkunst - Versailles Am Anfang weltlicher Barockkunst nördlich der Alpen steht die Schloss- und Parkanlage von Versailles. Der Park wurde geplant von André Le Nôtre (1613 – 1700), - zuvor Tuilerien-Gärtner in 3. Generation unter Ludwig XIII. Ludwig XIV. (1638 – 1715), nach dem Tode des Vaters 1643 zunächst unter Vormundschaft seiner Mutter, Anna von Österreich, stehend, trat 1661 die selbständige Regentschaft an und begründete die absolute Monarchie in Frankreich. Mit der Ausführung des Parks wird 1662 noch vor Baubeginn am Schloss begonnen und im letzten Jahr der Bauzeit (1687 – 88) wird dem Park das Lustschloss Trianon für Frau von Maintenon hinzugefügt. Le Nôtre hatte zuvor in Rom die Gartenanlage der Villa Ludovisi in musterhaftem Renaissancestil geplant und anschließend die prächtige Gartenanlage für das Anwesen des französischen Finanzministers Fouquét, Vaux le Vicomte (ab 1653) [58]. Letztere trägt in ihren Flächenformen schon deutlich barocke Züge [59]. Versailles [60] ist die weltweit gigantischste Schloss- und Parkanlage der Neuzeit und konnte seither auch erst im 20. Jahrhundert durch die Dimensionen solcher Vergnügungs- und Freizeitparkanlagen wie z.B. Disneyland übertroffen werden. Andere große Barockschlösser Europas [61], wie Mannheim in Deutschland (ab 1720) Schönbrunn in Österreich (ab 1744) und Caserta in Italien (ab 1752) erreichen nicht annähernd die Dimensionen von Versailles, dessen Frontbreite 415 m beträgt. Neu im Barock: Der Typus der Villa wird durch das Schloss als Bautyp abgelöst. Das Schloss Versailles allerdings ist architektonisch noch nicht das, was man gemeinhin unter „typisch barock“ versteht. Die „eigentliche“, durch schwungvolle Rundungen und üppiges plastisches Dekor gekennzeichnete Barockarchitektur breitete sich von Italien her zunächst nordöstlich aus: Österreich → Bayern → Süddeutschland → Sachsen → Polen → Russland. Der Park von Versailles ist ebenfalls nicht verallgemeinerbar „barocktypisch“, denn dessen gestalteter Bereich erstreckt sich bis in nicht mehr erfassbare Ferne [62]; andere barocke Parkanlagen Europas inszenieren zwar den „Fernblick“, täuschen aber nicht über ihre Endlichkeit hinweg. 21 Die Renaissance - hatte den Reiz des künstlerisch gestalteten unmittelbaren Villenumfeldes bewusst in erlebbaren Kontrast gesetzt zur umgebenden natürlichen bzw. agrarisch genutzten Landschaft, - hatte die Grenze der Gartenanlage überschaubar, aber nicht unsichtbar gemacht. Das bleibt auch im Barock durchaus gängiges Prinzip, wie z.B. das Belvedere in Wien (1714 – 24) [63] eindrucksvoll belegt. In Versailles war dafür das Terrain zu eben, aber: hier ist die quasi bis ins Unendliche total überformte Landschaft [64; 62] nicht etwa Ersatzlösung für nicht realisierbaren Fernblick von der Höhe eines Hanges über die Gartengrenze, sondern die bewusste Demonstration grenzenlosen weltlichen Herrschaftsanspruches, – auch über die Natur! Das formale und funktionelle Konzept von Versailles Auf der Zufahrtseite, d.h. im östlichen Vorbereich sind Architektur und Freiraum noch relativ zurückhaltend gestaltet, denn der Herrlichkeit von Schloss und Park sollte nur ansichtig werden, wer die Gnade erfuhr, vor den König treten zu dürfen. Die Parkseite gliedert sich in westlicher Erstreckung in die Abfolge a. Parterres, b. Bosketts, c. Bosco [65, Plan genordet]. Um die auf den Zentralbau gerichtete ost-westliche Hauptachse herrscht im Parterreund Boskettbereich weitgehend Symmetrie und Parallelität; nur in Randbereichen und ab dem „Grand Canal“ im hinteren Bosco-Bereich gibt es Schrägachsen bzw. Achsensterne. a. Parterre-Bereich : Vor den Arkaden des in den Parkraum vorgeschobenen Zentraltraktes liegt auf dessen ganzer Breite eine 20 m in das Wasserparterre [66] eingreifende Terrasse [67, Plan]. Die nach Westen gerichtete Hauptachse beginnt im Prinzip erst eine Ebene tiefer mit dem „Bassin Latone“, und auch die vor den Seitenflügeln des Schlosses gelegenen Broderie-Parterres (Nord- u. Südparterre) liegen einige Stufen tiefer. Symmetrisch geteilt werden diese durch die nord-südlich parallel zum Schloss liegende Querachse, welche quasi über die leicht erhöhte Schlossterrasse verläuft. Auf deren Mitte steht man im Achsenschnittpunkt und sieht in nördlicher Richtung das Nordparterre, den Pyramidenbrunnen, den tiefer gelegen Drachenbrunnen und das abschließende Neptun-Bassin [68, Blick von N→S ]. Letzteres ist mit ~175 m nur wenig breiter als das im Süden den Abschluss der Querachse bildende „Piece d’eau des Suisses“, welches in seiner Längsachse fast 600 m misst. Zwischen diesem „Schweizer Wasserstück“ und dem mindestens 6 m höheren Südparterre liegt – zwischen den Stützmauern der nach Süden herabführenden Treppen – auf rund 200 m Länge das Orangerieparterre [69, Blick von S→N]. Damit ist der querliegende Parterre-Bereich, was die vom „Parterre d’eau“ her erfassbaren Attraktionen der verschiedenen Ebenen betrifft, der zunächst scheinbar interessanteste Gartentrakt, denn die Baumfront des Boskett-Bereiches gibt nur den Achsenblick über das „Bassin de Latone“ zum fast 800 m entfernt liegenden „Bassin d’Apollon“ und dem dahinter liegenden „Grand Canal“ frei [70]. Doch die westlich an das Parterre grenzenden Bosketts bergen ein ungeheuer vielfältiges Ausstattungsprogramm, das man allerdings erst entdeckt, wenn man deren einladend markierte Zugänge zum Innenbereich durchschreitet. 22 b. Boskett-Bereich: Die Bosketts („bosquet“ aus d. Ital. v. „bosco“) sind symmetrisch zur Hauptachse liegende hohe Baumbestände mit regulärer Grundrissform, deren Ränder – anders als in der Renaissance – durch überkopfhohe Hecken gesäumt sind. Im Inneren der Bosketts befinden sich üppig mit Kleinarchitekturen, Skulpturen, Bänken, Brunnen, Beeten ausgestaltete Cabinets („Lustwälder“) [71]. Die innere Anlage der Wege, Plätze, Wasserbecken ist (das Labyrinth ausgenommen) regulär, doch nicht in allen Fällen orthogonal zu den umliegenden Wegeachsen und die Baumpflanzung ist überwiegend waldartig, d.h. nicht „gerastert“. c. Bosco-Bereich : Der Bosco-Bereich ist durch Alleen gegliedert, doch ohne Heckensäume für Jagdzwecke waldartig offen. Im Bosco-Bereich liegt in der Hauptachse – beidseitig von breiten Alleen gesäumt – der 120 m breite „Grand Canal“ (Motiv aus Fontainebleau übernommen) [72, Plan]. Der Kanal beginnt mit einem Vorbecken, mit ca. 150 m etwas breiter als das den Boskettbereich abschließende „Bassin d’Apollon“. Es folgt auf etwa halber Läge ein mindestens doppelt so großes mittleres Rundbecken, an das rechtwinklig Seitenkanäle anschließen und am Ende dieser gigantischen Wasserachse liegt – mit rund 160 m Breite und 280 m Länge – das Schlussbecken, hinter dem sich im BoscoBereich noch ein großes Rondell mit sternförmig abgehenden Schneisen befindet, das wohl vornehmlich für Jagdzwecke gedient haben dürfte. Die Zweckbestimmung der Parkanlage: In den Glanzzeiten von „Louis le Grande“ wirkten die riesig weiten Bewegungsräume des Parks nie zu weit, weil sie ständig mit dem flanierenden Hofstaat und adeligen Gästen gefüllt waren; der Park von Versailles war ein Vergnügungspark (nur kein ungezwungener, denn die Hofetikette schrieb quasi jede Geste vor). Fast täglich fanden in Versailles im Theatersaal des Schlosses oder im Park Aufführungen von Bühnenstücken, Balletten, Opern, Konzerten statt, wurden Maskenbälle und Feuerwerke, Seeschlachten auf den Kanälen, Reiterspiele und Treibjagden veranstaltet. Der Park war Tribüne und Bühne zugleich: Sehen und Gesehen-werden. Zu erklären sein dürfte das Versailler „Dauer-Fest“ mit dem allgemeinen Zeitgeist dieser Epoche, der geprägt war von geradezu ekstatischer Sinneslust, deren Ursache wohl in erster Linie der Pest zuzuschreiben ist. Beredter Ausdruck für die im Bewusstsein verhaftete Allgegenwärtigkeit des Todes, aber auch für die Hoffnung, ihm zu entgehen, ist das Labyrinth [73], das auch nach Versailles in fast keiner Parkanlage des Barock fehlte. Der griechischen Mythologie zufolge war Theseus, nachdem er den Minotaurus besiegt hatte, der todbringenden Ausweglosigkeit des Labyrinths entronnen, weil er auf dem Weg hinein den „Ariadnefaden“ hinter sich ausgelegt hatte. 2.3 Hauptmerkmale barocker Gartenkunst Die in der Renaissance (meist) randständige Villa wird im Barock (nicht grundsätzlich, aber häufig) zum zentralständigen Schloss und der Garten wird zum Park, wobei allerdings der rückseitige Park i.d.R. um ein Vielfaches größer ist als das Vorfeld des Schlossbaus [74]. 23 Das Barock überformt das Gelände gänzlich und realisiert Schloss und Umfeld als Gesamtkomposition um eine auf die Mitte der Schlossfront gerichtete Zentralachse. Meistens stehen Abmessungen und Proportionen des zentralen Parkteils in deutlichem Bezug zum Bauwerk [72, rot]. Im „Ancien régime“ war jede Kunstgattung, die zu höfischer Repräsentation beitragen durfte, dem konzeptionellen höfischen Diktat unterworfen. Bau- und Gartenkunst, Bildhauerei, Malerei, Musik, Roman- und Dichtkunst konnten nur Geltung erlangen, wenn sie bei Hofe akzeptiert wurden. Infolge dessen geriet in Frankreich das Barock zu einem „Gesamtkunstwerk“, das weltweit aufgegriffen, kopiert und nachgelebt wurde. Die im Renaissancehumanismus schon vorgeprägte „diesseitige“ Formenauffassung und rationelle Denkweise, welche von der Erkennbarkeit der Natur und ihrer Gesetze ausging, wurde im Barock weiterentwickelt zu einem Rationalismus der Welt- und Naturbeherrschung. In der Garten- bzw. Parkgestaltung gipfelt das Rationalitätsbewusstsein der Barockzeit quasi in einer Umkehrung von Natur und Kunst: Vom Menschen geschaffene Ästhetik wird über das Vorbild der Natur erhoben. Der Barock-Park - behält Axialität und Symmetrie bei; Wege in den Gartenräumen bleiben gerade, - inszeniert Raum – wie die Renaissance – nach den Gesetzen der Zentralperspektive, - fußt weiterhin auf geometrischen Grundformen und harmonikaler Proportionierung, - übernimmt das Gebot der „Verschmelzung“ von Innen- und Außenraum, - bleibt auch beim Prinzip der Fernsicht bzw. Fernwirkung. Das Erscheinungsbild der Parkanlagen bleibt architektonisch, aber das Barock - beendet in der Architektur das Diktat gerader Flächen- und Raumkonturen und überträgt Wölbungen und elegante Kurvaturen auch auf Freiraumelemente [75], - macht aus (der Klassik entlehnter) statischer Harmonie der Formelemente (u.a. auch des plastischen Schmucks) eine dynamische Bewegtheit, - realisiert die gegenseitige Durchdringung von Architektur und Freiraum durch offene Vorhallen [76], Portiken [s. auch 85], Kolonnaden [77] konsequenter, als das schon in der Renaissance der Fall war, - verstärkt die Dominanz der auf die Mitte der Schlossfront gerichteten Hauptachse der Gartenanlage [78], - ersetzt das in der Renaissance oft noch additive Nebeneinander konsequent durch ein räumlich-funktionelles Gesamtkonzept von Gebäude und Garten, - legt – innen wie außen – größeren Bedacht auf die logische Abfolge der Funktionsbereiche bzw. –räume. Der Barockgarten ist stilistisch die Fortsetzung des baulichen Ensembles und funktionell zugleich fester Bestandteil eines Gesamtprogramms. In der Architektur wölben sich runde und ovale Kuppeln über ebenso geformte Innenräume, in denen geschwungene Linien im Stuckdekor, an Fenster- und Türrahmen Einzug halten. Dieselben Formen finden sich im Park in den architektonischen Elementen vielfach wieder – in den Stützmauern von Terrassen (in der Renaissance noch gerade), in den Balustraden der Freitreppen sowie Einfassungen der Bassins [79; 75]. 24 Neu und eigentümlich ist, dass ausgerechnet die potentiell formenreichen Bäume in Kastenform und zu übermannshohen mauerartigen geraden Heckenfluchten geschnitten werden [80]. Damit stellen vegetabile Großformen mit ihrer erzwungenen Orthogonalität den ruhigen Gegenpol zu Formenreichtum und Bewegtheit der Architektur wie auch der Parterre-Broderien dar. „Naturbeherrschung“ wird in der Literatur als programmatische Absicht und Erklärung für den rigorosen Gehölzschnitt (wie auch für die „Beherrschung des Wassers“ in Form immer effektvollerer Wasserkünste) in den Vordergrund gestellt. Das ist durchaus nicht unzutreffend, aber diese Absicht ist im Grunde so alt wie die Gartenkunst. Hier dürfte eher die verblüffende Kontrastwirkung zwischen klarer Geometrie „lebender Architektur“ und dem Formenreichtum des aus totem Material Gebauten der vordergründig beabsichtigte Effekt gewesen sein. Elemente des Ausstattungsprogramms: Im barocken Park finden sich alle Elemente des Renaissancegartens wieder: Terrassen, Treppen, Parterres, Pergolen, Skulpturen, Wasseranlagen, Grotten, Bosci und auch der „giardino segreto“ in Form des „Cabinets“ im Boskett. Bei diesen Elementen gibt es lediglich einige formale und funktionelle Veränderungen, aber es gibt auch ein paar „Programmerweiterungen“. Neue oder in veränderter Form aufgenommene Elemente sind: - die Allee, [81] - die zentrale Wasserachse, [82] - das Gartentheater [83] - und die Hecken u. Baumblöcke als „Großskulpturen“ [84] In Paris erschien 1709 ein Lehrbuch mit dem Titel „ La Theorie et la Pratique du Jardinage etc.“ (Autor: Antoine Joseph Dezallier d’Argenville), das die französischen Gartenkunst, wie André Le Nôtre sie entwickelt hatte, ausführlich darstellt. Das Buch wurde im 18. Jahrhundert ein „Bestseller“, weil es die erste gartentheoretische Darlegung ist, die sich ausschließlich den Lust- und Ziergärten widmete und alle wichtigen Elemente beschreibt (hier z.T. in Text und Abbildungen berücksichtigt). Terrassen Die oberste Schlossterrasse als räumliches Kontinuum des Gebäudeinneren lag i.d.R. auf fast gleicher Ebene [85], allenfalls einige wenige Stufen tiefer. Sofern nicht als Vorfahrt benötigt, wurde diese Terrasse bereits als Parterre mit symmetrisch zur Achse des Zentraltraktes angeordneten Beeten, Wasserbecken, Springbrunnen gestaltet. Wenn die Terrassenbegrenzung als Balustrade ausgeführt wurde, dann in bequemer Ellbogenhöhe und in der Abwicklung durch die formale Vorgabe Bauwerks mitbestimmt (selten gerade, wie in der frühen Renaissance). Parterres Die Beete beiderseits der Achsen bleiben wie bisher streng symmetrisch, aber durch die immergrünen Miniheckchen nicht mehr nur geometrisch und parallel zum Wegeverlauf begrenzt, sondern auch als ornamentale Muster in einer Rasenfläche liegend („parterre de broderie“, weil an Stickerei erinnernd) [86]. Für die dekorative Wirkung im Winter wurde ein Teil der Flächen mit farbigen Materialen gefüllt (schon in der Spätrenaissance aufgekommen); in den übrigen Flächen wurde die Sommerbepflanzung meist dreimal gewechselt, um dauernde Blütenpracht zu gewährleisten. Hinter dem Parterre: Boskett- und Bosko-Bereich [87]. 25 Treppen Der Typus der repräsentativen symmetrischen Doppeltreppe mit geschwenkter Laufrichtung war bereits in der Renaissance erfunden. Im Barock ändern sich nur die Dimensionen und die formale Ausprägung der Balustraden [88]. Als „eleganteste Art, Höhenunterschiede zu überwinden“, nennt d’ Argenville das Amphitheater, eine Terrassenarchitektur mit eckigen oder gerundeten Treppen und Rampen, Springbrunnen, Pflanzendekor und Plastiken. Treillagen In der französischen Renaissance waren sog. Treillagen aufgekommen, – aus Holzlatten gefertigte Einzäunungen, Pergolen, Pavillons und Laubengänge, die mit Weinreben, wildem Wein oder Kletterrosen berankt im Sommer Schatten boten und im Winter im unbelaubten Zustand der Berankung die Sonne einließen. Bei d’ Argenville heißen solch kunstvolle Holzkonstruktionen Berceaux; im Barock wurde derartiges auch aus Metall hergestellt [89]. Hecken Gerade konturierte und i.d.R. überkopfhohe Hecken bildeten die Eingrenzung der Bosketts, innerhalb derer die Wege häufig durch kunstvoll geschnittene Buxus- oder Taxushecken gesäumt waren [90]. Eine Neuerung im Barock waren Laubengänge aus lebenden Gehölzen, deren Äste man über dem Weg zusammenband und durch Schnitt zu einem Heckengang mit meist gewölbtem oberem Abschluss formte. Seitlich wurden arkadenartige Öffnungen in die Heckenwand geschnitten, die Lichteinfall und Ausblick zuließen [91]. Skulpturen Für die antike Skulptur war der ruhende kontrapostische Stand und die am Körper herab fließende Gewandung typisch. Das Barock bevorzugte dynamische Bewegung, Gewänder flattern im Wind und Nacktheit ist in der weltlichen Kunst kein Tabu [92]. Die Standorte plastischer Schmuckelemente sind – wie in der Renaissance – Flächenoder Raumecken bzw. –grenzen sowie die Mitte symmetrisch angeordneter Schmuckbeete oder Rasenstücke und die Endpunkte von Sichtachsen („point de vue“). Wasser Nennenswerte inhaltliche Neuerungen gegenüber der Renaissance gab es nicht, jedoch verlangte die Dynamik in Architektur und Skulptur geradezu danach, das Murmeln und Plätschern der Wasserspiele im Renaissancegarten zum rauschenden Ereignis zu steigern [93]. Allerdings blieben Wasserkapazität und -druck häufig weit unter den Erwartungen; der Beherrschbarkeit der Natur setzten technische Probleme Grenzen, nicht nur in Versailles, sondern auch in Herrenhausen [94], Sanssouci [95], Kassel [96]. Grotten Nördlich der Alpen waren Grotten wegen des kühleren Klimas funktionell weniger bedeutend als in Italien, wo sie oft als größere Räume oder Raumfolgen angelegt wurden. Größere Grottenbauten, wie in Herrenhausen [97] sind eher die Ausnahme, doch als „Zitat“ im Miniformat häufig sogar in Innenräumen anzutreffen. 26 Alleen Die Allee (frz. = Gehen) ist ein beidseitig mit einer bis zu mehreren Baumreihen gesäumter gerader Hauptweg. Je nach Breite der Wegeachse bzw. Kronendurchmesser der Bäume unterscheidet man die (nach oben) offene und geschlossene Allee [98]. Die Allee als (teil-)beschattete Flaniermeile in Parks und bald darauf auch an Stadtstraßen scheint – zumindest nördlich der Alpen – eine französische Neuerung zu sein. Bosketts Auf das Boskett („bosquet“) stößt man in der einschlägigen Literatur zuerst im Zusammenhang mit Versailles. Möglicherweise ist der heckengefasste Bosco als gestalteter intimer Aufenthaltsbereich im Park tatsächlich eine Erfindung Le Nôtres, denn d’ Argenville beschreibt das Boskett, wie das in Versailles der Fall ist, als schattig und – mit Ausnahme des Labyrinths – regelmäßig gestaltet. In Herrenhausen hingegen, fast gleichzeitig entstanden, sind die Bosketts baumlose Hecken-Compartiments [99]. Bosco Der Bosco wurde bereits hinreichend behandelt, doch hierzu noch eine Ergänzung: In Versailles liegen ausgehend vom Bassin d’Apollon V-förmige Achsen im Boso. Diese (mitunter als „Gänsefuß“ bezeichnete) Achsenanordnung findet sich in späteren barocken Parkanlagen wie auch in Stadtgrundrissen – bis hin zum „Strahlenkranz“, wie im Bereich hinter dem Versailler Grand Canal – z.B. in Karlsruhe wieder [100]. Abschließende Anmerkungen: Ein Großteil der Gartenanlagen der Renaissance und des Barock ist mit Aufkommen des in England entstandenen neuen naturnahen Stils bereits gegen Ende des 18. Jh. rigoros in Landschaftsgärten umgestaltet worden („Verlandschaftung“) [101]. Reste des Originalzustandes blieben aber in der Regel im unmittelbaren Schlossumfeld erhalten, die sich heute – durchweg unter Denkmalschutz stehend – aufwendig restauriert und gepflegt wieder „in altem Glanz“ präsentieren. Lohnende Ziele zum Thema „Schlösser und Gärten des Barock in Deutschland“: - Benrath bei Düsseldorf [102] - Großsedlitz [103] und Pillnitz [104] bei Dresden - Dresdener Zwinger [105] - Ludwigsburg am Neckar nördlich v. Stuttgart [106] - Veitshöchheim bei Würzburg [109] 27 III. Gartenkunst des Industriezeitalters 1. Englische Landschaftsgärten 1.1 Das vorindustrielle England Das 18. Jahrhundert war in England die Zeit eines gewaltigen Umbruchs, – politisch, kulturell wie auch wirtschaftlich. Politisch avancierte England 1713 mit dem Frieden zu Utrecht – neben Franreich, Österreich, Russland und später auch Preußen (das seit 1713 mit Wilhelm I. seinen ersten König hat) – zur europäischen Großmacht. Im Jahr 1689 hatten die Engländer durch die „Glorreiche Revolution“ die konstitutionelle Monarchie etabliert, dem Hegemoniestreben Frankreichs Grenzen gesetzt, die eigenen Grenzen gesichert und konnte sich fortan auf den Seekrieg gegen Frankreich um die Vormacht auf den Weltmeeren und in den Kolonien verlegen. Der Zwist mit Frankreich hatte genau 350 Jahre vor der „glorious revolution“ seinen Anfang genommen: Seit 1339 hatten sich nacheinander 5 englische Könige (von Eduard III. bis Heinrich VI.) mehr als 100 Jahre lang – bis 1453 – vergeblich bemüht, in den Besitz der französischen Krone zu gelangen („Hundertjähriger Krieg“). Das endete 1453 damit, dass England alle Besitzungen auf dem Kontinent an Frankreich verlor und sich auf der Insel mehr oder weniger abschottete. Beigetragen hat das allerdings zugleich zur Herausbildung eines nationalen Selbstverständnisses und der Kultivierung politischer „Spielregeln“, dank derer England in der gesellschaftlichen Entwicklung dem Kontinent einen Schritt voraus war. Eine parlamentarische Tradition hatte England bereits seit Mitte des 13. Jh., und die nach der 1689er Revolution endgültig zementierte Gewaltenteilung zwischen Parlament und Krone erweist sich gegenüber dem Absolutismus im sonstigen Europa sehr bald als die freiheitlichere Staatsform, doch war deren Geburt nicht ohne schmerzliche Wehen erfolgt. Als in Frankreich 1643 Ludwig XIII. stirbt und dessen fünfjähriger Sohn – unter Vormundschaft seiner Mutter – die Nachfolge antritt, herrscht Bürgerkrieg in England (1642–48), der mit dem Sieg des Parlamentsheeres unter Oliver Cromwell und der Hinrichtung des Königs Karl I. 1649 endet. Es hatten sich die Anhänger der Reformation, adelige wie bürgerliche, inner- wie außerparlamentarische Kräfte gegen die auf Absetzung des Parlamentes gerichteten absolutistischen Machtgelüste ihres katholischen Königs durchgesetzt: Unter Cromwells Militärdiktatur ist England bis 1660 Republik. Ab 1660 kommt es zwar zu einer Restauration der Stuart-Monarchie (erst Karl II., dann Jakob II.), aber das Parlament mit Vertretern aus Feudaladel und bürgerlicher Aristokratie behielt maßgeblichen Einfluss. Als Jacob II. eine katholische Restauration Englands anstrebt und sich dafür sogar mit Ludwig XIV. zu verbünden trachtet, drohte Europa eine Übermacht Frankreichs, so dass die Entmachtung Jakobs sogar in päpstliches Interesse rückt. Wilhelm von Oranien, durch Kaiser und Papst legitimiert, zieht im November 1688 mit niederländischen und brandenburgischen Truppen gegen den englischen König zu Felde und nachdem sich Jakob II. nach Frankreich abgesetzt hatte, beschloss das Parlament dessen Entthronung und sprach 1689 Wilhelm von Oranien die englische Krone zu. Durch diesen Machtwechsel wurden diejenigen Kräfte innerhalb des Parlaments, die auf Restauration der Stuartmonarchie und die Beibehaltung des „göttlichen Erbrechts“ (erbliche Thronfolge) hingewirkt hatten, die „Tories“, politisch paralysiert. Die „Whings“, deren politischen Ideale denen einer bürgerlichen Demokratie schon sehr nahe kamen, hatten die Oberhand gewonnen. Die Regierungszeit Wilhelms währt bis 1702 und danach wird die Tochter des gestürzten Jacob als „Queen Ann“ inthronisiert und als diese 1714 stirbt, holt man sich einen Deutschen aus dem Hause Hannover und macht ihn als Georg I. zum englischen König. Die mit Amtsantritt Wilhelms von Oranien im Jahre 1689 erlassene „Declaration of Rights“ erklärte eine Suspendierung erlassener Gesetze, die Erhebung von Abgaben sowie die Errichtung eines stehenden Heeres durch das Königshaus als verfassungswidrig und garantierte dem Parlament die Wahl- und Redefreiheit der Parlamentsmitglieder. 28 Ein Toleranzgesetz gestattete die öffentliche Ausübung protestantischer Gottesdienste und darüber hinaus war allen Bürgern Sicherheit der persönlichen Freiheit und der Schutz vor willkürlicher Verhaftung zugestanden worden. Absolutistischer Zentralgewalt im ungeliebten Frankreich standen in England seit der „Glorreichen Revolution“ (1688-89) eine Gewaltenteilung zwischen Parlament und Königshaus („mixed gouvernment“), verbunden mit weitgehenden politischen und persönlichen Freiheiten gegenüber. Kulturell brachte die neue politische Situation Bewegung in die philosophische Diskussion des ausgehenden 17. Jahrhunderts wie auch in die Kunst im Allgemeinen und die Bau- und Gartenkunst im Besonderen. Philosophie: In der Renaissance bereits hatten wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften die Erkennbarkeit der Welt und herrschender Naturkräfte bewiesen und zum so genannten „mechanistischen Weltbild“ (Descartes, 1596 - 1650) geführt, andererseits aber auch die Erde als Teil eines übergeordneten Gesetzen unterworfenen Planetensystems erkannt und den von der Kirche zum „Ebenbild Gottes“ erhobenen Menschen als einen Teil der irdischen Natur quasi in diese zurück versetzt. Die englische Philosophie der Zeit seit der bürgerlichen Revolution 1642 - 48 liegt durchaus auf dieser materialistisch-mechanistischen Linie, nur wandelt sich in relativ kurzer Zeit die Einschätzung der Natur des Menschen wie auch seiner Haltung zur Natur und daraus abgeleitet zugleich die Auffassung von der Organisationsform der menschlichen Gesellschaft. Thomas Hobbes (1588 – 1679) hatte aus der Erkenntnis heraus, dass sich menschliche Willensbildung der regulierenden Kraft physischer Naturkräfte entzieht und dass die in der Natur des Menschen liegende Selbstsucht das Gemeinwesen gefährde, die staatliche Zentralgewalt (der sich sogar die Religion unterwerfen sollte) noch befürwortet, um den „Krieg aller gegen alle“ zu unterbinden. John Locke (1632 – 1704) führt – entgegen der scholastischen und cartesianischen Annahme, dass dem Menschen gewisse Grundsätze und Begriffe angeboren sind (ideae innatae) – menschliches Verhalten und Urteilen auf die im Leben erfahrenen sinnlichen Wahrnehmungen und geistigen Erkenntnisse zurück (psychologischer Empirismus). Er vertritt damit eine Auffassung, die – weiterentwickelt in der Kantschen Erkenntnistheorie – sich letztlich auch bei Marx und Engels in der Kurzformel „die Umwelt formt den Menschen“ wiederfindet. Lockes Empirismus impliziert zugleich die Option einer Erziehung zur Vernunft (später Grundlage Rousseauscher Pädagogik), durch die auch eine andere Staatsform als die absolutistische und religiöse Toleranz denkbar wird. Locke legitimiert damit die politische Gewaltenteilung in England seit der „Glorreichen Revolution und vertritt – im Gegensatz zu Hobbes – einen politischen (und religiösen) Liberalismus. Locke sah in der Natur eine ordnende und geordnete Vernunft verwirklicht und vertrat die Auffassung, dass es Freiheit des Menschen nur in einer staatlichen Ordnung geben kann, die ihre Wurzeln in dem als vernünftig erkannten Gefüge des natürlichen Kosmos hat. Das hieß nichts anderes, als dass – entsprechend dem freien Spiel der Naturkräfte – dem Menschen das Naturrecht auf freie Entfaltung zugestanden werden muss. Baukunst: Nach der Eroberung durch die Normannen 1066 war die romanische Bauweise aus der Normandie nach England gekommen und auch die Gotik wurde aus Frankreich „importiert“. Im 16. Jahrhundert brachten der „Tudor-Style“ (z.B. Hampton Court im SW v. London, 1514-21) [4] und der ihm folgende „Queen-Elizabeth-Style“ (2. Hälfte 16. Jh.) zwar etliche neue Züge in das gotische Erscheinungsbild der Bauten, aber eine „eigene“ Stilentwicklung war das im Grund nicht, denn es handelte sich lediglich um eine Verquickung mit Elementen der französischen und italienischen RenaissanceArchitektur. Gotischer Duktus in der Architektur blieb über die Spätrenaissance und die Barockzeit hinaus bis zum Durchbruch der Romantik um 1750 dominierend und wirkte als „Gothic Revival“ (z.B. Londoner Parlamentsgebäude, ab 1837) [5] sogar bis ins 19. Jahrhundert hinein nach. 29 Ab Beginn des 17. Jahrhunderts war allerdings auch palladianischer Klassizismus in Reinform als Vorbild genommen worden, wie z.B. beim – seit 1997 zum Weltkulturerbe zählenden – Queens House im Londoner Stadtteil Greenwich (Entwurf: Inigo Jones, 1616) [6] und bei der ab 1677 erbauten St. Paul’s Cathedral, London (Entwurf: Christopher Wren, 1675). [7] Der Barock-Stil in England der Zeit nach der „Glorious Revolution“ setzt sich deutlich von dem des europäischen Festlandes ab: Die Schloss-Bauten der Barockzeit blieben zurückhaltender und nüchterner, d.h. ohne den überschwänglichen Formenreichtum des „kontinentalen“ Barock. Prominente Bauwerke des „englischen Barock“ sind z.B. der von Wren geplante neue Flügel von Hampton Court [8], der nach Abriss der Hälfte des alten TudorSchlosskomplexes 1689-94 gebaut wurde und Schloss Blenheim, bei Oxford, erbaut 1705-22 vom Architekten Sir John Vanbrugh [9]. Inwieweit die stilistische „Absetzbewegung“ in der Baukunst in erster Linie das Bestreben nach eigenständiger nationaler Prägung und/ oder eine politisch motivierte Verweigerung gegenüber der Kunst absolutistischer Zentralgewalt jenseits des Kanals ist, sei hier dahingestellt, und ob der sogenannte „Queen-AnnStyle“ tatsächlich Merkmale eines eigenständigen Stils trägt, muss dem Urteil der Bauhistoriker überlassen bleiben. Mit dem Erscheinen des „Vitruvianus Britannicus“ und der „Vier Bücher zur Architektur“ von Palladio in englischer Sprache wird ab 1715 eine zweite Welle des Palladianismus und eine enthusiastische Antike-Rezeption ausgelöst, was allerdings weiterführenden innovativen Ansätzen zur Entwicklung einer nationalen Stilprägung in der Architektur eher abträglich gewesen sein dürfte. Umso mehr setzt jetzt eine Hinwendung zum baulichen Umfeld ein, teils in logischer Konsequenz intensiver geistiger Auseinandersetzung mit dem Mensch-Natur-Verhältnis, teils vielleicht auch deshalb, weil es im Garten bzw. Park leichter erschien, einem neuen politischen Zeitgeist – angelehnt an humanistisches Gedankengut der Antike – formal wie inhaltlich sichtbaren äußeren Ausdruck zu verleihen. Geistige Wegbereiter neuer formaler und inhaltlicher Ansätze in der Garten- bzw. Parkgestaltung waren jedoch nicht Architekten oder Gärtner, sondern in erster Linie Philosophen und Dichter. Zentrales Thema waren philosophische Idealvorstellungen von naturgegebener und naturverbundener menschlicher Moral und Tugend und die Herausarbeitung einer moralpolitisch untermauerten, „augenfälligen“ Gegenposition zum Absolutismus. Antony Ashley Cooper, der Dritte Earl of Shaftesbury (1670 – 1713) entwickelt in seinem 1709 erschienenen Buch „Die Moralisten“ ein Konzept der Mensch-NaturHarmonie als Voraussetzung für Freiheit und liefert damit den Argumentationshintergrund für einen anderen Umgang mit der Natur im Garten. Shaftesbury argumentiert, es sei, wie in den natürlichen Systemen, auch im menschlichen Gesellschaftssystem ein Gleichgewicht der Kräfte („balance of power“) die Voraussetzung für Harmonie und letztlich für das Naturrecht des Menschen auf freie Entfaltung. Die seit 1689 bestehende konstitutionelle Monarchie sah Shaftesbury wohl als durchaus geeignetes Gesellschaftssystem an, also machte er sich an die moralische Bekehrung des Menschen, dessen Selbstsucht bzw. Eigenliebe („self-love“) als Störfaktor gesellschaftlicher Entwicklung zu überwinden war, – durch Verständnis für die Sinnhaftigkeit der Naturordnung und Achtung der Naturschönheit. 30 Shaftesbury zur Naturordnung: „In der Harmonie der Natur offenbart sich Gott. Der Mensch, als Geschöpf Gottes, ist Teil dieser Harmonie und deshalb von Natur aus gut.“ Dem Menschen als Teil des Gesamtsystems dieser Welt spricht Shaftesbury eine natürliche Moralität („moral sense“) zu, eine angeborene Achtung vor der Natur und Zuneigung zu seinen Mitmenschen und sieht darin die Grundlage für ethisches Handeln, – des Einzelnen wie auch der Gesellschaft („common sense“). Shaftesbury zur Naturschönheit: „Wo sich die Harmonie der Natur unseren Sinnen zeigt, empfinden wir Schönheit, denn wir spüren den Abglanz der göttlichen Idee, den göttlichen Künstler.“ Philokles lässt Shaftesbury in den „Moralisten“ sagen: „… der Genius des Ortes und der große Weltgenius haben endlich den Sieg errungen. Ich wehre mich künftig nicht mehr gegen meine wachsende Leidenschaft für wahrhaft natürliche Dinge, deren echte Ordnung weder Kunst, noch Laune oder Eigensinn des Menschen durch Eingriffe in ihren ursprünglichen Zustand auf den Kopf gestellt hat. Sogar die rauen Felsen, die moosigen Höhlen, die unregelmäßigen, unberührten Grotten und jähen Wasserstürze*, mit all den düsteren Reizen der eigentlichen Wildnis werden, weil sie die Natur unmittelbar darstellen, desto anziehender für mich sein und mir mehr Herrlichkeit offenbaren als die äußerlichen Nachäffereien fürstlicher Gärten …“ . Für Shaftesbury verkörpern die Fürstengärten Willkür und Sklaverei. *Hier werden schon Elemente und Stimmungsbilder beschrieben, die auch ≈ 50 Jahre später im romantischen Landschaftsgarten in Deutschland auftauchen! Shaftesbury ist bemüht, die Natur als normativ-ethische Kategorie für die Moralbildung ins Bewusstsein seiner Zeitgenossen zu bringen, und indem er den „inneren“ Wert der Leidenschaft für die gottgegebene Ordnung und Schönheit freier Natur über die „äußerlichen Nachäffereien fürstlicher Gärten“ stellt, löst er eine engagierte Diskussion über den Umgang mit der Natur im Garten aus, zu deren Verbreitung das aufkommende Zeitschriftenwesen wesentlich beiträgt. Der Dichter und Gelehrte Joseph Addison (1672 – 1719) z.B. beschreibt die Wildheit seines Gartens, der schön sei, „ … ohne nach der feineren Zierlichkeit der Kunst zu streben.“ Die „Pleasures of the Imagination“ (Titel eines 1712 veröffentlichten Berichtes von Addison über Reiseeindrücke aus Italien und Frankreich) seien das Schöne, das Ungewöhnliche und das Großartige. Da aber „vastness“ und „immensity“ Charakteristika der wilden Natur seien, welche die Kunst kaum hervorbringe, sei letztere der Natur unterlegen. Sehr bald bekommt die Mensch-Natur-Diskussion eine politische „Färbung“ in der gängigen populistischen Formel: Beschnittene Menschenrechte + beschnittene Pflanzen = französischer Absolutismus; Freiheitsrechte des Menschen + freie Naturentfaltung = politisch freies England. Schon wenige Jahre nach der „Glorreichen Revolution“ aber sahen sich viele Whing-Anhänger durch Korruptheit, Intrigantentum und um sich greifenden Machtmissbrauch in ihren politsch-moralischen Idealvorstellungen enttäuscht und dazu veranlasst, in die Opposition zu gehen oder sich ganz aus der Politik auf ihre Landsitze zurückzuziehen. Andere verloren in Verfolg von Intrigen oder Korruptionsaffären ihre politischen Ämter. Mehrheitlich diese Oppositionellen, wie auch „Gestrauchelte“ anderer politischer Couleur – ironisch als „country-party“ tituliert – waren es, die sich auf erste experimentelle Versuche einer „anderen“ Gartenkunst einließen. Der Dichter Alexander Pope (1688 – 1744) ist ein glühender Verfechter der aufkommenden Naturverbundenheit, in der er – wie Shaftesbury – einen Ausdruck moralischer Tugend sieht. Nach der „Aktenlage“ war Pope der Erste, der sich ab 1718 darin versuchte, seinen Garten nach neuen Prinzipien gestalten, was für ihn hieß, sein Gelände nicht geometrisch zu strukturieren und Vegetation unbeschnitten einzusetzen. 31 Um 1750 tritt der Landschaftsgarten in ein neues Reifstadium und wird seiner Naturnähe wegen umso enthusiastischer angenommen, je mehr die Entfernung von naturverbundener Lebensweise durch die Industrialisierung um sich greift. Von Rousseau, der während seines Exils 1762 bei David Hume weilt, stammt der berühmte Appell „Zurück zur Natur“. Der war allerdings zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr nötig, um die Entwicklung des Landschaftsgartens in England voranzutreiben, denn die war da längst ein „Selbstläufer“ und das sicherlich auch nicht nur der Ablehnung absolutistischen Stilgepräges oder überzeugter Naturverehrung wegen, sondern wohl auch deshalb, weil sich die Investition in die Umgestaltung durch Wegfall immenser Kosten für die Pflege der Renaissance- bzw. Barockanlagen früher oder später zu amortisieren versprach. In einen falschen Kontext zur Entstehung und stilistischen Entwicklung des Landschaftsgartens in England wird mitunter der Einfluss der chinesischen Gartenkunst gestellt. Ständigen Kontakt mit der Mandschurei gab es schon seit gut 100 Jahren, - seit der chinesische Herrscher Koxinga 1662 die Holländer aus Taiwan vertrieben und Handelsbeziehungen mit den Engländern geknüpft hatte, und richtig ist, dass südostasiatische Kunst und Kultur zu dieser Zeit in Europa zunehmendes Interesse findet. Zwei Jahre nach Popes neuer Gartenschöpfung z.B. lässt der Sachsenkönig August in Pillnitz bei Dresden das Berg- und Wasserpalais (1720–23) im „japanischen“ Stil bauen. Schon 1692 hatte William Temple („Upon the Gardens of Epicurus“) über die chinesische Gartenkunst geschrieben, dass deren Schönheit darin bestehe, „ohne erkennbare Ordnung oder Anordnung der Teile“ auszukommen. Das war ein Argument für den neuen Trend, aber nicht wirklich ein Vorbild, denn dafür fehlten sowohl die hinreichende Anschauung in natura als auch die Kenntnis der ideologischen Hintergründe dieser Gestaltung. Auslöser für den neuen Gartentrend in England war – lange vor dem direkten Zugriff auf formale Anleihen aus China (wie bei William Chambers) oder auf Vorbilder aus der niederländischen und französischen Landschaftsmalerei – der erklärte Wille, es „irgendwie natürlicher“ zu machen. Der Landschaftsgarten ist einer der bedeutendsten Beiträge Englands zur europäischen Kunstgeschichte, wenn nicht gar der bedeutendste! 1.2 Entwicklungsstadien des Landschaftsgartens in England 1.2.1 Die Initialphase: Bruch mit den formalen Prinzipien → Pope’s Garden/ Twickham: Alexander Pope (1688 – 1744) konzipierte ab 1718 seinen Garten in Twickham (zwischen Hampton Court und London) sehr augenfällig als Persiflage auf das französische Boskett. Es existiert davon nur noch ein Plan (von seinem Gärtner gezeichnet, weil er selbst dazu kein Talent hatte) und eine Federzeichnung seines Freundes William Kent [10] (auf den im Folgenden noch einzugehen ist). Wie der Gartenplan [11] erkennen lässt, sind Flächen und Wege quasi aus einem dichten Bestand von Bäumen und Sträuchern (im Plan dunkel angelegt) „ausgeschnitten“ und verletzen bewusst die geläufige Auffassung von Regelgeometrie, Parallelität und Symmetrie. Erstmalig ist hier auch eine „geschlängelte“ Wegeführung dokumentarisch belegt. Geradezu „ketzerisch“: Der auf den Muscheltempel (Nr. 5) gerichtete schräge „Durchstich“ (Nr. 3) durch das Gebäude (Nr. 2) und die versetzte Anordnung der Statuengruppen um die Sichtachse zum Obelisken (Nr. 9) am Ende des Grundstücks. Pope’s Gartenplan lässt zwar die Unsicherheit im Umgang mit der gewollten Unregelmäßigkeit in der Flächen- und Raumaufteilung deutlich erkennen, aber er realisiert immerhin erste Prinzipien einer „anderen“ Gartengestaltung: 32 - Freie Entwicklung der Pflanze, - weg vom Formschnitt und der linearen oder gerasterten Pflanzenanordnung. Freie und mannigfaltige Form, - weg von der Orthogonalität, der Symmetrie und eintöniger Regelgeometrie ebener Flächen und der Parallelität gerader Wege. Popes Grundstück war eben und so konnte er die Absicht, Bewegung in die Fläche zu bringen, nur durch Aufschüttungen von Hügeln realisieren, – „Large Mount“ = Rechteckfläche in der Mittelachse mit Schneckenweg (Nr. 6) und die zwei Hügelchen (Nr.10). Bewusst eingesetzt wurde hier die aus der Malerei bekannte perspektivische Manipulation der Tiefenwirkung: Vom schief (!) kreisförmigen „Bowling Green“ aus steigt die Fläche leicht an und durch die Verkürzung der Statuenabstände zum Obelisken hin wird der Raum optisch „verlängert“. Die Manipulation perspektivischer Sehgewohnheit gab es allerdings auch schon im Barock, wie z.B. beim Gartentheater in Herrenhausen [12]. → Park von Studley/ John Aislabie: Bezüglich der Geländegegebenheiten geradezu ideale Ausgangsbedingungen für die Schaffung eines landschaftlich geprägten Parks hatte mit seinem Anwesen in Studley (nahe Ripon in Yorkshire) ehemalige Whing-Schatzkanzler Aislabie. 1720 nahm Aislabie sein Gestaltungsvorhaben in Angriff. Er ließ durch Anstau des Flüsschens in der von steilen Hängen gesäumten Talsohle seines Grundstücks zwei weitgehend natürlich geformte Seen entstehen und zwischen diesen – mit Kaskaden als Ein- und Auslauf – geometrisch geformte Wasserflächen anlegen: einen Kanal und diesem zugeordnet ein Kreisbecken [13] und ein halbkreisförmiges Becken [14]. Mit Architekturstaffagen und Skulpturenschmuck bestückte er nicht nur das noch dem barockem Vorbild verhaftete „Wasserparterre“, sondern auch die umliegenden Hänge. In die Topografie eingegriffen wurde lediglich für die Anlage der Bassins, nicht für die Wege zwischen den architektonischen Elementen an den Hängen. Die Wegeführung mag anders gewesen sein als auf dem Plan [15] vom heutigen Zustand, aber keinesfalls gerade, sondern dem Höhenlinienverlauf angepasst. In Wegfall geraten sind in dieser großen Parkanlage bereits die barocktypische Dreiteilung Parterre-Boskett-Bosco sowie die Symmetrie um die zentrale Wasserachse. Der Gestaltungsansatz von Studley enthält weiterführende Prinzipien und Elemente für den kommenden Landschaftsgarten: - Nutzung der natürlichen Topographie und vorhandener Wasserläufe. (Einebnung großer Flächen und Begradigung von Gewässerufern ist später verpönt) - Einbettung architektonischer Staffagen (Reminiszenzen an geschichtliche Ereignisse und vergangene Epochen der Baukultur) in naturnahes Ambiente. - (in [15]: 6 = Quebec Monument, 7 = Herkulestempel, 8 = Octagon Tower, 9 = Temple of Fame) - (in [15]: Inszenierung A u. B sowie C = „Surprise View“ auf Fountains Abbey) Inszenierung von Blickbezügen und Rahmung der Blickachsen durch die Kulissenbildung mit Gehölzen. Aislabie als besonderes Verdienst anzurechnen ist das Bemühen um die gestalterische Einbeziehung und Erhaltung der Ruinen des Klosters Fountains Abbey, das heute UNSECO-Weltkulturerbe ist. 33 1.2.2 Die Ära William Kent: Dominanz der Emblematik Bedeutungsträger waren Gärten und deren baulicher wie plastischer Schmuck seit alters her, neu ist nur, dass man sich – Schritt für Schritt – davon entfernt, Sinnbilder in Form von Kleinarchitekturen und Statuen im total geometrisierten Gelände- und Vegetationsrahmen zu präsentieren, sondern in naturnahem Ambiente. In der Anfangsphase ging es jedoch noch mehr um die Unterbringung programmatischer Staffagen an geeigneten Orten des verfügbaren Geländes, als um die Gestaltung ganzheitlicher Landschaftsbilder. Wie schon bei Pope 1718 bleibt die nicht-gerade Wegeführung noch jahrelang sichtlich ein Problem der frühen Entstehungsphase – besonders im ebenen Gelände: Batty Langley unterbreitete 1728 in seinen „New principles of gardening“ geradezu grotesk anmutende Vorschläge für die Auflockerung geometrischer Parterre- bzw. Boskettanlagen durch geschlängelte Flächenbegrenzung und Wegeführung [16]. → Chiswick Garden/ Lord Burlington; William Kent: Das anfängliche „Wege-Problem“ offenbart auch der Gartenplan von Chiswick [17]. Zwischen 1724 und 1728 hatte sich Burlington eine Renaissance-Villa in enger Anlehnung an Palladios „Rotunda“ errichten lassen. Typisch barock hingegen sind im umliegenden Parkgelände noch die Zentralachse (allerdings nicht auf das Gebäude, sondern das nebenliegende Tor ausgerichtet) und der „Gänsefuß“. Die Axialität ist also noch nicht aus dem Garten verbannt, aber in den Flächen dazwischen versuchte man das Neue: „Lockere Wegeführung“, doch waren das Ergebnis dieser Bemühungen noch unmotiviert geschlängelte und gezackte Pfade. Zugeschrieben wird die Gartenplanung dem Pope-Freund William Kent (1685-1748), der als einer der Mitbegründer des englischen Landschaftsgartens gilt, in Chiswick um 1730 aber noch am Anfang seiner Karriere als gefragter Gartendesigner stand. Vorauszuschicken ist hier allerdings schon, dass Kent mehr Ausstatter von Parks als Landschaftsgestalter war. Kent entwarf architektonische Staffagen, wie Tempel, Pavillons, Einsiedeleien, Obelisken, Grotten, Wasserkaskaden für zahlreiche Parkanlagen der Initialphase des Landschaftsgartens, aber in seinen Parkentwürfen gelingt es ihm zeitlebens nicht, die „Kinderkrankheiten“ zu überwinden. Kent, ursprünglich Kutschenmaler, avancierte auf Drängen Burlingtons zum Architekten. Als solcher hat er (um 1735) u.a. Holkham Hall, den Palast des Grafen Leicester geplant und ist bei seinen Vorschlägen für den Park auf ein weiteres AnfangsProblem gestoßen, – die Verteilung von Gehölzgruppen („clumps“) in einem weiten Wiesenraum [18]. Kent’s noch zu sehr der Regularität verhaftete Anordnung (gleichgroße Gruppen in fast axialsymmetrischer Verteilung) vermittelt zwar die Raumtiefe, schafft aber keine spannungsvolle Raumdifferenzierung. → Claremont/ Thomas Pelham, Duke of Newcastle; Vanbrugh, Bridgeman, Kent: Wenig mehr als 10 Jahre nach der 1725 abgeschlossenen Umgestaltung des Gartens von Claremont in Surrey durch den Architekten John Vanbrugh und den Gärtner Bridgeman [19] erhält Kent den Auftrag für eine erneute Umgestaltung. Vergleicht man den Kent-Plan [20] mit dem vorherigen Zustand erkennt man folgende Veränderungen: 34 Vor dem zweiflügeligen Villenbau ist die beidseitig fünfreihig baumgesäumte Querachse aufgebrochenen und in ost-westlicher Richtung wird über die Lücke ein Zusammenhang der Wiesenräume hergestellt. An der südlichen Grundstücksgrenze (links) erkennt man, dass Kent die Allee als lineare Begrenzung entfernt hat. Kent bringt dort den sogenannten „Aha“ zum Einsatz: „Aha“, - ein trockener Graben mit parkseitiger Stützmauer oder Zaun in der Sohle, womit ein (anscheinend) nahtloser Anschluss an die umliegende Landschaft gewährleistet werden soll. Die lineare dichte Gehölzkante des bewaldeten Hügels (mit den Schlängelwegen) wird zum Zweck der Verzahnung zwischen Wiesenraum und Waldsaum aufgelöst und vom Belvedere auf dem Hügel im Bosco ist eine Schneise geschlagen, durch die der Blick in die Landschaft möglich wird. Noch immer problematisch: die Anordnung der „clumps“, die zwar schon deutlich aufgelockert ist, doch es wird nur die Mittelachse kulissenartig gerahmt, während auf den angrenzenden Flächen keine Raumbildung stattfindet, – leere Wiese bzw. einige eingestreute Einzelbäume. Immerhin ist im Claremont-Plan ansatzweise ein wichtiges Anliegen Kent’s erkennbar: – die Parkteile „organisch“ untereinander zu verbinden und Bezüge zum umgebenden Landschaftsraum herzustellen. → Castel Howard/ Charles Howard, Dritter Earl of Carlisle; Vanbrugh, Bridgeman: In Castel Howard werden – hier ohne Kent – zwei weitere (allerdings absolut nicht neue!) programmatische Aspekte des Landschaftsgartens beispielhaft realisiert: - die scheinbar unendliche Weite (wie im französischen Barockpark), - der Ausblick in die landwirtschaftlich genutzte Umgebung (wie im italienischen Renaissancegarten). Im Unterschied zu Kent, der ein „setting“ seiner Historien-Staffagen im „geschlossenen“ Parkraum bevorzugt, werden in Castel Howard architektonische „Highlights“ weithin sichtbar im Landschaftsraum des Schlossumfeldes präsentiert. [21] Vermutlich gleichzeitig mit dem Bau des vom Architekten Vanbrugh entworfenen „Tempels der vier Winde“ (1732), hatte Bridgeman den „Aha“ angelegt [22], der das Eindringen des Viehs in den inneren Parkteil verhinderte, aber von dort unsichtbar blieb. Stephen Swizer hatte das 1718 in seiner „Ichnographia rustica“ den Begriff des „rural gardening“ geprägt, durch das „die umfassenden Reize der Natur“ als das Angenehme mit dem Nützlichen der Landwirtschaft verquickt wird. Später prägt Switzer die Begriffe „ornamental farm“ (1733) und „ferme ornée“ (1742). In Einem war der Park von Castel Howard Kent’scher „Gestaltungskunst“ jedenfalls deutlich voraus: [23 Plan]: Die Wegeführung kommt erstmals ohne überzogene Schlenker aus, bildet ein „geschlossenes“ System und ist hier bereits für die abwechslungsreiche, nicht mehr axiale Inszenierung von Raum bzw. Raumausstattung eingesetzt (siehe „Terrace-Walk“ Schloss → Tempel → Mausoleum). → Park Rousham/ General James Dormer; Bridgeman, Kent: Ähnlich wie in Claremont hat Kent in Rousham 1738 [24] die erst etwas mehr als 10 Jahre zuvor von Bridgeman vorgenommene – durch strenge (aber nicht orthogonale) Achsen geprägte (auch schon mit Schlängelwegen versehene) – Parkanlage umgestaltet. 35 Rousham ist eines der wenigen weitgehend erhaltenen und das wohl opulenteste Werk Kent’s: Der größte Teil der zahlreichen Architekturen und Skulpturen geht auf seine Entwürfe zurück. Die Ausstattung zeichnet sich durch die Geschlossenheit der Programmatik aus, – eine Elegie auf die Vergänglichkeit des Lebens (Vorgabe des Auftraggebers). Einzigartig in dieser Zeit dürfte der Umstand sein, dass – ähnlich wie in Versailles – ein bestimmter Ablaufplan für den Rundgang durch die Anlage „angedacht“ war, der dem Verständnis der philosophischen Aussagen dienen sollte. Im Vergleich zu Castel Howard offenbart aber Kent’s Plan (auch wenn der vermutlich nicht von ihm selbst gezeichnet wurde ) Kent’s generelles Problem: Er schafft kein konsistentes Gesamtbild einer Parkanlage mit „flüssigen“ Raumfolgen, mit „logischer“ hierarchischer Wegeführung in einem spannungsvollen Duktus, mit dynamischen Vegetationskonturen und wirklich naturnahen Gewässerrändern. Erst zwei Jahre nach Kent’s Tod wurde theoretisch begründet, wie eine dynamische Wegeführung bzw. Raumbegrenzung durch eine Vegetationskontur aussehen sollte: Im Jahre 1750 definierte der englische Maler und Kupferstecher Hogarth in seiner Schrift „Analyse der Schönheit“ die sogenannte Schönheitslinie: „Die sichtbare Formel für die höchste Schönheit ist eine fest bestimmte undulierende Schlangenlinie, sie zeigt die reichste Abwechslung, da sie in keinem Punkte gleich ist, vor der Kreislinie aber den Vorzug hat, die Einbildungskraft zu beschäftigen, da sie dem Auge verschwindet und wiederkehrt.“ [25]: Fast 50 Jahre hat es dann noch gedauert, bis die Schönheitslinie als Prinzip der Wegeführung gekonnt beherrscht und zugleich die Wegeführung zur Inszenierung wechselnder Raumeindrücke (Blickführung durch Richtungswechsel) bewusst instrumentalisiert wurde. Wie man sich das vorzustellen hat, zeigt ein Plan aus der Feder von Peter Joseph Lenné, in den auch die wichtigen Sichtachsen und die durch „clumps“ gebildeten Raumkanten der Teilräume durch gestrichelte Linien markiert sind. → Park von Stowe/ Sir Richard Temple, Viscount Cobham; Bridgeman, Vanbrugh, Gibbs, Kent, Lancelot Brown: Mit der Umsetzung des ehrgeizigen Vorhabens, den Park von Stowe zu einem von der Öffentlichkeit beachteten „Ereignis“ großen Stils zu gestalten, betraute Cobham zunächst den Gärtner Charles Bridgeman (vermutlich schon 1715) und zusätzlich den als Architekten John Vanbrugh (ab 1718) für die Staffagen-Austattung [26]. [27 Pläne]: Wie später auch im (zuvor schon erwähnten) Park von Claremont, ist die Anlage geprägt durch eine vorherrschend axiale (Alleen- oder Hecken-) Einbindung der Teilräume und Inszenierung architektonischer Staffagen vornehmlich in den Schnittpunkten und an den Enden der Achsen. Bereits hier aber ist das Achsennetz schon nicht mehr barock orthogonal und symmetrisch zur noch vorhandenen Zentralachse des Gebäudes, und die Vogelschau von Bridgeman zeigt – ein Jahr nach Pope – ebenfalls schon erste Schlängelwege. Bridgeman’s Wirken in Stowe ist bis 1733 belegt; zu dieser Zeit waren – in der Nachfolge Vanbrugh’s nach dessen Tod – vorübergehend James Gibbs [28] und seit 1731 William Kent mit Entwürfen für weitere „Installationen“ beauftragt. Von Kent stammen Carolines Einsiedelei, der Venustempel, der Tempel der antiken Tugend [29], der „Temple of British Worthies“ [30] (eigentlich eine Exedra, wie er sie ähnlich zuvor in Chiswick entworfen hatte) und der Tempel der modernen Tugend. 36 Zusätzlich entwarf der nochmals beauftragte Gibbs den „Gothic Temple“ und die „Palladian Bridge“ [31]. Als letztes entstand der klassizistische „Grecian Temple“, dessen Baubeginn 1749 in das Todesjahr von Viscount Cobham fiel. Die Auflösung des Achsensystems in Stowe und eine „Naturalisierung“ fanden erst in den 40er Jahren statt: Ab 1741 wurde – gerade erst 25 Jahre alt – Lancelot Brown als Obergärtner von Stowe eingestellt und arbeitete hier – über Cobhams Tod im Jahre 1749 hinaus – bis 1751. In dem Stowe-Plan von 1753 [32] sieht man als Resultat zehnjähriger Umgestaltungsarbeit durch Brown ein schon ein deutlich naturnahes Ambiente der Gesamtanlage des Parks. Noch ist die Wegeführung zu sehr durch die vorgefundene „Schlängelei“ geprägt, aber Brown war hier vorrangig mit der Verbesserung der Raumkonturen durch die Baum- und Strauchvegetation befasst und zeitlich lag diese Periode ja auch noch vor der „Erfindung“ der Hogarth’schen „Schönheitslinie“. Der Park von Stowe gilt als eines der ersten und größten Gesamtkunstwerke der englischen Landschaftsgärtnerei. → Stourhead/ Henry Horare; Flitcroft Das Anwesen von Stourhead hatte Henry Horare nach dem Tode seiner Mutter übernommen und begann unverzüglich, dessen Gestaltung zu einem Landschaftsgarten in Angriff zu nehmen. Vorhanden war als Wohnsitz ein zwischen 1719 und 1722 vom Architekten Campbell nach palladianischem Vorbild gebautes Landhaus. Der Park ist zweifellos ein Kleinod, aber bezüglich der Entwicklung der Gestaltungsprinzipien führt Stourhead nicht wirklich weiter, denn im Prinzip ist alles, was ab 1741 im Verlaufe von mehr als 30 Jahren sukzessive im Gelände geschaffen wurde, in anderen hier behandelten Parkschöpfungen schon in ähnlicher Weise vorhanden: - Die idealen Voraussetzungen des von steilen Hängen gesäumten Flusstälchens – z.B. in Studley, nur verzichtet Horare auf künstliche Fassung der angestauten Seen und erhält dadurch Wasserflächen mit dynamisch geschwungenen Uferkonturen. [33] - Die Antikereminiszenz mit Floratempel (1744), Pantheon (1753) und Apollotempel (1765). [34] - Renaissance und Barock sind vertreten durch eine Palladio-Brücke (1762) und eine Grotte (1750). [35] Das Historienszenario ergänzt Horare, seiner patriotischen Gesinnung gemäß, um einige typisch britische Installationen, von denen heute noch der „Alfred’s Tower“ (1770) erhalten ist, - ein über 50 Meter hoher Backsteinturm im „Gothic-Revival-Stil“ [36]. Obgleich die Palladio-Brücke – über einem kleinen Eckzipfel des Sees (s. Plan [33]) – funktionell reichlich überflüssig ist und aus der Nähe betrachtet allzu offenkundig ihren reinen Staffagecharakter verrät, ist die Komposition – vom Pantheon her gesehen (Brücke, Floratempel und Kirche des Dorfes Stourton im Hintergrund), wie auch umgekehrt der Blick vom Dorf über die Brücke zum Pantheon – ausgesprochen effektvoll. [37] Inspirationsquelle für die Gestaltung der Szenerien in Stourhead sollen Landschaftsgemälde Claude Lorrain’s gewesen sein, für die Horare ein großes Faible hatte. 37 Das erscheint durchaus glaubhaft, denn bei der Suche nach elysischen Lorrain-Landschaften, mit denen die Stourhead-Stiche von Francis Vivares aus 1777 Ähnlichkeiten aufweisen, wird man schnell fündig. [38] Der Vergleich der beiden Stourhead-Stiche mit dem heutigen Erscheinungsbild offenbart allerdings bedauerliche Wirkungsverluste: Der reizvolle Fernblick in die umgebende Hügellandschaft wird durch die zu massiert eingesetzten Großgehölze gänzlich verstellt. Eine zweite Wirkungseinbuße wird im Allgemeinen übersehen: Horare hatte das „Erhabene“ der Natur (der Begriff, durch den um 1750 Edmund Burke Addisons „vastness“ ersetzte) offenbar wörtlich genommen und darunter die Anhöhen im Umfeld seines Parks verstanden; jedenfalls scheinen das die beiden Vivares-Stiche [37] zu bestätigen: 1. Im unteren Bild (links) steigert der Apollotempel die Erhabenheit einer Hügelkuppe. 2. Im oberen Bild markiert das oberhalb des linken Brückenkopfs links von der Kirche stehende „Bristol High Cross“ (ein originales mittelalterliches steinernes Hochkreuz aus Bristol) die Kuppe eines im Hintergrund liegenden Berges. Dieser sicherlich beabsichtigte Erhabenheitsaspekt beider Staffagen (1765) ist wegen des zu hohen und zu dichten Baumbestandes nicht mehr erlebbar. 1.2.3 Die Ära Lancelot Brown: Dominanz des Pittoresken Mit Lancelot Brown (1716 - 83) als „Hauptakteur“ beginnt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die zweite Phase des englischen Landschaftsgartens, in der sowohl inhaltlich als auch gestalterisch neue Züge und Qualitäten zu verzeichnen sind. In England war „Capability“ Brown, wie er später genannt wurde, nicht nur der erste Berufsgärtner, der als Gartenarchitekt Fuß fassen konnte, sondern er hat wirklicher Landschaftsgestaltungskunst maßgeblich zum Durchbruch verholfen. Was hatte sich bis 1750 inhaltlich im englischen Landschaftsgarten etabliert und welche Veränderungen bahnen sich an? Der Garten sollte nicht mehr – wie in Versailles – ein Ort inszenierten, der höfischen Etikette unterworfenen, zwanghaften kollektiven Theaters sein, in dessen Mittelpunkt die Huldigung des Machthabers steht, sondern der Selbstbesinnung und Zwiesprache mit der Natur dienen. Damit änderte sich das Raum- und Funktionskonzept: - Nicht mehr in abgezirkelter, gekünstelter, pompöser Szenerie soll man vorgegebener Choreographie unterworfen sein, sondern ungezwungen flanieren dürfen, um selbstbestimmt wechselnde Raumformen, Natur- und Kunsteindrücke zu erleben. - Nicht mehr die allegorischen Verweise auf die Person des absoluten Herrschers sind gefragt, sondern das „Ansprechen“ individueller Empfindungen zum Zwecke der Selbstfindung oder – wie in Stowe – das „Aussprechen“ politischer und moralischer Werthaltungen. Stimmungsbilder sollen zum Nachdenken über Gott und die Welt, die Gegenwart und die Vergangenheit, das Leben und den Tod (wie in Rousham) anregen. Diente in der ersten Phase des „Landscape Movement“ der Garten in erster Linie als „Sammelbox“ für in Stein gemeißelte politische, moralische, philosophische Aussagen, (sogenannte emblematische Gärten), so begann um 1750 mit Lancelot Brown eine Phase, in der es auch – und für Brown sogar vorrangig – darum ging, im Garten Schönheiten der Natur zu sammeln und in harmonischer Ordnung zu vereinen. 38 Wurden in der ersten Phase die Gegebenheiten des Geländes genutzt und – noch relativ moderat – verändert, um geeignete „Settings“ für programmatische Staffagen zu schaffen, war es Brown’s Devise, die „Möglichkeiten“ (daher sein Spitzname „Capability“) des Geländes zu nutzen, um ein die Schönheit der Natur steigerndes Gesamtbild der Parkanlage zu schaffen. In der zweiten Hälfte das 18. Jahrhunderts wird die dynamische, aber zugleich „zügige“ Wegeführung nach dem Prinzip der Schönheitslinie, die Geländemodellierung, die Raumbildung, die Perspektive und Blickführung auf besonders reizvolle Raumausschnitte und „Staffagen“ immer gekonnter beherrscht. Beispiele und Charakteristika Brown’schen Wirkens ab 1750: Am Anfang Braun’scher Umgestaltung standen in aller Regel umfangreiche Erdarbeiten zur Schaffung naturnaher Gewässerränder und fließender Geländeformen. Relativ aufwändig dürfte die in Petworth (Sussex) ab 1752 von Brown in Angriff genommene Anlage des großen künstlichen Sees anstelle der vorher bereits vorhandenen Fischteiche gewesen sein. Der See erhielt eine dynamisch geschwungene Uferlinie und den Aushub nutzte Brown für die fließende Konturierung des Geländeprofils [39]. → Chatsworth/ Duke of Devonshire; James Paine, Lancelot Brown: Der vierte Duke of Devonshire holte 1761 Brown nach Chatsworth, nachdem seit 1756 bereits der Architekt James Paine mit Umbaumaßnahmen am Gebäudekomplex beauftragt war. Brown sollte die barocke Gartenanlage [40] in einen Landschaftsgarten umgestalten. Aus heutiger Sicht ist das zu bedauern und es bleibt Brown der Vorwurf nicht erspart, dass sein Konzept zumindest das Broderieparterre vor der Südfassade des Schlosses durchaus verkraftet hätte. Im Hinblick auf die Inszenierung des Schlossbaus bzw. – von diesem her – der Landschaft sind seine Maßnahmen allerdings unbenommen genial: Brown wollte beide Fronten des Bauwerks erlebbar machen und den Fluss ins Blickfeld rücken: - Auf Browns Betreiben hin wurde der Weg für die ankommenden Kutschen in dynamischem Bogen um das Schloss und erst nördlich davon an den Fluss geführt und Paine musste eine neue Brücke bauen [41]. - Zwischen den Fundamenten der abgerissenen alten Brücke wurde der Fluss angestaut, um den Wasserspiegel vom Schloss her sichtbar zu machen. [42] - Dem Fluss wurde ein dynamischerer Lauf gegeben und die Hänge wurden in weichen Konturen zum Wasser hin abfallend ausgeformt. - Die Bepflanzung der vorher weitgehend baumlosen Hänge östlich des Schlosses und die Einzelgehölze bzw. Baumgruppen in den Wiesenräumen sollten Hintergrund und Kulissen schaffen, zwischen deren dunklen Grün die helle Architektur erst richtig zur Geltung kommt. [43] 39 → Blenheim (Oxfordshire) / Duke of Marlborough; John Vanbrugh, Lancelot Brown Schloss Blenheim wurde 1705-22 vom Architekten Sir John Vanbrugh erbaut [44]. Ab 1764 war „Capability“ Brown mit der Umgestaltung des Umfeldes des Schlosses zu einem Landschaftspark befasst; an der Umsetzung ist mindestens 10 Jahre gearbeitet worden. Parallel zu den Arbeiten in Blenheim war Brown auch für Prior Park bei Bath [45] tätig und „hauptamtlich“ war er seit 1764 in London zum Hauptgärtner von Hampton Court avanciert. In seine Verantwortung gestellt waren auch Richmont Gardens, welche direkt an Kew Gardens, das „Revier“ seines eifersüchtigen Gegners William Chambers grenzten (näheres dazu später). Dem barocken Charakter und der Dimension des Blenheimer Schlossbaus entsprechend gab es vom Schlosshof ausgehend eine gut zwei Meilen lange nach Norden gerichtete Zentralachse [46], die über eine Brücke (Grand Bridge) zunächst auf eine Säule mit der Statue des Duke of Marlborough zuführte und sich in einer durch Doppel-Baumreihen gesäumten breiten Wiesenachse (Grand Avenue) mit platzartiger Erweiterung in ihrer Mitte bis an ein Tor am Nordrand des Geländes führt [47]. Diesen markanten Part wollte Brown unangetastet lassen, ebenso wie die auf den Ostflügel gerichtete Mall und die nebenliegenden sternförmigen Alleestrukturen [48]. Brown stellte auf beiden Hauptfrontseiten ein naturnahes Erscheinungsbild her, beweist aber zugleich sein gutes Gespür für die unerlässliche Ausgewogenheit zwischen architektonischem und natürlichem Gepräge!: Der zum Platz erweiterte „Auftakt“ der „Grand Avenue“ gegenüber dem Schloss im ansteigenden Gelände nördlich der Grand Bridge ist von Baumblöcken so gerahmt, dass er mit seinem Grundriss und Volumen quasi ein formales Gegenstück zum Schlossgrundriss bildet. Durch diese „architektonische“ Klammer bekommt die Brücke „Halt“ und durch die „architektonische“ Fassung der weit in den Raum fortgeführten breiten Achse bekommt die Dimension der Brücke erst Sinn. Die „Grand Avenue“ ist also nicht ein „großzügig“ belassenes barockes „Zitat“, sondern Brown hat sehr wohl erkannt, dass ohne das Rückgrat dieser Achse das Schloss in diesem riesigen, rein landschaftlich gestalteten, Gelände verloren dastände. Bemerkenswert ist das „kinästhetische Prinzip“ Brown’scher Wegeplanung: Brown hat die Bodenmodellierung und Durchblicke im Park von Blenheim auf die Kutschenperspektive ausgerichtet. Schon in Chatsworth war die Kutschenanfahrt ein grundlegender Planungsaspekt und in Blenheim sind die inneren Hauptwege wie auch der „belt walk“ (äußerer Rundweg) [noch Plan 48] so sanft und weit geschwungen, dass ihre Bestimmung für Kutschen und Reiter außer Zweifel steht. Am „belt walk“ ist allerdings – vor allem im östlichen und nördlichen Bereich – auch deutlich zu erkennen, dass Brown den Blick in das ungestaltete ländliche Umfeld (im Gegensatz zu Kent in Stowe und Claremont) eher abschirmt und stattdessen – signalisiert durch den Wechsel von Licht und Schatten – immer wieder die Sicht in das perfektionistisch durchgestaltete Parkinnere inszeniert. Brown will offensichtlich das von ihm angestrebte idealisierte Naturbild von ruhiger Harmonie nicht gestört wissen. Auf Stephen Switzers „rural gardening“ (1718) bzw. „ornamental farm“ (1733) lässt Brown sich nicht ein und er meidet eine vordergründige – durch Architekturen und Statuen vermittelte – intellektuelle Programmatik. 40 Brown’s Intention war nicht die Schaffung einzelner „Settings“ für architektonische oder skulpturale Exponate, sondern immer der Entwurf eines harmonischen Gesamtensembles, wofür er rigoros alle – durchaus natürlichen – Brüche in der Topografie, alles Ungeordnete, alle Zufälligkeiten (z.B. in der Vegetationsverteilung) ausräumte. Stephen Switzer’s Idee der „ornamental farm“ bzw. der „ferme ornée“, wie er 1742 schreibt, hat allerdings Bestand (letztlich auch in Deutschland). Erstmals soll sie mit Woburn Farm bei Chertsey in Surrey realisiert worden sein und später auch von William Shenstone auf seinem Landsitz The Leasowes bei Birmingham [49]. Für die bisher benannten grundlegenden Gestaltungsprinzipien hat dieser programmatische Inhalt keine Konsequenzen, lediglich die Blickführung ist nicht – wie bei Brown – fast ausschließlich auf das Parkinnere konzentriert, sondern auch ins Parkumfeld, quasi „zentrifugal“ inszeniert. Der englische Nationalismus des frühen 18. Jahrhunderts hatte eine neue Gestaltungsform gesucht, die anders sein sollte als die „französische“. Ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Experiment Alexander Pope’s von 1718, hatte Lancelot Brown die neue, „englische“ Art Gärten zu gestalten auf den Höhepunkt ihrer Entwicklung gebracht. Ein neuer Stil war kreiert, auch wenn zu dieser Zeit der Begriff „Stil“ für ein bestimmtes, charakteristisches Formenrepertoire noch nicht existierte. Switzer sprach immerhin schon vom „english model“, aber eine klare definitorische Trennung zwischen formalen und inhaltlichen Komponenten der Gestaltung war noch nicht vollzogen, d.h. die Unterscheidung zwischen - „Stil“ als Sache des formalen Gepräges und - „Charakter“ als Frage des intellektuellen Gehaltes oder der ästhetischen bzw. emotionalen Wirkung. Für Brown’s Schöpfungen war charakteristisch, dass der emotionale Ausdruck, der malerische Gesamteindruck der Landschaftsbilder den Vorrang hatte vor dem intellektuellen Ausdruck, der Botschaft emblematischer Staffagen: Landschaft als ästhetisches Bild, Mittler von Stimmungen, Empfindungen. 1.2.4 Die eklektische Intervention: Einzug von Exotik und Ornamentik → Kew Gardens/ William Chambers In der 2. Hälfte des 18.Jh. – zeitgleich mit Brown – macht William Chambers (1723 – 1796) von sich reden. Chambers hatte sich zum Architekten ausbilden lassen: 1749 in Paris bei Blondel und ab 1750, während seiner 5-jährigen „Grand Tour“ zum Studium der italienischen Architektur, weilte er 2 Jahre bei Piranesi. Ab 1755 wurde Cambers als Architekt in London tätig und von König Georg III. 1757 zum Hofarchitekten ernannt. Von ihm stammen z.B. das Sommerset-House und die Royal Academy in London [50] sowie etliche Landhäuser und Gartenbauwerke. Sein bevorzugter Stil war ein palladianisch „angehauchter“ Neoklassizismus mit z.T. chinesischen und maurischen Elementen sowie die Neogotik (z.B. Milton Abbey). Als Chambers’ gärtnerisches Hauptwerk gilt die Planung und bauliche Ausstattung von Kew-Gardens in London, ausgeführt zwischen 1757 und 1762. 41 Kew Gardens, eröffnet 1760, ist heute der größte botanische Garten der Welt. Die chinesische Pagode in Kew Gardens [51] ist – neben zahlreichen anderen Staffagebauten – von ihm entworfen worden, wie auch z.B. schon 1752 die Pagode im Park von Wroxton, Oxfordshire. In den 40er Jahren hatte Chambers als Ladungsaufseher im Dienst der schwedisch-ostindischen Kompanie Schiffsreisen nach Fernost mitgemacht und 1757 – im Jahr des Baubeginns in Kew Gardens – seine Schrift „Designs of Chinese Buildings“ verfasst, die vor allem auf dem Kontinent, besonders im deutschen Raum, großes Interesse fand. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass es Musterbücher für chinesische Gartenbauten längst gab und die Chinoiserie-Mode in England eigentlich schon fast wieder „out“ war; erst gegen Ende des 18. Jh. kam das Thema chinesische Gärten erneut auf. Bereits vor Kew gab es in vielen anderen Landschaftsgärten Englands, Frankreichs und Deutschlands chinesische Pagoden, Teehäuser, Brücken, Bänke. Das chinesische Teehaus in Potsdam-Sanssouci z.B. wurde schon 1754 errichtet [52]. Das chinesische Dorf Moulang mit einem pagodenartigen Pavillon [53] im Bergpark der Wilhelmshöhe in Kassel hat – um 1764 – ein Bekannter von Chambers, Louis Du Ry entworfen. 1772 erscheint von Chambers „A Dissertation on Oriental Gardening“, worin er 3 Arten von Scenen im chinesischen Garten beschreibt: 3 Arten von Szenen in chinesischen Gärten: gefällige, schreckliche, zauberhafte. Zauberhafte Eindrücke – z.B. durch das Geräusch unterirdisch fließenden Wassers, durch Windgeräusche, besondere Pflanzen und Tiere. Schreckliche Eindrücke – z.B. durch überhängende Felsen, dunkle Höhlen und reißende Wasserfälle, zertrümmerte oder halbverbrannte Gebäude. „Auf diese Szenen folgen stets gefällige“ schreibt Chambers und kommt dann zu einer für die Gestaltung relevanten Passage: Er behandelt „plötzliche Übergänge und heftige Gegensätze“, d.h. die Arbeit mit Kontrasten - in Form, Farbe, Schattierung von Bau-, Kunst- und Vegetationselementen, - durch Wechsel zwischen „begrenzten und ausgedehnten Prospekten“, - durch Übergang von „Gegenständen des Schreckens zu Szenen des Vergnügens. Im Weiteren kommt er auf „Kunstgriffe“ bei der Raumkomposition zu sprechen: - Verbergen von Teilen des Raumes oder einer Wasserfläche, um Neugier zu wecken und die Vorstellungskraft anzuregen - Bilden perspektivischer Prospekte unter Anwendung von Mitteln bzw. Methoden der optischen Täuschung; z.B. größere Raumtiefe durch Verkleinerung von Gegenständen und Verwendung blasser Farben im Hintergrund. Das Werk war schon zu Lebzeiten des Autors nicht unumstritten; z.B. findet Hirschfeld1 (1779) umfängliche „Gründe gegen die Wirklichkeit der chinesischen Gärten wie sie Chambers beschreibt“ (Bd. 1, S. 94-103). Fast genau 200 Jahre nach Erscheinen (1971) schreibt Edward Hyams dazu: „Chamber’s Dissertation is a farrago of nonsens. It was never of course meant really to be a dissertation on oriental gardening; …”. Chambers wird bezichtigt, in China nie einen Fuß an Land gesetzt* und sein Wissen aus französischen Quellen abgeschrieben zu haben. * Im Widerspruch dazu steht allerdings, dass Chambers 1748/49 für 6 Monate in Kanton gewesen sein soll. Als Vorlage gedient haben Chambers allerdings offensichtlich auch englische Quellen: 1. Thomas Whatley hatte in den zwei Jahre zuvor (1770) erschienenen „Observations on Modern Gardening“ auch schon 3 „expressions“ von Naturszenerien benannt, – heitere, melancholische, bedrohliche Stimmung. 1 Hirschfeld, Christian Cay Laurenz: Theorie der Gartenkunst. Kiel 1779 42 2. Edmund Burke hatte in seinem Traktat über das Erhabene und Schöne schon 1759 geschrieben, dass Erhabenes stärker beeindruckt als Schönes. Erhabenes lässt erschauern: tiefe Schluchten, Grotten, Höhlen, rauschende Wasserfälle; „vastness“ und „immensity“ (Addison, 1712) wilder Natur sollen erstaunen, erregen, Erfurcht erwecken. 3. Die „Kunstgriffe“, wie das teilweise Verbergen und Rahmen von Raumpartien sowie das perspektivische Verkürzen bzw. Vertiefen eines Raumes waren schon seit Kent als „screening“ und „framing“ und die perspektivische Manipulation als „attracting“ und „distancing“ bekannt. Immerhin aber ist Chambers zu bescheinigen, dass die bildhaften Beschreibungen verschiedener beeindruckender Szenerien in „Oriental Gardening“ einen wesentlichen Impuls zur Entstehung des sogenannten „sentimentalen Landschaftsgartens“ in Deutschland geliefert haben, denn dort fand sein Werk reges Interesse. Für Gärten mit sentimentalem Gepräge gab es in England schon Beispiele, wie z.B. im Painshill Park in Cobham, Surrey mit Gotischem Tempel [54], Ruinenbauten wie dem Mausoleum und der Abbey [55], seiner Tropfsteinhöhle [56] und einer Einsiedelei, die schon Sckell bei seiner Gartenreise durch England so beeindruckt hatte, dass er sie zeichnete [57]. Von Georg III. wurde Chambers für seine Verdienste geadelt, doch durch sein gärtnerisches Hauptwerk dürfte er zu diesen Ehren nicht gelangt sein: Sieht man – eingedenk seiner „chinesischen Erfahrungen“ – sich den historischen Plan von Kew Gardens an [58], muss man ihm jegliches Gefühl für eine formal ausgewogene und zugleich spannungsvolle Gestaltung von Gartenräumen absprechen. Chinesische Prinzipien der Gestaltung werden hier nicht sichtbar, sondern purer gartengestalterischer Dilettantismus: Viel zu gleichgewichtig und zu deutlich rechteckig sind die beiden Zentralräume und geradezu unmöglich ist die Form der Wasserfläche wie auch die Form und die Lage der Insel. Der Wegeführung fehlt das Verständnis für die Hogarth’sche Schönheitslinie und zudem kann die Dimensionierung, Ausformung und Abfolge der Räume im linken Planteil nicht anders als schlecht bezeichnet werden. Humprey Repton (1752–1818) eignete sich – wie Brown – sein Wissen autodidaktisch an und gab es später auch in einigen theoretischen Abhandlungen an die Nachwelt weiter, während Brown als „Vollblutpraktiker“ schriftstellerische Ambitionen offenbar nicht hatte. Repton war – wie Kent – ein talentierter Zeichner, der alles in seine berühmt gewordenen „Red books“ (wegen der roten Einbände) skizzierte. Über Landschaftsdarstellungen hat er vermutlich seine Neigung für die Landschaftsgestaltung entdeckt. Hatte er zunächst (gut bezahlte) Aufträge, „Red Books“ von gestalteten Gartenanlagen anzufertigen (was ihn auf Browns „Spuren“ brachte), wurden daraus gegen Ende der 1790er Jahre Aufträge für „Red books“ mit Vorschlägen für die Umgestaltung. Im Alter von 36 Jahren (1788, fünf Jahre nach Browns Tod) beschloss Repton, sich nur noch als Landschaftsgärtner zu verdingen. Meist versieht Repton seinen Entwurf (sketch) mit einer Deckklappe (slide), die den Ausgangszustand zeigt [59]2. Mit der wieder aufkommenden Chinamode befasst sich Repton um 1800 für Woburn Abbey. Er liefert den Entwurf für die Chinese Dairy [60] – ein gedeckter Bogengang, der die von Henry Holland geplante chinoise „Molkerei“ rückseitig umfasst und plant auch die chinesische Gartenanlage, die nach seiner Auffassung die erste Englands ist. 2 Repton, H.: Sketches and Hints of Landscape Gardening; London, 1795 43 Fast gleichzeitig hält die Indienmode Einzug in England: In Indien als Händler, Verwaltungsbeamte oder Offiziere reich gewordene „Nabobs“ erwarben Landbesitz und ließen sich indische Bauwerke errichten. Eine der aufwändigsten Anlagen im indischen Stil ist – neben dem Royal Pavillon in Brighton – Sezincote in den Cotswolds, nahe Stow-in- the-Wold, Gloucestershire [61, 62]. In Sezincote war Repton wohl schon ab 1799 beratend für die Gesamtanlage tätig und für die Anlage in Brighton hat er einen umfänglichen Entwurfsband erarbeitet, den er dem Prince of Wales 1806 zur Vorlage brachte [63]. Der heutige Palast geht auf John Nash zurück, der 1815 – 3 Jahre vor Reptons Tod – mit der Planung begonnen hatte [64]. Eine „Erfindung“ Repton’s scheint die eklektische Vermischung von naturnahem Rahmen und Beeten in Regelformen zu sein; die „reine Landschaft“ war durch Brown bereits „ausgereizt“ und so blieb als Neues eigentlich nur der Rückgriff auf Altes – eine neue Regelmäßigkeit. In den Entwürfen für Brighton wird das bereits sichtbar und im 1813 vorgelegten Red Book für Ashridge sind ganze Teilbereiche geometrisch gestaltet [65]. Der Grundriss [66] zeigt allerdings ein eklatantes „Ungleichgewicht“ zwischen dem intensiv gestalteten Gartenteil und dem Rest des Anwesens, insbesondere eine mangelnde Korrespondenz zwischen Architektur und Gartenanlage. Andererseits ist erkennbar, dass Repton die von ihm auch erwähnte „line of beauty“ (Hograth’s Schönheitslinie) perfekt in der Wegeführung umgesetzt hat. Reptons theoretische Hauptschrift sind die „Observations on the Theory and Practice of Landscape Gardening“ (London 1803). Er fordert darin, der Gartenkünstler müsse „ein kompetentes Wissen über … die Mechanik, Hydraulik, Landwirtschaft, Botanik und die Grundprinzipien der Architektur haben“ und in den „Sketches“ (s. Fußnote 2) wird klar, dass er auch Kenntnisse über bestimmte Grundprinzipien der (künstlerischen) Gestaltung voraussetzt, wie z.B. - die richtige Kontrastierung waagerechter und senkrechter Formdominanz zwischen Natur und Bauwerk, [67] - die Farbgestaltung, denn er weist in Kenntnis des Newton’schen Farbenkreises darauf hin, dass Farbwahl nicht der Willkür unterliege, sondern bestimmten Naturgesetzen (Kontrastwirkung von Farben und Helligkeitsunterschiede benachbarter Farben), - die vorteilhafte Wirkung des Gegenlichtes für die „Naturgegenstände“, wie Wälder, Wiesen, Gewässer, Berge und des Rückenlichtes für die künstlichen Elemente, wie Häuser, Brücken, Boote, ferne Städte. - die Wegeführung nach der „line of beauty“ und Regeln für die Gestaltung von Wegekreuzungen und -gabelungen. Mit Repton’s „Observations“ finden die Gesetze visueller Wahrnehmung (abgesehen von den vagen Andeutungen Chambers’ über die Möglichkeiten optischer Täuschungen) erstmalig Eingang in die Theorie der Landschaftsgärtnerei. 1.3 Einzug des Landschaftsgartens in Deutschland 1764 – in der Wörlitzer Elbauenlandschaft lässt sich Fürst Leopold II. von AnhaltDessau durch Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736 - 1800) das Schloss bauen und unter der Leitung des Gärtners Johann Friedrich Eyserbeck (1734 -1818) entstehen die ersten Anlagen der Wörlitzer Parklandschaft, die aber durch ein ElbeHochwasser völlig zerstört werden. 44 Neustart des Vorhabens – 1768 nach der Rom-Reise des Landesherren [68]. Hinter dem Programm von Wörlitz stehen – ganz in der Tradition der Renaissance – die Idee humanistischer Aufklärung und – und darüber hinaus – eine demokratische Gesinnung: Demokratisch ist das nicht zu übersehende Votum für tolerantes Nebeneinander von Staat und Kirche sowie die Glaubensfreiheit, ausgedrückt durch die enge Nachbarschaft von Schloss, Kirche und Synagoge [69]. Bemerkenswert ist, dass die drei Gebäude einen „Dreiklang“ bilden [70] (wobei die Kirche dem Schloss allerdings etwas näher liegt als die Synagoge) und dass das Rathaus, die Kirche und die Synagoge auf einer Linie liegen, - Zufall? (In der Literatur wird dieser interessante Zusammenhang nirgends erwähnt). Aufklärerisch ist die Würdigung menschlicher Errungenschaften sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart - durch die zahlreichen Architektur-Zitate verschiedener Epochen [71, 72], u.a. auch der Villa Hamilton [73], mit der nicht nur ein italienisches (??) Bauwerk zitiert, sondern der aktuelle Hausherr geehrt wird, durch dessen Ausgrabungen in Pompeji neue Einblicke in die Antike gewonnen wurden, - durch das Brücken-Programm im Park [74], das neben alten Bauweisen auch modernste Brückenbautechnik zeigt, - durch die Büsten von Wissenschaftlern, Dichtern, Künstlern, Philosophen, Theologen im Schloss. Aufklärerisch sind die – durch Skulpturen oder Inschriften ausgedrückten – Verweise auf menschliche Tugenden, Mahnungen zu Liebe und Vernunft im Umgang mit Mensch und Natur. Aufklärerisch und demokratisch zugleich ist Gewährung freien Zuganges zur fürstlichen Bibliothek im Schloss. Unverkennbar sind die englischen Wurzeln der Programmatik wie auch der Gestaltung: - Historisierende Architekturstaffagen gab es schon in der Kent-Ära. - Edmund Burkes „Erhabenes, das erschaudern lässt“, ist der „Vesuv“, der zu festlichen Anlässen befeuert wurde [75, 76], – durchaus als frühes Indiz für die in Deutschland aufkommende Romantik zu deuten. Die Raumgestaltung, die Bodenmodellierung, die Wegeführung sowie die Inszenierung von Blickbezügen ist im Wörlitzer Park deutlich vom Vorbild der Brownschen malerischen Ideallandschaft geprägt [77 - 79]. 1777 – unter Mitwirkung von Friedrich Ludwig von Sckell (1750-1823) wurden erste Bereiche im Umfeld des barocken Schlossgartens Schwetzingen (bei Mannheim) [80] des pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor im englischen Stil umgestaltet. In die schlossnahen Bereiche der Parterres wurde nicht eingegriffen; lediglich das Rechteckbecken („Kanal“) wich einem See mit naturnaher Uferausformung [81]. Die Synthese aus Barock- und Landschaftsgarten ist hier sehr überzeugend gelungen und ähnlich wie in Wörlitz wirkt das Erscheinungsbild der landschaftlichen Partien wie eine Synthese aus Kent und Brown [82, 83]. Bevor er sein Betätigungsfeld nach München verlagerte, hatte Sckell im Neckar-RheinMain-Raum die weitaus meisten Projekte; das nördlichste – Schloss Biebrich in Wiesbaden [84], plante er 1817 in nur einem Monat, da er in München nicht abkömmlich war. 45 1779 – Hirschfeld, Christian Cay Laurenz (1742-92): „Theorie der Gartenkunst“: Hirschfeld hat – schon zehn Jahre vor Entstehung des ersten Volksgartens in Deutschland (Friedrich Ludwig von Sckell, englischer Garten München, 1789) diese Idee propagiert, den Nutzen und denkbare Nutzungsangebote von Volksgärten, die „zu jeder Stunde offen für jeden“ sein sollten, dargelegt. Bei der Abhandlung des „neuen Geschmacks“ (des englischen) ist er sichtlich um eine Systematisierung von Begrifflichkeiten (und eine eigene kritische Position) bemüht: Er behandelt - die Staffagen des emblematischen Landschaftsgartens („Übertreibung des Künstlichen“), - die Landschaftsgärten der Brown’schen Ära (kritisiert die rigorosen Eingriffe Browns als „verderbliche Wirkung, Verwüstung, Naturzerstörung“), - die verschiedenen Landschaftselemente und deren Eindruck bzw. Wirkung auf den Betrachter. Hervorzuheben ist seine Übersicht über die verschiedenen Gartenthemen: Nach der Lage – Berg-, Tal-, Waldgarten Nach der Stimmung – munterer, heiterer Garten, sanft-melancholischer Garten, romantischer Garten, feierlicher Garten Nach Jahreszeit und Tageszeit – mit Hinweisen zur Pflanzenverwendung (u. a. zur Berücksichtigung von Laubaustriebszeit, Sommer- u. Herbstfärbung, Blütezeit und Blütenfarben) und Ausrichtung von bestimmten Gartenteilen zur Sonne. 1785 – auf der Wilhelmshöhe in Kassel entsteht unter Wilhelm I. von Hessen-Nassau (1743-1821) im Umfeld der barocken Wasserkaskade (1700) [85] der Landschaftsgartenteil des Karlsberges [86]. Die romantische Prägung der Anlage tritt hier noch deutlicher hervor als in Wörlitz, wie die Beispiele Aquädukt [87], Löwenburg [88] sowie der Bereich Plutogrotte – Teufelsbrücke [89] eindrucksvoll zeigen, und dass mit dem chinesischen Dörfchen Moulang auch die Exotik nicht fehlt, wurde bereits erwähnt. 1785 – in Preußen hatte Friedrich II. für die neue Gartenmode nicht eben übermäßiges Interesse aufgebracht, so dass erst nach dessen Ableben 1785 unter seinem Thronfolger Friedrich Wilhelm II. der „Neue Garten“ in Potsdam als erster Landschaftsgarten des preußischen Königshauses entstand. Friedrich Wilhelm II. hatte dafür Erdmannsdorff aus Wörlitz, der das Marmorpalais bauen sollte, und Eyserbeck als Hofgärtner für die Anlage des Gartens nach Potsdam gerufen. Eyserbeck nahm dann auch die „Verlandschaftung“ des Charlottenburger Schlossgartens in Berlin vor. Gleichfalls auf Eyserbeck’s Hofgärtnerzeit gehen Arbeiten in Sanssouci sowie erste landschaftsgestalterische Interventionen auf der Pfaueninsel zurück, welche später von Lenné zum Landschaftskunstwerk „aus einem Guß“ geformt wurde. 1789 – das Vorhaben, mit dem Englischen Garten in München den ersten öffentlich zugänglichen herrschaftlichen Park, d.h. einen „Volksgarten“ zu schaffen wird in Angriff genommen; mit der Planung beauftragt wird F. L. v. Sckell [90]. Die Raumgestaltung und Behandlung der Topographie fußen sichtbar auf den 1773 in England (und vermutlich auch in Wörlitz) gesammelten Erfahrungen [91-93]. Er hatte in England Brown und Chambers kennengelernt und soll Blenheim, Stowe, Stourhead und Kew-Gardens besucht haben und dass er auch in Painshill war, belegt seine Zeichnung der Einsiedelei [57]. 46 1804 – unter Sckell beginnt die „Verlandschaftung“ des Barockparks von Schloss Nymphenburg; im Plan von 1808 [94] treten noch deutlich die ursprüngliche Kreisform und die „Gänsefuß“-Achsen der Barockanlage hervor. Als unverzeihlicher Fehler ist Sckell allerdings die – trotz anders lautender Lippenbekenntnisse – vorgenommene Teilverlandschaftung in unmittelbarer Schlossnähe anzulasten, durch die das Umfeld des Bauwerks völlig aus dem Gleichgewicht gerät! Wie Kent und Chambers hat auch Sckell Entwürfe für Garten-Staffagen gefertigt [95] und in Nymphenburg bauen lassen [96]. 1816 – Josef Peter Lenné (1789-1866) beginnt im Alter von 27 Jahren seine glanzvolle Karriere in Potsdam am Hofe Friedrich Wilhelm III. als Gärtnergeselle und avanciert schon 1818 zum „Mitglied der Königlichen Gartenintendantur“. Die Fülle der aus Lennés Feder stammenden, liebevoll kolorierten Entwurfspläne für Sanssouci und den Neuen Garten [siehe 90], die ab 1816 entstanden, zeugt von einem ungeheuren Arbeitspensum. Im ersten Jahr seiner Anstellung in Potsdam 1816 hat Lenné den Neuen Garten nochmals überplant [97]. Die Dynamik der Wegeführung, die Ausformung von Raumgrenzen mit Vegetation sowie die Bildung spannungsvoller Raumfolgen übertrifft Sckell’s Plan für den Englischen Garten München [90] bereits deutlich. Im Plan für die „Wasserleitung“ in Sanssouci [98] geraten einige Schwünge der „Schönheitslinie zwar noch zu gleichmäßig sinusförmig, aber das Chinesische Teehaus von 1754 wird gekonnt inszeniert [99]. Schon kurze Zeit später taucht dieser Fehler nicht mehr auf und in fast allen Teilplänen findet man – hauchdünn eingezeichnet – die von wichtigen Punkten des Planungsraumes ausgehenden bzw. auf diese gerichteten Sichtachsen [100]. Erst nach deren Festlegung hat Lenné die raumbildenden Gehölzgruppen und -massive positioniert und geformt. 1821 – Umgestaltung (bis 1834) der Pfaueninsel in der Havel nördlich von Glienicke; Plan des Zustandes von 1829: [101] 1824 – Planung des Klosterberge-Gartens in Magdeburg, – der erste Volksgarten im Auftrage einer Kommune [102] 1832 – Planung für den Tiergarten Berlin; bis Anfang der 40er Jahre – sukzessive Erarbeitung von Teilplänen, zuletzt – Bereich Hippodrom-Fasanerie (1841-42) [103]. 1833 – Plan für die gesamte Umgebung von Potsdam, - das gigantischste Planwerk Lennés [104]! 1836 – Plan von Sanssouci und Charlottenhof; das Gesamtareal, für welches unzählige Einzelpläne erstellt worden waren, belief sich zu dieser Zeit auf ca. 300 Hektar [105]. 1833 – Fürst v. Pückler-Muskau (1785-1871) entwirft (gemeinsam mit seiner Frau) die Parkanlagen von Muskau [106] und Branitz [107] und verfasst seine – reich illustrierten – „Andeutungen über die Landschaftsgärtnerei“ [108]. In den Plan für Muskau ist – ähnlich wie bei Lenné’s Planung für die Umgebung von Potsdam – die gesamte Feldflur im Umfeld der Stadt mit einbezogen. Die enge Anlehnung an Huphrey Repton ist unverkennbar: Pückler bedient sich derselben Klappbild-Technik [109, 110] für die Entwurfspräsentation wie auch der Richtig-Falsch-Zeichnungen [111] in seiner theoretischen Schrift und – wie Repton – streut er im Pleasureground in den Rasen bunte Blumenbeete unterschiedlichster Regelformen ein [112]. Hier deutet sich – etwa Mitte des 19. Jh. – bereits der Rückgriff auf früheres Formenrepertoire an. 47 2. Back to the roots: Architektonische Gärten [113] Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Stil des Landschaftsgartens zum einen vielleicht als überlebt, zum anderen – vor allem für kleinere Anwesen – als ungeeignet angesehen. Man kehrte – zunächst in England – zurück zu Formen und Elementen des 17. Jahrhunderts und somit zu einer bis in die Antike zurück reichenden Tradition der Gartengestaltung: Terrassierungen, Parterres, doppelläufige Treppen der Renaissance [114] wie auch gerundete Treppen des Barock [115]. Ein „neuer Gartenstil“, wie in der Literatur verschiedentlich behauptet, war das also keinesfalls. Im Grunde bestand der einzige nennenswerte Unterschied darin, dass in der Folgezeit die Axialsymmetrie als Gestaltungsprinzip allmählich weniger „zwingend“ erschien. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hat man z.T. Flächen oder architektonische Elemente unterschiedlicher Größe und Form zueinander geordnet bzw. ineinander verschachtelt [116, 117]. Gartenräume wurden nicht mehr durch frei wachsende Gehölzränder, sondern durch Mauern oder geschnittene Hecken begrenzt [118]. Räume wurden wieder durch Laubengänge und Pergolen gebildet bzw. begrenzt [119]. Einzige wirkliche Neuerung im architektonischen Garten dürfte der in England um 1900 aufgekommene „sunken garden“ sein, - eine (vermutlich aus Windschutzgründen) eingesenkte Variante des Parterres. Paradebeispiel ist der üppig mit Stauden und Gehölzen bepflanzte Senkgarten des berühmten Staudenzüchters Karl Foerster in Potsdam-Bornim, entstanden um 1912 [120]. Der architektonische Stil gehört auch heute noch zum gängigen Repertoire [121, 122]. 48 IV. Historie des öffentlichen Stadtgrüns 1. Anfänge der Stadtbegrünung „Öffentliches Grün“ - Bäume an Straßen und auf Plätzen sowie heilige Haine als grüne Oasen in den dicht bebauten Städten - hat es schon in der Antike gegeben, doch die Geschichte öffentlichen Stadtgrüns in Europa nördlich der Alpen ist noch relativ jung. Im Mittelalter gab es mitunter auf Marktplätzen, vor dem Rathaus oder vor den Kirchen eine oder mehrere Linden, Eichen, Eschen oder Ulmen, aber ansonsten wurde „Grün im öffentlichen Raum“ innerhalb der Stadtbefestigung – zumal in den relativ engen Gassen – wohl als sinnlose Platzverschwendung angesehen. Das heißt aber nicht, dass es kein „Stadtgrün“ gegeben hat! Hinter den – meist geschlossenen – Häuserfronten gab es im frühen Mittelalter private Gärten, Felder und Weideflächen [3] und wenn dann mit zunehmender Dichte der Bebauung der Platz innerhalb der Mauern zu knapp wurde, legten sich die Bürger Gärten außerhalb der Stadtbefestigung an [4]. Größere öffentliche, eingegrünte Freiflächen, wie Volkswiesen und Fest- oder Turnierplätze lagen i.d.R. vor den Toren der Stadt. Etwa bis Ende des 17. Jahrhunderts änderte sich daran kaum etwas. Sieht man von zeitweise (auch nur für „handverlesenes“ Publikum) geöffneten herrschaftlichen Gartenanlagen mal ab, gab es öffentliches Stadtgrün so gut wie nicht. Hier und da wurden allerdings schon Alleen gepflanzt – („Allee“ = aus d. Französ. v. aller – gehen, fahren), wie z. B. in Berlin: 1647 ließ der „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm auf dem – schon mehr als 70 Jahre existierenden – Reitweg vom Stadtschloss zum Tiergarten doppelreihig Linden [5] pflanzen; das war die heute noch so genannte „Allee unter den Linden“. Öffentlich war dieser Reit- und Fahrweg zwar, doch genau genommen – eine Ausfallstraße (nach Potsdam) in Randlage. Später wurden unweit des Schlosses noch Befestigungsanlagen gebaut, wofür der östliche Anfang der Allee geopfert werden musste und der Rest, samt Tiergarten, lag dann für lange Zeit außerhalb der Stadt, d.h. er konnte eigentlich nicht zum Berliner Stadtgrün gerechnet werden. Die Berliner „Linden-Allee“ ist allerdings nicht, wie manche glauben, nach dem Vorbild von Versailles entstanden, denn mit der Anlage dieses gewaltigsten herrschaftlichen Parks der Neuzeit ist erst 1662 (15 Jahre später) begonnen worden. 1670 fühlte sich Ludwig XIV., der „Sonnenkönig“, in Paris so sicher, dass er die fortifikatorische Bestimmung seiner „Boulevards“ (niederländ: „bulwerke“, dt: „Bollwerk“) für verzichtbar hielt. Der Befestigungsring wurde auf Ludwigs Geheiß geschliffen und mit Bäumen bepflanzt. – Damit entstand ein öffentlich nutzbarer Grünring um die Pariser Innenstadt, aber eben nicht außerhalb der Mauern liegend, sondern auf dem Befestigungswerk und somit zur Stadt gehörend. Der Ring der Pariser „Grands Boulevards“ war also wirklich erstes öffentliches Stadtgrün in nachmittelalterlicher Zeit und der Begriff für eine mit Bäumen begrünte Flaniermeile hat sich weltweit bis heute gehalten, – auch für innerstädtische Straßenzüge, die mit einer vormaligen Stadtbefestigung nichts zu tun haben [6]. In deutschen Städten wurde dann mit den Stadtbefestigungen genauso verfahren, jedoch erst 100 Jahre später. 49 Ebenfalls im 17. Jh. entstanden in England die ersten Squares, – meist gegen die umliegenden Straßen hin abzäunte Plätze mit Wegen, Rasenflächen, einigen Bäumen und Sträuchern, Bänken, einem Denkmal, einem Brunnen [7]. Diese stadtteilbezogenen Grünräume waren mehr als nur Schmuckplätze; auf ihnen spielte sich öffentliches Leben ab. Und um das schon mal vorweg zu nehmen: In Deutschland wäre man gut beraten gewesen, sich daran ein Beispiel zu nehmen, als die Städte über ihre Befestigungsanlagen hinaus quollen und immer neue Stadtviertel gegründet wurden. In München entstand ab 1789 nach Plänen von Friedrich Ludwig von Sckell der Englische Garten [8] als erster so genannter „Volksgarten“ auf dem europäischen Kontinent [9]. Sckell selbst äußerte sich über die soziale Zweckwidmung: „Bewegung, Geschäfts-Erholung, geselliger Umgang und Annäherung aller Stände“. Hier wurde noch ein fürstlicher Auftrag realisiert: Kurfürst Karl-Theodor hatte 1789 dazu den Anstoß per Dekret gegeben – ein sicherlich sehr weises Dekret angesichts dessen, was sich dazumal – 1789! – gerade in Paris abspielte! Und die Französische Revolution war nicht von ungefähr gekommen!: Es herrschte Hunger in ganz Europa, weil ein El Nino im Südpazifik und der Ausbruch des Laki auf Island zu einer Klima-Abkühlung – insbesondere nördlich der Alpen – geführt hatten, in deren Verfolg es zu Missernten kam. Ein Grund mehr dafür, dass nun in Deutschland vielerorts herrschaftliche Garten- und Parkanlagen – zumindest an bestimmten Tagen zeitweise – für das Volk geöffnet wurden. 2. Bürgergärten und Volksparks Erste größere Grünanlagen, die für die Allgemeinheit zugänglich waren, entstanden gegen Ende 18. Jh./ Anfang 19. Jh., als in deutschen Landen viele Befestigungsanlagen [10] zunächst – nach Pariser Vorbild – bepflanzt [11] und später dann abgerissen wurden („Demolierung“); so z.B. 1784 in Leipzig, 1797 in Braunschweig, 1801 in Düsseldorf, 1802 in Bremen, 1804 in Frankfurt/ M. [12] u. Hamburg, desgleichen in Magdeburg, Goslar und noch in etlichen anderen Städten. In den meisten Fällen waren es die Franzosen, die während der Zeit ihres (am 20. April 1792 erklärten) Krieges gegen Österreich und die deutschen Königs- und Herzogtümer in den besetzten Gebieten alles schleifen ließen, was wehrhaften Charakter trug. Auch in Aachen haben die Franzosen das Schleifen des äußeren Befestigungsringes verfügt; diesem Umstand verdankt Aachen seinen Alleenring, – die erste große öffentliche Grünanlage der Stadt. In anderen Städten erfolgte der Abriss (auch ohne Weisung französischer Besatzer, aber französischem Vorbild folgend) schon aus der Einsicht heraus, dass diese Stadtbefestigungen der Feuerkraft moderner Geschütze ohnehin nicht standhalten konnten. Das hatte bereits der Siebenjährige Krieg (1756 – 63) gezeigt und so nutzten die Städte die Chance, sich etwas Luft zu schaffen und begrünte Parkringe anzulegen, die häufig – ebenfalls französisch – „Promenaden“-Ringe genannt wurden [13 - 16]. Die französische Besatzung nahm ihr Ende erst nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813, in der die Deutschen im Verein mit den Russen und Österreichern ihren als „Befreiungskrieg“ in die Analen der Geschichte eingegangenen Kampf gegen Frankreich siegreich beenden konnten und nachdem Napoleon 1815 nochmals Anlauf nahm, wurde er bei Waterloo endgültig von Blücher + Gneisenau und den Engländern unter Wellington („Ich wollte es wäre Nacht und Preußen kämen!“) besiegt. 50 Mit Ringpromenaden allein war allerdings der Bedarf an mehr Bewegungsraum für die Stadtbevölkerung nicht gedeckt und so wurde Hirschfelds Volksgarten-Idee wieder aufgegriffen: 35 Jahre nach dem Startschuss für den Englischen Garten in München entstand 1824 als erster Volksgarten im Auftrage einer kommunalen Stadtverwaltung der Klosterbergegarten in Magdeburg nach einer Planung von Peter Joseph Lenné [17]. Für Lenné war das ein außergewöhnliches Novum; bis dahin hatte er – seit 1816 – nur in hochherrschaftlichem Auftrag gearbeitet, – überwiegend an der Schaffung neuer Parkanlagen für das preußische Königshaus rund um Berlin und Potsdam. Ab 1832 (noch unter Fr. Wilh. III., der 1840 starb) wurde in Berlin von P. J. Lenné der Tiergarten völlig umgeplant [18] und war als Erholungspark der Öffentlichkeit zugänglich [19]. Im Allgemeinen ist jedoch bis Mitte des 19. Jh. in der Stadtgrün-Entwicklung eine deutliche Stagnation zu verzeichnen, die mehrere Gründe hat: Zum einen war da die zuerst in Preußen mit den Stein-Hardenbergschen Reformen 1810 eingeführte Gewerbefreiheit, deren Folge eine vordringlich betriebene Bautätigkeit war, die letztlich Stadterweiterungen und erheblichen Bevölkerungszuwachs nach sich zog. Zum anderen hatte der Befreiungskrieg gegen Frankreich Kraft gekostet und wenige Jahre später, 1830 und nochmals 1848 waren da auch noch die politischen Unruhen der bürgerlichen Revolutionen. Erst in der 2. Hälfte des 19. Jh. wird die Weiterentwicklung des Stadtgrüns wieder forciert. Beispiele für entstehende Bürgergärten und in der 2. Hälfte des 19. Jh.: 1853 1853 – 75 1858 – 63 1860 1865 1866 1869 1870 1870 1876 Mariannenplatz, Berlin (Lenné; sogar mit Kinderspielbereich!) Stadtpark Zwickau Bürgerwiese in Dresden Stadtpark Magdeburg Stadtgarten „Flora“ Köln [20] Bürgerpark Bremen u. Stadtgarten Karlsruhe Humboldthain Berlin [21] Palmengarten in Frankfurt, M. [22] Stadtgarten Aachen (Areal hinter d. Kurgarten; Lenné) [23] Treptower Park in Berlin [24] Im Zuge der Stadterweiterungen über die geschliffenen Befestigungsringe hinaus war in der Mehrzahl der Fälle die Chance vertan worden, Flächen für Grünanlagen freizuhalten. Von einem planmäßigen Stadtausbau im 19. Jh., von Einzelfällen – wie z.B. Berlin – abgesehen, kann nicht die Rede sein. Berlin muss – trotz aller Planmäßigkeit der Stadterweiterung – sogar als Negativbeispiel herhalten, wurde doch mit dem Hobrechtplan (1862 – 64) versäumt, größere gliedernde und raumwirksame Grünflächen in das Stadtbild einzufügen: Ein paar kleine Schmuckplätze sollten dem geplanten neuen Stadtgebiet – wie Schönheitspflästerchen – gut zu Gesicht stehen [25; 26]. 51 1870 hat Frankreich unter Napoleon III. hatte einen Krieg gegen den Norddeutschen Bund unter Preußischer Führung angezettelt, der auch die süddeutschen Staaten mit auf die Seite des Norddeutschen Bundes brachte. Der Sieg der vereinten Deutschen Staaten zog die Gründung des Deutschen Reiches nach sich und auf Betreiben Bismarcks wurde König Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser gekrönt. – Es folgte die so genannte „Gründerzeit“: Die 5 Milliarden französischer Franc als Kontributionszahlungen an das geeinte Deutschland kurbelten die Industrieproduktion gewaltig an. Das Deutsche Reich wurde zur industriellen Weltmacht und der Wirtschaftsboom zog ungezügelte Bodenspekulation und Bautätigkeit nach sich. – Die in den Nachkriegsjahren heranwachsenden Gründerzeit-Viertel (nicht nur in Berlin, sondern in allen größeren Städten des Reiches) mit ihrer Bebauung bis in die 3. finstere Hinterhofparzelle hatten dann die hinlänglich bekannten sozialen und hygienischen Missstände für das Industrieproletariat zur Folge. 1889 forderte Camillo Sitte „sanitäres Grün“ gegen die nachteiligen Wirkungen des Stadtklimas: Er schlug vor, massive Gehölzpflanzungen in Form von Grünzügen anzulegen und damit wirkungsvoll das „dekorative Grün“, wie er die Schmuckplätze nannte, zu ergänzen. 1895 bringt Theodor Fritsch* die Gartenstadt-Idee auf, die aber dann in England eher umgesetzt wurde: * Fritsch bleibt – seiner antisemitischen Schriften wegen – in der Literatur meistens ungenannt. 1898 forderte der Engländer Ebenezer Howard Grünringe um die Großstädte und schlug vor, in deren Umkreis neue Ansiedlungen mit nicht mehr als 32.000 EW zu gründen, die er als „Gartenstädte“ konzipiert wissen wollte, … - durch eine Bahnstrecke mit der Zentralstadt verbunden, - mit parkartiger grüner Mitte, an der das Verwaltungsgebäude und die notwendigen Versorgungseinrichtungen für den täglichen Bedarf liegen, - mit zweigeschossigen Einzel- o. Doppelhäusern, die alle einen umliegenden Garten haben sollten. Nach diesem Konzept entstand 1902 Letchworth [27] als erste Gartenstadt und ab 1920 Welwyn Garden City, doch vor Welwyn waren bereits auch in Deutschland mehrere Gartenstädte gegründet worden: - 1906 Hellerau bei Dresden - 1907-14 Kolonie MARGA bei Senftenberg [28] - 1910 Margaretenhöhe in Essen [29; 30] - 1913 Leipzig-Marienbrunn Dieses Konzept hat sich allerdings nicht dauerhaft etablieren können: - der Flächenverbrauch in Relation zur Einwohnerdichte war hoch und ging auf Kosten landwirtschaftlicher Nutzflächen, - die Eisenbahnverbindungen zu den Produktions-, Einkaufs- und Kulturstätten der Kernstadt kosteten zu viel Zeit. Aber in den Werkssiedlungen im Umfeld großer Industrieunternehmen späterer Zeit ist die Idee dann durchaus wieder zu erkennen [31]. Infolge der industriellen Revolution machte das Industrieproletariat mittlerweile in den Großstädten den Hauptteil der Bevölkerung aus und damit bestand potentiell auch die reale Gefahr einer proletarischen Revolution – vor allem vor dem Hintergrund der revolutionären Erhebungen des Proletariats im zaristischen Russland um 1905. 52 Das dürfte ausschlaggebend gewesen sein für Anfang des 20. Jh. rasant anlaufende „Volkspark-Bewegung“. Der politische Hintergrund liegt klar auf der Hand: Erholungs-/ Vergnügungsgrün als „Opium für´s Volk“. Die längste Liste der Anfang des 20. Jh. wie Pilze aus dem Boden schießenden Volksparke hat Berlin – sicherlich nicht nur wegen seiner Größe, sondern dort war die politische Lage wohl auch am brisantesten. Volksparke in Berlin: [32] 1908 1909 – 13 1911 – 15 1912 – 13 VP Frohnau Schillerpark Thielpark Zehlendorf Parkring Tempelhof [33; 34] In Hamburg hatte 1911 Fritz Schumacher den Stadtpark geplant. [35] Dann brachte der 1. Weltkrieg eine Unterbrechung 1914 – 18. Aber genau in dieser Zeit – 1915 nämlich – erscheint ein höchst engagiertes Buch von Martin Wagner unter dem Titel „Das sanitäre Grün der Stadt“. Da er den von Camillo Sitte 1889 geprägten Begriff verwendet, fiel es vielleicht nicht so sehr auf, dass Wagner eigentlich „soziales“ Grün meinte, denn in Wahrheit geht es ihm ganz entschieden um mehr Nutzungsangebote in öffentlichen städtischen Freiräumen, und diese Forderung wurde hier erstmalig beziffert: Pro EW wollte er - 2,4 m² für Spielplätze, - 1,6 m² für Sportplätze, also zusammen 4 m2 pro EW für Spiel- u. Sportflächen u. dazu noch 2,5 m² für allgemeine Grünanlagen (Wälder ausgenommen). Damit liegt Wagner durchaus in der Nähe heutiger Festlegungen! Beispiel Spielplätze: Spielplatzsatzung AC – für ein Wohngebäude mit bis zu 5 Wohnungen – 30 m² Spielfläche für Kleinkinder. Nimmt man an, – in jeder der 5 Wohnungen: 1 Familie mit 1 Kind → 15 EW. Nach Wagner: 15 EW x 2,4 m2 → 36 m² für Spielplätze; das erscheint auf den ersten Blick sogar mehr, aber man darf dabei nicht übersehen, dass Wagner „Spielplätze“ nennt, – nicht „Kleinkinder-Spielplätze“. Ob Wagners Forderungen gefruchtet haben, ist schwer zu beweisen, aber nach dem 1. Weltkrieg ging es mit dem Bau von Volksparken (trotz der hohen Belastungen durch die zu leistenden Reparationszahlungen) zügig weiter, zumindest in Berlin [37]: 1919 – 31 1920 – 24 1921 – 23 1921 – 27 1923 – 34 1924 – 33 1925 – 28 1926 – 29 1928 – 29 VP Wuhlheide VP Jungfernheide VP Schönholzer Heide VP Tempelhofer Feld VP Mariendorf Waldpark Steinberg Sportpark Tempelhofer Feld VP Rehberge VP Köpenick [38 - 41] [43] 53 In Köln hatte Fritz Schumacher 1923 den Grüngürtel auf dem Befestigungsareal geplant [44]. Dann kam – als Einnahmequelle für die Finanzierung von Park-Gründungen – die Gartenschau-Idee auf, die erstmals 1926 in Dresden realisiert wurde. Die letzte Gartenschau vor dem 2. Weltkrieg – 1939 in Stuttgart [45; 46]. 3. Parks nach 1945 - Gartenschauen Nach Kriegsende war dann genug Platz für Stadtgrün, nur hatte man da erst einmal andere Sorgen, denn die Bevölkerung fror und hungerte und wenn schon Grün, dann Gemüse! Der Berliner Tiergarten z.B. war großenteils verheizt und musste als Kartoffel- und Gemüseacker herhalten. Ab den Fünfzigern aber hatten dann … … erstmals in der deutschen Stadtplanungsgeschichte (!) das Wohngrün, das öffentliche Stadtgrün und stadtnahe Erholungsanlagen einen festen Platz bei der Planung des Wiederaufbaus. Seit Anfang der 50er Jahre wurden auch wieder Gartenschauen veranstaltetet, um neue Parkanlagen schaffen zu können. Textinformationen über Gartenschauen sowie deren Ziele und Handlungsfelder – in den ppt-Folien [47 - 50]. Die weiteren 28 Folien [51 - 79] zeigen – in zeitlicher Abfolge – Gartenschaubilder bis 2009 (BUGA Schwerin). 54 V. Literatur Standardwerke: 01. Gothein, Marie Luise Geschichte der Gartenkunst Hildesheim- New-York, 1977 02. Hammerschmidt, Valentin / Wilke, Joachim Die Entdeckung der Landschaft: Englische Gärten des 18. Jahrhunderts Stuttgart, 1990 03. Hennebo, Dieter Geschichte der Deutschen Gartenkunst, Band 1 (Mittelalter) Hamburg, 1962 04. Hennebo, Dieter Geschichte der Deutschen Gartenkunst, Band 2 (Renaissance und Barock) Hamburg, 1965 05. Hennebo, Dieter Geschichte der Deutschen Gartenkunst, Band 3 (Landschaftsgarten) Hamburg, 1963 06. Hennebo, Dieter Geschichte des Stadtgrüns, Band I: Von der Antike bis zur Zeit des Absolutismus Berlin, Hannover, Sarstedt, 1970 07. Hennebo, Dieter (Hrsg.) / Wiegand, Heinz Geschichte des Stadtgrüns, Band II: Entwicklung des Stadtgrüns in Deutschland zwischen 1890 und 1925 Berlin, Hannover, ohne Jahresang. 08. Hennebo, Dieter / Schmidt, Erika Geschichte des Stadtgrüns, Band III: Entwicklung des Stadtgrüns in England Berlin, Hannover, ohne Jahresang. 09. Hennebo, Dieter (Hrsg.) / Nehring, Dorothee Geschichte des Stadtgrüns, Band IV: Stadtparkanlagen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Berlin, Hannover, 1979 10. Hennebo, Dieter Gärten des Mittelalters München, Zürich, 1987 11. Mader, Günter Gartenkunst des 20. Jahrhunderts Stuttgart, 1999 12. Hirschfeld, Christian Cay Lorenz Theorie der Gartenkunst, Band 1 und Band 2 Hildesheim, New York, 1973 13. Keller, Herbert Kleine Geschichte der Gartenkunst Berlin, Hamburg: Parey, 1976 14. Meyer, G. Lehrbuch der schönen Gartenkunst Berlin, 1895 55 Ergänzungen: 15. Bazin, Germain DuMont´s Geschichte der Gartenkunst Frechen, 1999 16. Brown, Jane Kunst und Architektur englischer Gärten Stuttgart: DVA, 1991 17. Buttlar von, Adrian Der Landschaftsgarten: Gartenkunst des Klassizismus und der Romantik Köln, 1980 18. Chatfield, Judith Die schönsten Gärten italienischen Gärten Köln, 1991 19. Enge, Torsten Olaf / Schröer, Carl Friedrich Gartenkunst in Europa: 1450-1800 Vom Villengarten der italienischen Renaissance bis zum englischen Landschaftsgarten Köln, 1994 20. Fariello, Francesco La Arquitectura de los Jardines Madrid, 2000 21. Fehrle-Burger, Lili Die Welt der Oper – in den Schlossgärten von Heidelberg und Schwetzingen Karlsruhe: Braun, 1977 22. Forkl, Hermann / Kalter, Johannes / Leisten, Thomas / Pavaloi, Margareta Die Gärten des Islam Stuttgart, 1993 23. Hansmann, Wilfried Gartenkunst der Renaissance und des Barock Köln,1983 24. Hantelman von, Christa Gärten des Orients Köln: Dumont, 2003 25. Hobhouse, Penelope / Taylor Patrick (Hrsg.) Gärten in Europa – Führer zu 727 Gärten u. Parkanlagen Stuttgart,1992 26. Jeannel, Bernard Le Notre Paris, 1985 27. Lenné, Peter Joseph Gärten/ Parke/ Landschaften Berlin: VEB, 1985 28. Lévêque, Georges / Valéry, Marie-Francoise Die schönsten Gärten Frankreichs – Gartengestaltung und Tradition Stuttgart: Franckh-Kosmos, 1990 29. Mader, Günter / Neubert-Mader, Laila Italienische Gärten Stuttgart, 1987 56 30. Panten, Helga Die Bundesgartenschauen – Eine blühende Bilanz seit 1951 Stuttgart: Ulmer, 1987 31. Petruccioli, Attilio Der Islamische Garten Stuttgart, Dt. Verl.-Anst., 1995 32. Pieper, Jan Pienza. Stuttgart, London, 1997 33. Pückler-Muskau, Hermann Fürst von Andeutungen über Landschaftsgärtnerei Frankfurt, 1988 (Reprint) 34. Rave, Paul Ortwin Gärten der Barockzeit: Von der Pracht und Lust des Gartenlebens. – Stuttgart, 1951 35. Rode, August, Hartmut Ross u. Ludwig Trauzettel Der englische Garten zu Wörlitz Berlin; München 1994 36. Schildt, Helmut Maximilian Friedrich Weyhe und seine Parkanlagen Düsseldorf, 1987 37. Schnack, Friedrich Traum vom Paradies, Eine Kulturgeschichte des Gartens Hamburg, 1962 38. Sckell von, Friedrich Ludwig Der Begründer des Landschaftsgartens in Deutschland Stuttgart: DVA, 1992 39. Visentini, M.A. Die italienische Villa Stuttgart, 1997 40. Wimmer, Clemens Alexander Geschichte der Gartentheorie Darmstadt, Wiss. Buchges., 1989 57